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Freitag, 2. Januar 2015 9

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Mit einem dumpfen Schlag fiel die schwere Eisentür hinter ihm ins Schloss.

Freiheit. Endlich. Nach zehn langen Jahren. Darüber hätte sich Wolfgang Maurischat eigentlich freuen müssen. Der Faule Pelz* war für ihn Vergangenheit. Jetzt konnte er wieder anfangen zu leben. Aber er fühlte nichts. Ihm kam alles öd und leer vor.

Über Nacht waren tiefhängende dunkle Wolken aufgezogen und hielten die Gipfel der Odenwaldberge verborgen. Sogar die Straßenbeleuchtung brannte noch, obwohl es schon lange nach neun war. In seinem viel zu dünnen knallroten Anorak fühlte er nur den eisig kalten Wind und sah ihm zu, wie er den feinen Schnee in sich ständig schlangengleich windenden Schlieren über den Boden fegte und kleine Wirbel in die Luft zog.

Mit schweren, schleppenden Schritten trat er auf die Kettengasse hinaus und sah sich um. Er suchte nach seinem Vater, aber der war nicht gekommen. Das enttäuschte ihn sehr, obwohl ihm ein Aufseher schon ausgerichtet hatte, seinem Vater ginge es so schlecht, dass er nicht Auto fahren könne. Aber sein Verlassenheitsgefühl war zu stark, um sachliche Gründe gelten lassen zu können.

Wolfgang Maurischat überlegte, ob er sofort zum Karlstorbahnhof* gehen sollte, um mit dem nächsten Bus nach Hause zu fahren. Das wäre wohl das Vernünftigste, denn sicher wartete der Vater sehnlichst auf ihn, und zudem war er für die Kälte viel zu dünn angezogen. Aber da war diese abgrundtiefe Angst vor den anderen Dorfbewohnern. Sie würden ihm mit Ablehnung, ja Hass begegnen, ihm, dem Mörder.

Also entschloss er sich, einen Bus zu nehmen, der ihn erst nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause bringen würde. Wenigstens in Ruhe ankommen wollte er, mit dem Vater sprechen und dann weitersehen.

Mit gesenktem Kopf wandte er sich Richtung Hauptstraße, ohne auf die Umgebung zu achten. In der Haftanstalt hatten sie ihm dringend geraten, aus Waldesruh wegzuziehen, irgendwo anders neu anzufangen, wo ihn niemand kannte. Eigentlich hatten sie recht. Aber er wusste auch, um ins Leben zurückzufinden, musste er beweisen, dass er Berit nicht getötet hatte, dass ihn damals jemand reingelegt haben musste. Und übermächtig trieb ihn der Hass auf die, die sein und Berits Leben zerstört hatten. Er musste herausfinden, wer das war, denn er wollte Rache.

Auf der Hauptstraße fiel es ihm schwer sich zu orientieren. Alles erschien ihm unbekannt, fremd, als würde er es zum ersten Mal sehen. Sicher, in zehn Jahren hatte sich viel verändert. Aber er empfand es eigentlich gar nicht als so anders. Er wusste einfach nicht mehr, wie es vorher ausgesehen hatte. Die jahrelange Eintönigkeit zwischen Zelle, Hofgang und Werkstatt erschien ihm im Rückblick wie eine Ewigkeit. Alles, was davor lag, war dunkel und unscharf. Wie sah ein grüner Baum aus? Wie roch der Frühling? Wie hörte sich das pulsierende Leben in einer Fußgängerzone an? Wie schmeckte eine Pizza? Wie fühlte sich die zarte Haut einer Frau an? Weg, alles weg. Nur Leere.

Er trottete in Richtung Bismarckplatz. Die Weihnachtsbeleuchtung sollte eine heimelige Atmosphäre schaffen, trotz der düsteren Witterung. Wolfgang erreichte das alles nicht. Er sah in das ein oder andere Schaufenster, ohne die Auslagen darin näher wahrzunehmen.

Es waren viele Menschen unterwegs. Zwischen ihnen fühlte er sich völlig allein. Er gehörte nicht dazu. Die lebten alle ihr Leben. Und er? Er war ausgestoßen. Immer wieder schaute er sich verstohlen um. Deutete da nicht jemand mit dem Finger auf ihn? „Seht, das ist der Wolfgang Maurischat, der hat seine Freundin ermordet.“

Verrückt ist das, dachte er da. Zehn Jahre lang hatte er nur kahle Wände und vergitterte Fenster gesehen, Metalltüren ins Schloss fallen hören. Und jetzt – endlich draußen – ertrug er die Welt und die anderen Menschen nicht.

Berit, dachte er plötzlich, und alles um ihn herum verschwand. Er versuchte, sich ihr Gesicht vorzustellen, ihr helles Lachen, ihre dunklen Augen. Er erschrak. Es ging nicht. Auch da war nichts mehr.

Hatte er sie am Ende doch getötet und diese Psychologen hatten recht? Immer wieder hatten sie versucht, ihm zu erklären, die eigene Tat hätte ihn so schockiert, dass sein Hirn dieses Geschehen aus seinem Gedächtnis getilgt hätte. Das sei ganz normal bei einer solchen Tat. Er müsse sich nur intensiv genug erinnern, dann würden die Bilder wiederkommen. Nur dürfe er sich nicht an die Vorstellung klammern, er sei wirklich unschuldig. Das würde die Erinnerung für immer blockieren.

Aber verdammt noch mal, sein Hirn hatte nichts gelöscht! Er wusste, dass er Berit nicht getötet hatte. Warum hätte er so etwas tun sollen? Er fühlte sich im siebten Himmel, seit er mit ihr zusammen war. Und dass sie mit ihm Schluss machen wollte, war noch größerer Unfug. Ausgerechnet mit diesem Lackaffen Waldemar sollte sie ein Verhältnis angefangen haben? Den konnte sie doch überhaupt nicht ausstehen. Das hatte Waldemar frei erfunden.

Aber keiner wollte ihm glauben. Immer und immer wieder hatten sie auf ihn eingeredet, er solle doch endlich gestehen, das würde auch ihn befreien. Nur so könne er seine Tat irgendwann verarbeiten. Und Berit würde wenigstens ein Grab bekommen.

Nach fünf Jahren hatten sie dann begonnen, ihm Hafterleichterungen in Aussicht zu stellen. Offenen Vollzug, ja sogar von vorzeitiger Entlassung war die Rede, wenn er nur endlich gestehen würde. Mehrfach war er so am Ende mit seinen Nerven, dass er ihnen den Gefallen tun wollte. Aber sie hätten dann ja wissen wollen, wo er die Leiche versteckt hat.

Er war wieder völlig in seinem seit Jahren immer gleichen Gedankenkarussell gefangen und merkte gar nicht, dass die Hauptstraße zu Ende war und er bereits am Bismarckplatz* stand.

Der Schnee fiel jetzt dichter, aber immer noch ganz fein. Auch der Wind hatte noch mal zugelegt. An Hindernissen bildeten sich Verwehungen. Er fror fürchterlich. Er brauchte dringend etwas Wärmeres zum Anziehen, und außerdem wartete sein Vater sicher voller Ungeduld. Vielleicht hatte der sogar Mittagessen gekocht. Also sollte er doch ganz schnell nach Hause fahren.

Es ging auch ein Bus vom Bismarckplatz nach Heiligkreuzsteinach*. Hektisch überquerte er die Sophienstraße, ohne auf die rote Ampel zu achten, und wäre fast in ein Auto gelaufen. Aber er musste dann zwölf Minuten auf die Linie 34 warten, wie er dem Fahrplan entnahm. Am Automaten zog er einen Fahrschein, wartete zitternd vor Kälte, trat von einem Fuß auf den anderen. Doch als der Bus kam, konnte er sich nicht von der Stelle rühren. Die Menschen drängten an ihm vorbei in den Bus, und als der abgefahren war, stand er allein an der Haltestelle. Die Angst vor Waldesruh war zu groß.

Er spürte die Kälte nicht mehr und setzte sich ins Wartehäuschen. Den Fahrschein hatte er weggeworfen. Irgendwie vermisste er den geregelten Gefängnisalltag. Da hatte er wenigstens nie darüber nachdenken müssen, was er tun sollte.

Was wollte er eigentlich noch? Wollte er überhaupt noch etwas? War es nicht völlig egal, wohin er jetzt ging? Oder ob er einfach sitzenblieb? Nichts mehr tun. Erfrieren tut nicht weh. Man schläft einfach nur ein.

Doch da spürte er seinen Hass. Der riss ihn aus dieser Lethargie. Er konnte doch nicht zulassen, dass die, die ihm sein Leben kaputtgemacht hatten, einfach in Ruhe weitermachen konnten, als ob nie etwas passiert wäre. Die mussten dafür büßen und er musste seine Unschuld unbedingt beweisen.

Er wollte also doch noch etwas.

Gerechtigkeit.

Und Rache.

Dafür lohnte es sich noch zu leben.

Langsam überquerte er wieder die Sophienstraße, setzte sich in der Darmstädter Hofpassage in ein Bistro und trank einen doppelten Espresso.

Dann suchte er einen öffentlichen Fernsprecher, um endlich seinen Vater anzurufen.

Der war ungehalten. Warum hatte er sich nicht schon viel früher gemeldet? Er hatte ihm extra sein Lieblingsessen gekocht. Irgendwie verstand er Wolfgang nicht. Er konnte sich doch eh nicht vor den Nachbarn verstecken.

Wolfgang merkte, dass seinem Vater das Sprechen schwerfiel. Er hatte in der Nacht wieder eine Herzattacke gehabt. Wie so oft schon. Der Arzt sagte, organisch sei da nichts. Einfach die Nerven.

Wolfgang versuchte, das Gespräch mit dem Vater so schnell wie möglich zu beenden. Er merkte, dass er jetzt keiner längeren Auseinandersetzung gewachsen war.

Langsam ging er dann wieder in die Hauptstraße hinein, Richtung Karlstor, und seine Gedanken sprangen einmal mehr in die ausgefahrenen Gleise. Berit konnte ihrem Mörder nicht zufällig begegnet sein. Der musste von Anfang an geplant haben, ihm die Sache in die Schuhe zu schieben, anders machte der Autodiebstahl keinen Sinn. Aber …

Schluss jetzt, unterbrach er sich. So kommst du nicht weiter. Du musst beweisen, dass diese Schittenhelms gelogen haben. Aber selbst wenn du das schaffst: Wer wird dir glauben in diesem Scheißkaff?

Der Vater hatte ihm erzählt, er habe mit einem Kriminalisten Kontakt aufgenommen, dem man vertrauen könne.

Wolfgang bezweifelte das. Die Polizei war doch einfach nur eine Scheißbande, die ihre Ruhe haben wollte. Möglichst nicht zu viel arbeiten. Oder auch Geld kassieren für angenehme Ermittlungsergebnisse. Die steckten damals doch alle unter einer Decke. Die wollten, dass er es war. Die hatten keine Lust, genauer zu ermitteln.

Hunderte Male hatte er das schon gedacht, sich immer im Kreis gedreht.

Bei der NORDSEE kaufte er ein Fischbrötchen, mehr aus Langeweile, als dass er wirklich Hunger oder gar Appetit verspürte. Etwas weiter hinten ging er zu Doctor Flotte*, um noch mal einen Kaffee zu trinken und sich wieder etwas aufzuwärmen. Vielleicht hatte die Kälte aber auch etwas Gutes. Wenn er jetzt eine Lungenentzündung bekäme, dachte er, bräuchte er wenigstens nicht auf die Straße raus und die Leute würden ihn nicht sehen.

Die Zeit verging elend langsam. Irgendwann zwang er sich doch, über seine Zukunft nachzudenken, um seinem Gedankenkarussell zu entkommen.

In der JVA hatte er eine Schreinerlehre gemacht. Eigentlich hatte er einmal Arzt werden wollen. Aber damit war es jetzt wohl auch vorbei. Wer würde ihm noch ein Studium finanzieren? Bafög – für einen vorbestraften Schwerverbrecher? Gab es das?

Sie hatten ihm ein paar Adressen gegeben von Schreinereien in der Nähe. Die würden auch ehemalige Strafgefangene nehmen. Vielleicht einfache Strafgefangene, aber sicher keinen Frauenmörder. Es war doch alles einfach aussichtslos. Er musste seine Unschuld beweisen. Sonst blieb ihm nur der Strick.

Er kam an die Heiliggeistkirche*. Sie war offen. Drinnen war es einigermaßen warm. Er setzte sich in die letzte Reihe und sah hinauf in das Deckengewölbe. Der Raum beruhigte ihn. Der Altar war hell erleuchtet, flankiert von zwei großen Weihnachtsbäumen. Ihm kamen Erinnerungen an die Zeit, als noch alles gut war. Als Kind war er gerne in die Kirche gegangen. Die hatten dort schöne Geschichten erzählt. Und er hörte gerne der Orgel zu, obwohl er bei den Chorälen nicht mitsingen konnte. Er sei unmusikalisch, hatte zumindest sein Musiklehrer gesagt. Aber es war schön, wenn alle zusammen sangen. Noch mehr gefiel ihm das Sprechen. Ihm kam das Vaterunser in den Sinn. Er faltete die Hände und begann: „Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt … Bullshit! Es gibt keinen Gott, und schon gar keinen Vater im Himmel. Und wenn doch, dann ist er schlimmer als alle Väter hier auf der Erde. Ein gewissenloser Zyniker und Sadist!“

Wenigstens hatte es aufgehört zu schneien, als er aus der Kirche trat. Es war jetzt kurz nach vier. Langsam ging er weiter zum Karlstor, vorbei am Kornmarkt* und am Karlsplatz*, wo immer noch viele Menschen unterwegs waren, die fasziniert nach oben zum schon rötlich angestrahlten Schloss sahen. Ihn interessierte das jetzt gar nicht.

Als er zum Karlstor kam, sah er einen Bus wegfahren. Es war ausgerechnet der nach Heiligkreuzsteinach. Er musste jetzt eine halbe Stunde in der Kälte stehen und auf den nächsten warten.

Im Bus gab es dann keinen Sitzplatz mehr. Die Fahrgäste standen dicht gedrängt. Die rochen anders, als er es aus der JVA gewohnt war, aber auch unangenehm. Warum konnte er nicht allein sein? Warum musste sein Vater ausgerechnet heute krank werden?

Er hörte verschiedene Gesprächsfetzen. Zwei Frauen tauschten sich über ihre Erlebnisse beim Einkaufen aus. Es sei so schwer, etwas Vernünftiges zum Anziehen zu finden, wenn man schon etwas älter sei und nicht mehr dem jugendlichen Schlankheitsideal entspreche.

Haben die Sorgen!

Irgendwo wurde über Politik gesprochen. Vom Krieg in der Ukraine. Diesen Putin müssten sie doch endlich in die Schranken weisen, diese unfähigen Politiker. Das würde aber Krieg bedeuten. Wenn schon. Den Kalten Krieg hätten die Russen schließlich auch verloren.

Wolfgang Maurischat hatte keine Ahnung, was in der letzten Zeit draußen vorgegangen war. Nach etwa drei Jahren JVA hatte er jedes Interesse an der Außenwelt verloren, keine Nachrichten mehr gesehen und keine Zeitung gelesen.

Aber Krieg, das machte ihn jetzt doch unruhig.

In Neckarsteinach* wurde endlich ein Sitzplatz frei. Er war froh, nicht mehr die anderen Menschen ansehen zu müssen.

Plötzlich hatte er Berits Gesicht vor Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, aus einem Alptraum zu erwachen. Er war dankbar für diesen Sekundenbruchteil.

Er roch Veilchenduft. Der kam von der jungen Frau, neben die er sich gesetzt hatte. Sie war so in Mantel, Schal und Mütze eingemummelt, dass man ihr Gesicht kaum sehen konnte.

Veilchen waren Berits Lieblingsblumen gewesen. Vor allem wegen ihres Dufts. Nie war sie außer Haus gegangen, ohne ihr Veilchenparfüm aufgetragen zu haben. Es hatte so gut zu ihr gepasst.

Berit.

Was war damals wirklich geschehen? Sie hatten nie ihre Leiche gefunden. War sie überhaupt tot? Vielleicht saß sie ja in ihrer Wohnung und wartete auf ihn.

Hör mit diesem Unfug auf! Red dir keine Hoffnung ein! Berit ist tot. Irgendein Schwein hat sie umgebracht. Und du hast für den im Knast gesessen. Die Welt ist nun mal ungerecht. Dumm gelaufen.

Wenn ich den finde, erwürge ich ihn mit diesen meinen eigenen Händen. Danach sollen sie mir ruhig lebenslänglich geben. Das ist mir dann scheißegal.

In Heiligkreuzsteinach stieg er aus. Waldesruh hatte keine eigene Bushaltestelle. Das war noch genauso wie früher.

Etwa einen Kilometer musste er zu Fuß weitergehen. Es war hier oben noch sehr viel kälter als unten in Heidelberg. Er hatte kein Gefühl mehr in den Füßen, kam mehrmals ins Rutschen und wäre einmal fast gestürzt. Schließlich erreichte er das Dorf. Es gab hier insgesamt nur vier Straßenlaternen. Entsprechend dunkel war es. Nur in wenigen Häusern brannte Licht. Hinten am Berghang konnte er die palastartige Villa Schittenhelm sehen. Hier residierte Ansgar Schittenhelm, der ungekrönte König von Waldesruh.

Ihr Haus stand am Waldrand, gleich hinter dem Ortsschild, dort, wo der Hang steil wurde. Wolfgang klingelte. Es dauerte lange, bis der Vater ihm öffnete.

„Da bist du ja endlich“, begrüßte er seinen Sohn traurig, aber doch mit einer Spur von Erleichterung. Eine Weile sahen sie einander an. Dann umarmten sie sich. Der Vater weinte. Wolfgang konnte nicht mehr weinen, schon lange nicht mehr.

„Ich habe dir etwas zu essen gemacht, Frikadellen mit Bratkartoffeln. Das mochtest du doch früher so gerne.“

So? Auch das hatte er vergessen.

„Ich muss es nur noch mal aufwärmen. Ich hatte ja früher mit dir gerechnet.“

Wolfgang hörte einen vorwurfsvollen Unterton, der ihm weh tat. Er warf seine Reisetasche auf den Boden, den Anorak hinterher und setzte sich an den Kachelofen. Die Wärme tat ihm gut.

Der Vater brachte das Essen und sie setzten sich an den Tisch. Nach den ersten Bissen klingelte es an der Tür.

„Erwartest du jemanden?“, fragte Wolfgang unruhig.

Der Alte schüttelte nur den Kopf, stand auf, was ihm schwerfiel, und ging zur Tür. Er ahnte, was jetzt kommen würde.

Draußen war niemand. Er wollte die Tür schon wieder schließen, da sah er, angelehnt an die Hauswand, das flache Paket. Er hob es auf. „Für Wolfgang“ stand darauf.

„Es geht schon los“, sagte der Vater resignierend.

„Was geht los?“

„Unsere lieben Mitbürger. Sieh her. Das ist für dich abgegeben worden. Natürlich anonym.“

Er reichte seinem Sohn das Paket. Der riss es mit zitternden Händen auf. Beide erschraken, als sie das Gemälde sahen. Wolfgang schien nicht zu verstehen, um was es ging. Der Vater erkannte als Erster, wen das Bild darstellen sollte. „Da war noch ein Zettel drin“, sagte er und deutete auf ein Blatt Papier, das auf den Boden gefallen war.

Wolfgang hob es auf. Es war ein Brief. Er las:

Hallo Wolfgang,

wir haben dich nicht vergessen.

Zur Begrüßung ein Geschenk.

Das soll dich an die Vergangenheit erinnern!

Schade, dass man Leute wie dich nicht mehr aufhängt. Dann hätten wir jetzt Ruhe.

Kommst du zurück, um jetzt auch unsere Kinder umzubringen?

Wenn du nicht freiwillig verschwindest, werden wir dafür sorgen, dass du gehst. Du wirst hier keine ruhige Minute haben, das versprechen wir dir.

Wir werden nicht mit einem Mörder zusammenleben.

Die Bürger von Waldesruh

Fast alle hatten unterschrieben.

Wolfgang wurde schwarz vor Augen.

Tagebuch - 21.1.

Vater ist noch einmal aus dem Haus gegangen. Er will Kollegen treffen, um mit ihnen zu trinken. Danach wird es sicher wieder besonders schlimm.

Als Vater nach Hause kam, hat er sofort gesehen, daß die Vase nicht mehr da war. Mama wollte mich nicht verraten und hat gesagt, sie hat sie runtergeworfen, als sie Staub gewischt hat. Aber Vater hat sie ganz laut angeschrien: Er glaubt ihr das nicht. Sicher hab ich die Vase runtergeworfen. Sie will mich nur schützen. Er hat sie gepackt und sie immer wieder ins Gesicht geschlagen. Ich habe das nicht mehr ausgehalten und wollte weglaufen. Aber Vater hat mir den Weg versperrt. Ich kann jetzt nicht mehr weiterschreiben. Die Augen fallen mir zu.

Waldesruh

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