Читать книгу Der Engel mit den traurigen Augen - Christoph Wagner - Страница 14
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ОглавлениеUnd was können diese Programme jetzt genau?“, fragte Thomas Dehler seinen Chefprogrammierer Mario Friedrich gespannt.
Stolz präsentierte Mario seine Arbeit: „Das Erste hier gehört sicher zum Besten, was ich je gemacht habe. Wenn es gelingt, das auf dem Zentralcomputer im Verteidigungsministerium zu installieren, kann man von außen alle Befehlswege steuern. Gleichzeitig sind die internen Wege tot. Aber das merken die zunächst nicht. Die haben ein System, bei dem jeder Befehl von der empfangenden Stelle bestätigt werden muss. An sich eine gute Idee. Aber das Programm ist so konzipiert, dass die auf ihre Befehle die Rückmeldung kriegen, obwohl sie nie angekommen sind.“
„Genial, wie immer!“
Marios Augen leuchteten wie bei einem kleinen Kind zu Weihnachten. Er erklärte weiter: „Dann kannst du von außen jeden beliebigen Befehl geben. Angriffe, die ins Leere gehen, oder noch besser, gegen die eigenen Leute. Du kannst irgendwo zum Rückzug blasen, ganz wie du willst.“
„Aber das müssen die doch irgendwann merken!“
„Das wird dauern“, wischte Mario den Einwand wie eine lästige Fliege beiseite. „Das Assadregime ist eine völlig autoritäre Diktatur. Da funktionieren die Entscheidungswege fast nur eindimensional von oben nach unten. Mittlere und untere Ebenen haben wenig eigene Entscheidungskompetenz. Bis dann oben wieder ankommt, dass unten alles schief gelaufen ist, vergeht Zeit, viel Zeit. Und wenn man merkt, die schnallen, dass da etwas nicht in Ordnung ist, kann man die Stufe zwei des Programms aktivieren. Und die ist noch bösartiger als die Erste, denn die zerstört einfach nur. Wenn die eine Weile läuft, ist die gesamte computergestützte Infrastruktur des Militärs restlos ruiniert. Bis da wieder etwas läuft, vergehen Wochen, wenn nicht Monate. Und in der Zeit sollten die Jungs vom Widerstand eine ganze Menge bewirkt haben.“
„Und wenn die rauskriegen, wer das Programm geschrieben hat?“, fragte Thomas Dehler skeptisch.
„Tja, dann geht es uns an den Kragen. Der syrische Geheimdienst soll überhaupt keinen Spaß verstehen.“
„Lohnt sich das wirklich?“
„Nun, bei einer Million muss man gewisse Risiken in Kauf nehmen. Und wenn die Sache funktioniert und wir Assad mit diesem Ding hier zu Fall bringen sollten, sind wir saniert. Wir können uns dann vor neuen Aufträgen nicht mehr retten.“
„Das ist Zukunftsmusik. Du hast noch ein zweites Programm geschrieben?“
„Nicht wirklich. Im Grunde ist das nur die zweite Stufe des Ersten, isoliert. Das müsste man im Zentralrechner der Staatsbank und in einer anderen hohen Behörde installieren, dann läuft auch im zivilen Bereich nichts mehr. Insbesondere das Finanzchaos wäre dann total. Man wird dann keinerlei Transaktionen mehr durchführen können.“
Aber Thomas Dehler war immer noch nicht restlos überzeugt. „Du sagst das so selbstverständlich: ‚Muss man im Rechner sowieso installieren.’ Geht das denn wirklich so einfach, haben die denn keinen wirkungsvollen Schutz?“
„Natürlich haben die auch Schutzmechanismen. Aber wir sind besser. Ich bin in all den genannten Computern schon spazieren gegangen und habe mir alles Wissenswerte angesehen. Das ist für mich kein echtes Problem.“
„Also, wenn man dich so reden hört, könnte man vor dir richtig Angst bekommen.“
„Noch können wir alles zurückpfeifen, wenn du Schiss hast. Wenn die Syrer nachher kommen, sagen wir einfach, das Problem ist nicht zu lösen, und fertig. Die Programme lassen sich auch noch in leicht abgeänderter Form anderweitig verwenden.“
„Nein, nein, das ziehen wir jetzt schon durch. Die Million lassen wir nicht liegen. Aber jetzt gehen wir erst einmal Kaffee trinken.“
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Um 17 Uhr 12 kamen Radi al-Sibai und Mohamed Domani am Heidelberger Hauptbahnhof an. Mario Friedrich erwartete sie am Ende der Eingangshalle, wo sie in einer Rotunde in die breit angelegte Überführung über die Bahngleise mündet. Überschwänglich begrüßte er Radi al-Sibai, mit dem er vier Jahre zusammen Informatik studiert hatte, und ließ sich Mohamed Domani vorstellen. Auf dem Weg durch die Eingangshalle zum Parkplatz merkte Mario Friedrich, dass der stark hinkte und nur langsam gehen konnte. Er sah Radi al-Sibai fragend an.
„Das waren die Assadschweine“, erklärte Radi al-Sibai und erzählte in schillernden Farben, unter welch dramatischen Umständen er Domani in Aleppo kennengelernt hatte. Während dessen hatten sie den Parkplatz erreicht, zwängten sich in Mario Friedrichs Minicooper und setzten sich Richtung Weststadt in Bewegung. Dort waren die beiden Syrer unweit des Firmensitzes in dem kleinen Hotel „Vier Jahreszeiten“ untergebracht. Mario und Radi al-Sibai schwelgten in Erinnerungen an ihre gemeinsame Studienzeit, während Domani, der kein Deutsch verstand, misstrauisch die Umgebung musterte. Nach einer Weile sprach er Radi al-Sibai nervös auf Arabisch an. Dieser übersetzte für Mario.
„Nicht umdrehen. Mohamed meint, wir werden verfolgt.“
„Welches Auto?“
„Der graue Kleinwagen, das dritte Auto hinter uns.“
„Der Corsa? Das haben wir gleich. Ich kenne mein Heidelberg“, entgegnete Mario gar nicht erschrocken. Für ihn schien es eine willkommene Herausforderung zu sein, den möglichen Verfolger abzuhängen. Kurz hinter der Kreuzung mit der Blumenstraße bremste er abrupt ab und wendete mit quietschenden Reifen, darauf vertrauend, dass die entgegenkommenden Fahrzeuge rechtzeitig bremsen würden. Er bog mit hohem Tempo rechts in die Blumenstraße ein, bei der Kreuzung mit der Kleinschmidtstraße gleich wieder rechts gegen die Richtung der Einbahnstraße, und als kurz darauf die Kaiserstraße kreuzte, fuhr er nach links und hielt am Straßenrand.
„Ich denke, den sind wir los“, meinte Mario triumphierend. Sie warteten eine Weile, und tatsächlich ließ sich der graue Corsa nicht mehr blicken. So konnte Mario seine syrischen Gäste in aller Ruhe zum Hotel bringen. Sie checkten ein und gingen auf ihre Zimmer, um sich etwas frisch zu machen. Nach einer guten halben Stunde konnten sie dann zur Firma fahren, die in einer Villa in der Dantestraße ihren Sitz hatte und dort die ganze obere Etage belegte.
Thomas Dehler begrüßte sie. Sie gingen zunächst in den kleinen Empfangsraum, wo Dehler als erstes Tee, Wasser und Gebäck servierte. Sie machten eine Weile Small Talk und kamen dann zum Geschäftlichen. „Ich denke“, begann Thomas Dehler, „Sie werden zufrieden sein. Mario hat hervorragende Arbeit geleistet. Er wird Ihnen später die technischen Dinge näher erklären. Zum Finanziellen: Wir hatten ja schon im Vorgespräch geklärt, dass diese Sache sehr, sehr teuer ist. Haben Sie Geldgeber gefunden?“
„Ja, aber die legen Wert darauf, nicht genannt zu werden.“
„Das ist mir egal. Hauptsache, das Geld fließt. Die Vereinbarung war: Wenn Sie in die Programme eingewiesen werden, sind die ersten 500.000 € fällig, und wenn die Programme erfolgreich laufen, die zweiten. Können wir am Mittwoch die Geldübergabe machen? Die genauen Bedingungen werden wir Ihnen aus Sicherheitsgründen erst sehr kurz vorher mitteilen. Ist das o. k.?“
„Ja, kein Problem.“
„Eine letzte Frage.“ Thomas Dehler sprach jetzt so leise, als ob er Angst hätte, jemand Fremdes könnte ihn hören. „Wie viele Leute wissen von dem Projekt?“
Radi al-Sibai winkte ab. „Nur sehr wenige. In Syrien nur wir beide und zwei Brüder, mit denen zusammen wir die Programme bedienen. Die sind absolut zuverlässig. Und dann natürlich unsere Geldgeber. Aber auch da haben wir dafür gesorgt, dass nur zwei Personen wissen, worum es genau geht. Auch denen können wir absolut vertrauen.“
„Das klingt gut. Denn wenn die Sache irgendwie auffliegt, sitzen wir hier natürlich auch ganz schön in der Tinte. Mario, ich denke, wir sind so weit klar. Du kannst ihnen jetzt unsere schönen Spielsachen zeigen.“
Die beiden Syrer gingen mit Mario in sein Arbeitszimmer. Thomas Dehler blieb im Empfangsraum zurück. Er spürte seine innere Unruhe. Sie näherten sich dem Point-of-NoReturn. Er fragte sich immer wieder, ob dieses Projekt nicht doch eine Nummer zu groß für sie war. Auch wenn es technisch gelang, konnte es doch leicht tödlich enden.
Vor dem Haus stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein grauer Opel Corsa. Drinnen saß tief geduckt ein Mann mit schwarzem Haar und schwarzer Sonnenbrille. Frustriert packte er sein Richtmikrofon ein. Obwohl es das Beste war, das es weltweit auf dem Markt gab, hatte es die Gespräche nur völlig verzerrt und daher unverständlich aufgenommen. Dafür hatte er überhaupt keine Erklärung. Er konnte nicht wissen, dass Mario gerade eine neue Technik ausprobierte, mit der man Räume völlig abhörsicher machen konnte. Und Mario selbst ahnte nicht, dass diese Technik gerade ihre Feuertaufe bestanden hatte.