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3.1 Universalien in Geistesgeschichte und den Wissenschaften: ein meist implizites Thema

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Da ich die Auffassungen zu Universalien in diesem Kapitel nach Denktraditionen und Wissenschaften gegliedert präsentiere, folgt vorweg (1) ein kurzer Überblick der großen Langzeittrends in der Auffassung zu Universalien und dem Verhältnis zwischen Kulturen, wie er sich – bei extremer Vereinfachung und eurozentrischer Verengung – im Blick auf die Geistesgeschichte zeigt und (2) eine Auflistung des Spektrums an Disziplinen, die sich heutzutage – in sehr unterschiedlicher Intensität – dem Thema widmen.

Langzeittrends und heutige Disziplinen

In der geistesgeschichtlichen Auseinandersetzung mit Universalien lässt sich im typologischen Längsschnitt ein Dreischritt des Denkens ausmachen (Holenstein 1985b:128ff., 1998a:242f., 1998b:257). Das durchgehende Denkschema bis in die Neuzeit war die Trennung von Inhalt und Form im menschlichen Denken und Sprechen. Es wurde angenommen, dass Menschen es überall mit annähernd ähnlichen Dingen zu tun haben (Natur und Lebensumstände) und sich von ihnen gleiche mentale Vorstellungen (Ideen) machen, diese aber unterschiedlich ausdrücken. Also nahm man wechselnde Ausdrucksformen und wesenhafte Universalien als Tiefenstruktur an („platonische These“). Ab dem 18. Jahrhundert und verstärkt mit Beginn des 19. Jahrhunderts realisierten einzelne Denker, dass die Form des sprachlichen Ausdrucks nicht unabhängig von Sinn und Funktion (Inhalt) ist. Angesichts der enormen Vielfalt der Laute und grammatischen Formen wurde damit die Annahme universaler Ideen fragwürdig. Allenfalls Universalien kontingenter Natur schienen denkbar und Verständigung wurde nur innerhalb derselben Kultur bzw. durch Assimilation als möglich angesehen. Diese „romantische Gegenthese“ verabsolutierte die „unendliche Vielfalt der Variation“, idealisierte einzelne Volkskulturen und gipfelte in der Aussage, dass es den Menschen gar nicht gibt, so z.B. noch beim frühen Habermas im Jahre 1958 (Habermas 1973:106), im Gegensatz zu seinen heutigen Positionen. Auch wenn hier noch ganz andere Argumentationsstränge einfließen, gehört hierhin auch Michel Foucaults Meinung, den Anthropologen gebühre nur noch ein philosophisches Lachen und sein berühmtes Diktum: „Der Mensch als Mensch ist tot … In unserer heutigen Zeit kann man nur noch in der Leere des verschwundenen Menschen denken..… der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.” (Foucault 1974:412)

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Gleichheiten und allgemeine Gesetzmäßigkeiten auch auf der Ausdrucksebene nachgewiesen, vor allem in der empirisch ausgerichteten Universalienforschung in der Linguistik. Wenn man das romantische Prinzip der Abhängigkeit von Inhalt und Form aufrechterhält, öffnet das die Möglichkeit, universale Strukturen auch in den Ideen bzw. in der Bedeutung zu finden. Hierin besteht die sich heute aufdrängende „Synthese“ der Thesen. Wenn z.B. Wortfelder universal gleiche Aufbauprinzipien aufweisen, dann ist zu erwarten, dass die Bedeutung einzelner Wörter eines Feldes zumindest vergleichbar ist. Hinsichtlich der Erklärung von Universalien verlagerten sich die Deutungen von logischer Deduktion von „universalen“ Phänomenen hin zu empirischen naturalistischen Erklärungen von „generalen“ Dingen, spätestens seit Immanuel Kant. Er kam zur Einsicht, dass Geschmacksurteile durch empirische Verallgemeinerung möglich seien. Als potentiell universal kam damit auch das in Betracht, was die Natur mit dem Mensch macht (Holenstein 1998a:246).

Welche Disziplinen behandeln das Thema Universalien heute? Einige der derzeit aktiven Forschungsgebiete sind in Abb. 8 und 9 aufgelistet. Das Spektrum ist breit, aber das Studium von Universalien hat in fast jeder Disziplin einen marginalen Status. In einigen Feldern wird dazu sehr viel mehr geforscht als in anderen. So gibt es beispielsweise ungleich mehr explizite Beiträge zu Universalien aus der Sprachwissenschaft und der Psychologie als aus den Geschichtswissenschaften und der Ethnologie, weil letztere primär an Einzelfällen ausgerichtet sind.


Abb. 8: Deutschsprachige Repräsentation des Themas Universalien im Internet: eine Auswahl von Disziplinen

Philosophie, insbesondere Philosophische Anthropologie

Die philosophische Beschäftigung mit menschlichen Universalien wird bis heute durch die philosophisch-anthropologische Sicht des Menschen als „nicht festgestelltes Tier“ (Nietzsche 1968:79; vgl. Mittelstraß 2004) dominiert. Universalien wurden aber zunächst als Thema der Logik diskutiert. Das unterscheidet diese Diskussion von der Erforschung von Universalien als empirischen Häufigkeitsphänomenen, wie sie in diesem Buch im Zentrum steht. In den Mittelpunkt philosophischer Debatten gelangte das Thema seit Platos Ideenlehre. Im sog. „Universalienstreit“, der vor allem zwischen dem 12. und dem 15. Jahrhundert ausgetragen wurde (de Libera 2005:131ff.), ging es um Allgemeinbegriffe und das Verhältnis von Allgemeinem (universale) zu den Einzeldingen (res). Es wurde diskutiert, ob es nur Einzeldinge gibt, oder ob auch Kategorien, Arten, Eigenschaften und Beziehungen ontischen Status haben. Dazu gab und gibt es - vereinfacht gesagt - drei Positionen. Die Nominalisten sind der Ansicht, dass Universalien außerhalb des Denkens keine eigene Realität haben (universale post rem). Extreme Nominalisten halten Allgemeinbegriffe für nichts als Wörter; gemäßigte Nominalisten meinen, dass in der Wahrnehmung durch Gruppenbildung abstrakte Begriffe entstehen. Die sog. Begriffsrealisten dagegen behaupten, dass der Allgemeinbegriff im Ding ungleich der Individuation sei (universale ante rem). Universalien existieren danach unabhängig vom menschlichen Geist. Der gemäßigte Realismus sagt, dass der Begriffsinhalt die Realbestimmung des Einzeldings ist, der Begriffsinhalt also der Individuation gleichkommt (universale in re). In allen drei Positionen werden Universalien logisch statt empirisch begründet. In dieser Diskussion sind Universalien, etwas flapsig formuliert „… merkwürdige Seinsformen, die konstruiert wurden, um zu erklären, wie unterschiedliche Dinge die gleiche Eigenschaft besitzen können“ (Dupré 2005:51).

Neuere Positionen nehmen das Problem der empirischen Umsetzung ernster und lehnen sich entweder an den Realismus oder an den Nominalismus an. Sie besagen entweder, dass Universalien Ähnlichkeiten sind, die immer wieder im Denken bzw. Wahrnehmen auftreten (recurrence theory; Aaron 1967) oder dass Dinge einander ähneln und sich in vielem unterscheiden (resemblance theories). Einen besonderen Fall stellt Wittgensteins Konzept der „Familienähnlichkeit“ (family resemblance) dar. Wittgenstein verdeutlicht am Beispiel von Spielen, dass Spiele sich nur darin gleichen, dass sie Spiele sind. „Spiele“ ist demnach weder nur ein Wort (so der Nominalismus), noch müssen sie andere durchgehende Ähnlichkeiten aufweisen (so der Realismus). Stattdessen bilden sie eine „Familie“, deren Mitglieder überlappende und sich kreuzende Ähnlichkeiten haben, aber kein universales, für alle zutreffendes Merkmal (Wittgenstein 1982:I,66f.,109; Holenstein 1985a: Kap.6; Gabriel 2005:473f.). Entsprechend ruft er dazu auf, hinzusehen und Netzwerke von Ähnlichkeiten im Allgemeinen und im Detail zu suchen, statt Gleichheiten zu behaupten (vgl. Bambrough 1960/61:214-218, nach Saler 2000:160ff.). Damit nähert er sich modernen polythetischen Ansätzen, wie sie in der Biologie, der Verwandtschaftsethnologie und in der Prototypentheorie der Linguistik verwendet werden (Needham 1975; Boyer 1994:5, Fuchs 1997:149; Saler 2000:167226). Festzuhalten ist, dass die meisten empirisch ausgerichteten Konzepte – anders als die logische Konzeption und Begründung – Universalien nicht als strikt, sondern als hohe Wahrscheinlichkeiten sehen (Busch 2007:113).

Ethnologie, Kulturanthropologie

insbesondere: kulturvergleichende Ethnologie (comparative anthropology, cross-cultural comparison), vergleichende Ethnosoziologie (z.B. Thurnwald); Verwandtschaftsethnologie (anthropology of kinship, kinship studies), Strukturalismus (structuralism, structuralisme), Anthropologische Sprachwissenschaft (linguistic anthropology, anthropological linguistics)

Volkskunde, Europäische Ethnologie, Volkskundliche Kulturwissenschaft

insbesondere: anthropologisch orientierte Volkskunde, Europäische Kulturanthropologie

Soziologie

bes.: Vergleichende Soziologie (comparative sociology), Makrosoziologie (macrosociology)

Psychologie

insbesondere: Vergleichende Psychologie (Tiervergleichende Psychologie), Kulturvergleichende Psychologie, Transkulturelle Psychologie (cross-cultural psychology, transcultural psychology), Sozialpsychologie (social psychology), Kulturpsychologie (cultural psychology), Emotionspsychologie (psychology of emotion), Kognitionspsychologie (cognitive psychology), Entwicklungspsychologie (development psychology), Evolutionäre Entwicklungspsychologie, Evolutionspsychologie (Evolutionäre Psychologie; evolutive Psychologie, evolutionary psychology, Darwinian psychology)

Biologie

insbesondere: Evolutionsbiologie (evolutionary biology), Vergleichende Verhaltensforschung (behavioral biology, cognitive ethology), Humanethologie (human ethology), Kulturethologie, Verhaltensökologie (human behavioral ecology, human evolutionary ecology, human socioecology), Humansoziobiologie (human sociobiology), Primatologie (primatology, cultural primatology), Neurobiologie (neurobiology, neuroscience)

Geschichtswissenschaften

insbesondere: vergleichende Geschichtswissenschaften, diachroner Vergleich (comparative history), Universalgeschichte, world history, global history), Historische Anthropologie

Erziehungswissenschaften, Pädagogik

insbesondere: Vergleichende Erziehungswissenschaft (comparative science of education) und Interkulturelle Pädagogik, Ausländerpädagogik, Dritte-Welt-Pädagogik

Linguistik, Sprachwissenschaften, Philologien

insbesondere: Empirische linguistische Unversalienforschung, Vergleichende Sprachwissenschaft (comparative linguistics), Strukturalistische Sprachwissenschaften (structural linguistics), Kognitive Linguistik (cognitive linguistics), Deskriptive Linguistik (descriptive linguistics, cross-cultural semantics), Vergleichende Philologie (comparative philology)

Literaturwissenschaften

insbesondere: Mytheninterpretation, universale literarische Ästhetik, Poetologie

Philosophie

insbesondere: Philosophische Anthropologie, Interkulturelle Philosophie, Komparative Philosophie, Politische Philosophie, Wissenschaftstheorie (philosophy of science), besonders Philosophie der Biologie (philosophy of biology), Evolutionäre Erkenntnistheorie, Analytische Ontologie (Universalien in letzterer aber unempirisch verstanden: als Allgemeinbegriffe)

Kunstwissenschaften und Musikwissenschaften

insbesondere: empirische Ästhetik (empirical aesthetics, evolutionary aesthetics)

Politikwissenschaften (science of politics, political science)

insbesondere: biopolitics, political ethology, ethological politics

Interdisziplinäre Forschungs- und Praxisfelder

Kognitionswissenschaft (cognitive science)

Darwinsche Anthropologie (Darwinian anthropology)

Menschenrechtsforschung (human rights research)

Abb. 9: Universalienforschung in heutigen Wissenschaftsdisziplinen

Für das Thema Universalien ist, insofern es nicht um logische bzw. absolute Universalien geht, in der Philosophie vor allem die seit der frühen Neuzeit aufgekommene Philosophische Anthropologie zuständig. Sie ist ein Teil der Philosophie, aber „… sie ist noch nicht zu einer eigenen Wissenschaft geworden. Denn ihr Gegenstand ist etwas, das nicht geradewegs zum Gegenstand werden kann, das Wesen des Menschen“ (Habermas 1958:18; Hervh. i. O.). Ihr Stellenwert in der Philosophie ist umstritten. Während Max Scheler (1974-1928) sie als Inbegriff der Philosophie konzipierte, sah Hellmuth Plessner (1892-1985) sie als integrative und skeptische Disziplin im Konzert der empirisch orientierten Humanwissenschaften. Philosophische Anthropologie ist kein Hauptbereich der Philosophie wie Metaphysik, Erkenntnistheorie und Ethik, weil die Kernfragen in anderen Feldern behandelt werden. Sie kann als periphere Richtung der Philosophie angesehen werden, die im Gegensatz zu den anderen marginalen Philosophien, der Naturphilosophie und der Sozialphilosophie, stark vernachlässigt wird (Thies 2004:16ff.). Die Philosophische Anthropologie blieb allerdings lange Zeit in ihrer Rezeption der Biologie auf dem Stand Arnold Gehlens (1904-1976). In neuerer Zeit werden jedoch in Reaktion auf die zunehmend selbstbewussten Biowissenschaften evolutionäre und soziobiologische Positionen auch in der Philosophischen Anthropologie wieder deutlich stärker diskutiert (Illies 2006 als guter Überblick).

Die oft verkürzt einfach „Anthropologie“ genannte Philosophische Anthropologie fragt systematisch nach der Konstitution des Menschen bzw. des Menschlichen. Die Frage nach dem Selbstverständnis aus der Innenperspektive („Wer sind wir Menschen?“) wird verquickt mit der Orientierungsfrage aus der Außensicht („Was ist der Mensch?“). Philosophische Anthropologie blendet also im Unterschied zu anderen Humanwissenschaften die Innensicht explizit nicht aus. Dabei postuliert sie oft ein bestimmtes Wesen des Menschen, etwa, wenn Scheler die Doppeldeutigkeit des Menschen herausstellt, der einerseits der Biosphäre zurechenbar sei, sich andererseits von ihr metaphysisch „entgrenzen“ lasse (Scheler 2005:10; Kather 208:57-63). Die Kulturphilosophie ist ein davon zu unterscheidender Ansatz, die Kultur als Menschenwerk, als Humanisierung der Welt, begreift. Im Gegensatz zur Philosophischen Anthropologie ist sie keine Anthropologie, sondern hat eine Anthropologie. Hier steht nicht der Mensch unmittelbar im Mittelpunkt; das kulturphilosophische Interesse gilt vielmehr „... den Spuren und Zeugnissen, den Formen und Figuren, die dieses Wesen in der Praxis seiner Daseinsbewältigung entwickelt, einsetzt und hinterlässt“ (Konersmann 2003:36). Das spezifisch Menschliche muss danach im Sinne einer funktionalen statt einer substantialisierenden Definition verstanden werden. Dies wurde schon früh von Ernst Cassirer (1874-1945) explizit formuliert: „… das Eigentümliche des Menschen, das, was ihn wirklich auszeichnet, ist nicht seine metaphysische oder physische Natur, sondern sein Wirken“ (Cassirer 1990: 110), wobei er Sprache, Religion, Kunst und Wissenschaft als Kulturmanifestationen im Sinn hatte (vgl. auch Langer 1992).

In der politischen Philosophie gab es universalistische und relativistische bzw. kontextualistische Positionen, die einander gegenüberstanden. Einerseits wurde gegen Universaliensuche und Uniformismus für die Beachtung kultureller und historischer Besonderheit argumentiert. In einem normativen Nationalismus hatte eine jeweilige Kultur einen inneren Wert und formierte ein Volk. So erachtete z.B. Johann Gottfried von Herder (1744-1803) gegen Hume und Voltaire die menschliche Natur nur in Bezug auf spezifische kulturelle Kontexte als verstehbar. Universalien im Sinne von Eigenschaften, die für sämtliche Menschen gelten, sind in dieser Sicht lediglich wenig informative Abstraktionen, da sie für die soziale Identität der Person irrelevant sind. Dieser Kontextualismus mit seiner Betonung kultureller Unterschiede bildet bis heute nicht nur in der politischen Philosophie die Basis der Kritik an Universalien. Mit der Argumentation, jeder Mensch sei irreduzibel sozial und jede Kultur nur in ihrem historischen Rahmen verständlich, argumentiert auch der Kontextualismus mit einer letztlich universalistischen, eben nichtrelativen, Konzeption der Natur des Menschen.

Gegen einen extremen Kontextualismus und Relativismus wurde zumindest bis ins späte 18. Jahrhundert argumentiert, so ging z.B. Bentham davon aus, dass es irrelevant sei, in welcher Gesellschaft bzw. Tradition ein Individuum lebe. Sein Status als Sünder, als Träger natürlicher Rechte oder etwa seine Fähigkeit zu Glück oder Leiden bleibe davon unberührt. Nach dieser universalistischen Haltung sind Individuen grundsätzlich austauschbar, was wiederum sowohl von rechter wie linker Seite kritisiert wurde, z.B. als „inhaltsleere Konzeption des Menschen“ oder als „bürgerliche Stupidität“ (Berry 1986:68-72). Christopher Berry zeigt, dass viele der kontextualistischen Autoren bei genauerem Hinsehen dualistisch argumentieren. So beruft sich Burke sowohl auf genuine Moral als auch auf spezifische Gleichheit. Herder betont einerseits Kulturspezifik und konzipiert anderseits Gottes immanenten Willen als Vorsehung. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) unterscheidet abstrakte und konkrete Universalien; er spricht außerdem vom Weltgeist als Richter der Geschichte und vom Absoluten. Karl Marx (1818-1883) sieht Menschen als soziale Tiere, die die nichtmenschliche Natur (und sich selbst) durch Arbeit transformieren (vgl. Niemitz 2004:162f.). Besonders der junge Marx betont mit Friedrich Engels (1820-1895), dass Menschen nur durch Kooperation überleben („Deutsche Ideologie“). Er kombiniert menschliche Natur als Variable der Produktionsverhältnisse mit einem Menschenbild des freien kreativen Produzenten (Berry 1986:78). Offensichtlich muss man a priori annehmen, dass Menschen, die in verschiedenen Lebensumständen leben, kommunikativ durch geteilte Annahmen zu Wahrheit, Kohärenz und Rationalität zumindest in Grenzen verbunden sind.

Der Kontextualismus braucht Überlappungen bzw. einen „Brückenkopf“, um nicht völlig relativistisch zu werden („... overlap in percepts and concepts“, Hollis 1974:219; vgl. 1979:225). Empirisch ist damit über die Brücken freilich noch nichts gesagt. Die Stärke des universalistischen Arguments ist das Bestehen darauf, dass man um ein Menschenbild nicht herumkommt. Die Stärke der kontextualistischen Position besteht in der Einsicht, dass menschliche Natur nicht von der soziokulturellen Situation abzukoppeln ist. Hannah Arendt begriff das menschliche Allgemeine nicht als wesensmäßige Eigenschaft des Einzelnen, sondern als das Allgemeine, was zwischen den Menschen entsteht (Arendt 1994:11,23). Hier zeigt sich eine extensionale Auffassung vom Menschen als per Zusammenhang charakterisierte Einheit, gegenüber einem intensionalen, über Eigenschaften bestimmten, Verständnis von Menschheit.

In der Philosophie und philosophischen Anthropologie werden Universalien selten so explizit benannt wie etwa beim Historiker Joachim Wehler, der als Ursache von Konflikten unter Menschen folgende Konstanten benennt: „Die Menschen sind angewiesen auf das Zusammenleben mit anderen. Der Altruismus des Menschen ist begrenzt. Die Menschen wollen nach eigenen Zielen leben. Der Mensch hat in Grenzen die Fähigkeit, nach seiner freien Entscheidung zu handeln.“ (Wehler 1990:232) Empirisch wurden Universalien erst in der neueren Universalienforschung explizit gesucht (Holenstein 1985b:128ff.). Universalien werden hier nicht logisch begründet oder deduziert, wie in traditionellen philosophischen Universalienlehren und häufig auch in der Psychologie (siehe Jüttemanns Kritik 1992:21), sondern empirisch. Man sucht nach zeitgenössischen biologischen, psychologischen und ethnologischen Hinweisen sowie nach historischen Belegen. Schon in den traditionellen Universalienlehren wurden universalistische Fragen empirisch in Form universaler Lebensbedingungen thematisiert. Ferner spielten sie im Umweltdeterminismus und seiner Kritik seit den alten Griechen eine Rolle.

Universalien in einem ganz anderen Bereich, nämlich dem im menschlichen Gesichtsausdruck, traten in der Neuzeit stärker in den Vordergrund. Sie wurden mit kognitiven Universalien, also Universalien in den Ideen, begründet. Das dahinter liegende Denkschema ist schon alt und geht auf Platon zurück: Ideen sind universal, die Ausdrucksweise dagegen ist relativ (Boethius, Leibnitz). Erst Anfang des 20. Jahrhunderts kam man von der Trennung zwischen universalen Ideen und variablem Ausdruck ab. Im Gefolge der Überlegungen Immanuel Kants wurde stattdessen zwischen dem, was die Natur aus dem Menschen macht und dem, was der Mensch aus der Natur macht, unterschieden. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts stand die Universalienforschung in starkem Gegenwind. Ein mehr oder minder strikter Relativismus besagte, dass Kognition von kulturspezifischer Sprache abhängig oder gar sprachdeterminiert sei (Whorf 1963). Mit dem Ende des 20. Jahrhunderts greift bei manchen Wissenschaftlern die Einsicht, dass das, was der Mensch aus der Natur macht, von seiner Natur beeinflusst wird. In der Philosophie des späten 20. Jahrhunderts kehrt der Mensch als explizites Thema wieder, vor allem, weil Philosophen die notorischen Versuche, Menschen zu verbessern, reflektieren (Steffens 1999).

Anthropologische Grundannahmen, teilweise in impliziter Form, sind in der aktuellen Philosophie verbreitet. Annahmen zu Eigenschaften und universellen Bedürfnissen des Menschen spielen in prominenten Konzepten der Sozialphilosophie und Politischen Philosophie eine starke Rolle. Dies gilt nicht nur für das Werk von Jürgen Habermas, sondern auch für Martha Nussbaum, Otfried Höffe, Charles Taylor und Axel Honneth (vgl. Jörke 2005:15,88-126). Im jüngeren Feld der interkulturellen Philosophie werden besonders Beziehungen und Überlappungen zwischen Kulturen, kultureller Transfer und Fragen der Vermittlung untersucht. In letzter Zeit mehren sich hier Beiträge, die für das Verständnis von Universalien fruchtbar gemacht werden können, weil sie explizit nach Gemeinsamkeiten fahnden (Kimmerle 2002, Wimmer 2004, Yousefi & Mall 2005, Paul 2008a, Wimmer & Schelkskorn 2008). Sie suchen den Kernbestand in der Vielfalt der Kulturen in der „Verbundenheit der Menschen“ (Kather 2008a: 48f.), geteilten Charakteristika aller menschlichen Individuen, also Speziesmerkmalen.

Anthropologie der Erziehung und historische Anthropologie

Historisch orientierte Anthropologen unterschiedlicher Provenienz fragen nach Universalien, insofern sie an „körperlichen Universalien in der historischen Überlieferung“ (Jonas 2004:403) bzw. an „universalen Wirkmächten“, wie z.B. Krankheiten interessiert sind. Mit ihnen betonen auch Vertreter anderer Anthropologien, z.B. der Anthropologie der Erziehung, die „doppelte Geschichtlichkeit“, nämlich die Historizität und Pluralität des Forschungsobjekts Mensch und die Geschichtlichkeit der Forschungssubjekte, ihrer Fragen und Methoden (Wulf 2001:198; vgl. Zirfas 1998). Sie halten der älteren philosophischen Anthropologie vor, die historische Bedingtheit ihrer Aussagen zu übersehen. Ihnen geht es um die Historisierung menschlicher Phänomene, die von anderen Anthropologien als unveränderbar betrachtet werden. Angestrebt wird also weniger eine systematische Anthropologie „des Menschen“ als eine Anthropologie der Menschen, welche Vielfalt, Differenzen und Möglichkeiten des Menschseins in den Mittelpunkt rückt: „Wenn man erfahren will, was sie für sich sind, spielen Differenzen eine ungleich wichtigere Rolle als Gemeinsamkeiten“ (Gebauer 1998:13-15).

Dennoch stellt auch die Anthropologie der Erziehung grundsätzliche Fragen zum Menschen. Es geht um anthropologische Basisphänomene, die in diesem Forschungsfeld als „anthropologisch konstanter Grundbestand“, „menschliche Grundphänomene“ oder „elementare menschliche Verhaltensweisen, Erfahrungen und Grundsituationen“ bezeichnet werden. Solche Grundthemen und Elementarerfahrungen, die auch in der Mentalitätengeschichte diskutiert werden, sind z.B. Krankheit, Schmerz, Sexualität, Generationenkonflikt, Konflikt, Unsicherheit und Tod (z.B. Wulf 2001:199, Warneken 2003, Fröhlich et al. 2004). Solche Studien sind naheliegenderweise oft pragmatisch motiviert: „Ohne Annahmen über den Menschen, ohne Anthropologie sind Erziehung und Bildung nicht möglich“ (Wulff 2001:192). Doe Pädagogik sucht nach Erkenntnissen zu pädagogisch-anthropologischen Grundbedingungen: „Auch sie teilt die manifeste Dringlichkeit der Aufgaben mit der Ungeklärtheit der anthropologischen Voraussetzungen.“ (von Weizsäcker 1974:32) In diesen Forschungen steht aber nicht das Universelle im Vordergrund, sondern sozusagen der „Wandel des Beständigen“ (Martin 1994). Es wird also die spezifisch historisch-kulturelle Manifestation von Grundcharakteristika zu bestimmten Zeiten, an bestimmten Orten, und in bestimmten Kulturen untersucht. In der Phänomenologie dominiert die Position, dass die interessanten menschlichen Handlungsweisen nicht regelgeleitet seien und deshalb die lebensweltliche Erfahrung kulturabhängig und nicht universalisierbar sei. Eine Minderheit vertritt die These des Jacobsons, der im Anschluss an Husserl argumentiert, man könne universale kulturinvariante Gesetzmäßigkeiten lebensweltlicher Erfahrung finden, da menschliches Handeln nicht beliebig, sondern prinzipiell regelgeleitet sei (Holenstein 1981:198).

Sprachwissenschaften

Zu den wenigen Disziplinen, in denen Universalien schon lange und immer noch aktiv erforscht werden, gehören die Sprachwissenschaften und die Psychologie. Sprachuniversalien tauchen als ein etabliertes Thema in jeder Einführung in die Linguistik auf (vgl. Holenstein 1985b). Sprachwissenschaftler gehen für gewöhnlich davon aus, dass es Prinzipien gibt, die (a) für alle Sprachen gelten, (b) spezifisch sprachlich sind und (c) nicht aus nichtsprachlichen Universalien folgen. Weitgehend Konsens ist, dass Linguisten eben diese spezifisch sprachlichen Universalien suchen, nicht aber notwendigerweise weiter reichende Universalien. Ein entscheidender Grund für die allgemein universalistische Ausrichtung der Linguistik einerseits und die Annahme spezifischer Sprachuniversalien andererseits liegt darin, dass die Definition und Daseinsberechtigung der Disziplin daran geknüpft wurde. Die postulierte sprachliche Universalität stellt daher nicht nur eine empirische Frage dar (Broschart 2001:139-141, 144). Dementsprechend gibt es eine intensive Diskussion um das Verhältnis zwischen empirisch in den Sprachen selbst gefundenen Sprachuniversalien (language universals) und Universalien, die aus linguistischer Theorie heraus a priori als möglich oder essentiell für Sprache abgeleitet werden, den linguistischen Universalien (linguistic universals) (Maddieson 2006:80-82, Mairal & Gil 2006: 9-18; vgl. Coseriu 1988:233f.).

Roman Ossipowitsch Jacobson (1896-1982) postulierte im Jahr 1952, dass die Laute der menschlichen Sprachen kein zufälliges Gemisch darstellen. Er konstatierte ein System mit 12 binären Gegensätzen. Dieses System wurde später revidiert, ist aber im Kern bis heute gültig. Jacobsons Arbeiten und die neuere Psycho- und Neurolinguistik haben auch für den philosophischen Universalienstreit Neues erbracht (Holenstein 1981:210). Sprache ist weder fiktional noch metaphysisch real, sondern konzeptuell real. Anders als die Daten des Physikers können Linguisten nicht nur Sprachverhalten beobachten, sondern sich Sprache auch introspektiv und als neurologischen Code zugänglich machen. Dieser Code ist keine Konvention, sondern Resultat biologischer Evolution. Der bekannteste Vertreter einer universalistischen Sprachwissenschaft ist Noam Chomsky (*1928), der Vertreter der generativen Grammatik und einer formalistischen Linguistik. Er argumentierte schon 1959 in einer Besprechung einer Arbeit von Skinner implizit für die Existenz von Sprachuniversalien. Deutlich wurde seine Haltung aber erst seit 1965 mit der „Universalgrammatik“, in der er die Existenz einer Tiefengrammatik mit dem Reizmangelargument begründete. Gesunde Kinder lernen selbst bei minimalen verbalen Stimuli fließend sprechen und können bzw. die grammatischen Regeln ihrer jeweiligen Sprache so leicht „erraten“ (Chomsky 1995, 1996, Jackendorff 2003:68ff., 81, kritisch dazu Motlik 2002). Ein zentrales Anliegen von Chomsky ist die Unterscheidung von Sprachuniversalien und nichtsprachlichen Universalien (Broschart 2001:141).

Die gegenwärtige Sprachwissenschaft ist nach wie vor durch den Graben gekennzeichnet zwischen dem Mainstream einerseits, in dem deduktive formale Theorie und ein Interesse an Universalien dominieren, und der an Pragmatik interessierten Richtungen andererseits, wie der Soziolinguistik und der linguistischen Anthropologie, die sich mit natürlichen Sprachen befassen, die als soziokulturelle Aktivität in kulturspezifischen Kontexten untersucht wird. Der universalistische Zweig neigt dazu, Sprachvariation als pure „Performanz“ gegenüber einer angenommenen allgemeinen mentalen Struktur zu vernachlässigen, obwohl Variation eine fundamentale Tatsache von Sprache ist (Silverman 2002:39, 135). Seit den 1960er Jahren hatte die dominierende universalistische Richtung Forschungen zum Sprachrelativismus, also der These, dass die Struktur einer jeweiligen Sprache die Wahrnehmung und das Denken strukturiert, zurückgedrängt. Ein Umschwung zeichnete sich erst ab Beginn der 1990er Jahre ab. Relativistische Ansätze lebten wieder auf, vor allem durch kognitivistische, handlungspragmatistische und viel stärker sozialökologisch orientierte Forschungen (Gumpertz & Levinson 1991:623, 1996, Silverman 2002:136, Werlen 2002:31-61, Motluk 2002, Boroditzky 2003).

In Deutschland ist das Thema der Sprachuniversalien mit dem Linguisten Hansjakob Seiler verbunden. In einem Langzeitprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu Sprachtypologie (1966-2001) untersuchte er zusammen mit Mitarbeitern in Köln vor allem universale Kontinua und begründete die „Kölner Schule“ der linguistischen Universalienforschung (Seiler 1973/74). Weitergeführt wird der Ansatz im „Universals Archive“ an der Universität Konstanz, wo Tausende von postulierten Sprachuniversalien vor allem des implikativen Typs samt Gegenbeispielen dokumentiert werden (Plank et al. 2008). Die neuere sprachwissenschaftliche Universalienforschung hat nicht nur kognitive Universalien auf der Ebene der Bedeutung gefunden, wie die klassische Lehre der Grammatica Universalis sie suchte, sondern vor allem auf der Ebene der Ausdrucksmittel (Holenstein 1998a:242,1998b:265f., vgl. aber Wassmann 2006:337). International war in der linguistischen Universalienforschung Joseph Harold Greenberg (1915-2001) ein prominenter Vertreter. Seit den 1960er Jahren verfolgte er einen sprachtypologischen Ansatz und führte Sprachuniversalien auf global verbreitete Erkenntnisstrukturen zurück (universal cognates bzw. global cognates; Greenberg 1963, vgl. Durham 1990:189). Greenberg konnte beispielsweise in Zahlwörtern über fünfzig allgemeine Merkmale feststellen (Greenberg 1978; Band 3: 249ff.). So sind etwa von den bei der Existenz von drei Zahlkategorien Singular (S), Dual (D), Plural (P) denkbaren sieben möglichen Kombinationen nur drei real vorhanden: S, SP, SPD (vgl. Holenstein 1985a:126ff.).

Daneben befasst sich diese Richtung hauptsächlich mit Markierung (marking). In sämtlichen Sprachen werden die Sprecher auf spezielle, unerwartete bzw. unregelmäßige Bedeutungen dadurch hingewiesen, dass sie gegenüber erwarteten, regulären, konventionellen bzw. „normalen“ besonders markiert werden (Bsp. author, authoress). Dieses absolute Universal wird auf verschiedenem Weg realisiert. Fast universal unter den Varianten ist diejenige durch Ergänzung eines sprachlichen Terms (default term) zur Bestimmung einer Besonderheit, z.B. steward als Fehlwert und stewardess als markierter Term, während eine Auslassung fast nie vorkommt (Greenberg 1975:80-82). Greenberg betonte, dass viele logisch denkbare Möglichkeiten in keiner Sprache erfüllt sind und man nach den Ursachen suchen müsse. Sprachwandel wurde von Greenberg parallel zu phylogenetischem Wandel modelliert. Mit dem Verfahren des dynamischen Vergleichs (dynamic comparison) bzw. der diachronen Typologie stellte er Gemeinsamkeiten des generationsübergreifenden Sprachwandels bzw. der Sprachevolution heraus (vgl. Bybee 2006:182f.)

Ein weiterer prominenter Sprachwissenschaftler, der Universalien betont, wenn auch mit anderen, nämlich evolutionspsychologischen Argumenten, ist Steven Pinker (1996a, 1996b, 1998, 2003). In der Forschung ist derzeit besonders die kognitionslinguistisch ausgerichtete Arbeitsgruppe um Stephen Levinson in Nijmegen aktiv, die in kulturvergleichenden Studien eher Variationen betonen, z.B. bezüglich Raumkonzepten (Levinson 1996, 2003, Brown 2002:183-189; Enfield & Levinson 2006). Damit sind wir bei einem Übergangsfeld zur Psychologie, der zweiten Disziplin neben der Linguistik, in der Universalien explizit erforscht werden, wenn auch nur als untergeordnetes Thema.

Psychologie und Psychoanalyse

Auch wenn es durchaus sehr unterschiedliche Positionen gibt, gehen fast sämtliche wissenschaftlich orientierten Psychologen davon aus, dass Denkprozesse, Motive und Emotionen – zwar nicht in den Inhalten, aber in den Formen – global gleich sind. Die herrschende Meinung wird zumeist so formuliert, dass die fundamentalen psychischen Lebensäußerungen „invariant“ seien. Psychologen stehen durch ihre tendenziell individualistische bzw. mikroskopische Ausrichtung universalen Annahmen näher als Ethnologen. In den sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die sich eher mit Normen, Rollen und Handlungen auf der Makroebene befassen, ist die Betonung der Kulturabhängigkeit des Denkens eher selbstverständlich; in der Psychologie ist diese meinung dagegen in der eine Minderheit(z.B. Liebing & Ohler 1993:234-243, Ohler & Schmieding 1997:25; Gergen 2002).

Ein früher prominenter Vertreter universalistisch orientierter Psychologie ist Wilhelm Wundt (1832-1920). Er führte anthropologische Ansätze der Völkerpsychologie weiter und gilt als Begründer kulturvergleichender Forschung in der Psychologie (Straub 2007:144-149). Unter ihm begann Malinowski seine Laufbahn 1908 in Leipzig. Wundt setzte den kulturrelativistischen Nationalcharakterstudien und einseitigem Idealismus die Vorstellung einer „Heterogenie der Zwecke“ entgegen: Körper, Sprache, Mentalität und soziale Organisation führen zu zeitweiligen Formen, die in transkulturell vergleichender Forschung zu ermitteln seien (Hauschild 2004:133). Andere Psychologen kamen dem Thema durch evolutionistisches Denken nahe. Dazu zählt ein lange vergessener Vorreiter der Evolutionspsychologie, William McDougall (1871-1939). In seinem Hauptwerk plädierte er 1908 für eine Psychologie, die auf Darwins stammesgeschichtlichen Erkenntnissen aufbaut und sie vor allem für das Studium von Motiven („Instinkten“) und Emotionen nutzt (vgl. Meyer 2002:9f.).

Deutlich stärker war das Interesse für universale Aspekte von Verhalten und Erleben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber im Rahmen der Psychoanalyse und der Entwicklungspsychologie. In der Psychoanalyse war das vor allem das explizite Interesse an der Universalität bestimmter Komplexe (Ödipus-, Elektra-), dem Inzesttabu und an grundlegenden emotionalen Bildern, den Archetypen. In der Frühphase der Entwicklungspsychologie befasste man sich mit den Grundzügen menschlicher Entwicklung, z.B. im Spracherwerb oder in der emotionalen Entwicklung. Die Aufmerksamkeit richtete sich damals auf Ähnlichkeiten statt auf Unterschiede zwischen Menschen, wie Judith Rich Harris herausstellt (Harris 2000:155).

Zwischen 1920 und den 1970er Jahren dominierten in der Psychologie (mit Ausnahme der Sozial- und Persönlichkeitspsychologie) jedoch antievolutionistische Richtungen (Meyer 2002:10-18). Damit war auch das Interesse an Universalien gering. Viele der führenden Psychologen, die z. T. von der Ethnologie beeinflusst waren, wie die Behavioristen John Broadus Watson (1878-1958) und Burrhus Frederic Skinner (1904-1990), betonten Umwelteinflüsse und Lernvorgänge. Watson wandte sich vor allem gegen die Annahme von genetisch bedingten Instinkten bzw. bereichsspezifischen Dispositionen beim Menschen, während er später zugestand, dass es zumindest allgemeine, unspezifische Dispositionen gebe. In seinem radikaleren Behaviorismus betonte Skinner Verhalten und Lernvorgänge gegenüber intrapsychischen Prozessen noch stärker. Die Popularität des Behaviorismus stand im Kontext eines individualistischen amerikanischen Zeitgeistes, der Chancengleichheit und individuelle Anstrengung (effort) betonte.

Die zu Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts außerhalb der Psychoanalyse dominanten Richtungen der Psychologie waren kaum an Universalien interessiert. Universalien wurden einer vermeintlich deterministischen Biologie zugeordnet. Otto Klineberg etwa kritisierte Piagets Stufenmodell der Entwicklung, weil dies Geltung für alle Menschen beanspruchte. Beeinflusst von Edward Sapir (1884-1939) und Ruth Benedict ging Klineberg sogar fast so weit, die Möglichkeit zu verleugnen, „normales“ Verhalten über eine Kultur hinausgehend zu bestimmen (Degler 1991:184f.). Ab Ende der 1950er wurden die biologischen Grenzen des Lernens bei Tieren und die Artunterschiede beim Lernen deutlich und Phobien als spezielle Furchtformen stärker untersucht. Die damit gegebene Kritik an der Allgemeinheit der behavioristischen Lerngesetze bewirkte ab den 1960er Jahren den Abstieg des radikalen Umweltdeterminismus (Meyer 2002:2025). In der Phase nach dem Behaviorismus dominierte in der Psychologie dann aber eine individualistische Ontologie, die mentale Prozesse fast völlig abgekoppelt von menschlichen Aktivitäten untersuchte (Bruner 1996a). Kultur wurde allenfalls als Rahmen beachtet, zu dem Individuen sich konform verhalten. Bis zur Hinwendung zu Kultur, dem „cultural turn“ und dem Aufkommen der Kulturpsychologie dominierte die Annahme, dass mentale Prozesse ziemlich stabil sind. Demzufolge galt nur die Suche nach Universalien als wirkliche Wissenschaft (Ross 2004:12).

Immerhin wurde aber schon in den 1960er Jahren ein Buch publiziert, in dem auf gut 700 Seiten vorwiegend aufgrund von experimentellen Studien und Surveydaten 1045 verallgemeinernde Befunde präsentiert wurden, die eine Basis für ein empirisch fundiertes Inventar von Verhaltensuniversalien bilden (Berelson & Steiner 1964, bes. 646ff., 662-667). Die betraf etwa Familienstrukturen, wie die Eltern-Kind-Einheit, daneben Kleingruppenbeziehungen, interethnischen Umgang, Kommunikationsformen und Einstellungen. Nichtsprachliche Kommunikation galt lange als weitgehend kulturspezifisch geprägt. Seit den 1970er Jahren häuften sich jedoch in Psychologie und Ethologie Nachweise universaler Mimik. In geringerem Umfang zeigten sich auch Gemeinsamkeiten in der Gestik. Es wurden einzelne Verhaltensweisen im natürlichen Umfeld untersucht, aber auch nach universalen Verhaltensdispositionen und -mechanismen gefragt (Molnár & Segerstråle 1997:7-10). Da Universalien im Bereich nonverbaler Interaktion zwischen Menschen ein besonders aktives Forschungsfeld darstellen, gehe ich in Kap. 6 genauer hierauf ein.

Auch in speziellen Bereichen der Psychologie wurde vereinzelt explizit von der Existenz von Universalien ausgegangen. Der Psycholinguist George A. Miller arbeitete universale Grenzen der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung heraus. Charles Egerton Osgood und sein Team führten kulturvergleichende Studien zu affektiver Bedeutung mittels der Methode des semantischen Differentials durch. Sie waren sich der methodischen Schwierigkeiten bewusst: “For the social scientist interested in human universals, the most important thing is the demonstration of sameness. Given the surface variations in language and culture, this becomes a very difficult business.” (Osgood et al., 1975:155) Die Resultate zeigten, dass die Bedeutungssysteme in der „subjektiver Kultur” durch stabile Metaphern gekennzeichnet sind (E-P-A). Die allgemeine Struktur, bestehend aus Bewertung (evaluation, gut/schlecht), Potenz (potency, stark/schwach) und Aktivität (activity: aktiv/passiv), bestimmt die gesamte Varianz (Osgood et al. 1975: 160ff., 198f., vgl. Kagan 2001:xiv und White 1980:760).

Jean Piaget (1896-1980) und Lawrence Kohlberg (1927-1987) postulierten universale Entwicklungsstufen im Denken, insbesondere in formalen Denkoperationen und in der Herausbildung moralischer Haltungen. Die postulierten Universalien der Ontogenese (Entwicklungsuniversalien, developmental universals) werden wegen ihrer Praxisbedeutung auch in der interkulturellen Pädagogik aufgegriffen (vgl. Schöfthaler 1983, 1984, Schöfthaler & Goldschmidt 1984), in der Entwicklungs- und Kognitionspsychologie aber bis heute sehr kontrovers diskutiert (Brandtstädter 1987). Jerome Kagan untersuchte über eine lange Zeitspanne detailliert die Entwicklung von Empathie und Moralvorstellungen bei Kindern. Ihm zufolge setzen diese mit dem dritten Lebensjahr ein, weil die Kinder dann organismisch bereit sind, Standards anzunehmen. Er fand affektive Universalien (Kagan 2001:167-176) und kommt zu folgendem Schluss:

„Ich glaube jedoch, daß es hinter der außerordentlichen Vielfalt des äußerlichen Verhaltens und der ausdrücklich verkündeten Ideale einige emotionale Zustände gibt, welche die Grundlage einer begrenzten Zahl von universalen, von Zeit und Ort unabhängigen moralischen Kategorien bilden.” (Kagan 2001:168; Hervh. CA)

John Bowlby (1907-1990) und Mary D. Salter Ainsworth (1913-1999) arbeiteten anhand US-amerikanischer Daten universale Muster der Bindung (attachment), also der Art und Weise, wie Kinder an ihre primären Sozialpartner gebunden sind (z.B. Bowlby 1953). Neuere Forschungen zeigen weitere kulturübergreifende Details im Bindungsprozess, z.B. die Balance und Verquickung von Bindungssicherheit und Exploration (Grossmann et al. 2003:91ff., 2005, Grossmann & Grossmann 2007:265-269). Deutlich wird auch, dass es neben dem „amerikanischen“ Bindungsmuster andere Möglichkeiten gibt, psychisch gesund aufzuwachsen (Le Vine & Norman 2001:102; Shweder et al. 2006: Lancy 2008). Eine gute Ergänzung erfahren die Studien zur Bindung durch ältere und auch neuere Forschungen zum „Affekthunger“ (Goldschmidt 2006:47-59) und zur Suche nach körperlicher Nähe zu Versorgungspersonen (Rothbaum & Morelli 2005:111f.). Sie zeigen, dass gefühlsmäßige Reaktionen von Sozialpartnern und taktile Reaktionen für das psychische Aufwachsen und die spätere soziale Kompetenz von derselben fundamentalen Bedeutung sind, wie Nahrung.

Obwohl die Zahl weltweit vergleichender Studien in der Sozialpsychologie stark zunimmt (vgl. Chiu & Hong 2006, Smith et al. 2006), gibt es auch hier relativ wenige Ansätze, die explizit nach Universalien suchen. Die meisten Studien konzentrieren sich auf Unterschiede zwischen Kulturen (Gaskell & Fraser 1990:4). Die Einsicht, dass ein Verstehen soziopsychischer Prozesse es erfordert, solche konkreten Unterschiede innerhalb einer universalistischen Perspektive zu verorten, ist wenig verbreitet (Doise 1990:145). Eine der wenigen Ausnahmen stellt ein Lehrbuch dar, in dem ein USamerikanischer Forscher mit persischem Hintergrund durchgehend eine explizit kulturvergleichende Perspektive einnimmt und dazu empirische Befunde aus besonders unterschiedlichen Gesellschaften heranzieht (Moghaddam 1998). Gängige Lehrbücher auch der Sozialpsychologie gehen implizit davon aus, dass ihre Erkenntnisse für alle Menschen und sämtliche Kulturen gelten. Die meisten Lehrbücher benennen zusätzlich einige wenige Universalien explizit:

“Every society disapproves of incest. (...) People everywhere also have some common norms of friendship. (...) ... there are some apparently universal norms: Respect the friend´s privacy; make eye contact while talking; don´t divulge things said in confidence. (...) To those who help us, we should return help, not harm.“ (Myers 2002:173;476; Hervh. CA)

Die meisten Lehrbücher der Sozialpsychologie fußen dagegen nach wie vor in erster Linie auf empirischen Untersuchungen in westlichen Ländern, besonders mit Studierenden in den USA. Das gilt überhaupt für die meisten Arbeiten der Sozialpsychologie: “Much of the existing literature on social psychology that is currently available is culture bound; it is developed mostly in one society (the United States)... .“ (Berry et al. 2002:53) Die wenigen Replikationsstudien konnten die Resultate US-amerikanischer Studien nur teilweise bestätigen. Myers erinnert seine Studenten: „Remember that our primary quest in social psychology is not to catalog differences but to identify universal principles of behaviour.” (Myers 2002:177) Dagegen attestiert etwa John E. Williams, ein kulturvergleichender Psychologe dem Fach das Folgende:„I am confident that (if) modern psychology had developed in, let us say, India, the psychologists there would have discovered most of the principles discovered by the Westerners.” (Williams 1993, zit. nach Myers 2002:173)

In der heutigen Psychologie werden Universalien innerhalb einer Subdisziplin besonders stark erforscht. der Kulturvergleichenden Psychologie (cross-cultural psychology, auch transcultural psychology). Diese Richtung betrachtet Kultur vergleichend und aus der Langzeitperspektive. Sie wird als mehr oder minder stabiles System gesehen; im Gegensatz zur auf Individuen, Spezifität und Wandel orientierten Kulturpsychologie (cultural psychology) wird die psychische Dynamik eingefroren (Trommsdorff & Friedlmeier 2004:359, 361ff.). In diesem quasiexperimentellen Ansatz wird Kultur als Kontext gesehen, der als unabhängiger Faktor individuelle Entwicklung und Handlung beeinflusst. Kultur als unabhängige Variable wird entweder als eine Variable (z.B. Wirtschaftsform) oder in mehreren Variablen angesetzt. Neuere Studien zum Verhältnis von Kultur zu individuellem Handeln differenzieren zwischen Kultur als abhängiger, unabhängiger und moderierender Variable (Trommsdorff & Friedlmeier 2004:363-369; Friedlmeier et al. 2005). Das Ziel dieser recht kleinen Richtung besteht darin, was Walter Lonner als „... a universalistic psychology - a psychology that is as valid in Omaha and Osaka as it is in Rome and Botswana“ (Lonner 1989, zit. nach Myers 2002:177, vgl. Lonner 2007:109) umschrieb. Ein maßgebendes Sammelwerk zum Thema kommt in dieser Hinsicht zu einem bescheidenen Schluss:

„In our view, the third goal ... has not been achieved: we are nowhere close to producing a universal psychology through comprehensive integration of results of comparative psychological studies. However, we have taken some important steps toward this goal, both in terms of demonstrating how human psychological functioning is similar across cultures and how important differences in behavior repertoire emerge.“ (Berry et al. 2002:472)

In besonders prominenter Weise werden Universalien in der Emotionsforschung zum Thema gemacht. Die Alltagserfahrung, dass überall Menschen lachen, weinen und weitere, über Kulturgrenzen hinweg verständliche Emotionsausdrücke besitzen, deutet auf affektive Universalien hin. Die Forschungsergebnisse dazu sind bislang uneinheitlich, wobei psychologisch forschende Ethnologinnen und Ethnologen die kulturspezifische Ausformung und Einbettung sowie den Wandel von Emotionen herausstellen (Heelas 1986, Lutz 1988, Friedlmeier 2005:147-151; vgl. als Überblick Lutz & White 1988:410-417). Der Emotionsausdruck im Gesicht wird dabei oft wenig beachtet und soziale Strukturen werden nicht als grundlegend für Emotionen angesehen (zur Kritik Reddy 1997, 2001, Röttger-Rössler 2004:64f.).

Außer in der Emotionsforschung und der kulturvergleichenden Psychologie werden Universalien in der heutigen Psychologie am nachdrücklichsten in der Evolutionären Psychologie (evolutionary psychology, Darwinian psychology) behandelt. Die meisten Evolutionspsychologen interessieren sich, anders als frühere biologische bzw. biologistische Richtungen der Psychologie, für das Gemeinsame unter Menschen, kaum dagegen für die Unterschiede zwischen Populationen und weniger als die Soziobologie für Kontinuitäten zu anderen Primaten.9 Die Evolutionspsychologie betont die geringe genetische Variabilität und stellt daher eine Form der Umweltpsychologie dar, die an Gemeinsamkeiten der Menschen interessiert ist (Plotkin 2003; Schwab 2004:52). Hier sind vor allem die Evolutionspsychologen John Tooby und Leda Cosmides (*1957) zu nennen (Barkow, Tooby & Cosmides 1992, Tooby & Cosmides 2005, 2006). Sie argumentieren, dass die evolutive Anpassungsgeschichte des Menschen als Jäger und Sammler zu spezifischen Problemen in einer „Umwelt der evolutionären Angepasstheit” (environment of evolutionary adaptedness, Tooby & Cosmides 1992:50-55, ähnlich Hinde 1994:189) geführt hat.

Diese spezifischen Umweltanforderungen schlugen sich in spezifischen Fähigkeiten und Begrenzungen der Wahrnehmung, der Informationsverarbeitung und in Verhaltenstendenzen nieder, die universal in allen Kulturen zu finden sind. So erklären diese Autoren z.B. die unter allen Menschengruppen verbreitete Fähigkeit, Gesichter und ihren Ausdruck zu erkennen und die Aufmerksamkeit, die sozialen Betrügern entgegengebracht wird. Kulturelle Universalien werden in diesem Ansatz vor allem mit dem Konzept der „Metakultur“ (metaculture) erklärt. Metakultur bezeichnet die Interaktionseffekte, die durch die universale menschliche Natur mit spezifischen Umwelten in einzelnen Populationen entstehen. Die Autoren argumentieren, dass es die Metakultur sei, die transkulturell Austausch ermögliche (Tooby & Cosmides 1992). Jerome Barkow ist als Ethnologe auch an den Kulturunterschieden interessiert, fragt sich aber aus psychologischem Interesse heraus vor allem, warum in menschlichen Beziehungen Prestige so evident ist. Er stellt mentale Strukturen als Vermittler zwischen Genen und Kultur in den Mittelpunkt. Barkow konzipiert ein intraindividuelles psychisches System in Form einer Hierarchie und argumentiert, dass grundlegende psychische Ziele (primäre Bedürfnisse und Motive), Pläne, Kodes und Repräsentationen externer Realität (kognitive Landkarten) universell sind. Diese beruhen auf psychischen Algorithmen und entstanden durch natürliche Selektion in Umwelten unserer Vorfahren. Diese Universalität gelte jedoch nicht für hierarchisch tiefer liegende Bereiche in der psychischen Hierarchie, also für Unterziele, Unterpläne und spezifische Kodes. Kulturen unterscheiden sich vor allem in den wiederkehrenden Unterplänen und Unterzielen (Barkow 1975, 1989, 2004). Hinsichtlich einer Kulturtheorie weisen Tooby & Cosmides darauf hin, dass neben psychischen Mechanismen Gruppenprozesse wichtig seien und Sozialpsychologie und Soziologie heranzuziehen sind (vgl. Schwab 2004:44).

Deutlicher als die Psychologie im Allgemeinen war die Psychoanalyse schon seit Freud von universalistischen Annahmen geprägt. Angeregt durch Bastians „Elementargedanken“, auf die ich später eingehe, postulierten Carl Gustav Jung (1875-1961) und andere Jungianer, wie Erich Neumann (1905-1960) und Mircea Eliade (1907-1986), psychische Urbilder als Strukturdominanten der Psyche in Form von Symbolgestalten (Archetypen). Charles Lamb charakterisierte sie als „transsubjektiv vorgeprägte Bilder, die zur anthropologischen Erbausstattung des Menschen gehören“.

Maud Bodkin umschrieb Archetypen treffend als „psychische Restbestände von unzähligen Erfahrungen desselben Typs“ (nach Assmann 2004b:97ff.). ie spiegeln bestimmte Empfänglichkeiten wider und sie könnten zu immer wieder ähnlichen Mustern in verschiedenen Kulturen führen. In der später aufgekommenen Ethnopsychoanalyse ging es primär darum, emotionale Beziehungen mit Menschen fremder Kultur einzugehen. Im Kern war das Ethnologie, die die Psychonanalyse mit einbezog (Heinrichs 1993:360). Sie war damit kulturrelativistisch ausgerichtet und hieraus kam ihre Kritik an den vermeintlich universell gültigen, aber kulturvergleichend kaum überprüften Aussagen der Psychoanalyse. Aber in der Ethnopsychoanlyse gab es durchaus auch universalistische Strömungen. Das gilt besonders für Géza Róheim (1881-1953), der Malinowskis Kritik an der Universalität des Ödipuskomplexes in Frage gestellt hatte. Er betonte die Tatsache, dass es in den Träumen, Märchen, Riten und der Kunst ganz unterschiedlicher Kulturen die gleichen Gestalten, Bilder und Symbole gibt. Von diesen unter unterschiedlichen Bedingungen zu findenden gleichen Strukturen, so Róheims antikulturalistisches Argument, können die Akteure nichts wissen. Er nahm eine subkulturelle Magie an, die jeden Menschen bestimme, und die teilweise ritualisiert und nur soweit bewusst werde. Eine „potentiell universale Symbolik“ und eine „universale Entwicklungsstruktur“ (Róheim 1977:24,46) werden durch den psychischen Apparat umgesetzt und vielfältig ausgedrückt.

Literatur- und Kunstwissenschaften

In traditionellen literaturwissenschaftlichen Arbeiten werden Universalien selten explizit thematisiert.10 Häufig sind aber Bezüge auf eine universale psychische Mitgift in Form von Archetypen. In der Nachfolge des esoterischen Universalismus Jungs mit seiner Idee der emotionalen Tiefenresonanz durch „ursprüngliche Bilder“ wurden Archetypen von vielen Literaten oder Literaturwissenschaftlern postuliert. Sie waren besonders an der Wirkmächtigkeit bestimmter literarischer Bilder und Traumbilder, z.B. Hydren oder Gorgonen, interessiert waren. Auch Kunstgeschichtler, wie Aby Moritz Warburg (1866-1929) und Erwin Panofsky (1892-1962) untersuchten universale Inhalte und Formen. Warburg sprach bei überzeitlichen Bildelementen von „Pathosformeln“ und in seinem unvollendeten „Mnemosyne-Atlas“, einem Konvolut von Bilderreihen zu antikisierenden Darstellungsweisen in der europäischen Renaissance, fasst er sie als Engramme im unbewussten Kollektivgedächtnis auf. Nach seiner Symboltheorie und zyklischen Geschichtstheorie existieren Pathosformeln prononciert innerhalb bestimmter Kulturgrenzen und –epochen, sind aber im Prinzip transhistorisch, ähnlich den überhistorischen Archetypen (vgl. Seegers 2003:355-367). Im Kern binden Archetypen das Individuum über zentrale Bilder und Topoi an die unbewusste Kollektivgeschichte und so überträgt sich die akkumulierte Erfahrung der Menschheit ins Unbewusste des Individuums. Reck hingegen kommt zum Schluss, dass es ästhetische Universalien nur in dem Maß geben könne, in dem Symbolisierungen konstruiert werden:

„Es gibt keine ästhetischen Universalien. Universal ist einzig ein unhintergehbarer Bedarf, ästhetische Universalien als Reizbegriff gegen konkrete, positive Ganzheitsbehauptungen zu wenden. Was mit ästhetischer Universalisierung je gemeint ist, kann nur im Rahmen einer konkreten Kultur, im Funktionskreis je spezifischer Lebensformen und Sprachspiele geklärt werden.“ (Reck 192:103; vgl. Errington 1998)

In universalistischen Ansätzen zu Literatur und bildender Kunst geht es um überzeitliche Formen und Wiederholungsmuster als Manifestationen menschlicher Psyche (vgl. Assmann 2004b:99, 103). An Archetypen orientierte Literaten konzipierten programmatisch eine Literaturkritik, die von universalen Mustern lernt: Literatur wird quasi zum Zweig der Anthropologie. Thomas Stearns Eliot (1888 -1965) nutzte in den 1920er Jahren archaische Muster für Gedichte. Der Literaturkritiker Northrop Frye wollte aus der „Ordnung der Worte“ eine intersubjektive Struktur der Literatur ableiten: „… eine Gesamtschau über die Literaturgeschichte erlaubt uns, literarische Werke als Komplikationen einer Reihe beschränkter und einfacher Formeln zu verstehen, die an primitiven Kulturen abgelesen werden können.“ (Frye 1957:16f., nach Assmann 2004b:102) Universale Bezüge finden sich in neueren Arbeiten zum Thema Körper, Physis bzw. Physiologie bzw. zu Leib, Krankheit und Schmerz (vgl. Warneken 2003, Jonas 2004:404407). Aleida Assmann schreibt z.B. Gedanken von Elaine Scarry weiterführend:

„Der Mensch, auch ´Ich´, ´Seele´ oder ´Subjekt´ genannt, ruht im Mittelpunkt. Auch wenn sich von ihm das Körpergeschehen mehr und mehr entfernt. Er übersteigt doch die Tragödie noch als klare Norm, das Humanum bleibt eine irreduzible Reserve, eine metaphysische Testsubstanz, die sich noch negativ, im Verfehltwerden zu erkennen gibt. Die Plastizität des Menschen geht also nicht so weit, dass diesem eine beliebig verschiebbare Funktionsstelle im organologischen Zirkel zukäme. Es gibt vorweg ein ´zentrales Sein´, das sich in Kultur und Geschichte zu ´vollenden´ bestimmt ist.“ (Assmann 1989, nach Jonas 2004:406f.)

Innerhalb der neueren Kunsttheorie kommen universalistische Argumente auch noch aus einer anderen Richtung. Florence (2004) will die Frage des humanen Subjekts in Kants Ästhetik neu beleben und hält die Annahme einer allgemeinen Nichtuniversalität für unannehmbar. Sie postuliert, dass ein Verständnis von Machtprozessen und Subjektivität in der Kunst es erfordere, das Universale als kompatibel mit spezifischem, lokalisiertem und verkörperlichtem Denken aufzufassen. Universalien seien politisch wie konzeptuell wichtig, um eine inklusive Gemeinschaft zu ermöglichen, während man in den letzten dreißig Jahren vor allem auf Identitätspolitik, „cultural wars“ und damit auf Differenz starrte. Florence greift dazu zwei einander widersprechende Strömungen im Feminismus auf, nämlich gegenwärtige antiuniversalistische postmodernistische Ansätze, und bestimmte phänomenologische Ansätze, die durch Annahmen direkter Erfahrung („eidetische Intuition“) universalistisch argumentieren. Florence konzeptualisiert Universalien als differentielle sexuelle Universalien, um androzentrische Universalität zu torpedieren: „The trouble here is that ubiquitous slip from Man to Mankind“ (Florence 2004:100). Sie versteht diese sexed universals aber weder als inklusiv noch als invariant, um sie nicht einem disembodiment anheim fallen zu lassen: „The universals of this book are embodied, imperfect and not without their relation to the unique“ (Florence 2004:31, vgl. 29). Ihre Konzeption von Universalien ist extrem spezifisch und etwas nebulös. Florence´ Ansatz zeigt aber einmal mehr, dass Universalien ein Thema mit politischen Implikationen ist.

Soziologie, Politikwissenschaft und soziologische Anthropologie

Soziale Universalien sind Gleichheiten in und zwischen Gesellschaften und sozialen Verbänden, die weniger in Inhalten, sondern in formaler Weise bestehen und damit als „Gleichförmigkeiten“ bezeichnet werden können (Acham 2001:95). In der Soziologie werden Universalien meist als ubiquitär verbreitete Interaktionsmuster bzw. enger als institutionell durchgeformte gleichartige Strukturen bzw. Institutionen aufgefasst. Dabei lassen sich synchrone und diachrone Universalien unterscheiden (Messelken 2002a:647). Synchrone Universalien sind z.B. die (dauerpräsente) Familie, (periodische) Feste, (gelegentliche) Kriege und (passagere) Riten. Annahmen universaler sozialer Phänomene finden sich oft in soziologischen Theorien, die sich nicht explizit mit Universalien befassen. Dies gilt besonders für funktionalistische Theorien, die mit funktionalen Bedürfnissen argumentieren und systemische Beziehungen in den Mittelpunkt rücken. Sie postulieren funktionale äquivalente Lösungen (functional quivalence), also Ähnlichkeiten in relevanten Eigenschaften unterschiedlicher Gesellschaften. Ein Klassiker ist die Theorie sozialer Schichtung von Kingsley Davis und Wilbert E. Moore (1945). Danach steht jede Gesellschaft der funktionalen Notwendigkeit gegenüber, Individuen zu platzieren und (befähigte) Personen zum Handeln zu motivieren. Hierfür muss jede Gesellschaft differentielle Belohnungen konzipieren und einen Verteilungsmechanismus installieren. Der Rang einer Person richtet sich nach ihrer funktionalen Bedeutung und nach der Menge der verfügbaren Personen für eine Position. Da die Belohnung unterschiedlich sein muss, muss jede Gesellschaft eine Schichtung aufbauen (Davis & Moore 1945:242).

Universalistisches Gedankengut wurde in den gesamten Sozialwissenschaften durch Talcott Parsons (1902-1979) gefördert. Parsons hatte sich in den frühen 1960er Jahren vom expliziten Antievolutionisten („Who now reads Spencer?“) zum Evolutionstheoretiker gewandelt. Im Mittelpunkt seines evolutionären Universalismus standen Universalien makrosozialer Entwicklung in ihrer Bedeutung für das langfristige Anpassungsvermögen großer Gesellschaften. Mit dem Konzept der „evolutionären Universalien“ (evolutionary universals) fasste er zivilisatorische Erfindungen als Errungenschaften komplexer Gesellschaften. Beispiele betreffen Schrift, Markt, Geld, bürokratische Organisation, universalistische Rechtssysteme und Demokratie und implizit auch wachsende soziale Mobilität. Parsons hält im Einzelnen sechs evolutionäre Universalien für besonders folgenreich: soziale Schichtung, kulturelle Legitimaton (z.B. gesellschaftliche Ideale und soziale Identität), Verwaltungsbürokratie, Märkte mit Geld, verallgemeinerte universal geltende Normen und demokratische Assoziationsformen (Parsons 1969:56ff., 1971, Sanderson 2007:133f.). Parsons fasst diese evolutionären Universalien als folgenreiche gesellschaftliche Strukturen und individuelle Verhaltensweisen auf, die historisch unabhängig voneinander mehrfach entstehen und sich historisch über lange Zeiträume durchsetzen. Dies beinhaltet die Annahme, dass ihre Ausbildung als Institutionenkomplex Voraussetzung für das Erreichen einer komplexeren Stufe sozialer Evolution ist. Gesellschaften haben danach mittels gattungsspezifischer Fähigkeiten der Individuen potenziell Teil an panhumanen Kulturelementen.

Nach dieser Konzeption haben sich einzelne Gesellschaften diese Möglichkeiten aber nur mehr oder minder vollständig angeeignet (Schöfthaler 1983:337f.). In Bezug auf die ganze Welt müsste man hier von Fast-Universalien sprechen. In der Politikwissenschaft wurde dieses soziologische Konzept von Gabriel Almond zu einem Kategorienschema der politischen Komparatistik weiterentwickelt. Universalismus in politikwissenschaftlichem Verständnis heißt zu größten Teilen „Westlichkeit“ (Mols 1997:227). Hier geht es um die wichtigen Schritte des Abendlands im Rahmen des zivilisatorischen Prozesses, sei es in Form von effizienter Technologie, kapitalistischer Produktionsweise oder in wirkmächtigen Mythen bzw. Ideen, z.B. die Vorstellung der Machbarkeit von Geschichte (Roberts 1986).

Eine explizit soziologische Anthropologie existiert nur als kleine Forschungsrichtung, im deutschen Sprachraum besonders in Arbeiten von Dieter Claessens und Wolf Lepenies (vgl. Griese 1976). Sie geht der Rolle des Naturfaktors im Gegenstandsbereich der Soziologie auf den Grund, z.B. hinsichtlich Verhaltensneigungen („Instinkte formaler Art“, Claessens 1970). Nach Claessens sind biotische und soziale Bestimmtheit menschlichen Lebens in ihrer Vermitteltheit zu untersuchen, statt sie gegeneinander auszuspielen. Menschen seien doppelt distanziert. Eine erste Distanzierung ließ sie aus dem unmittelbaren Hineingestelltsein in die Natur heraustreten und gab Handlungsorientierung durch Tradierung. In der Evolution des Menschen verringerte das Binnenklima der Gruppe den direkten physischen Selektionsdruck („Insulationsprinzip“ und „Körperausschaltungsprinzip“). Diese Distanzierung ermöglichte die Offenheit des Menschen, die Tatsache, die anthropologische Grundsituation kennzeichnet. In modernen Gesellschaften ergab sich ein zweiter „Prozess der Distanzierung“. Menschen distanzierten sich von den metaphysisch fundierten Handlungsgewissheiten traditionaler Kultur (Claessens 1970:98). Menschen sind fähig zu und abhängig von Sympathie, engen sozialen Beziehungen und Kooperation – das ist ihre Soziabilität. Sie brauchen ferner eine soziale Steuerung ihres Verhaltens – darin besteht ihre Sozialität. Sozialität entsteht mittels sozialer Unterstützung, Anerkennung, Orientierung und Verhaltensbestätigung. Sozialität wird durch gruppenbezogene Standardisierung und Institutionen abgesichert und dies bedarf der Soziabilität.

Soziologische Anthropologie zeigt damit, dass Universalienforschung nicht auf die Ebenen des Individuums oder der Spezies beschränkt sein sollte. Die Gruppe ist zentral, weil sie die Funktion der Sicherung und der Bestätigung übernimmt: Gruppenbestätigung ersetzt Instinktsicherheit (Claessens 1970:122). Durch diese die zweite Distanzierung entsteht eine noch größere „Unbestimmtheitslücke“. Eine soziologische Anthropologie will weder anthropologisch noch soziologisch reduzieren:

„Einer Täuschung unterliegen wir, wenn wir glauben, gesellschaftliche Phänomene durch die Bestimmung des Menschen erklären zu können, aber ebenso geben wir uns einer Illusion hin, wenn wir meinen, den Menschen als ein Produkt der Natur im Rahmen von Gesellschaftstheorien nicht berücksichtigen zu müssen.“ (Lepenies 1971:14; Hervh. i.O.)

Ansätze integrierter Anthropologie im deutschen Sprachraum

Eine umfassende bzw. integrierte Anthropologie wäre eine Quelle für die Universalienforschung. Sie existiert weltweit aber kaum irgendwo in institutionalisierter Form. In Deutschland gab es nach dem Zweiten Weltkrieg einige wenige Ansätze in diese Richtung. Hier ist vor allem Hans-Georg Gadamers Projekt der „Neuen Anthropologie“ zu nennen (Gadamer & Vogler 1972-1975). In diesem mehrbändigen Sammelwerk wurden anthropologische Ansätze dargestellt, die zeigen, dass sich Anthropologie nicht in einer Humanbiologie des Körpers erschöpft (vgl. Jonas 2004:365). Hier sind philosophische, psychologische, sozialwissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Richtungen vertreten; eine integrierte Perspektive lässt das Werk jedoch vermissen. Ähnliches gilt für das etwas anders gelagerte Projekt einer Anthropologie des „ganzen Menschen“ (Rössner 1986). Dieser Ansatz ist etwas stärker biologisch ausgerichtet, aber auch hier reicht die Bandbreite unverbundener Positionen von Odo Marquard als Philosophen über die Geschichtswissenschaften bis zu „harter’“ Biologie. Diese Anthologie vereint mehrere Aufsätze, die das Thema Universalien explizit benennen (Eibl-Eibesfeldt 1986, Vogel 1986).

Ein weiterer integrativer Ansatz kam von den Ethnologen Wolfgang Rudolph (19211999) und Peter Tschohl (1935-2007). Ihnen ging es in der „Systematische Anthropologie“ (Rudolph & Tschohl 1977, vgl. Rudolph 1973a, Renner 1996) darum, die kulturvergleichenden Erkenntnisse der Ethnologie mit empirischen Erkenntnissen der anderen Humanwissenschaften in einem einheitlichen, bewusst anthropologischen Rahmen einzubeziehen. Dieser ehrgeizige und wegweisende Ansatz blieb – trotz ingeniösem Aufbau und präzisen Orientierungshilfen für den Benutzer – im Fach weitgehend unbeachtet. Den Ethnologen waren der umfassende Anspruch, die reichliche Portion Biologie und die abstrakte Diktion wohl unsympatisch. Die Rezeption außerhalb des Fachs litt wohl auch darunter, dass die „Systematische Anthropologie“ 1977 erschien und so die gerade aufkeimende Soziobiologie noch nicht berücksichtigen konnte (Tschohl, pers. Mitt.). Die Thematik der Universalien kommt auch in den wenigen tatsächlich auf anthropologische Integration zielenden Publikationsreihen immer wieder auf, wie im „Funkkolleg Psychobiologie. Verhalten bei Mensch und Tier“ (Immelmann et al. 198687), im „Funkkolleg Anthropologie – Der Mensch heute“ (Schiefenhövel et al. 199293), in der daraus entwickelten Buchreihe „Der Mensch in seiner Welt – Anthropologie heute“ (Schiefenhövel et al. 1994) und in der neueren Buchreihe „Topologien des Menschlichen“ (Schmidinger & Sedmak 2004ff.).

Weitgehend implizite Annahmen zu Universalien finden sich in anthropologischen Studien in der kulturhistorischen und phänomenologischen Tradition (Funk 1997, Barkhaus et al. 1996; vgl. Jonas 2004). In den letzten Jahren zeigt sich im deutschen Raum die Tendenz, das Wort „Anthropologie“ wieder stärker mit naturwissenschaftlichen Inhalten zu füllen. Manche diagnostizieren eine deutliche Trendwende zur naturwissenschaftlichen Anthropologie und kritisieren sie als szientistische Neuorientierung (Jonas 2004:368, 396). Im deutschen Sprachraum läst sich ein stärker werdendes geistes- und kulturwissenschaftliches Interesse an naturwissenschaftlichen (z.B. Wulf 2004) und an universalen Fragen feststellen. Das gilt in Ansätzen auch für die deutschsprachige Ethnologie (z.B. Frömming 2006). Auf internationaler Ebene sieht man dies besonders in der Anthropologie des Körpers (Anthropology of the Body), wie z.B. in den Arbeiten von Thomas Csordas zum Zusammenhang von Körper als „existentiellem Grund“ und kulturellem Umgang mit körperlichen Empfindungen (Csordas 1999) oder in den Forschungen zur Anthropologie der Sinne (Anthropology of the senses, z.B. Howes 1991, vgl. Hübler 2001).

Andere sehen die Naturalisierung weniger als bündige wissenschaftliche Theorie, sondern als welterschließende Metatheorie, die ein „massenmediales Vorkommnis“ darstelle (Essen 2004:215). Selbst ein Naturwissenschaftler wie Hubert Markl sieht es durchaus mit Skepsis, wenn das Feuilleton allzu plötzlich die biologischen Quellen des Humanen in Form der Gene entdeckt und dabei überkommene Dualismen zementiert (Markl 2002b:150ff.). Man sollte vorsichtig sein, um hier nicht vorschnell Trends auszumachen, etwa aus der Verwendung des Wortes Anhropologie. Seit einigen Jahren steht „Anthropology“ im englischsprachigen Raum nicht mehr für eine umfassende Humanwissenschaft, sondern als Kurzformel für Kultur- bzw. Sozialanthropologie (bspw. Herzfeld 2001, Bernard 2002, Gingrich & Fox 2002, James 2003, Argyrou 2002, 2005, Metcalf 2005, Ellen 2006). Jonas schließt:

„Nach einer Phase der partikularen Ausarbeitung von Einzelkulturen und der Verunsicherung über das Universale, kehrt die Anthropologie/Ethnologie des Körpers heute zur Betrachtung universaler Aspekte des kulturspezifischen Umgangs mit Körperlichem zurück.“ (Jonas 2004:397; Hervorh. CA)

Steven Pinker bringt als Linguist die Frage, die heute der Ethnologie von Seiten vieler anderer Fächer gestellt wird, anschaulich auf den Punkt:

„Auf den ersten Blick vermitteln uns die Berichte der Völkerkundler ein Bild voller Kontraste. Die Anthropologie dieses Jahrhunderts hat uns über einen bewusstseinserweiternden Markt menschlicher Vielfalt geführt. Aber könnte dieses bunte Treiben von Tabus, Verwandtschaftssystemen, Schamanentum und was der Dinge mehr sind, nicht ebenso oberflächlich sein wie der Unterschied zwischen dog und Hund, unter dem sich eine universale menschliche Natur verbirgt?“ (Pinker 1996a:461f.)

Was ist den Menschen gemeinsam?

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