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Geschmackvolle Musik fehlte noch. Ein Abschiedskonzert. Nicht irgend so ein kurzlebiges Popgedudel. Etwas Klassisches, Bleibendes. Die Antenne des Radios war verstellt. Hässliches Knistern schmerzte in seinen Ohren. Er drehte am Knopf des billigen Geräts und ärgerte sich darüber, das preisgünstigste Modell gekauft zu haben.

Die Badenixe verzog unmerklich die Mundwinkel. Man sah es nur aus den Augenwinkeln. Sobald der Blick direkt auf sie gerichtet war, stellte sie sich schlafend, diese kleine Verführerin.

Mit einer CD kehrte er aus dem Arbeitszimmer zurück. Die Fliege folgte ihm. Sie war neugierig, was der Mann vorhatte. Und sie wollte wissen, wo die ergiebige Mahlzeit für ihre Larven hingekommen war, die sie vorhin inspiziert hatte.

»So, meine Schönste. Genug gefaulenzt.«

Die blauen Augen starrten ihn an, ohne zu blinzeln. Den großen Müllsack mit sich ziehend, trat er an den Rand der Badewanne und beugte sich über die schlaffe Gliederpuppe. Der Waschlappen saß wie ein enger Handschuh über seiner Rechten. So konnte er wenigstens nicht herunterrutschen. Mit kreisenden Bewegungen strich seine Hand über den glatten Körper.

Das Wasser wurde allmählich kalt, aber das musste sie aushalten. Selber dran schuld. Was bummelte sie auch stundenlang herum. Zum Glück brauchte er sie nur außen zu säubern. Es wäre ein Problem geworden, sein Sperma restlos aus ihr zu entfernen. Wenn das überhaupt möglich war. Aber sie hatte keine Samenzellen von ihm in sich. Er hatte bisher immer darauf geachtet, Kondome zu verwenden, oder sich wenigstens nicht in den Mädchen zu entleeren. Egal, was sie beteuerten, er hatte keine Lust, Monate später mit einem schreienden Balg überrascht zu werden.

Die erste Waschung war beendet. Mit sinkendem Wasserpegel rutschte das Ding in sich zusammen und glich mehr und mehr einem Stück Fleisch im Schlachthof. Was es ja auch war.

Das Wort Schlachthof gefiel ihm nicht. Aber es war durchaus angemessen.

Er drehte sich auf dem Weg in die Küche noch einmal zu ihr um. »Ich finde, du lässt dich ganz schön hängen. Zur Strafe bleibst du jetzt hier liegen, bis ich zurückkomme.«

Ein Schluck Prosecco zur Stärkung zwischendurch konnte nicht schaden. Er goss das Glas nur halbvoll. Der anstrengendste Teil der Arbeit lag noch vor ihm.

In den Schubladen warteten Löffel, Gabeln, Schöpfkellen und Grillzange auf ihren Einsatz. Die Messer nicht zu vergessen. Die Klingen immer sorgfältig geschliffen. Stumpfe Messer waren ihm ein Gräuel. Er betrachtete die Schneidwerkzeuge und wählte einige aus. Die Grillzange durfte die Exkursion der Küchengeräte ins Bad auch mitmachen. Man konnte damit Fleischstücke anpacken, ohne dass sie wegrutschten.

Die Puppe lag unterwürfig in der leeren Badewanne und wartete. Ihre Augen starrten ihn vorwurfsvoll an. Das helle Blau begann bereits, sich zu trüben.

Er arrangierte seine Utensilien auf den kühlen Fliesen. Die Rolle mit den Müllsäcken. Besonders reißfest. Wir wollen doch nicht, dass etwas herausquillt, Schatz. Küchenkrepp und ein paar ältere Frotteehandtücher. Dünne Latexhandschuhe aus dem Medizinschränkchen.

Und die Werkzeuge. Speckmesser, Wetzstahl, Geflügelschere, elektrisches Fleischmesser. Mit den Knochen würde es ein Problem geben. Die Stichsäge fiel ihm ein. Was Holzplatten von mehreren Zentimetern Dicke zerschnitt, würde sicher auch einen Armknochen durchtrennen.

Er hob das erste Messer und winkte sich damit aufmunternd zu. »Bereit, wenn Sie es sind, Dr. Lecter.« Im Spiegel wirkte sein Lächeln diabolisch.

Eine Fortsetzung des Bestsellers. Das Schweigen der Jungfrauen. Leider war das Ding in der Badewanne nur noch im erweiterten Wortsinn eine Jungfrau. Aber schweigen konnte es hervorragend.

Wie in einem Operationssaal lagen die Instrumente in Reih und Glied.

Er hielt inne und legte das Messer zurück neben die anderen. Vor dem ersten Schnitt wollte er noch einmal von ihr als Ganzes Abschied nehmen. Stilvoll. Mit Klaviermusik von Tschaikowsky. Die CD begann sich silbrig schimmernd zu drehen. Die ersten Akkorde wogten heran und perlten durch den hellerleuchteten Raum.

Dr. Lecter hatte auch immer Musik gehört. Nicht, dass er sich mit ihm vergleichen wollte, schließlich würde er sein Objekt nach dem Filetieren nicht verzehren. Aber das kühle Kalkulieren, den scharfsinnigen und universellen Intellekt, das hatten sie schon gemeinsam.

Sein Blick richtete sich auf die Badewanne, während er sich demütig auf die Knie niederließ und blicklos auf die mintgrünen Kacheln stierte.

Die Principessa erschien vor seinem inneren Auge. Ihre erste Begegnung.

Wie eine feingliedrige Waldelfe war sie näher gekommen. Ihr Lächeln hatte die rote Herbstsonne überstrahlt. Das blonde Haar schwebte um ihren schmalen Hals wie flaumige Federn. Sie war herangestöckelt, der Rocksaum im Takt ihrer Schritte wippend, und hatte wie eine Königin ausgesehen. In genau diesem Augenblick, als sie ihm das erste Mal begegnet war, hatte er sich unsterblich in sie verliebt. Für immer. Sie in sein Herz eingeschlossen wie einen edlen Stein. Heiß rollte eine Träne aus seinem rechten Augenwinkel über die Wange. Das Klavier trauerte mit ihm. Bitterer Kummer schloss eiserne Spangen um seinen Brustkorb. FÜR IMMER. Kein anderer sollte sie jemals berühren dürfen. Er war der Auserwählte. So war es ja dann am Schluss auch gekommen.

Und das musste jetzt reichen. Genug geheult. Er riss ein Blatt von der Küchenrolle ab und tupfte sich die Feuchtigkeit aus dem Gesicht.

Also aufgepasst ihr Närrinnen und Narren! Vorhang auf, das Spiel beginnt! Bajazzo hat zu tun!

Er setzte das Messer an die marmorbleiche Haut und machte ein paar Probeschnitte am Bauch. »Tut mir Leid, aber das muss jetzt sein. Sei schön brav und zapple nicht herum, dann geht es auch ganz schnell.«

Sie blutete fast gar nicht, was ihn überraschte. Dann fiel ihm ein, dass er schon davon gelesen hatte. Nur aus lebendigen Verletzten spritzte es heftig hervor. Das Herz pumpte und trieb das rote Lebenselixier durch die Adern. Hatte es aufgehört zu schlagen, stoppte auch der Kreislauf. So einfach war das.

»Du weißt aber auch alles.« Er zwinkerte sich im Spiegel zu.

Das nachgiebige Fleisch ließ sich leicht durchtrennen. Knochen und Knorpel würden schon schwieriger werden, aber mit der Stichsäge wäre auch das sicher kein Problem. Und als Ganzes war sie zu sperrig. Was würden die Leute denken, wenn er einen riesigen, schweren Müllsack aus dem Haus trug? Nein, man musste handliche Päckchen machen. Und bestimmte Stücke würde er besonders sorgfältig entsorgen müssen. Körperteile, anhand derer man sie identifizieren konnte. Es zahlte sich aus, wenn man alle Kriminalsendungen im Fernsehen verfolgte. Zuerst die Hände. Mit den verräterischen Fingerabdrücken. Ein Testlauf für die gute alte Geflügelschere. Es erschien ihm angemessen, ein paar Verse aus dem Struwwelpeter zu rezitieren. Man durfte seine Bildung nicht verleugnen.

»Bauz! Da geht die Türe auf,

und herein in schnellem Lauf

springt der Schneider in die Stub’

zu dem Daumen-Lutscher-Bub.

Weh! Jetzt geht es klipp und klapp mit der Scher’

die Daumen ab, mit der großen, scharfen Scher’!

Hei! Da schreit der Konrad sehr.«

»Hei, Hei mein Engel.« Er schenkte ihr ein besänftigendes Lächeln und dreht den Wasserhahn auf, um die Instrumente zwischendurch abspülen zu können. »Du bist ganz brav und wirst nicht schreien, nicht wahr? Wir wollen doch die Nachbarn nicht beunruhigen.« Die Werkzeuge würde er nach und nach neu kaufen müssen. Schade um die teuren Klingen. Aber es ging nicht anders. Er riss einen weiteren Müllsack von der Rolle ab. Und nun weiter! Es gab noch viel zu tun an diesem Wochenende.

Zu den rauschhaften Klängen von Tschaikowsky schwang der Lehrer das elektrische Fleischmesser.

Leichenstarre

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