Читать книгу Leichenstarre - Claudia Puhlfürst - Страница 8

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Doreen betrachtete die Liste der gestohlenen Gegenstände. Die Besitzerin der Boutique hatte fein säuberlich jedes gestohlene Stück; Größe, Farbe, Hersteller und Preis erfasst. Manche Markennamen sagten ihr etwas, von anderen hatte sie noch nie etwas gehört.

Ein langer blauer Rock mit Godet-Falten von Mango in Größe 44.

Ein rosa Rüschentop von Kookai, Größe 42.

Ein weißer Retro-Mantel von Benetton.

Zwei Tanktops von Max & Co. Eins in blaugrün, eins in gelb (Welche Frau trug eigentlich freiwillig gelbe Tops?).

Noch ein Shirt von Kookai, in hellblau, auch Größe 42.

Zwei Paar Schuhe, Größe 40, beide von Betty Barclay.

Eine dunkelblaue Hose mit feinen hellblauen Nadelstreifen von Strenesse, das teuerste Teil; wie der Rock in Größe 44.

Doreen blickte auf und sah gerade noch den hungrigen Blick in Norberts Augen, bevor er wie ein ertappter Sünder die Augen niederschlug. Eine feine Röte stieg von seinem Hals nach oben. Sie schaute schnell wieder auf das Blatt mit den gestohlenen Sachen und beschloss, seinen verliebten Gesichtsausdruck sofort zu vergessen.

Zu den Kleidungsstücken kamen 2 Paar silberne Ohrringe, ein BH mit Strasssteinchen von La Perla und mehrere Stringtangas in schwarz, dunkelrot und aubergine. Die Preise hinter den Artikeln sprachen für sich.

Der Ladendieb musste eine Frau sein. Doreen konnte sich nicht vorstellen, dass ein Mann all diese Sachen entwendet hatte. Es sei denn, er wäre schwul. Das wiederum wäre den Angestellten sicher aufgefallen. Ein Mann stahl vielleicht für seine Freundin ein Dessousteil, aber bestimmt nicht über Wochen hinweg immer wieder neue Sachen. Das machten richtige Männer nicht. Und es waren sehr unterschiedliche Marken. Manches hätte einer professionellen Stripperin alle Ehre gemacht, anderes passte eher zu einer Geschäftsfrau. Vielleicht ›litt‹ die Diebin auch an Kleptomanie. Die Betroffenen stahlen angeblich alles, was ihnen unter die Finger kam, egal, ob sie es gebrauchen konnten, oder nicht.

Doreen schob die Liste beiseite und wagte einen zweiten Blick zu Norbert. Wie ein braver Schüler saß er ihr gegenüber an dem Bürotisch und hatte sein ›Ich-denke-angestrengt-nach-Gesicht‹ aufgesetzt.

Geduldig wartete er auf ihr Urteil. Sie war die Frau. Sie konnte sich in andere Frauen hineinversetzen. Sie wusste, was gerade en vogue war und kannte die Labels. Und – sie konnte sich vorstellen, wie die Ladendiebin vielleicht aussehen würde.

»Erstens sind es ziemlich unterschiedliche Sachen. Zweitens haben wir da verschiedene Konfektionsgrößen.« Doreen spürte, wie ein kleines Grinsen sich in ihren Mundwinkeln breit machte. Jetzt fing sie auch schon an, Aufzählungen anzuwenden. Das war ansteckend.

»Wenn die Diebin – und ich bin mir sicher, dass es eine Frau ist – das alles selbst tragen will, dann kann ich dir sagen, wie sie wahrscheinlich aussieht.«

Die Inhaberin, Frau Nürtig kam ins Büro, marschierte zur Kaffeemaschine, griff die Thermoskanne und setzte sich zu den beiden Detektiven an den Tisch.

»Haben Sie von den Betty-Barclay-Schuhen noch welche im Geschäft?« Doreen zeigte auf die Liste.

»Könnte sein. Ich lasse gleich mal nachsehen.« Die Geschäftsfrau drehte sich zur Seite und rief in Richtung Tür nach einer ihrer Angestellten. Dann goss sie Kaffee in die vor ihnen stehenden Tassen ein und bot Sahne und Zucker an.

»Gut. Dann werde ich Ihnen jetzt mein Bild der Diebin schildern.« Doreen trank einen Schluck. Der Kaffee war bitter. »Dann können Sie mir sagen, ob das mit Ihrer Vorstellung übereinstimmt.« Frau Nürtig und Norbert nickten synchron und sie legte nach einem kurzen Blick auf die Liste los.

»Ich sagte ja eben schon«, Doreen schaute für einen Moment zu Norbert, »dass es sich höchstwahrscheinlich um eine Frau handelt und sie die Sachen für sich selbst stiehlt.« »Davon gehen wir auch aus. Wir führen auch Kleidung für Herren, aber unsere Hauptkunden sind Frauen, die etwas Besonderes bevorzugen. Aber ich will Sie nicht unterbrechen.«

Etwas Besonderes, aha. Norbert verkniff sich ein Grienen. Die Inhaberin machte gleich ein bisschen Werbung für ihr Geschäft.

»Eine Frau mit einer weiblichen Figur. Bei den Oberteilen nimmt sie Größe 42, bei Hosen und Röcken 44. Und sie scheint ein Faible für Blau zu haben.« Doreen tippte auf die vor ihr liegende Liste. »Blauer Rock, blaue Hose, hellblaues Shirt, blaugrünes Tanktop. Bei dieser Farbauswahl schätze ich, dass sie keine Blondine ist. Eher brünett bis schwarz.« Sie hielt kurz inne und goss noch etwas Kaffeesahne in ihre Tasse. Vielleicht überdeckte das den unangenehmen Geschmack etwas.

Norberts Appetit auf eine Zigarette wurde stärker, aber in diesem Büro war striktes Rauchverbot. Er war fasziniert von Doreens Analyse. Nie im Leben wäre es ihm gelungen, aus ein paar Klamotten so viele Eigenschaften herzuleiten. Frauen! Er stützte den Kopf in die rechte Hand und hörte weiter gebannt zu.

»Sie ist garantiert kein Teenager mehr. Eher Ende zwanzig, ich tendiere mehr zu über dreißig.«

»Genau unsere Zielgruppe.« Frau Nürtig entblößte ebenmäßige, gebleichte Zähne.

»Woher weißt du das? « Norbert hatte sich aufgerichtet und löste die Wange aus der Handfläche.

»Nun, schau mal.« Doreen deutete auf den unteren Teil der Liste. »Eine dunkle Hose mit Nadelstreifen. Das ist bestimmt kein ›Objekt der Begierde‹ für ein junges Mädchen. Nicht ›hipp‹ genug. Eine Business-Frau allerdings würde so etwas tragen. Daher gehe ich auch davon aus, dass sie in irgendeinem Büro arbeitet. Eine höhere Angestellte vielleicht.«

Frau Nürtig nickte und hörte weiter aufmerksam zu. Genau ihre Zielgruppe.

»Shirts und Tanktops trägt sie in ihrer Freizeit. Die Frau bevorzugt den lässigen Stil. Sportlich leger.« Doreen sah hoch und grinste Norbert an. »Und sie hat ein Faible für heiße Höschen.« Sie wusste, dass er schon die ganze Zeit daraufgewartet hatte, was sie zu den String-Tangas und dem Strass-BH sagen würde. »Das gibt ihr den besonderen Kick. Es könnte natürlich auch sein, dass sie einen Liebhaber hat, der aufregende Unterwäsche zu schätzen weiß. Bloß nützt uns das nicht viel dabei, sie zu identifizieren.«

Es klopfte leise und die Bürotür wurde vorsichtig geöffnet. Eine Angestellte brachte zwei Paar Schuhe herein und stellte sie auf den Tisch.

»Ach ja, und die Schuhe.« Doreen musterte die unterschiedlichen Exemplare. Ein Paar Sandalen, ein Paar Halbschuhe. Die Absätze nicht zu hoch, sodass man den ganzen Tag bequem darin laufen konnte. Businesslike eben. Man sah ihnen den hohen Preis nicht an.

Sie fuhr mit der Hand über das schmiegsame Leder. Vielleicht waren sie ihr Geld doch wert. »Ich schätze, bei Schuhgröße 40 ist sie mindestens 1,70 groß. Tja. Das war’s.« Doreen faltete die Hände und legte sie auf die Tischplatte. »Über Augenfarbe, Haarlänge und sonstige Merkmale kann ich logischerweise nichts sagen. Und nicht vergessen –« sie sah in die Runde » – wenn die Diebin eine gewohnheitsmäßige Kleptomanin ist, könnte sie auch ganz anders aussehen. Sie entwendet dann irgendetwas, bloß weil sie stehlen möchte.«

»Das war toll.« Norbert strahlte stolz. Seine Kollegin war genial. »Nun haben wir schon einige Anhaltspunkte, nach wem wir Ausschau halten müssen.« Er konnte es sich nicht verkneifen, Doreens Oberarm liebevoll zu tätscheln. »Und jetzt werden wir besprechen, wie wir der Dame auf die Schliche kommen wollen.«

Sie verglichen noch einmal die Tage, an denen Diebstähle entdeckt worden waren. Das Problem bei der Sache war, dass die Angestellten es nicht immer sofort bemerkt hatten, wenn etwas fehlte.

»Was die Wochentage angeht, ist es schwierig, ein Muster zu erkennen.« Norbert hatte seine Notizen vor sich und verglich die Zeiten. »Es sieht so aus, als bevorzuge die Diebin den Nachmittag.«

»Vielleicht kann sie vormittags ihren Arbeitsplatz nicht verlassen.« Die Boutiquebesitzerin wollte auch etwas Scharfsinniges beisteuern.

»Das haben Sie gut erkannt.« Doreen nickte der Frau wohlwollend zu und registrierte ihr erfreutes Lächeln. Es war so einfach. Sollte sie ruhig das Gefühl haben, sich an den Ermittlungen zu beteiligen. Sie war eine Kundin und musste ein wenig hofiert werden. »Deshalb werden wir unsere Hauptermittlungen auch auf den Nachmittag konzentrieren.« Norbert lächelte ebenfalls. Er kannte das Spiel und freute sich über Doreens Diplomatie. »Die Diebin hat in jeder Woche mindestens ein Teil gestohlen, manchmal war sie sogar an zwei Tagen da. Deshalb gehen wir davon aus, dass sie es auch diese Woche wieder versuchen wird. Wir haben folgendes geplant. Bis zum Freitag werden wir nachmittags entweder im Geschäft, hier im Büro oder in der Nähe des Ladens sein. Damit es nicht zu sehr auffällt, werden meine Kollegin und ich auch ein paar Kleinigkeiten kaufen.« Sein Blick schweifte zu Doreen, ehe er weitersprach. Sie lächelte selig. Kaufen!

»Das geschieht natürlich nur zur Tarnung und wir geben es Ihnen später zurück.« Doreens entrücktes Lächeln löste sich in Luft auf. Norbert verkniff sich ein Grinsen.

»Ich hoffe, dass wir bis dahin etwas erreicht haben. Es wäre nützlich, wenn Sie eine zuverlässige Kollegin einweihen könnten, die uns behilflich ist.

Frau Nürtig schaute kurz zur Decke und dann zu dem Detektiv ihr gegenüber. »Was soll sie machen?«

»Die Kunden beobachten. Auf unsere Zeichen reagieren. Das besprechen wir noch genauer.«

»Gut. Wir nehmen Frau Tetrinski. Sie kommt erst mittags. Ist das in Ordnung?«

»Aber sicher.« Norbert schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln und sah auf seine Armbanduhr. Kurz vor zehn. »Heute werden wir um vierzehn Uhr mit der Beobachtung beginnen. Organisieren Sie bitte, dass Frau –« er blickte kurz auf seinen Zettel »– Tetrinski um dreizehn Uhr dreißig zu einem Gespräch zur Verfügung steht.«

»Geht klar.« Die Inhaberin lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was, wenn die Diebin diese Woche nichts stiehlt? Sie können nicht über Wochen hinweg den ganzen Nachmittag in unserem Geschäft herumstöbern. Das fällt auf.«

»Sie haben vollkommen Recht, Frau Nürtig. Wenn wir Ende der Woche nichts erreicht haben, installieren wir nächste Woche Überwachungskameras.« Norbert verbot es sich, zu Doreen zu schauen. Er konnte hören, wie sie einatmete.

Die Boutiquebesitzerin strahlte ihn an. Überwachungskameras! Wie aufregend! Man konnte ihr ansehen, dass sie hocherfreut war, ein solch professionelles Detektivbüro ausgewählt zu haben. »Eine letzte Frage noch, Herr Löwe. Warum verwenden wir die Kameras nicht sofort?«

Weil es keine gibt, du dummes Huhn! Doreen hatte Mühe, ihre Fassung wiederzugewinnen. Wie war Norbert nur auf diese Idee gekommen? Und – viel schlimmer – was, wenn es ihnen nicht gelang, die Diebin diese Woche zu schnappen? Was dann Herr Superdetektiv? Sie platzte vor Neugierde, wie er sich herausreden würde.

»Weil wir an die Kosten denken. Sehen Sie,« dieser alte Schleimer legte der Frau kurz seine Hand auf den Arm und zog sie dann sofort wieder zurück, »Installation, Betrieb und Auswertung mehrerer Kameras ist eine teure Angelegenheit. Das können Sie sich sparen, wenn wir die Diebin diese Woche so schnappen.«

Frau Nürtigs Mund klappte auf und wieder zu. Dann nickte sie heftig und lächelte. Geld sparen war ein einleuchtendes Argument.

Norbert schlug die Handflächen zusammen und erhob sich. »Wir sind um halb zwei wieder hier.« Er ging mit geradem Rücken in Richtung Tür.

Doreen beschoss seine Rückseite mit wütenden Blicken. Na, warte Freundchen. Sie würde ihm draußen im Auto eine Szene machen.

Leichenstarre

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