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I.Rechtsquellen

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6Der Staat, in dem wir leben, heißt „Bundesrepublik Deutschland“. Damit trägt er zwei Staatsziele im Namen: zum einen, dass es sich um eine Republik handelt, das Staatsoberhaupt also anders als in der Erbmonarchie auf Zeit gewählt wird. Und zum anderen, was uns im Zusammenhang mit den Rechtsquellen interessiert, dass es sich um einen Bundesstaat handelt. Das Besondere daran ist, dass innerhalb des Staates weitere Staaten bestehen, die wir in Deutschland auch als Bundesländer bezeichnen. Man könnte von 17 deutschen Staaten sprechen: dem Bund und 16 Bundesländern. Sowohl Bund als auch Länder verfügen über alle drei Staatsgewalten: Legislative (gesetzgebende Gewalt), Exekutive (ausführende Gewalt) und Judikative (rechtsprechende Gewalt). Und sowohl der Bund als auch die Länder haben jeweils eigene Gesetze und sonstige Rechtsvorschriften.

7Wenn wir uns also einen Überblick über die Rechtsquellen verschaffen wollen, müssen wir erst einmal zwischen dem Recht des Bundes und dem Recht der Länder unterscheiden.

8Dabei gilt im Allgemeinen, dass Bundesrecht Vorrang gegenüber Landesrecht hat, oder, wie es das Grundgesetz in Art. 31 formuliert, Landesrecht „bricht“.2

Beispiel:

In der hessischen Landesverfassung war bis 2018 die Todesstrafe vorgesehen. Allerdings konnte sie seit Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949 nicht zur Anwendung kommen. Denn bei dem Grundgesetz handelt es sich um ein Bundesgesetz, das in Art. 102 die Todesstrafe für abgeschafft erklärt hat.

9Das gilt selbst für einfache Bundesgesetze oder für von Bundesministerien erlassene Rechtsverordnungen: Auch diese haben grundsätzlich Vorrang vor allen Regelungen auf Länderebene.

10Damit hätten wir zugleich klargestellt, dass es in Bund und Ländern jeweils Recht unterschiedlicher Ordnung gibt, man könnte sagen: wichtigeres und unwichtigeres Bundes- bzw. Landesrecht, in jedem Fall aber Recht, das gegenüber anderen Normen einen Anwendungsvorrang hat.

11So können wir als unmittelbar vom Bund und den Ländern gesetztes Recht unterscheiden zwischen Verfassungsrecht, sonstigen Gesetzen und Rechtsverordnungen.

12Das Verfassungsrecht steht unabhängig von der Bezeichnung der Verfassung als Grundgesetz, Verfassung oder Staatsgrundgesetz an erster Stelle, geht also den übrigen Gesetzen und den Rechtsverordnungen vor.

13An zweiter Stelle stehen die sog. einfachen Gesetze, die durch das Parlament, also auf Bundesebene den Bundestag, auf Landesebene den Landtag beschlossen werden. Einfache Bundesgesetze sind im Bereich des Zivilrechts z. B. das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). Sie haben sich am Verfassungsrecht messen zu lassen, gehen aber Rechtsverordnungen vor.

14Solche Rechtsverordnungen werden nämlich nicht durch das Parlament beschlossen, sondern aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung durch Ministerien erlassen. Ein Beispiel auf Bundesebene ist die Straßenverkehrsordnung (StVO). Diese betrifft jedoch nicht das Familienrecht.

15Wenn wir betonen, dass Verfassungsrecht, einfache Gesetze und Rechtsverordnungen unmittelbares Bundes- bzw. Landesrecht sind, dann deshalb, weil diese Normen von Organen des Bundes oder Landes erlassen werden.

16Demgegenüber wird mittelbares Bundes- oder Landesrecht durch Dritte erlassen. Dafür bedarf es einer gesetzlichen Ermächtigung.

17Solch mittelbares Bundesrecht ist im Wesentlichen das Recht der Europäischen Union (EU). Grundlage dafür ist Art. 23 GG. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ergibt sich hieraus zugleich ein Anwendungsvorrang gegenüber dem übrigen Bundesrecht, solange die wesentlichen Wertentscheidungen des Grundgesetzes gewahrt bleiben. Das Europarecht steht damit in unserer Rechtsordnung ganz oben.

18Dabei unterscheiden wir das sog. primäre vom sekundären Unionsrecht. Primäres Unionsrecht sind die zwischen den Mitgliedsstaaten der EU geschlossenen Verträge, zu denen Gleichbehandlungsgebote bzw. Diskriminierungsverbote zählen. Sekundäres Unionsrecht sind dagegen Verordnungen und Richtlinien, wobei die Verordnungen bereits eine unmittelbare Geltung haben, während Richtlinien grundsätzlich erst durch den nationalen Gesetzgeber umgesetzt werden müssen.

19Demgegenüber handelt es sich bei mittelbarem Landesrecht um das Recht von Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts. Diese haben eine Satzungsgewalt, können also eigenes Recht setzen. Am wichtigsten sind insoweit die Kommunen, also Gemeinden und Landkreise, die nach Art. 28 Abs. 2 GG grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung regeln dürfen. Das mittelbare Landesrecht, also z. B. kommunale Satzungen, ist gegenüber dem sonstigen Landesrecht nachrangig.

20Zuletzt können sich Rechtsnormen aus sog. Gewohnheitsrecht ergeben. Die Entstehung von Gewohnheitsrecht erfordert eine lange andauernde, ständige, gleichmäßige und allgemeine tatsächliche Übung sowie die Überzeugung der beteiligten Verkehrskreise, mit der Einhaltung der Übung geltendes Recht zu befolgen.3 Nicht ausreichend ist demgegenüber eine ständige Rechtsprechung. Weiterhin sind z. B. die Düsseldorfer Tabelle oder die sog. Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate der jeweiligen Oberlandesgerichte keine Rechtsnormen, wenngleich sie in der Praxis eine hohe Bedeutung haben.

Familienrecht und Einführung in das Zivilrecht

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