Читать книгу Leichenstarre - Claudia Puhlfürst - Страница 10

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»Überwachungskameras. Tolle Idee, Norbert.«

Der Angesprochene antwortete nicht. Halb abgewandt nestelte er an seiner Aktentasche herum und beförderte eine zerdrückte Schachtel Zigaretten ans Tageslicht.

»Ich rede mit dir!« Doreen spürte, wie der Ärger in ihr wuchs. Bis jetzt hatte sie versucht, ihren Zorn zu zügeln. Vielleicht gab es ja eine Erklärung. An Norberts hochgezogenen Schultern konnte sie sehen, dass er keine parat hatte. Als er sich umdrehte, sah Doreen sein respektloses Grinsen. Der Ärger in ihr begann zu blubbern wie ein kochender Schlammvulkan.

»Ruuuhig, Brauner.« Norbert streckte den linken Arm aus, legte ihn auf ihre Schulter und ließ die Handfläche dann langsam den Oberarm hinunter gleiten. »Ruhig. Ich erkläre es dir sofort. Gehen wir zum Auto.« Seine Hand schloss sich um ihren Ellenbogen.

Der Vulkan brodelte noch immer. Ein falscher Zungenschlag und eine Fontäne siedenden Magmas würde in die Luft geschleudert werden. Doreen beschloss, seine Erklärung abzuwarten, holte mehrmals tief Luft und ließ sich von ihm in Richtung Auto ziehen.

»Wir kommen nicht mehr ohne moderne Technik aus, Doreen.« Seine hellblauen Augen hatten ihren unwiderstehlichen Hundeblick angenommen. »Wenn wir mit Konkurrenten mithalten wollen, müssen wir aufrüsten. Sonst verlieren wir den Kampf um Kunden. Ich habe mich schon informiert.«

Aufrüsten? Kampf? Martialische Worte für einen Detektiv. Doreen war verwundert. War das hier ein Krieg? »Wo hast du dich informiert?«

»Im Internet.« Norbert entspannte seine Schultern. »Ich zeige es dir. Wenn wir wieder im Büro sind. Es ist gar nicht so teuer, wie du denkst. Und wir müssen auch nicht alles auf einmal bestellen.« In seiner Erleichterung darüber, dass sie, ohne ihm ins Wort zu fallen, zuhörte, sprudelte er die Sätze schnell hervor. »Ich dachte nur«, er plinkerte bettelnd mit den Augen »bei diesem Ladendiebstahl ließen sich die Überwachungskameras gut testen.«

»Und du konntest mir deine Gedanken nicht vorher mitteilen.«

»Ehrlich gesagt, habe ich es vergessen, Doreen. Tut mir Leid.« Sie schien besänftigt. Er ließ seine Hand auf ihrem Oberschenkel landen und wartete darauf, dass sie weggeschoben wurde. Die Hand durfte bleiben. Das Gewitter war weiter gezogen. Bis zum nächsten Mal.

»Dann fahren wir jetzt mal ins Büro.« Doreen hatte die ganze Zeit stur nach vorn geschaut. Ein Blick in die ergebenen Murmelaugen ihres Kollegen und sie hätte losgeprustet. Und sie wollte doch seine kunstvollen Entschuldigungen nicht unterbrechen. Womöglich hätte er ihren Zorn dann beim nächsten Mal nicht mehr ernst genommen. »Damit du mir alles zeigen kannst. Im Internet.« Mal sehen, was er da wieder ausgeheckt hatte. Dieses Internet war eine seltsame Angelegenheit. Doreen hatte sich noch nicht so richtig damit anfreunden können. Norbert schien ihre letzten Sätze gar nicht gehört zu haben. Er träumte. Die Wärme seiner Handfläche brannte sich durch das Leinen ihres Rockes.

»Dann fahren wir jetzt mal ins Büro, sagte ich, Herr Super-detektiv.« Sie legte ihre Hand auf seine, hob diese hoch und führte sie in Richtung Zündschloss. Norbert klappte die Lider zweimal auf und zu, schüttelte sich kurz und drehte den Zündschlüssel. »Genau. Fahren wir ins Büro.«

Die graue Plastikkiste piepste und summte. Lämpchen blinkerten grün. Doreen fand den Computer samt Zubehör scheußlich. Es musste doch möglich sein, auch funktionale Gegenstände nett zu gestalten. Während auf dem Monitor die Symbole der Programme erschienen, wühlte Norbert murmelnd in seinem Schreibtischkasten. Seine Hand kam mit zwei Flyern von Pizzadiensten wieder zum Vorschein. Er legte die bunt bedruckten Papierbögen vor sich auf die Tischplatte und fuhr mit dem Zeigefinger die Spalten entlang.

Amüsiert beobachtete Doreen seine Zunge, die unabhängig vom Willen aus dem Mund hervorlugte, um dann genießerisch über die Oberlippe zu fahren.

»Pizza ›Popeye‹. Mit Spinat. Igittigitt. Was es alles gibt.« Er schüttelte den Kopf und las weiter. Vitamine waren ihm ein Gräuel. Nichts Grünes, nichts Rohes. Norberts Essgewohnheiten waren unerschütterlich einzementiert. Er war ein Mann und Männer aßen Fleisch. Manchmal noch Kartoffeln oder Nudeln. Aber immer mit Fleisch. Basta.

»Nimm bitte keinen Knoblauch. Wir müssen heute Nachmittag noch unter die Leute.« Doreen lächelte. »Und ich möchte einen Insalata mista. Ohne Thunfisch.«

»Ich esse Lasagne.«

Er wählte mit dem linken Daumen, klemmte sich dann den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter und redete während seine Rechte eifrig die Mouse bediente, um sich ins Internet einzuloggen. »Augenblick noch. Gleich habe ich es.«

Doreen zog ihren Stuhl neben seinen und betrachtete das bunte Geflimmer auf dem Bildschirm. Der Pfeil verwandelte sich in eine Hand und Norbert klickte mit dem Zeigefinger auf die linke Taste. »Das ist ein Internet-Geschäft für Detektive. Es heißt ›007-Shop‹. Schau hier.« Er ließ den Mousezeiger über das Menü gleiten. »Wir müssen natürlich eine verdeckte Kamera nehmen. Und zwar eine, die wir später auch an anderen Orten einsetzen können. Sieh mal, was es da alles gibt. Wetterstation mit eingebauter Kamera. Hübsch. Aber nicht geeignet für ein Geschäft. So was steht eher irgendwo zu Hause rum. Kamera im Rauchmelder. Würde schon eher passen. Sehen wir mal weiter.«

Norberts Stimme klang enthusiastisch. Er kam Doreen wie ein kleiner Junge vor, der sich über seine neue Eisenbahn freut. »Schraubenkopf-Kamera. Unglaublich! Das Objektiv verbirgt sich in einer Kreuzschlitzschraube... Kugelschreiber-Kamera mit Mikrofon, Handtaschenkamera, Taschenrechner-Kamera. Sehr hübsch, aber eher was zum Mitnehmen. Das nützt uns nichts. Ich finde den Schraubenkopf am besten. Das passt überall.«

»Und die Preise?«

»Findest du hier.« Wieder klickte die linke Taste. Eine Preisliste kam zum Vorschein.

Null-null-sieben-Shop. Allerliebst. Norbert war James Bond und sie? Moneypenny? Oder eher so ein leichtbekleidetes Bikini-Girl? Doreen hatte eine düstere Ahnung, als was Norbert sie lieber sähe, verkniff sich jedoch eine Bemerkung dazu. Sie betrachtete die Abbildungen und fragte sich, woher sie das Geld dafür nehmen würden. Sicher, es waren noch Reserven auf dem Geschäftskonto. Diese aber waren eigentlich für Zeiten ohne Aufträge gedacht. Was, wenn sie jetzt alles ausgaben und in den nächsten Wochen keine neuen Klienten bekamen? »Wie viel willst du eigentlich investieren?« Sie schaute nach links. Norberts Gesicht war undurchdringlich. Doreen war sich sicher, dass er alles bis ins Kleinste durchgeplant hatte, und nun einen Weg suchte, es ihr ›schonend‹ beizubringen.

»Ich habe noch nichts festgelegt. Zuerst wollte ich mit dir darüber reden.«

»Dann mal raus mit der Sprache.« Er war und blieb ein Spitzbube. Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

»Eine Überwachungskamera reicht erst einmal, dachte ich. Mit Zubehör natürlich. Wir testen sie in der Boutique. Entspricht das Teil nicht unseren Vorstellungen, schicken wir sie zurück.« Der große Manipulator deutete mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm. »Ich dachte an diese hier.«

›Unsere Vorstellungen‹ Er meinte wohl seine Vorstellungen. Doreen betrachtete das abgebildete Gerät. Letztendlich war ihre Meinung egal. Sie hatte keinen blassen Schimmer von der Technik und vertraute in diesen Angelegenheiten blind auf das Urteil ihres Kollegen. »Also gut. Von mir aus. Bestell das Ding.«

Norbert ließ seine Schultern nach unten sacken und wandte sich zu ihr. Sein Gesicht glänzte wie das eines Kindes zu Weihnachten. Bescherung! »Danke für deine Geduld, Doro.« Seine rechte Hand tätschelte kurz ihr Bein und kehrte dann sofort zur Mouse zurück, um auf den »Bestell-Button« zu klicken. Wenn sie Glück hatten, war die Kamera übermorgen schon da. Und auch Doreen würde das Auswerten der Videobänder spannend finden. Da war er sich sicher. Und wenn sie einmal Blut geleckt hatte, konnte man weitersehen. Es gab noch viele nützliche Teile für zwei aufstrebende Detektive. Nach und nach konnte man dies und das erwähnen, ihr Interesse daran wecken und Stück für Stück erwerben.

Norbert sah sich, umgeben von High-Tech in einem klimatisierten Kleintransporter mit verspiegelten Scheiben sitzen. Monitore, Abhöranlagen, blinkende Lämpchen, flimmernde Bilder. Er trug Kopfhörer und lauschte dem Geschehen konzentriert. Draußen war der glutheiße Sommer (es konnte auch der bitterkalte Winter sein) und drinnen herrschten angenehme Temperaturen. Man konnte essen und trinken wann man wollte. Man konnte lesen oder Radio hören. Die Geräte informierten einen, sobald sich etwas tat. Die Zeit verging wie im Fluge. Auftraggeber gaben sich die Klinke in die Hand, um die rührigen Detektive mit den modernen Arbeitsmethoden zu engagieren.

Norbert lächelte versunken. Es war ein wunderbares Bild.

Laut schrillte die Türklingel. Der fabelhafte Kleintransporter mit dem glücklichen Detektiv darin verblasste und verschwand im Nichts.

Doreen drückte auf den Türöffner und ließ den Pizzaboten ins Haus. »Ich geh runter.« Sie griff nach ihrem Portemonnaie und war schon aus der Tür, noch ehe er ihr antworten konnte.

Mit zwei Pappkartons in der Hand kehrte sie zurück. Norbert hatte die Papiere auf den Schreibtischen beiseite geräumt und Servietten und Besteck bereitgelegt. Der ganze Raum begann nach heißem Olivenöl, Kräutern und zerlaufenem Käse zu duften.

»Wollen wir ein Glas Wein dazu trinken?«

»Wein? Zu Mittag? An einem stinknormalen Montag?« Doreen war entgeistert.

»Wir haben noch den Rotwein.« Norbert zeigte in Richtung Regal. »Nicht, dass er noch schlecht wird, wenn er so lange da steht.«

»Wein kann bei richtiger Lagerung Jahrzehnte überdauern. Und er wird nicht schlechter dabei.«

»Guter Wein, hast du vergessen, zu sagen.« Norbert war schon auf dem Weg, sein Taschenmesser mit dem Korkenzieher in der Rechten. »Komm schon. Gib deinem Herzen einen Stoß. Sei einmal in deinem Leben ein bisschen unvernünftig.«

Einmal im Leben? Doreen wollte lieber nicht darüber nachdenken, wie oft sie schon unvernünftig gewesen war. »Na gut. Aber nur ein Glas, Norbert. Den Rest heben wir auf.«

»Aber gewiss doch.« Er griff zwei Wassergläser aus dem Fach und nahm sich vor, von zu Hause Weingläser mitzubringen. Es trank sich einfach gepflegter aus passenden Gläsern.

Norbert goss ein, setzte sich an seinen Schreibtisch, nahm einen Schluck und rollte ihn im Mund hin und her. Es schmeckte leicht nach Beeren.

Er war mit dem Leben zufrieden. Ein großartiger Montag. Auch ohne High-Tech-Transporter mit Videoüberwachung. In einer Stunde würde er mit seiner Lieblingskollegin zum Hauptmarkt aufbrechen und diese freche Ladendiebin schnappen. Wenn nicht heute, dann morgen oder übermorgen. Und am Abend würden sie gemeinsam noch eine Kleinigkeit essen gehen. Essen. Gute Idee. Er sah auf seine Lasagne herab und griff nach der Gabel.

Leichenstarre

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