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1.1 | Zur Geschichte des Italienischunterrichts vom Mittelalter bis 1945
ОглавлениеBis ins 17. Jahrhundert ist Italienisch in Deutschland die am meisten nachgefragte Sprache: im Mittelalter wurde Italienisch v.a. von Kaufleuten und von Adeligen erlernt, im 18. Jahrhundert dann auch von einer kulturellen Elite. Man denke an die Verbreitung des Italienischen etwa in Weimar, wo sie in der Publikation einer italienischsprachigen Zeitschrift, der Gazzetta di Weimar, kulminierte. Die Entwicklung des Italienischunterrichts in Deutschland vom Mittelalter bis zur Gegenwart soll im Folgenden kurz umrissen werden.
QuellenFür diesen historischen Überblick wurden alle in der von Konrad Schröder 1980ff. herausgegebenen Quellensammlung zum Fremdsprachenunterricht Linguarum recentium annales erfassten Quellen zum Italienischunterricht ausgewertet. Diese betreffen die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts im deutschen Sprachraum von 1500 bis 1800. Ergänzend und für die Folgezeit wurde auf weitere Darstellungen zur Geschichte des Fremdsprachenunterrichts (z.B. Hüllen 2005) zurückgegriffen.
In quantitativer Sicht ist bei einer systematischen Auswertung des Korpus Schröder 1980–1984 festzuhalten, dass das Italienische in den Linguarum recentium annales nach dem Französischen die am zweithäufigsten genannte romanische Fremdsprache ist. Eine quantitative Auswertung der in den „Sprachenverzeichnissen“ der Bände 1 bis 4 erfassten Nennungen lässt sich graphisch wie folgt veranschaulichen:
Abb. 1.1
Romanische Sprachen und Englisch in den Linguarum recentium annales
historische DominanzObwohl diese Daten mit gewissen Einschränkungen interpretiert werden müssen, die an dieser Stelle nicht diskutiert werden können, lässt sich aus diesen Datenreihen mittelbar die Bedeutung der einzelnen Sprachen innerhalb der derzeit umfassendsten Dokumentation zur Geschichte des Fremdsprachenunterrichts im deutschen Sprachraum ablesen. Eindeutig ist die historische Dominanz des Französischen und des Italienischen vor den beiden iberoromanischen Sprachen zu erkennen. Blickt man in die Chronologie der Daten, so lässt sich insgesamt eine Zunahme der Quellen zum Fremdsprachenunterricht ab dem 18. Jahrhundert feststellen. Insbesondere das Französische wird im 18. Jahrhundert spürbar öfter genannt, während das Spanische vom 16. bis ins 18. Jahrhundert immer seltener belegt ist. Diese quantitativen Befunde decken sich mit bisherigen Erkenntnissen der Historiographie des Fremdsprachenunterrichts: zum einen wurden ab dem 18. Jahrhundert zunehmend nicht mehr nur in adeligen, sondern auch in bürgerlichen Kreisen Fremdsprachen erlernt, und zwar allmählich auch in institutionalisiertem Kontext. Das Französische war ab dem 17. Jahrhundert in Deutschland die am weitesten verbreitete Fremdsprache (und hatte in dieser Rolle das Italienische abgelöst), das Spanische verlor seit Beginn des 17. Jahrhunderts an Ansehen (vgl. z.B. Reimann 2009b).
PrivatunterrichtBis in die Neuzeit hinein wird Italienisch gerade auch in den Adelshäusern im Privatunterricht erlernt, teilweise schon in einem Alter, in dem man heute von «Frühitalienisch» sprechen würde. In der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. aus dem Jahr 1356 liest man:
[…] Daher verfügen wir, dass der erlauchten Kurfürsten, nämlich des Königs von Böhmen, des Pfalzgrafen bei Rhein, des Herzogs von Sachsen und des Markgrafen von Brandenburg, Söhne oder Erben und Nachfolger – da man als wahrscheinlich voraussetzt, dass sie die ihnen angestammte deutsche Sprache kennen und von Kindheit an gelernt haben – von ihrem siebenten Lebensjahr an in der lateinischen, der italienischen und der tschechischen Sprache unterrichtet werden, so dass sie bis zum vierzehnten Lebensjahr, je nach der ihnen von Gott verliehenen Begabung, damit vertraut seien; denn dies wird nicht nur für nützlich, sondern aus obgenannten Gründen für höchst notwendig erachtet, weil diese Sprachen am meisten für den Gebrauch und Bedarf des Heiligen Römischen Reiches angewendet zu werden pflegen und weil in ihnen die wichtigsten Reichsgeschäfte verhandelt werden. (Müller 1957, 99)
Noch im ausgehenden 16. Jahrhundert ist die Unterweisung von Prinzen in der italienischen Sprache z.B. für Sachsen und Bayern belegt. Keine Rarität sind Anweisungen für Hofmeister, in denen angeordnet wird, diese sollten „befördern, dass Unsere Söhne der lateinischen, französischen und italienischen Sprache nicht vergessen“ (Schröder 1980ff., I, 70). Für die Zeit nach 1662 ist bezüglich der Kinder des bayerischen Herzogs Ferdinand Maria Folgendes überliefert: „Italienische Ammen und Diener pflegten die kurfürstlichen Kinder, und fremde Erzieher gaben neben der durchaus französisch gebildeten Mutter den ersten Unterricht in den Sprachen …“ (ebd., I, 295).
Abb. 1.2
Ein früher Ort deutsch-italienischer Handels- und Sprachbeziehungen: der Fondaco dei Tedeschi in Venedig, hier in einem Stich aus dem Jahr 1616 (Raphael Custos)
HandelsbeziehungenDaneben gewinnt mit den Handelsbeziehungen zu Italien gerade unter den Kaufleuten ab dem 16. Jahrhundert fremdsprachliche Kompetenz zunehmend an Bedeutung. Hier gilt ein Primat der Mündlichkeit mit dem Ziel der praktischen Anwendbarkeit. Die Italienischkenntnisse werden v.a. durch längere Auslandsaufenthalte erworben. Das Sprachbuch des Adam von Rottweil, das 1477 in Venedig erscheint, ist das erste überlieferte Lehrbuch des Italienischen für deutschsprachige Lernende. Es wurde bereits 1479 in der Universitätsstadt Bologna neu aufgelegt (vgl. Christmann 1992, 47). Tatsächlich scheinen die deutschen studentischen Kollektive besonders in Bologna (seit dem 14. Jahrhundert), Padua, Siena und Pavia (seit dem 15. Jahrhundert) eine weitere bedeutende Gruppe der Italienischlernenden gebildet zu haben (ebd.).
institutionalisierter UnterrichtAnfang des 16. Jahrhunderts hält man „in Deutschland […] noch das Italienische für die schönste und feinste Sprache“, während es für Französisch „noch wenig praktisches Interesse“ gibt (Waldinger 1981, 44). Das Italienische kann sich dennoch als Unterrichtsfach zunächst nicht wirklich etablieren: In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts finden sich zunehmend Bekundungen eines institutionalisierten Unterrichts in den neueren Sprachen, wobei das Französische bereits eine Vorrangstellung innehat, die sich im 17. Jahrhundert weiter verstärken wird. Im 17. und 18. Jahrhundert wird der Italienischunterricht an den Ritterakademien (Ausbildungsstätten für adelige Jugendliche) weitergeführt. In einer entsprechenden Institution in Erlangen stehen um 1700 auf dem Programm:
Erstlich (neben Exkolierung der Muttersprache, worauf man sonderliche Reflexion macht) […] die lateinische Sprache […] Neben welcher Sprache auch andere fremde Sprachen, sonderlich die französische und italienische, auch nach Beschaffenheit Englisch und Spanisch, […]. (Schröder 1980ff., I, 533)
Italienisch steht hier auf einer Stufe mit Französisch und deutlich vor Englisch und Spanisch. Noch sind dem Quellenmaterial dieser Zeit geographische und periodische Schwankungen hinsichtlich der Präferenz einer bestimmten Sprache zu entnehmen. August Bohse, später Professor an der Ritterakademie zu Liegnitz, konstatiert z.B. 1703 in seiner Schrift Der getreue Hofmeister:
[…] Was das Italienische betrifft, dieses ist gleichfalls einem Politico heutigen Tages gar nötig, zumal, da anjetzo an vielen Höfen die italienische Sprache weit höher als die französische geachtet wird […]. (Schröder 1980ff., II, 35)
GymnasienZunehmend wird Italienisch auch an den Universitäten, besonders ab dem 18. Jahrhundert vereinzelt auch an weiterführenden Schulen und Gymnasien, unterrichtet. Neumeister (1999, 27) erstellt eine aus Schröder 1980ff. eruierte Liste der Schulen, für die zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert Italienischunterricht nachgewiesen ist. Tatsächlich muss aufgrund der sporadischen Belege (Jahreszahlen in Klammern) damit gerechnet werden, dass der Italienischunterricht ggf. nur eine vorübergehende Erscheinung darstellt. Als Beispiele mögen genügen: Gymnasium zu Ulm (1613), Gymnasium Illustre zu Stuttgart (1687, 1780, 1797), Gymnasium Christianeum zu Altona (1740), Gymnasium zu Stralsund (1772, 1779, 1787), Gymnasium bei der kurfürstlichen Universität zu Bonn (1784), Berlin-Köllnisches-Gymnasium (1796). Noch 1748 sind für Berlin und Köln neben „einem Dutzend“ französischer auch zwei italienische, aber noch kein englischer Sprachmeister belegt (Schröder 1980ff., III: 120). Als Reaktion auf sinkende Schülerzahlen an seiner Anstalt fordert der Rektor des Gothaer Gymnasiums 1736 nicht nur eine Anhebung der Qualität des Französischunterrichts, sondern auch die Einführung des Italienischen an seiner Lehranstalt, was von der (erwarteten) Attraktivität des Faches zeugt. Noch immer ist Englisch keine Konkurrenz für das Französische und Italienische. Der Zittauer Gymnasialdirektor Müller „rechnet Englisch [1725] unseres Wissens zum ersten Male zu den ,Sprachen der galanten Welt‘. Allerdings reiht er es gemäß seiner mehr nach Süddeutschland neigenden Einstellung hinter Italienisch ein, ohne aber Spanisch zu erwähnen“ (ebd., II, 325).
Italienischunterricht in SüddeutschlandDass die Ausweitung des Italienischunterrichts auch im Süden, der mit Baden-Württemberg und Bayern heute über zwei Hochburgen des schulischen Italienischunterrichts verfügt, zunächst alles andere als geradlinig verläuft, zeigen folgende Beispiele: 1684 wird das Stuttgarter Pädagogium zu einem Gymnasium ausgebaut. Es wird nach einem Französischlehrer Ausschau gehalten, der auch Italienisch unterrichten soll, doch ist ein solcher erst mit Beginn des 18. Jahrhunderts belegt (ebd., I, 414). Erst 1797 wird dann Englisch neben Französisch und Italienisch in die Stundentafel des Gymnasiums zu Stuttgart aufgenommen, nachdem Italienisch zum ordentlichen Unterrichtsfach geworden und so das Budget für einen Wahlkurs frei geworden ist (ebd., IV, 1138). Mitte des 18. Jahrhunderts wird in Lindau erwogen, in der Oberstufe der Lateinschule verstärkt Französisch und Italienisch anzubieten: In seinem Gutachten zur Reform der Schule fordert der Rektor 1765:
In Prima wird Latein nur mehr für künftige Studierende gelehrt, Griechisch bloß in der Nachschule. Die übrigen Schüler werden dafür zum Rechnen, Schreiben und zur französischen und italienischen Sprache angehalten. […]. (Schröder 1980ff., III, 393)
Italienischunterricht in NorddeutschlandIm Norden (Hamburg, Bremen) zeichnet sich schon Ende des 18. Jahrhunderts eine Bevorzugung des Englischen, mitunter des Spanischen gegenüber dem Italienischen ab. Als 1768 mit dem „Hamburger Institut zur Erziehung und Vorübung des jungen Kaufmanns“ die erste große deutsche Handelsschule entsteht, sehen die Lehrpläne nach Französisch und Englisch immerhin Italienisch, Spanisch und Holländisch noch als gleichwertige „Handelssprachen 3. Grades“ vor (Schröder 1980ff., III, 464). Doch auch in der Schulordnung der Fürstenschule zu Meißen ist 1773 nach wie vor die Rede von der „Erlernung der neueren [Sprachen], als der italienischen, französischen und englischen […]“ (Waldinger 1981, 44).
utilitaristische ZielsetzungenBis zum Ende des 18. Jahrhunderts verfolgt der Sprachunterricht utilitaristische Zielsetzungen, was sich auch in den Lehrmaterialien niederschlägt (z.B. Lehrbücher zum „Wirtschaftsitalienisch“). Die Lektionen werden meist von Muttersprachlern erteilt, bei denen es sich im Falle des Italienischen u.a. um Emigranten handelt, die ihre Heimat wegen ihrer antipäpstlichen Haltung verlassen haben. Mitunter übernimmt ein französischer Sprachmeister oder ein deutscher Französischlehrer auch den Unterricht im Italienischen. Das Ansehen der italienischen Kultur und damit auch der italienischen Sprache wird im 18. und 19. Jahrhundert durch Dichter und Gelehrte (Goethe, Herder, Humboldt), durch Kaufleute (z.B. Sigismund Streit) und Adelige (z.B. Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar) gefördert.
Im Geiste des Neuhumanismus muss sich der gymnasiale Fremdsprachenunterricht dem Ideal der „zweckfreien Allgemeinbildung“ fügen, der Unterricht in den modernen Sprachen wird ebenso gestaltet wie der in den alten. Einen gegenläufigen Ansatz postuliert Viëtor (vgl. Einheit 4).
Pflichtfach vs. WahlfachImmer wieder unternommene Versuche, Italienisch neben Französisch und Englisch als Pflichtfach am Gymnasium einzuführen, müssen im 19. Jahrhundert noch scheitern. Auch Anregungen, das Italienische als erste Fremdsprache zu lehren, die insbesondere in Bayern mit Argumenten vorgebracht werden, die auch heute noch für Italienisch oder Spanisch als erste Fremdsprache bedacht werden könnten, blieben in der Praxis unberücksichtigt (vgl. dazu Einheit 2). An den Gymnasien Bayerns ist Italienisch seit Mitte des 19. Jahrhundert Wahlfach, seit 1874 auch durch Lehrpläne ausgewiesen (Ostermeier 2012, 74). Weiterhin gibt es in Bayern offensichtlich bereits mit der 1873 von Ludwig II. genehmigten Prüfungsordnung für das Lehramt an humanistischen und technischen Unterrichtsanstalten eine Lehramtsprüfung im Fach Italienisch. In der Prüfungsordnung von 1895 wird Italienisch explizit genannt, und zwar als einzige neuere Sprache neben Englisch und Französisch, in der Fassung von 1912 erhält es sogar einen eigenen Paragraphen (ebenfalls neben den beiden anderen modernen Sprachen).
nationalsozialistische ReformMit dem Ersten Weltkrieg verlor Italien Sympathien in Deutschland (Hausmann 2008, 466f.), während die Beliebtheit der spanischen Sprache in der Folge der Neutralität der hispanophonen Staaten in den Kriegshandlungen bereits seit den 1920er Jahren zunahm (Reinfried 2013, 32). Mit der nationalsozialistischen Reform des Unterrichtswesens der Jahre 1935/1936ff. wurde Englisch für alle Schulen verpflichtend, mithin das Französische zum Wahlpflichtfach abgewertet (z.B. Hausmann 2008, 62, 64, Reinfried 2013, 29ff.). Zugleich wurden das Spanische und das Italienische als Sprachen wichtiger politischer Partner grundsätzlich mit dem Französischen (wohlgemerkt mit Wahl(pflicht)fachstatus, d.h. maximal drei Wochenstunden in drei Schuljahren) gleichgestellt (Hausmann 2008, 65). Die Schülerkontingente waren nicht mit den heutigen vergleichbar: nach der Untersuchung Hausmanns kommt Italienisch auf ca. 5.000 Schülerinnen und Schüler an 226 Schulen – an 161 Schulen als „Wahlfach“, an 65 Oberschulen „regulär unterrichtet“ (Hausmann 2008, 474). Die Aufwertung des Spanischen und Italienischen führte auch zu einer Stärkung der Romanistik an den Universitäten (Hausmann 2008, 78).