Читать книгу Revolverfreunde: Wichita Western Sammelband 6 Romane - Conrad Shepherd - Страница 51
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ОглавлениеDer Himmel über dem weiten Land am Red River färbte sich golden. Im Westen erzeugte der Feuerball der untergehenden Sonne eine Kuppel aus glühendem Rot. Nat wertete es als ein gutes Zeichen für den nächsten Tag. Zumindest das Wetter würde gut werden. Ob der malerische Sonnenuntergang ein gutes Zeichen auch für den Rest des Daseins war, musste man abwarten.
Nat war dem Verlauf des Flusses gefolgt, nachdem er den Toten begraben hatte. Den ganzen Rest des Tages über hatte er sorgfältig auf seine Umgebung geachtet. Doch so sehr er Augen und Ohren auch angestrengt hatte, es war ihm nichts aufgefallen – kein Anzeichen dafür, dass sich ein Mensch in der Nähe befunden hätte.
Der Mann, der vor ihm die Flucht ergriffen hatte, befand sich längst nicht mehr auf der Flucht. Davon war Nat überzeugt. Möglicherweise hatte der Hurensohn sich irgendwo versteckt und ihn vorbeiziehen lassen. So konnte er nun wieder die Rolle des Verfolgers spielen. Nat beschloss, während der Nachtruhe höllisch auf der Hut zu sein. Zum einen würde der Braune wachsam sein und beim leisesten verdächtigen Laut warnend schnauben. Aber Nat selbst würde mit Sicherheit schon vorher wach werden. Er kannte das Leben in der Natur, hatte unzählige Nächte in der Wildnis verbracht. Nicht einmal eine Schlange schaffte es, sich ihm unbemerkt zu nähern.
Für das Nachtlager wählte er einen kleinen Hügel aus, der lediglich mit Gras und einigen Büschen bewachsen war. Von dort oben würde er die Umgebung hervorragend überblicken können. Nachdem er den Braunen am Fluss hatte trinken lassen und die Wasserflasche gefüllt hatte, suchte er einen Arm voll trockener Äste und Zweige und erklomm die Anhöhe. Seine Vermutung bestätigte sich. Der Rundumblick war hervorragend. Bei Tageslicht und in der nun hereinbrechenden Dämmerung schaffte es niemand, ihn zu überrumpeln. In der Nacht würden sich seine Augen rasch der matten Helligkeit des Mondlichts anpassen.
Auf der Hügelkuppe leinte er den Braunen an einem stärkeren Busch an und ließ ihm genügend Bewegungsfreiheit, damit er sich an dem saftigen Gras gütlich tun konnte. Anschließend richtete Nat sein Lager ein und machte Feuer. Wie er es gewohnt war, brühte er sich einen starken Kaffee auf. Er gehörte zu den Menschen, die danach besonders gut schlafen konnten. Doch bis zum Einbruch der Dunkelheit würde er ohnehin noch eine Weile wach sitzen. Er liebte die Ruhe der Abende in der freien Natur. Sie gaben seiner Seele Kraft.
Sein Vater hatte ihn dies gelehrt.
Wenn er die Augen schloss und dem sanften Wind lauschte, wie er mit Gräsern und Blättern spielte, konnte er die Stimme seines Vaters hören.
An so einem Abend, mein Junge, am Ende eines langen Tages, gehören wir uns selbst. Denn wir sind ein Teil dieser Natur. Wir entstammen ihr, und wir werden eines Tages wieder eins mit ihr sein. Die Natur gibt uns alles – auch die Freiheit, und sei es nur die Freiheit unseres Herzens und unseres Verstandes.
Nat dachte oft an seine Kindheit, vor allem an Abenden wie diesem. Er war in einer anderen Welt aufgewachsen – in einer untergegangenen Welt. Man hatte sie die Südstaaten genannt, die Confederate States. Das Davidson County in Tennessee war ein Teil jener Welt gewesen, und dort waren die schwarzen Menschen Eigentum der weißen Menschen gewesen. So auch sein Vater, seine Mutter und all die anderen Erwachsenen. Und die Kinder dieser Erwachsenen hatten lernen müssen, dass sie eines Tages Sklaven sein würden, wie ihre Eltern. Als Kinder von Sklaven waren sie kraft ihrer Geburt Sklaven – so, wie die weißen Kinder per Geburt Staatsbürger des Landes waren, in dem sie aufwuchsen. Im Gegensatz zu ihnen, die alle Bürgerrechte innehatten, verfügten die Sklaven über keinerlei Rechte. Ihr Eigentümer allein entschied über ihr Schicksal, ja, für sie war er sogar der Herr über Leben und Tod. Wurde ein Sklave bei etwas Verbotenem erwischt, war sein Master Ankläger, Richter und Urteilsvollstrecker in einer Person. Kein weißer Gesetzeshüter und kein ordentliches Gericht konnten ihn deswegen belangen.
Dabei hatten Nat und seine Geschwister es gut gehabt im Davidson County, bei dem Plantagenbesitzer Robert Love, dessen Eigentum sie gewesen waren. Auch Nats Eltern hatten sich nie beklagt. Sie hatten die Freiheit nicht vermisst, denn Master Love hatte ihnen genug davon gelassen.
Doch dann war der Bürgerkrieg gekommen. Nat war sechs Jahre alt gewesen, und er hatte wenig von dem begriffen, was überhaupt geschah. Er hatte den Master und seine Freunde in grauen Uniformen gesehen, und eine Ewigkeit später waren Soldaten in blauen Uniformen über das Plantagenland gezogen. Nat hatte damals nicht verstanden, warum sie zu ihnen, den Schwarzen, freundlicher gewesen waren als zu den Weißen. Heute wusste er um die Sache, für die damals gekämpft worden war. Erst lange nach Kriegsende hatten seine Eltern erfahren, dass sie frei waren, weil ihr Eigentümer ihnen einfach nichts davon gesagt hatte. In dem Punkt hatte Master Love sich nicht anders verhalten als übrigen Plantagenbesitzer, von denen man nach und nach erfuhr, wie grausam sie ihre Sklaven behandelt hatten. Nats Eltern lebten und arbeiteten noch heute auf der Love-Plantage. Der Master hatte ihnen nach Kriegsende eine neue, schönere Blockhütte gebaut, aber ansonsten hatte sich nichts geändert. Nats Eltern waren zufrieden damit, konnten sich etwas anderes als das behütete Leben auf der Plantage gar nicht vorstellen. Die jungen Leute dagegen waren hinausgezogen in die Freiheit, kaum dass sie erwachsen geworden waren.
Aber es war nur eine vermeintliche Freiheit gewesen, die die weißen Bürger der Südstaaten ihren ehemaligen Sklaven gewährt hatten. Aus der Geringschätzung, mit der sie ihr früheres Eigentum behandelt hatten, wurde Verachtung.
Nat würde nie verstehen, warum Menschen so viel Hass auf ihresgleichen empfinden konnten. Seine Erfahrungen auf dem Gebiet waren umfangreicher als die der weißen Mitmenschen. Was war das Übel an der schwarzen Hautfarbe, dass jemand, der damit auf die Welt gekommen war, von manchen Leuten so sehr gehasst wurde? Menschen mit roter, gelber oder auch nur dunklerer Hautfarbe waren ähnlich schlecht dran. Wie verhielt es sich dort, wo sie in der Mehrheit waren? In Afrika beispielsweise. Oder in Asien. Wurden dort weiße Sklaven gehalten? Wurden Weiße dort gelyncht oder geteert und gefedert, wenn sie es beispielsweise gewagt hatten, eine einheimische Frau anzusehen?
Im Interview für die Zeitung »The Black Hills Pioneer« hatte Nat diese Fragen aufgeworfen. Zugleich hatte er sich bei den Einwohnern von Deadwood jedoch für ihre Toleranz bedankt. Denn für die meisten von ihnen gab es keinen Grund, einen anderen wegen seiner Hautfarbe zu verachten. Sie hatten ihn und die anderen afroamerikanischen Cowboys überhaupt nicht spüren lassen, dass sie sich äußerlich von den übrigen Weidereitern unterschieden.
Ihn, Nat Love, hatte ganz Deadwood noch tagelang als Helden gefeiert.
Mr. Walter Merrick, Redakteur und Verleger des »Pioneer« hatte dem Cowboy-Wettbewerb und seinem Sieger mehrere Artikel gewidmet, die die ganze Titelseite der Zeitung eingenommen hatten. Nat hatte ein halbes Dutzend Exemplare des Blatts in der Satteltasche. Mr. Merrick hatte sie ihm kurzerhand hineingestopft, als Nat sich partout mit einem einzigen Exemplar hatte begnügen wollen.
Die Überschrift erschien ihm des Öfteren sogar in seinen Träumen.
Nat Love ist Wettkampfsieger!
Titel »Deadwood Dick« und »Champion des westlichen Rinderlandes«
Ungefähr ein Drittel der Titelseite hatte der Bericht über den Wettkampf der Cowboys eingenommen. Ein Zeichner hatte ein Konterfei von Nat angefertigt, und es war zusammen mit einem Bericht über seinen Lebenslauf abgedruckt worden. Über eine Technik zum Abdruck von Fotos verfügten die Zeitungen noch nicht; doch bald, schon sehr bald, so hatte Mr. Merrick gesagt, würde es so weit sein. Dann würden Abbilder von Menschen und Ereignissen in einer für heutige Verhältnisse unvorstellbaren Schnelligkeit und Vielfalt unter den Lesern verbreitet werden.
Weiteren Platz auf der Seite nahm das Interview ein, das Mr. Merrick mit ihm geführt hatte, und schließlich hatte der Redakteur noch einen Kommentar auf der Seite untergebracht. Einen Absatz aus diesem Text, der Mr. Merricks persönliche Meinung wiedergab, hatte Nat sich eingeprägt:
Aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten unterscheidet sich Mr. Nat Love zweifellos von den meisten seiner Mitmenschen, einerlei, welcher Hautfarbe. Denn er kann sich zur Wehr setzen. Und wie! Es darf mit Fug und Recht festgestellt werden, dass es niemandem anzuraten ist, mit Mr. Love einen Streit zu beginnen. Denn Deadwood Dick, wie er sich von nun an nennen darf, ist zwar kein Spielverderber, doch für ihn hört der Spaß da auf, wo Beleidigungen anfangen. In unserem Camp, das bald eine Stadt sein wird, hat Mr. Nat Love alias Deadwood Dick deutlich genug bewiesen, dass er sowohl mit den Fäusten als auch mit seiner Waffe jedem Gegner überlegen ist. Denn er ist unser Champion. Niemand sollte sich allerdings herausgefordert fühlen, die Probe aufs Exempel machen zu wollen, weil Deadwood Dick ein friedliebender Mann ist, der die erwähnten besonderen Fähigkeiten nur dann unter Beweis stellt, wenn es nicht vermeiden lässt. Ohne Frage aber ist Nat Love auch ein Mann, der die äußersten Extreme des menschlichsten Daseins erlebt hat und noch erlebt: vom unfreiesten in seiner Sklavenzeit bis zum Sinnbild der grenzenlosen Freiheit, dem Beruf des Cowboys.
Nat saß noch wach, als das Feuer schon lange niedergebrannt war. Längst hatte das Land unter dem Licht des zunehmenden Mondes die Farbe von Blei angenommen. Für Nats scharfe Augen war die Helligkeit ausreichend, um selbst dann sofort den Überblick zu haben, wenn er aus dem Schlaf gerissen werden sollte. Doch er war sich inzwischen sicher, dass der übrig gebliebene Verfolger lediglich seine Spur nicht verlieren wollte.
Einen erneuten Angriff würde der Mann nicht wagen.
Jedenfalls nicht, solange er allein war ...