Читать книгу Leichenstarre - Claudia Puhlfürst - Страница 13

10

Оглавление

»Guten Morgen, Schönste.« Norbert saß frisch rasiert hinter seinem Schreibtisch und strahlte. Im Büro mischte sich der Duft seines After Shaves mit dem Geruch frisch gerösteter Kaffeebohnen. Doreen lächelte ihm zu und hängte ihre Leinenjacke auf einen Kleiderbügel. ›Schönste‹! Ihr Kollege musste blendender Laune sein, wenn er sie so titulierte. Sie überprüfte mit geübtem Blick im Spiegel, ob der rosa glänzende Lippenstift noch perfekt aufgetragen war und drehte sich dann zu ihm um. Das Licht der Morgensonne verlieh seinen Haaren einen weißen Schimmer. Ein winziger scharfer Schmerz bohrte sich spiralförmig in Doreens Brustkorb. Der Gefährte würde nicht ewig da sein. Er war fast fünfzehn Jahre älter und würde nicht zeitlebens mit Komplimenten zur Stelle sein, eifersüchtig über ihr Privatleben wachend. Aber darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Nicht an diesem wunderbaren, sonnigen, nach Flieder duftenden Tag.

»Du hast schon Kaffee gekocht. Bestens.« Sie trat seitlich an seinen Großvaterstuhl und strich ihm mit behutsamen Fingern über die weichen, graumelierten Haare. Norbert erstarrte einen Augenblick lang und sah dann zu ihr hoch. Obwohl er sich bemühte, den flehenden Ausdruck in seinen Hundeaugen sofort zu löschen, sah Doreen die Sehnsucht darin und erschrak über deren Intensität. Sie zog ihre Hand vorsichtig zurück, lächelte ihm verlegen zu und drehte sich um. Das war schon das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit. Sie musste sich mit Freundschaftsbezeigungen ein bisschen in Acht nehmen.

»Ich war schon beim Bäcker...« Norbert ließ den Satz im Raum schweben.

Seine Worte ließen das Grinsen in ihr Gesicht zurückkehren. Der Unverbesserliche! Jeden Morgen das Gleiche. Und er tat immer so, als sei es ihm zufällig eingefallen, dort vorbeizugehen und die obligatorischen Streuselschnecken mitzubringen. »Wie schön. Hast du für mich auch was mitgebracht?«

»Ein Stück Quarkkuchen.« Er griente. Der kurze Moment der Verwirrung war vergessen. Alles war wieder im Lot. Die Welt hatte kurz geruckelt, wie ein Eisenbahnwaggon an einer Weiche. Jetzt rotierte sie geruhsam weiter um ihre Achse.

Einander gegenübersitzend besprachen sie die Pläne für den vor ihnen liegenden Dienstag. Den Vormittag würden sie gemeinsam abwechselnd in der Boutique zubringen. Mal als potentielle Käufer, mal von außen beobachtend. Doreen nahm sich vor, im Vorfeld Ausschau nach Dingen zu halten, die der Diebin gefallen könnten und diese dann besonders im Auge zu behalten. Sie hoffte, dass genügend Kunden in das Geschäft kamen, damit ihre häufigen ›Besuche‹ nicht auffielen. Andererseits war es günstig, wenn nicht zu viele Menschen die Räume blockierten und die Observation erschwerten. Aber das würde sich zeigen. Müßig, jetzt darüber nachzugrübeln.

Am Nachmittag hatte Norbert einen Zahnarzttermin. Doreen würde den Job allein übernehmen müssen. Aber das war kein Problem. Sie verbarg ihre Schadenfreude. Geschah ihm recht. Er schob den Arztbesuch schon fast ein Jahr vor sich her. Die Beschwerden mussten erst unerträglich werden, ehe der sonst so entscheidungssichere Superdetektiv sich zu einer Generalüberholung anmeldete. Und nun jammerte er seit der vergangenen Woche mindestens zweimal am Tag über die vermeintliche Folter, die ihn dort erwartete. Männer waren solche Weichlinge. Wer auch immer den Begriff ›mannhaft‹ erfunden hatte, war vollständig im Irrtum. Doreen trank einen Schluck Kaffee und lächelte ihrem Gegenüber zu. »Morgen wird die Überwachungskamera geliefert?«

»Ich hoffe es.« Norbert schob die letzten Streusel auf dem Teller mit der Handkante zu einem Häufchen zusammen, schüttete dieses dann vorsichtig in seine Linke, warf die zuckrige Ladung in seinen Mund und kaute verzückt. Gleich darauf verzog er das Gesicht. Sein Backenzahn revoltierte. Er spülte die süßen Reste mit einem Schluck Kaffee hinunter und fuhr fort. »Dann könnten wir das Teil schon morgen Nachmittag installieren und bräuchten nicht den ganzen Tag abwechselnd in dem Geschäft herumzulungern. Obwohl ich es ja erst für nächste Woche angekündigt hatte. Aber das werden wir der Inhaberin schon erklären.«

»Da bin ich aber gespannt.« Doreen stellte Untertassen und Tassen aufeinander und erhob sich. »Und jetzt haben wir genug gebummelt. An die Arbeit, Faulpelz!«

Sie hatten beschlossen, zu Fuß zu gehen. Der Tag war zu schön, um ihn in einer nach kaltem Rauch stinkenden Blechkiste zu verbringen. Außerdem gab es in Zwickaus Innenstadt nur kostenpflichtige Parkplätze. Und es wurde teuer, jede Woche Knöllchen zu bezahlen.

Doreen öffnete ihre Jacke. Die Morgenluft war frisch und kühl. Sonnenstrahlen kribbelten warm über ihre ungebräunte Haut. Eine Ahnung von Sommerhitze, Urlaub und nach Algen riechendem Meerwasser huschte vorbei und verschwand im violetten Blau des Himmels. Durch die noch schläfrige Stadt hallte leise der Gong des Doms, der gar kein richtiger »Dom« war. Zwickau war nie Sitz eines Bischofs gewesen, soweit Doreen wusste und deshalb konnte es auch keinen Dom geben. Aber alle Einwohner nannten die mächtige Kirche im Zentrum so und dabei war es geblieben. Halb neun.

Voller Tatendrang marschierte Norbert voran. Er fühlte sich wie ein Zwanzigjähriger. Über ihm der strahlend blaue Himmel. An seiner Seite eine schöne Frau. Er atmete ein, dass sich der Brustkorb blähte. Bis in die tiefsten Lungenspitzen. Die Luft roch ein wenig nach winzigen dunkelblauen Veilchen. Das Leben war wunderbar. Seine Beine hatten das unbezähmbare Verlangen, ein paar Schritte zu hopsen. Erst der Gedanke an den nachmittäglichen Zahnarztbesuch vertrieb die ungewohnte Euphorie. Norbert musste nicht zu Doreen hinübersehen, um festzustellen, dass auch sie guter Laune war. Das muntere Stakkato ihrer Schritte war Beweis genug.

Noch war die Stadt verwaist. Die meisten Geschäfte öffneten erst um neun. Doreen ging langsamer und blieb vor einem Schaufenster mit Schuhen und Taschen stehen. »Warte einen Moment, bitte. Ich möchte mir die umliegenden Läden ansehen.« Norbert hielt inne und besah sich die Lederwaren. Schickimickizeugs. Diese Absätze! »Warum das denn?«

»Ich kann heute Nachmittag nicht die ganze Zeit in der Boutique von Frau Nürtig herumlungern. Das fällt auf. Also werde ich ab und zu ein benachbartes Geschäft aufsuchen, von dem aus ich den Eingang im Auge behalten kann. Und das möchte ich jetzt abchecken.« Sie sah ihm in die hellen Augen. »Alles klar?«

»Gute Idee. Du denkst mit.« Norbert puffte sie am Oberarm, bevor er seine Schachtel Pall Mall aus der Jackentasche holte. Letzte Gelegenheit, schnell noch eine zu rauchen, bevor die Arbeit begann. Er lächelte versunken. Doreen war schon zum nächsten Laden weitergegangen und hatte sich in überdimensionale Flakons und teuer aussehende Cremedöschen vertieft. Eine Parfümerie. Ein wundervolles Einkaufsparadies nach dem anderen für eine junge, attraktive Frau.

Auch Frau Nürtigs Boutique öffnete erst um neun, und so klingelten sie am Seiteneingang.

Frau Tetrinski, eine kleine, zierliche Person mit viel zu schwarzen Haaren öffnete ihnen. Genau wie am Vortag war sie ausgiebig geschminkt. Im Innern des Ladens mochte es natürlich und ebenmäßig aussehen. Hier, im hellen Licht der Morgensonne, hatte man den Eindruck, die dicke Make-up-Schicht würde bei der ersten Regung des maskenhaften Gesichts Risse bekommen und abbröckeln. Doreen betrachtete die perfekt manikürten Fingernägel. Was für ein Aufwand! Bestimmt wurde von den Angestellten ein gepflegtes Äußeres verlangt. Aber nicht alle übertrieben es. Norbert fand die Verkäuferin hübsch. Das war gestern nicht zu übersehen gewesen. Er stand auf Schneewittchen-Typen. Dunkle, lange Haare. Undurchdringliche Augen. Schlank mussten sie sein. Und nicht zu groß. Das alternde Schneewittchen hatte das Interesse des Detektivs wie eine unterschwellige Strömung sofort wahrgenommen. Von da an richtete sie Worte, Gesten und gekünstelte Augenaufschläge fast nur an ihn.

Doreen hatte sich im Stillen über das gezierte Getue amüsiert, ihre Erheiterung jedoch hinter einer sachlichen Miene verborgen. Sie war gespannt darauf, ob sich die Komödie heute wiederholen würde.

Sie betraten das Büro, in dem Frau Nürtig damit beschäftigt war, Kaffeetassen auf dem quadratischen Tisch zu arrangieren. »Guten Morgen, Frau Graichen! Sie sehen wunderbar aus!« Doreen überlegte kurz, ob sie wirklich ›wunderbar‹ aussah, oder ob es sich um eine wohlmeinende Schmeichelei handelte, bevor sie die pergamentene Handfläche berührte. Schönfärberei oder nicht, es spielte keine Rolle. »Und Herr Löwe!« Sie drehte sich seitwärts und bedachte Norbert mit demselben fröhlichen Tonfall. Er nickte ihr zu, schüttelte die dargebotene Hand und ließ sich in einen Stuhl plumpsen. Doreen setzte sich neben ihn. Schon wieder Kaffee! Irgendwann würde ihnen beiden das schwarze Gebräu zu den Ohren herauskommen. Leider konnte man das höfliche Angebot selten ausschlagen.

»Frau Tetrinski, setzen Sie sich bitte auch. Wir wollen uns kurz verständigen.« Die Angesprochene nahm auf der Stuhlkante Platz.

»Wir haben ja gestern Nachmittag schon die Observation durchgespielt.« Norbert trank einen Schluck und bemühte sich, keine Miene zu verziehen. Das war kein Kaffee, sondern starker Tee. »Heute Vormittag werden meine Kollegin und ich uns abwechseln.« Er nickte den beiden ihm gegenübersitzenden Frauen zu. »Am Nachmittag habe ich einen wichtigen Termin. Frau Graichen wird die Beobachtung dann ohne mich fortsetzen.«

Wichtiger Termin, soso. Doreen stierte auf die glänzende Tischplatte, um nicht loszuprusten. Der Kollege hatte inzwischen weiter gesprochen. Sie wollten jetzt mit Frau Tetrinski in die Geschäftsräume gehen und sich noch einmal alles ganz genau ansehen. Dann würden sie den Laden über den Seiteneingang wieder verlassen und im Café gegenüber einen Espresso trinken. Wenn eine in Frage kommende Kundin das Geschäft betrat, konnte einer von ihnen ihr kurz darauf folgen.

Frau Nürtig schien angetan von Norberts Plänen. Alles war durchdacht und methodisch organisiert. Sie schenkte den beiden ihr ›Ich-finde-Sie-super-nett-Lächeln‹ und erhob sich, um voranzugehen.

Da hatte sie wirklich zwei fähige Leute ausgesucht!

Leichenstarre

Подняться наверх