Читать книгу Waldesruh - Christoph Wagner - Страница 10
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ОглавлениеEdwin Jauerneck hatte als Erster die „Jägerstube“ verlassen. Draußen schneite es immer noch, jetzt schon den vierten Tag in Folge. Der Nebel schien sogar noch dichter geworden zu sein und es wollte überhaupt nicht hell werden an diesem Tag. Nichts war zu hören außer dem Knirschen seiner Winterstiefel im hohen Schnee und seinem keuchenden Atem. Denn der Weg zu seinem Haus, das oberhalb der anderen direkt am Waldrand lag, war anstrengend, weil bei jedem Schritt die Füße fast bis zu den Knien im Schnee versanken.
Aber das nahm er gar nicht wahr. Zu sehr beunruhigte ihn, was sie eben beschlossen hatten, denn das war nicht recht. Es würde neues Unheil heraufbeschwören. Aber obwohl er das wusste, hatte er dennoch mitunterschrieben. Warum, warum nur war er immer zu schwach, sich gegen die Schittenhelms zu behaupten? Warum hatten sie diese Macht über ihn und alle anderen, die das aber gar nicht merkten oder merken wollten?
Dazu hatte ihn Mostaccis Gemälde zutiefst verstört. Der Mann verstand seine Kunst. Diese Teufelsfratze blickte so abgrundtief bösartig in die Welt, dass sich vernichtet fühlen musste, wer sie ansah. Und dennoch war es ein menschliches Antlitz. Es war unleugbar Wolfgangs Gesicht.
Aber noch mehr als die Teufelsgestalt beunruhigte ihn die junge Frau auf dem Bild. Sicher, es war unverkennbar Berit. Seine Erinnerung an damals war noch deutlich genug. Aber sie war es dann eigentlich doch nicht, denn gemalt hatte Mostacci nicht das sechzehnjährige Mädchen, das Wolfgang damals ermordet hatte. Das Bild zeigte die junge Frau, die Berit heute wäre, wenn sie noch lebte. Wie konnte Mostacci sie so malen? Künstlerische Intuition … oder? … Nein, es konnte kein Oder geben.
Und es kamen ihm wie schon so oft Zweifel, ob damals im Prozess wirklich der Richtige verurteilt worden war. Natürlich waren die Indizien erdrückend gewesen. Nur – es fehlte eben die Leiche. Und Wolfgang hatte die Tat hartnäckig geleugnet. Sicher wäre er nicht verurteilt worden ohne die Zeugenaussagen von Adalbert und Waldemar. Aber warum hätten die lügen sollen? Er konnte sich keinen Grund vorstellen, damals nicht und auch heute nicht.
Mostacci – der hatte ihn auch verwirrt. Noch nie hatte er diese Traurigkeit in seinem Gesicht gesehen. Da war ihm mit einem Mal klargeworden: Der Dorfclown, das war nur seine Maske, und dahinter verbarg sich ein ganz anderer Mensch. Aber wer? Hatte das mit der Geschichte zu tun? War er irgendwie darin verstrickt? Wusste er, dass es doch ganz anders war, und hatte Gründe, das für sich zu behalten? War er vielleicht gar der Mörder?
Nein, nein, soweit durfte er nicht spekulieren. Dennoch: Der Maler musste von dem Mord an Berit irgendwie persönlich betroffen sein. Aber wenn das so war, dann steckte in dem Bild womöglich eine geheime Botschaft an die Dorfbewohner.
Er war froh, als er seine Haustür erreichte. Er öffnete schnell. Der betörende Duft von Gänsebraten kam ihm entgegen und ließ ihn seine bangen Gedanken fürs Erste vergessen.
Tagebuch - 25.12.
Ich soll alles aufschreiben, was passiert, hat Oma gesagt, und auch alles, was schon passiert ist. Deswegen hat sie mir extra dieses Heft zu Weihnachten geschenkt.
Aber was soll das eigentlich helfen? Und wenn Vater das Heft in die Hände fällt, schlägt er mich tot. Ich muß es immer gut verstecken.
Wie hat alles eigentlich angefangen? Es hat gar nicht angefangen. Es war schon immer so. Und überhaupt kann ich mich schlecht erinnern. Irgendwann war ich lange krank, wohl schwer krank. Aber genau weiß ich das nicht mehr. Dann war ich plötzlich im Krankenhaus. Ich hatte mir den Arm gebrochen. Aber wie es passiert ist, weiß ich auch nicht mehr. Mein Freund, der Paul, hat mir erzählt, er weiß noch, was er zum dritten Geburtstag bekommen hat. Aber ich bin anders. Irgendetwas ist bei mir nicht in Ordnung. Vater ist nie zufrieden mit mir. Mein Bruder kann alles viel besser, obwohl er viel kleiner ist. Ich bin einfach schlecht. Deswegen verprügelt mich Vater immer wieder und meinen Bruder nie.
1 Waldesruh ist ein Ortsteil von Heiligkreuzsteinach gelegen im Steinachtal unterhalb der Straße Richtung Abtsteinach. In offiziellen Straßenkarten ist es nicht verzeichnet, da rein fiktiv.
2 Aus der Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauß
https://www.youtube.com/watch?v=ZFh07rBEmAU
3 Als Vorbild dient: St. Nazarius in Adelshofen