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Auf einen Wink des Hausherrn folgte Nat diesem in sein Privatbüro, das sich im Obergeschoss des Saloons befand. Nat nahm seinen Stetson ab und hängte ihn auf den Garderobenständer. Swearengen setzte sich hinter den Schreibtisch und wies seinem Gast den Besucherstuhl zu. Wortlos holte er eine Flasche und zwei Gläser hervor und schenkte ein.

»Bourbon aus Kentucky«, sagte er und prostete dem Weidereiter zu. »Nicht das Zeug, das Sie unten an der Theke kriegen.«

»Danke«, erwiderte Nat, hob sein Glas und leerte es in einem Zug.

Swearengen lehnte sich zurück. »Wir ...«, sagte er gedehnt, »das heißt, meine Freunde und ich, die maßgeblichen Männer in dieser Stadt, wir hatten gehofft, dass Sie rechtzeitig bei uns eintreffen würden.«

»Rechtzeitig?«, wiederholte Nat und stellte sein Glas auf den Schreibtisch. »Wir hatten keinen festen Termin für die Ablieferung.«

»Davon rede ich nicht.« Swearengen wedelt er mit der Hand. Dann nahm er die Flasche und schenkte nach. »Es geht darum, dass morgen nicht irgendein 4. Juli ist, wie Sie sicher wissen. Nach dem eigentlichen Unabhängigkeitstag im Jahr 1776 feiern wir morgen, da wir das Jahr 1876 schreiben, eine Runde Zahl überall in den Vereinigten Staaten, also auch in Deadwood.«

»Sir«, sagte Nat nachdenklich. »Wir haben mitbekommen, was mit General Custer passiert ist. Wir waren mit unserer Herde nur zwei Tagesritte hinter ihm und seiner siebten Kavallerie, als sie in den Untergang ritten.«

»Haben Sie die Schlacht beobachten können?«

»Nein, Sir. Dazu waren wir denn doch zu weit entfernt.«

Swearengen nickte bedächtig. »Nun gut, ich weiß, was Sie sagen wollen. Wir haben eine Krisensitzung einberufen, als wir von Custers Niederlage hörten.«

»Das war vor einer Woche, nicht wahr?«

»Die Schlacht fand am 25. Juni statt, also vor acht Tagen.«

»Die Nachricht muss ein Schock gewesen sein.«

»Das kann ich Ihnen sagen«, erwiderte Swearengen. »Wir waren hier in Deadwood kurz vor einer Massenpanik. Viele Leute befürchteten, dass die Indianer uns alle massakrieren würden. Sämtliche Waffen und Munitionsvorräte wurden hervorgekramt, und uns wurde mal wieder bewusst, was Deadwood immer noch ist: eine illegale Ansiedlung, mitten hineingebaut ins rechtmäßige Land der Sioux und ihrer Verbündeten. Es hätte also niemanden hier gewundert, wenn die Indsmen durch ihren großen Sieg in einen Blutrausch verfallen wären. Man hätte es ihnen nicht verdenken können. Immerhin zahlt die Stadt Deadwood jedem, der den abgetrennten Kopf eines Indianers bringt, 50 Dollar.«

»Ob sich das bis zu den Rothäuten herumgesprochen hat?«, fragte Nat.

»Wir wissen es nicht«, antwortete Al Swearengen. »Unsere Befürchtungen haben sich jedenfalls nicht bestätigt. Es ist alles ruhig geblieben. Trotzdem mussten wir eine schnelle Entscheidung treffen. Wir haben mit großer Mehrheit beschlossen, auf die Feierlichkeiten zum 4. Juli nicht zu verzichten. Die meisten von uns sind nie begeisterte Anhänger von George Armstrong Custer gewesen. Der Mann hat sich zu viele Eskapaden geleistet. Es heißt, dass er schon im Bürgerkrieg durch vorschnelles und unüberlegtes Handeln viele Soldaten in den sicheren Tod geführt hat.«

»Davon habe ich auch gehört«, erwiderte Nat. »Zum Glück hatten wir auf unserem Trail keine einzige Begegnung mit Indianern.«

»Das ist auch unser Glück«, sagte Al Swearengen. »Sonst wären Sie ja nicht hier. Sie und Ihre Gefährten werden eine wertvolle Bereicherung unseres Festes sein. Sie können sich vorstellen, dass unsere Hundertjahrfeier etwas ganz Besonderes werden soll. Deshalb haben wir zusätzlich zum üblichen Programm ein paar Attraktionen eingeplant. In meinem Saloon, zum Beispiel, wird es ein großes Preisboxen geben. Der Gewinner bekommt eine Woche lang freie Drinks und freie Huren.«

»Haben Sie uns dafür eingeplant?«

»Himmel, nein!« Swearengen lachte und hob sein Glas. »Oder lockt Sie der Preis?«

»Ich wäre ein Lügner, wenn ich das Gegenteil behaupten würde.«

Al Swearengen zwinkerte seinem Gast kumpelhaft zu und erwiderte: »Für Sie und Ihre Freunde gibt es etwas viel Besseres.«

Nat stieß erneut mit ihm an. »Klingt interessant«, sagte er und ließ sich den Whiskey durch die Kehle brennen. »Womit haben wir die Ehre verdient?«

»Cowboys sind außergewöhnliche Männer«, erklärte der Saloon-Inhaber, nachdem er seinen Whiskey hinuntergekippt hatte. »Sie haben Fähigkeiten, mit denen die Menschen in einer Minenstadt nicht sonderlich vertraut sind. Wie gesagt, das Ranchland soll hier erst noch entstehen.« Er beugte sich wieder vor. »Wie viele Männer sind Sie?«

»Sechzehn«, antwortete Nat. »Aber wir sind ganz normale Burschen, abgesehen davon, dass außer mir noch fünf andere Schwarze zu der Mannschaft gehören.«

»Wunderbar!« Swearengen klatschte in die Hände, dass es knallte. »Das gibt der Sache etwas ganz Besonderes. Also sechs schwarze und zehn weiße Cowboys.«

»Nicht ganz, Sir.« Nat schüttelte den Kopf. »Nur zwölf Cowboys insgesamt. Wir haben einen Küchenwagen und einen Versorgungswagen dabei. Dazu gehören je ein Kutscher, der Koch und sein Gehilfe.«

»Und die können nicht mit dem Lasso umgehen oder einen Mustang einbrechen?«

Nat lächelte. »Sagen wir so: Sie haben keine Übung darin.«

Swearengen winkte großzügig ab. »In Ordnung, kein Problem. Mit zwölf Mann kommen wir auch zurecht.«

»Wobei?«, fragte Nat. Er ahnte bereits, in welche Richtung die Angelegenheit ging, aber er hakte trotzdem nach. »Da wir nicht als Preisboxer auftreten sollen ...«

»... gibt es einen viel spannenderen Wettkampf für Sie«, vollendete Al Swearengen seinen Satz. Er grinste und zwinkerte verschwörerisch. »So eine Art Rodeo, haben wir uns gedacht. Sie kennen das alles ja besser als wir. Der erste Preis steht schon fest. 200 Dollar.« Swearengen sah sein Gegenüber erwartungsvoll an. »Nun, was sagen Sie dazu?«

»Ein stolzer Betrag«, erwiderte Nat. »Das wird die Teilnehmer ganz schön anspornen.«

Swearengen strahlte. »Davon bin ich überzeugt. Alle weiteren Einzelheiten wird die Wettkampfleitung mit Ihnen gemeinsam festlegen, wenn Sie einverstanden sind.«

»Das kann ich nicht allein entscheiden«, antwortete Nat. »Darüber muss ich erst mit Bill Flanagan sprechen. Das ist unser Trailboss. Ich bin nur sein Stellvertreter.«

»Na, und?« Swearengen warf die Hände empor und ließ sie auf die Schreibtischplatte klatschen. »Ein Stellvertreter ist doch auch schon was, oder? Im Übrigen: Wo ist Ihr Mr. Flanagan gerade?«

»Bei dem Käufer der Dreijährigen, einem Mr. Bullock.«

»Dann wird der gute Mr. Flanagan vermutlich in dieser Minute genau das erfahren, was ich Ihnen gerade erzählt habe.«

Nat nickte bedächtig. »Stimmt es, dass Mr. Bullock gleichzeitig Sheriff ist? Sheriff und Rancher?«

»Den Stern trägt er jetzt, aber Rancher will er erst noch werden. Die Longhornbullen sind ein Anfang.« Al Swearengen faltete die Hände und lächelte geheimnisvoll. »Wir haben nicht nur einen Sheriff, der Rancher wird, sondern auch einen Saloon-Inhaber, der sein Kompagnon wird.«

»Sie?«, entgegnete Nat überrascht.

Swearengen nickte voller Stolz. »Seth Bullock und ich haben uns die 3000 Rindviecher gewissermaßen geteilt. Man muss an die Zukunft denken, nicht wahr, Mr. Love?«

Revolverfreunde: Wichita Western Sammelband 6 Romane

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