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Im Speiseraum des kleinen Hotels lagen all jene Wohlgerüche, die den Beginn eines Tages zu einem verlockenden Ereignis machten – vor allem für einen Mann, der sich so hungrig fühlte wie ein Bär nach dem Winterschlaf. Der Duft von soeben aufgebrühtem Kaffee, von gebratenem Schinkenspeck, von Spiegeleiern und geröstetem Brot war geradezu verheißungsvoll und wirkte besänftigend auf das Knurren seines Magens.

Nat hatte in der Tat geschlafen wie ein Bär, und er fühlte sich putzmunter und voller neuer Kraft. Wie er es vom Leben auf den Plains gewohnt war, hatte er sich in aller Herrgottsfrühe aus den Decken geschält. Frisch gewaschen, frisch rasiert und mit sauberer Kleidung und geputzten Stiefeln, fühlte er sich wie ein neuer Mensch.

Er war als Erster im gesamten Hotel erwacht. Keine Menschenseele war ihm begegnet, als er aus seinem Zimmer im Obergeschoss heruntergekommen war. Er hatte sich einen Tisch am Fenster ausgesucht, um auf die Main Street hinausblicken zu können. Dort draußen herrschte noch gähnende Leere. Frühestens in einer Stunde würde Leben einkehren, wenn die Geschäfte öffneten.

Im Hotel »Rosas« aber – so hieß Nats Unterkunft – waren Inhaber und Personal kurz nach ihm erwacht, und der Hausherr persönlich hatte sich nach seinen Wünschen erkundigt. Nat hatte all das geordert, was mittlerweile in der Küche in Arbeit war und seinen Geruchssinn auf so appetitanregende Weise belebte.

Er war am Ziel.

Die Stadt hieß Red Springs und war nicht wesentlich größer als Deadwood, dafür aber älter und ausgesprochen wohlgeordnet. Red Springs lag im Baylor County in Nordost-Texas, etwa achtzig Meilen südlich von Abilene. Der Countysitz, die Stadt Seymour, lag nur fünfzehn Meilen westlich von Red Springs.

Schräg gegenüber dem Hotel Rosas erblickte Nat eine Filiale der Western Union Bank und gleich daneben einen General Store. Alles, was er brauchte, befand sich also in unmittelbarer Nähe. Abermals tastete er nach dem Brustbeutel. Er hatte ihn nur zum Waschen abgelegt. Er konnte sich noch keinen Reim darauf machen, dass die Verfolger nicht mit aller Macht versucht hatten, ihm das Geld abzunehmen. Aber zu zweit hatten sie ohnehin keine große Chance gehabt. Sie hatten es nur nicht gewusst. Andererseits waren zweihundert Dollar keine so gewaltige Summe, dass es sich dafür gelohnt hätte, eine Bande zusammenzustellen. Daran änderte auch der Lohn nichts, den Nat in Deadwood zusätzlich erhalten hatte.

Dass seine Verfolger tatsächlich aus dem Goldgräber-Camp in den Black Hills kamen, hatte er von dem Sterbenden erfahren. Bestimmt hatten sie den Wettkampf und die Siegerehrung beobachtet und spontan beschlossen, dass der Umschlag mit dem Preisgeld in ihren Pranken besser untergebracht war. Es gab in Deadwood genügend Galgenstricke und verkrachte Existenzen, denen solche Überlegungen zuzutrauen waren. Wer alle Chancen verspielt hatte, auf legale Weise an Geld zu kommen, der scheute auch vor einem monatelangen Ritt nicht zurück, um sich die verlockenden Dollars unter den Nagel zu reißen. Ein Wunder also, dass sich nicht noch mehr Halunken an seine Fersen geheftet hatten.

Aber warum hatte der, der am Leben geblieben war, noch immer nicht zugeschlagen?

Nat konnte es sich beim besten Willen nicht erklären.

Es gab allerdings eine andere Möglichkeit.

Bud Shanks.

Der Name war ihm schon ein paar Mal durch den Kopf gegangen, doch er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ein Mann die Strapazen eines derart langen Rittes auf sich nahm, nur um sich für einen Fausthieb zu rächen. Der Kerl war bestimmt nicht so zart besaitet, dass er für den Rest seines Lebens unter der Demütigung leiden würde.

Die Frau des Hotelinhabers und eine Angestellte servierten das Frühstück. Der Kaffee, in einer Porzellankanne, war so schwarz und so stark, wie Nat es liebte. Auf dem riesigen Teller bildeten der knusprig gebratene Speck und drei Spiegeleier einen Hügel über dem gerösteten Brot. Nat machte sich darüber her wie ein Halbverhungerter. Als er die Hälfte seiner Mahlzeit verzehrt hatte, war er überzeugt, dass er die gleiche Menge noch einmal schaffen würde. Doch dann, nachdem er den Rest bewältigt und zwei Tassen Kaffee getrunken hatte, fühlte er sich so satt und zufrieden wie selten zuvor in seinem Leben.

Daher bestellte er lediglich Kaffee nach und ließ sich zusätzlich eine Zigarre bringen.

Voller Behagen lehnte er sich zurück und genoss den Rauch des Tabaks und das Aroma des Kaffees.

Nun erst fanden sich die weiteren Gäste des Hotels ein. Zwei Geschäftsleute, vermutlich aus Abilene oder einer der anderen größeren Städte in der Umgebung. Drei Cowboys, die auf dem Rückweg zu ihrer Ranch waren und in Red Springs Station machten. Sie begrüßten Nat mit Nicken und Handzeichen. Er war am Abend im Saloon mit ihnen ins Gespräch gekommen. Außerdem ein älteres Ehepaar, gut gekleidet und wohlhabend aussehend. Die beiden unterhielten sich auf Deutsch. Nat kannte die Sprache nur dem Klang nach, weil es in Texas viele deutsche Einwanderer gab. Verstehen konnte er kein Wort. Doch er wusste, was die Anwesenheit solcher Leute bedeutete. Es handelte sich um Einwanderer, die ihr Geld nicht erst noch verdienen mussten. Vielmehr brachten sie es mit, um es zu vermehren. Es hatte sich bis nach Europa herumgesprochen, dass sich mit dem Ranching Business in Texas, Arizona und anderen Staaten mit gutem Weideland, ein Vermögen machen ließ. Bald würde es keine Rancher wie Pete Gallinger mehr geben, befürchtete Nat. Er hatte es von Männern gehört, die sich auskannten. Mit dem großen Geld kam der Wandel ins Land. Die heutigen Rancher würden ihre Besitztümer verkaufen, und es würden Rinderkonzerne entstehen, die das Fleisch für den Norden und den Osten als Massenprodukt lieferten.

Nat hoffte, so etwas nicht mehr erleben zu müssen. Er träumte von einer eigenen kleinen Ranch. So, wie sein Freund Gary Shaffer diesen Traum verwirklicht hatte, würde es bestimmt auch ihm gelingen.

Nat erwachte aus seinen Träumen, als die nächste Person die Treppe herunterkam.

Eine Frau.

Er kannte sie.

Sie trug das dunkle Haar hochgesteckt. Ihr beigefarbenes Kleid war mit dunkelbraunen Litzen besetzt und unterstrich ihre schlanke Statur. Die braunen Augen und die gebräunte Gesichtshaut verliehen ihr ein südländisches Aussehen. Sie war eine Schönheit, und, verdammt, Gary konnte sich einen Glückspilz nennen dafür, dass sie seine Ehefrau werden wollte.

»Reyna!«, rief Nat und sprang auf. »Welch eine Freude, dich zu sehen!«

Er ging auf sie zu und verharrte nach zwei Schritten. Denn ihre Miene zeigte nicht die Reaktion, die er erwartet hatte. Dabei war sie alles andere als unfreundlich.

»Sie verwechseln mich mit meiner Schwester, Sir«, sagte sie und lächelte. »Ich bin Carolina Menendez, und leider sind wir uns noch nicht begegnet.«

Nat spürte, dass er große Augen bekam und wohl ziemlich verdutzt dreinschaute. Sein Herz begann zu klopfen, und den Grund dafür spürte er ebenfalls. Falsch, mehrere Gründe, verbesserte er sich in Gedanken. »Leider«, hatte sie gesagt. Dieses »Leider« in Verbindung mit dem Leuchten ihrer Augen war geeignet, einen Mann in einen regelrechten Taumel zu stürzen. Überdies kam sie auf ihn zu und streckte ihre Hand aus. Eine zarte, feingliedrige Hand, von der Nat befürchtete, dass er sie zerbrechen würde, wenn er sie in seine Pranke nahm.

Der wichtigste Grund für sein Herzklopfen aber war, dass er seinen Gefühlen freien Lauf lassen konnte – jedenfalls in seinem Inneren. Es war nicht Reyna, die vor ihm stand. Er musste seinem Freund Gary gegenüber also keine Schuld empfinden, weil sein Blut angesichts dieser wunderschönen jungen Lady in Wallung geriet.

Behutsam ergriff er die Hand, die sie ihm darbot.

»Freut mich, Sie kennen zu lernen«, sagte er und kam sich linkisch vor. »Ich wusste gar nicht, dass die Braut meines Freundes Gary eine Zwillingsschwester hat.«

Die Lady schmunzelte und schüttelte den Kopf. »Wir sind keine Zwillinge. Ich bin ein Jahr jünger als Reyna. Aber zugegeben, wir werden oft verwechselt.«

Nat wusste, dass Garys Braut 20 Jahre alt war. Er nickte, nannte seinen Namen und fügte hinzu: »Ich nehme an, wir sind aus demselben Grund in der Stadt.«

»Ich bin als Trauzeugin hier«, entgegnete Carolina und lächelte. »Und Sie?«

Es war das schönste Lächeln, das er jemals gesehen hatte. Er konnte seinen Blick nicht aus dem ihren lösen, und umgekehrt schien es ihr genauso zu ergehen. War es das, was man Liebe auf den ersten Blick nannte? Nat konnte sich einfach nicht vorstellen, dass einen so etwas wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf. Andererseits, wie sonst sollte es passieren? Einen solchen ersten Blick wie diesen konnte man wohl schlecht vorbereiten und planen.

»Ich ... ich auch«, hörte er sich stammeln. »Ich bin Garys Trauzeuge.«

»Dann sind wir ja Kollegen«, stellte sie fest und lachte. »Es wäre also nicht unschicklich, wenn Sie mich an Ihren Tisch bitten würden. Oder wollten Sie gerade gehen?«

»Himmel, nein!«, entfuhr es ihm. Er zeigte auf die qualmende Zigarre auf dem Rand des Aschenbechers. »Entschuldigen Sie, die habe ich gerade eben angesteckt. Ich werde sie sofort ...«

»Aber nein«, unterbrach sie ihn. »Ich liebe den Rauch von Zigarren. Ich finde, es ist etwas sehr Männliches. Also tun Sie mir den Gefallen, und rauchen Sie sie zu Ende.«

»Wirklich?«, erwiderte erstaunend. »Und Sie wollen tatsächlich bei mir am Tisch ...?«

»Was spräche dagegen?«, fragte sie.

»Nun, ich ... na ja, Sie wissen schon ...«

»Nein, ich weiß nicht«, antwortete Carolina. »Und wenn Sie auf Ihre Hautfarbe anspielen, dann will ich es nicht gehört haben.«

»Na, dann«, entgegnete Nat erleichtert. Er fühlte sich beschwingt und wie auf einer Wolke schwebend, als er den Stuhl für sie zurechtrückte und sich auf seinen ursprünglichen Platz ihr gegenübersetzte. Er nahm die Zigarre wieder auf, blies den Rauch jedoch rücksichtsvoll zur Seite. »Ich war vor einem Jahr schon mal hier«, berichtete er. »Ich hatte den Auftrag, mich in Abilene einer Trail Mannschaft anzuschließen. Da habe ich einen kleinen Umweg über Red Springs gemacht und meinen alten Freund Gary Shaffer besucht. Damals habe ich auch Reyna kennen gelernt und ihre Eltern. Warum sind wir uns nicht begegnet, draußen auf der Ranch?«

Carolina antwortete erst, nachdem sie der Hotelinhaberin ihre Bestellung für das Frühstück aufgegeben hatte.

»Wir hätten uns in Abilene begegnen können, Mr. Love. Ich arbeite dort bei der Western Union Bank. Die Filiale ist etwas größer als hier.«

»Bitte nennen Sie mich Nat«, sagte er leise. »Obwohl es wunderschön klingt, wenn Sie meinen Nachnamen aussprechen.«

Ihre Augen antworteten mit einem Strahlen auf die Andeutung.

»Dann müssen Sie Carolina zu mir sagen«, erwiderte sie. »Unter Trauzeugen ist es wohl ohnehin üblich, dass man sich mit Vornamen anspricht.«

»So wird es sein«, stimmte er ihr zu und hätte ihr am liebsten gestanden, dass er sich unsterblich in sie verliebt hatte. Doch das wagte er nicht. Sie war eine weiße Frau, immerhin. Und überhaupt war es für ihn das erste Mal, dass er für eine Lady derart tiefe Gefühle entwickelte.

Gewiss, er hatte schon etliche Frauen gehabt. Auf den vielen Trails hatte es dazu reichlich Gelegenheit gegeben. Doch all diese Frauen hatte er in den Tanzsälen der Saloons kennen gelernt, und sie hatten ausnahmslos die gleiche Hautfarbe gehabt wie er. Sie nannten sich Tänzerinnen, obwohl das eine etwas schmeichelhafte Bezeichnung für die Tätigkeit war, mit der sie ihren Lebensunterhalt verdienten. Andererseits blickte hier im Westen niemand auf jene käuflichen Ladys herab, denn sie erfüllten eine wichtige Aufgabe. Ein Mann musste sich nicht schämen, wenn er mit einer Tänzerin Kontakt gehabt hatte. Dennoch würde Nat sich hüten, Carolina etwas davon zu erzählen. Er empfand es als eine Beleidigung für sie, in ihrer Gegenwart auch nur an Prostituierte zu denken.

»Sicher sind Sie früher mit Gary zusammen geritten«, sagte Carolina.

»Ja«, antwortete Nat. »Erst drüben in Arizona und New Mexico, später auch hier in Texas. Aber ich bin wieder nach Arizona gegangen, und Gary ist hiergeblieben.«

»Wenn die Hochzeit vorbei ist ...«, sagte Carolina nachdenklich, »kehren Sie wieder nach Arizona zurück, nicht wahr?«

»Wahrscheinlich«, erwiderte Nat. »Aber ich bin ein freier Mann. Wenn ich hier ein gutes Angebot erhielte, könnte ich durchaus bleiben. Ich würde meinem Rancher am Gila River ein Telegramm schicken, darin gäbe es keine Probleme.«

Carolinas Frühstück wurde serviert. Sie trank einen Schluck Kaffee und aß den ersten Bissen von dem duftenden Röstbrot auf ihrem Teller.

»Um was für ein Angebot müsste es sich denn handeln?«, fragte sie und hörte nicht auf, ihm in die Augen zu sehen. Ihr Lächeln war einem tiefen Ernst gewichen.

Er verstand, was das bedeutete. Ihm wurde innerlich heiß, und er war so aufgeregt und unsicher wie ein kleiner Junge. Er, Deadwood Dick, der Champion der Weidereiter, kam sich vor, als würde er wie Butter dahinschmelzen.

»Etwas, das mein Leben zum Besseren wendet«, antwortete er nach gründlichem Nachdenken. »Ja, das müsste es sein.«

Carolina lächelte wieder, so voller Güte und Wärme, wie er es noch nie von einer Frau gesehen hatte. »Ist Ihr Leben denn jetzt schlecht, Nat?«

»Nein«, erwiderte er und sog an der Zigarre. »Es wäre undankbar, das zu sagen.« Einen Moment lang blickte er dem Rauch nach, wie er zur Decke stieg. Dann sah er Carolina erneut an. »Ich habe viele Freunde, und ich habe den schönsten Beruf, den ich mir wünschen kann. Aber das ist nicht alles, was ein Mann im Leben braucht.«

»Er braucht ein Zuhause«, sagte Carolina versonnen. »Und eine Frau, die es ihm behaglich macht. Eine Familie ...«

»Haben Sie eine?«, platzte es aus ihm heraus. Im selben Augenblick erschrak er über seine Forschheit. »Verzeihung. Ich habe kein Recht, Sie über Ihr Privatleben auszufragen.«

»Warum denn nicht?«, entgegnete sie. »Ich habe Sie doch auch ausgefragt. Also bekommen Sie eine direkte Antwort von mir. Nein, ich bin nicht verheiratet. Daher habe ich auch keine eigene Familie. Ich bin genauso frei und ungebunden wie Sie, Nat.«

Er schluckte trocken hinunter. Aber wie, zum Teufel, sollte er auf ihre Erklärung reagieren? Einfach sagen: »Dann nehmen Sie mich! Einen Besseren finden Sie nicht.« So etwas Plumpes brachte er nicht über die Lippen. Im Grunde wäre es eine Beleidigung für sie gewesen. Denn letzten Endes war er schwarz und sie weiß. Da mochte sie noch so freizügig denken, die Wirklichkeit des Lebens im Süden erlaubte keine Beziehung zwischen einer weißen Frau und einem schwarzen Mann.

Daher lächelte er lediglich und fragte: »Waren Sie schon auf der Ranch Ihrer Eltern?«

»Nein«, antwortete sie. »Ich bin gestern spät mit der Postkutsche aus Abilene eingetroffen, deshalb habe ich mir ein Zimmer genommen. Außerdem habe ich noch ein paar Besorgungen zu machen.« Sie hob die Augenbrauen. »Da kommt mir ein Gedanke. Sie müssen doch auch zur Ranch. Also könnten Sie mich begleiten.«

»Ich?«, entgegnete er verblüfft.

»Warum denn nicht?«, sagte Carolina forsch und zwinkerte ihm zu. »Trauzeugen müssen zusammenhalten. Oder etwa nicht?«

»Ja, schon, aber ...«

Ihre Miene verdunkelte sich, und ihr Blick forschte in seinen Gesichtszügen. »Ist es schon wieder das leidige Problem?«, fragte sie dann. »Sie denken, Sie dürften nicht mit einer weißen Frau zusammen gesehen werden?«

Er nickte betrübt. »Ich würde Sie gern begleiten, Carolina.«

»Dann tun Sie es, verdammt noch mal.«-

»Ich würde Ihnen damit keinen Gefallen tun.«

»Wieso nicht?« Ärgerliche Falten entstanden auf ihrer Stirn.

»Weil es auf Sie zurückfallen würde, wenn man Sie mit einem Sklaven sieht.«

»Nun reicht es aber«, empörte sie sich. »Der Bürgerkrieg ist seit elf Jahren vorbei.«

»Für manche Leute nicht.«

Carolina schüttelte unwillig den Kopf. »Dann ist es allerhöchste Zeit, dass diese Leute hinzulernen. Seit elf Jahren gibt es keine Sklaven mehr. Das ist doch nicht so schwer zu begreifen, oder?«

Nat lächelte mild. »Es ist schön, dass Sie die Dinge so sehen, Carolina. In einer großen Stadt wie Abilene denken sicherlich auch die meisten Menschen so. Aber wir sind hier in der Provinz.«

Carolina beugte sich vor und sah ihm mit einer Art grimmiger Zuneigung in die Augen. »Ich sage Ihnen etwas, Nat. Die Provinz und die Provinzler interessieren mich überhaupt nicht. Ehrlich gesagt verstehe ich auch nicht, weshalb Sie so vorsichtig sind. Als Weidereiter, in Ihrer Männerwelt, müssen Sie sich doch auch behaupten.«

»Da ist es etwas anderes. Im Rinderland, genau wie bei der Armee, werden Schwarze akzeptiert. Da kommt es nur darauf an, dass man gute Arbeit leistet. Hier, im Baylor County, haben die Leute Zeit, über andere Sachen nachzudenken. Zum Beispiel darüber, dass die Sklaverei eigentlich eine feine Sache war und man sie gern zurückhaben würde.«

Carolina schüttelte abermals den Kopf. »Gary denkt nicht so.«

»Er ist ein Cowboy, ein Rindermann wie ich.«

»Meine Eltern denken auch nicht so.«

»Sie sind keine ...« Nat unterbrach sich. »Sorry, das wollte ich nicht sagen.«

»Aber es macht mir nichts aus. Sie haben ja Recht, Nat. Wir sind keine Amerikaner im üblichen Sinn. Wir sind auch keine Mexikaner, sondern Spanier. Meine Familie stammt in direkter Linie von den spanischen Missionaren und Siedlern ab, die nach Columbus in die Neue Welt gekommen sind. Im Grunde könnten wir stolz darauf sein und behaupten, die besseren Amerikaner zu sein zumal unsere Familien ja auch schon viel länger hier sind als die Einwanderer aus England, Deutschland, Irland und all diesen Ländern. Doch wirkliche Amerikaner sind eigentlich nur die Indianer. Und denen gegenüber haben sich die Spanier genauso menschenverachtend verhalten wie die späteren Einwanderer. Also was soll der ganze Unsinn? In meiner Familie kennt man keine Vorurteile – vielleicht, weil meine Vorfahren mehr Zeit hatten, zu lernen. Für uns sind alle Menschen gleich. Damit bin ich aufgewachsen, Nat.« Sie lehnte sich zurück, atmete tief durch. »Aber ich will Sie nicht in eine Lage bringen, die Ihnen unangenehm ist.«

Er hatte sich längst entschieden, noch während ihrer flammenden Rede. »Ein Mann lässt eine Lady nicht allein über Land ziehen.«

Revolverfreunde: Wichita Western Sammelband 6 Romane

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