Читать книгу Die Erlebnisse des Herrn A. - Christoph-Maria Liegener - Страница 17
ОглавлениеEinkauf fürs Wochenende
Das Ehepaar A. begab sich auf den Weg zum Supermarkt, um für das Wochenende einzukaufen. Das gehörte zu ihrer Routine. Sie wählten dafür gewöhnlich den Donnerstag, weil die Geschäfte samstags wegen des bevorstehenden Wochenendes normalerweise überfüllt sind und deshalb viele Leute auf den Freitag ausweichen. Donnerstag geht noch.
Sie nahmen wie immer das Auto, schon deshalb, weil es viel zu tragen gab. An der entscheidenden Ampel staute sich der Verkehr mehrere hundert Meter zurück. Direkt vor der Ampel existierte eine kurze Abbiegerspur in ihre Richtung, die ganz frei war. Das konnten sie nur durch kurzzeitiges Ausscheren auf die Gegenfahrbahn erkennen, weil ihre Sicht durch einen Lastwagen vor ihnen behindert war. Herr A. scherte nochmals aus, um zu sehen, ob die Gegenspur so weit frei war, dass er womöglich auf ihr an der Kolonne vorbeifahren könnte.
Seine Frau durchschaute seine Absicht im Ansatz und verbot ihm kurzerhand dieses Wagnis. Das wäre viel zu gefährlich und auf die paar Minuten käme es sowieso nicht an. Herr A. wagte zu fragen, warum sie denn so nervös sei. Die Antwort:
„Wenn du beim Autofahren neben mir sitzen würdest, wärst du auch nervös.“
„Schlimmer wäre es, wenn ich neben mir säße“, gab Herr A. lachend zurück, da er selbst wusste, dass er unmöglich fuhr.
Was blieb ihm danach übrig, als sich zu fügen?
Sie warteten also in der Schlange.
Zu allem Überfluss bog der Laster dann auch noch in ihre Richtung ab. Mehr noch: Er zuckelte gemächlich weiter vor ihnen her bis zum Supermarkt, wohin er offenbar lieferte. Es nervte gewaltig – jedenfalls Herrn A. Er dachte, dass es seiner Frau genauso ergangen sei, und fragte sie, nachdem sie endlich geparkt hatten:
„Diese Trödelei eben ging übrigens auf dein Konto. Inzwischen hast du dir doch sicher heimlich gewünscht, dass du mich vorhin nicht gebremst hättest, nicht wahr? Gib’s nur zu!“
„Träum‘ weiter! Wenn ich dich nicht gehindert hätte, wären wir in einen Unfall verwickelt worden und würden immer noch auf den Rettungswagen warten.“
Herr A. schwieg betreten und das war besser so.
Schnell hatten sie sich einen Einkaufswagen geschnappt und begannen, ihn an den Regalen zu füllen.
Das gestaltete sich nicht ganz so einfach, wie es sich anhört. Wieder einmal hatte die Geschäftsleitung die Waren umsortieren lassen. Das taten sie gern öfter mal, weil die Marketingberater davon ausgingen, dass die Kunden beim Suchen nach den von ihnen gewünschten Artikeln auf andere stoßen würden, die sie eventuell auch gebrauchen könnten. Kurz, der Markt würde auf diese Weise mehr verkaufen.
Dazu gehörte natürlich auch, dass man nicht einfach nach den Artikeln fragen konnte. In solchen Situationen war weit und breit kein Mitarbeiter des Supermarkts zu finden. Letzteres brachte dem Supermarkt noch einen Vorteil: Man brauchte die Mitarbeiter nicht für die nutzlose Tätigkeit des Fragen-Beantwortens zu bezahlen, konnte also Personal sparen.
Die paar bedauernswerten Mitarbeiter, die trotzdem noch Dienst tun mussten, hatten einen sechsten Sinn entwickelt, witterten fragewütige Kunden auf zwanzig Meter und versteckten sich beizeiten. Die Kunden ihrerseits verbündeten sich zu kleinen Gruppen und kreisten solch einen verschreckten Angestellten dann ein.
Die Rettung der Angestellten durch die Geschäftsleitung kam in regelmäßigen Abständen: Sinnlose Durchsagen per Lautsprecher wie: „17 an 23.“ Der Angestellte konnte sich dann aus dem Klammergriff der Kunden befreien und mit einem „Das ist für mich“ im Labyrinth der Gänge verschwinden.
Manche sagen, Einkaufen mache Spaß. Das sei mal dahingestellt. Tatsache ist jedoch, dass Herr A. sich gehörig anstrengte und ins Schwitzen geriet. Seine Frau riet ihm, die Jacke auszuziehen.
„Und was mache ich dann damit? Ich kann sie ja wohl kaum in den Wagen legen.“
„Warum nicht?“
„Weil man mich für einen Ladendieb halten wird, wenn ich damit durch die Kasse gehe, ohne sie zu bezahlen.“
„So ein Quatsch! Du musst wirklich aus allem ein Problem machen.“
„Das ist meine Spezialität. Ich versuche, Probleme im Vorfeld zu erkennen, damit ich ihnen aus dem Weg gehen kann.“
Frau A. kannte das schon, und sie kannte auch die Zauberformel für diese Fälle:
„Mach dir keine Sorgen! Ich übernehme die Verantwortung“, erklärte sie trocken.
Das wirkte – wie immer. Herr A. murmelte:
„Wenn du meinst …“, und zog die Jacke aus.
Frau A. war zwar diejenige, die den Überblick über das hatte, was sie im Haushalt brauchten, aber sie ließ sich von ihrem Mann helfen.
„Wir brauchen noch Brot und Brötchen …“, instruierte sie ihn.
Sie wollte noch mehr sagen, aber schon war er weg und kam kurz darauf mit Brot und Brötchen zurück.
„Das sind die falschen Brötchen“, konstatierte sie. „Ich brauche Vollkornbrötchen und Mohnbrötchen. Warum wartest du nicht, bis ich dir alles erklärt habe?“
„Ich wollte mitdenken, um dir die Sache zu erleichtern“, rechtfertigte er sich.
„Versuch lieber nicht zu denken“, gab sie zurück. Die Brötchen konnten sie nicht zurückgeben, nachdem sie entnommen waren. Sie mussten die anderen zusätzlich kaufen.
Der Supermarkt gab wöchentlich ein kleines Informationsblättchen heraus, in dem alle Sonderangebote der Woche aufgeführt wurden. Frau A. zog dieses Blättchen regelmäßig zu Rate, wenn sie ihre Einkaufsliste zusammenstellte.
Nun stand sie also da und kämpfte sich durch ihre Kritzeleien. Schließlich bat sie ihren Mann:
„Ach bitte, sei doch so gut und hol mir zwei Packungen Rohmarzipanmasse aus der Backabteilung, aber die von der Hausmarke. Die sind im Angebot.“
Herr A. machte sich auf den Weg. Nach einigem Hin und Her glaubte er, das Gesuchte gefunden zu haben. Am Regal prangte ein leuchtend rotes Schild mit dem Hinweis auf das Angebot. Brav nahm er zwei Packungen und brachte sie seiner Frau.
Die war nicht begeistert.
„Kann man dich denn nicht die einfachsten Erledigungen machen lassen? Diese Packungen, die du mir angebracht hast, sind doch von einer anderen Marke. Die sind viel zu teuer. Alles muss man selbst machen.“
Damit schleppte sie ihren verdutzten Mann zu dem Regal, wo er die Packungen herausgenommen hatte. Sie stellte fest, dass es zwar das richtige Regal war. Das Regal war jedoch schon leergekauft und die Angestellten des Supermarkts hatten einfach die Packungen des benachbarten Faches mit hinübergeräumt.
„Du musst immer auf die Packung achten“, wies Frau A. ihren Mann zurecht. „Sonst wirst du über den Tisch gezogen. Du willst doch nicht zu den Einfaltspinseln gehören, mit denen sie das machen können!“
Nein, das wolle er nicht, beeilte sich Herr A. zu versichern und versprach, in Zukunft auf die Packungen zu achten. Bei sich dachte er, auf die paar Cent käme es doch nun auch nicht an. Einen Krach wollte er deswegen aber nicht riskieren.
Das Ehepaar A. hatte schließlich allen Widrigkeiten zum Trotz das zusammengesucht, was sie auf der Liste hatten, und schoben den Wagen zur Kasse.
Hier hatten sich lange Schlangen gebildet. Auch das war nicht ungewollt; denn die Wartenden starrten auf kassenflankierende Regale mit unzähligen „Schnell-malmitnehmen“-Artikeln wie Süßigkeiten, Zigaretten, Batterien usw.
Zielsicher steuerte Herr A. den Wagen ans Ende der kürzesten Schlange. Seine Frau warnte ihn:
„Die Kassiererin ist neu. Die braucht länger.“
Herr A. replizierte:
„So schlimm wird’s schon nicht sein. Dafür ist die Schlange kürzer.“
Fünf Minuten später hatte er seinen Irrtum eingesehen und stellte sich bei einer anderen Kasse an.
Dort hatten sie bereits wiederum fünf Minuten gestanden und waren ein wenig vorgerückt, als Frau A. eine Freundin entdeckte, die am Ende einer weiteren Schlange stand. Sie gab ihrem Mann keine Gelegenheit zum Widerspruch und zog ihn dorthin. Damit war für sie das Problem der Wartezeit erledigt. Sie unterhielt sich angeregt mit ihrer Freundin.
Für Herrn A. hingegen verging die Zeit noch langsamer als vorher.
Doch irgendwann war es soweit: Er konnte damit beginnen, die Waren aufs Band zu legen. Dabei entdeckte er eine Delle in einer Dose. Er zeigte die Dose seiner Frau und fragte, ob er eine andere, unbeschädigte holen solle. Das kam nicht in Frage:
„Und ich soll inzwischen hier von den hinter uns Wartenden gelyncht werden? Bleib gefälligst da! Ich werde die Dose zurückgehen lassen und beim nächsten Mal eine neue kaufen.“
„Aber brauchst du sie denn nicht diese Woche?“
„Das bekomme ich schon hin“, erwiderte seine Frau und wandte sich wieder ihrer Freundin zu.
Endlich hatten sie bezahlt. Herr A. wunderte sich über den hohen Betrag. Er überstieg jedes Mal den vom letzten Mal. Seine Frau erklärte ihm, woran es lag: Er habe bei den Sonderangeboten zu ausgiebig zugegriffen. Das konnte Herr A. nicht verstehen. Er hatte in allen Fällen erhebliche Summen errechnet, die er gegenüber dem nichtreduzierten Kauf gespart hätte. Irgendwann musste sich das doch in einem niedrigeren Rechnungsbetrag widerspiegeln. Warum geschah das nicht?
Er würde es nie ergründen.
Inzwischen hatten sie die Kasse hinter sich gelassen. Allerdings hatte Frau A. ihr Gespräch noch nicht beendet. Herr A. wollte nicht stören. Heimlich dachte er, die beiden könnten ihre Unterhaltung doch per Handy fortsetzen, während seine Frau ihn schon mal zum Auto begleitete. Gesagt hat er es nicht. Er wusste, dass so eine Unterhaltung unter Frauen eine wichtige soziale Transaktion ist – mehr als nur ein Austausch von Informationen.
So ließ er gelangweilt seine Blicke durchs Foyer des Supermarkts schweifen, bis ihm eine hübsche junge Dame auffiel, die die Besucher des Marktes um ein Feedback bat. Das konnte sie haben!
Schnurstracks schoss er auf sie zu, um ihr die Meinung zu geigen. Sie sah ihn kommen und wollte ihn gerade freundlich ansprechen, als er ihr ins Wort fiel und sie unwirsch anfuhr:
„Können Sie mir sagen, warum ich überhaupt noch hier einkaufen soll?“
Die Dame faselte etwas von den günstigen Preisen und dem reichhaltigen Sortiment. Man fände hier praktisch alles.
Herr A. platzte heraus:
„Ja, wenn man es denn finden würde!“
In dem Zusammenhang beklagte er sich über das ständige Umsortieren der Waren und dann über all die weiteren Dinge, die ihn störten.
Die nette Dame hörte sich das Lamento geduldig an und versuchte dann, Herrn A. zu beruhigen – nach und nach mit Erfolg. Am Ende machte sie ihm klar, dass seine Beschwerde mehr Gewicht hätte, wenn er seine Vorwürfe in Form von Bewertungen anhand vorgegebener Fragen quantitativ dokumentieren würde. Sie präsentierte ein Formular. Nein, er müsse es nicht selbst ausfüllen, das übernähme sie für ihn. Herr A. ließ es sich gefallen.
Bei der nun folgenden Befragung zu verschiedenen Aspekten seines Einkaufs in diesem Supermarkt genoss er es, bei jeder Frage jeweils die schlechtestmögliche Punktzahl zu vergeben. Danach fühlte er sich besser.
Jetzt, da er seine Frustration einigermaßen abreagiert hatte und die Fragerin sich auch noch ausgiebig für die Unannehmlichkeiten im Namen des Supermarkts entschuldigt hatte, schenkte er ihr sogar ein Lächeln und verstieg sich zu einem „Schon gut“. Er bekam ein Lächeln zurück.
Wesentlich besser gelaunt kehrte er federnden Schrittes zu seiner Frau zurück, die inzwischen ihr Gespräch beendet hatte und wissen wollte, wo er denn so lange bliebe.
Alles in allem ein harmonischer Einkauf.