Читать книгу Revolverfreunde: Wichita Western Sammelband 6 Romane - Conrad Shepherd - Страница 56

12

Оглавление

Der kleine Einspänner rollte federleicht durch das Hügelland.

»Irgendetwas stimmt nicht«, sagte Carolina unvermittelt. Sie legte ihre Hand auf Nats Unterarm. »Bitte halten Sie an, Nat. Nur einen Moment.«

Er reagierte nicht sofort, denn die Berührung durch ihre Hand sandte einen Strom glühender Wärme durch ihn hindurch. Er vermochte nichts anderes mehr wahrzunehmen. Die Welt bestand nur noch aus dieser sanften, feingliedrigen Hand.

»Bitte, Nat«, wiederholte sie, während sie horchend den Kopf hob und sich mit der linken Hand auf die Armlehne stemmte.

»Ja?«, erwiderte er irritiert. »Was ist passiert?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Carolina stirnrunzelnd. Ihr Blick war in die Feme gerichtet. Sie wirkte seltsam geistesabwesend und zugleich besorgt.

Es gelang Nat, sich in die Wirklichkeit zurückzurufen, als ihre Berührung endete. Er zügelte den Grauschimmel, der ruhig und mit verhaltener Kraft in der Gabeldeichsel ging. Der zweiachsige Buggy stammte aus Alfred’s Livery Stable. Hinten war Nats Brauner angeleint. Carolinas Gepäck bestand aus einem Koffer, einer Hutschachtel und einer ledernen Reisetasche. Es war auf der kleinen Ladefläche hinter dem zweisitzigen Kutschbock festgezurrt.

Der Buggy kam zum Stehen, die Hufgeräusche verstummten, und die Staubwolke senkte sich. In dem sonnendurchglühten Land regte sich kein Lufthauch, und es war kein Laut mehr zu hören. Nat zog die Wasserflasche unter dem Sitz hervor, schraubte sie auf und hielt sie Carolina hin. Sie murmelte ein »Danke«, trank und gab Nat die Flasche zurück. Ihre Handbewegungen wirkten seltsam mechanisch. Nachdem Nat seinen Durst gestillt und er die Flasche zurück an ihren Platz geschoben hatte, vermochte er noch immer nichts zu vernehmen, geschweige denn etwas, das ihm verdächtig vorgekommen wäre.

»Der September ist bald zu Ende«, sagte er, »und hier herrscht eine Hitze wie im Hochsommer. Wenn das so weitergeht, werden wir bald verglühen oder schmelzen. Ist es das, was Sie vielleicht meinen, Carolina?«

Sie wandte sich ihm zu. Wenn sie sonst über seine Scherze lachte oder schmunzelte, so lag diesmal tiefer Ernst in ihrer Miene. »Verzeihen Sie, Nat, aber mir ist nicht danach zumute, über das Wetter zu reden.«

»Was ist denn auf einmal los?«, fragte er verwundert.

»Wenn ich es wüsste, wäre mir wohler. Ich meine, Schüsse gehört zu haben. Oder Schreie. Oder beides.«

»Ganz sicher?«

»Nein. Es könnte auch ein Tagtraum gewesen sein. Vielleicht bin ich in der Hitze eingedöst. Nur für einen Moment.«

»Höchstens das«, entgegnete Nat. »Sonst hätte ich Sie ja festhalten müssen.« Lächelnd fügte er hinzu: »Was ich aber sehr gern getan hätte.«

Sie erwiderte sein Lächeln nur flüchtig. Die unerklärliche Sorge, die sie erfüllte, war im Augenblick stärker als jedes andere Gefühl.

»Die Ranch liegt sehr einsam«, sagte sie nachdenklich, mehr zu sich selbst. »Bis zu den nächsten Nachbarn ist es ein halber Tagesritt.«

»Das war seit Jahrhunderten so«, wandte Nat ein. »Ich weiß es von Gary. Die Familie Menendez hat ihren Besitz stets gut gesichert. Es gab nie größere Gefahren.«

Carolina sah ihn an. »Ist das eine Garantie?«

Nat presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Er spürte, dass er sie diesmal nicht aufheitern konnte. Was, in aller Welt, war mit ihr geschehen? Bildete sie sich etwas ein, oder hatte sie tatsächlich eine dieser Ahnungen, von denen die Menschen einander so oft erzählten? Da wurde von Müttern berichtet, die den exakten Zeitpunkt spürten, an dem ihr Sohn oder ihr Ehemann im Krieg fiel. Auch von Geschwistern war die Rede, die über Kontinente hinweg fühlten, wenn dem jeweils anderen etwas zustieß.

»Es sind noch zehn Meilen bis zur Ranch«, sagte Carolina. »Können wir schneller fahren?«

»Natürlich können wir das«, antwortete Nat. »Es gibt aber auch eine andere Möglichkeit. Sie beschreiben mir den Rest des Weges, und ich ...« Er unterbrach sich. Nach kurzem Überlegen entschied er: »Nein, ausgeschlossen.«

»Sie wollen vorausreiten?«, mutmaßte Carolina. »Warum nicht? Ich kann eine Kutsche lenken.«

»Das bezweifle ich nicht. Aber ich werde Sie nicht allein lassen.«

Carolina klopfte auf die Schulterstütze der Winchester; die in einer Halterung hinter dem Bock steckte. »Ich bin nicht wehrlos, Nat.«

»Auch das bezweifle ich nicht. Aber ich werde das Schicksal nicht herausfordern.«

Sie wusste, was er meinte. Er hatte ihr von dem Zwischenfall im Halfway Saloon berichtet. Sie hatte ihn besänftigt, hatte ihm versichert, dass sie seine Sorge, sie könne seinetwegen in Gefahr geraten, nicht teile. Dabei wusste sie durchaus, dass eben diese Sorge nicht unberechtigt war. Sie kannte die Menschen im Baylor County besser als er. Nat hatte Recht, mit allem, was er befürchtete. Er hatte sich sogar mit dem Gedanken getragen, den Job als Trauzeuge nicht mehr zu übernehmen.

Carolina hatte es ihm ausgeredet, hatte ihn inständig gebeten, Garys und Reynas Glück nicht durch ein solches Ansinnen zu trüben. Nat hatte sich schließlich überzeugen lassen, weil er Gary kannte. Gary würde nicht das geringste Verständnis dafür haben, wenn sich sein bester Freund zurückzog, nur weil seine Hautfarbe schwarz war.

Nat ließ die Zügel nur leicht auf den Rücken des Grauschimmels klatschen. Das Zugpferd stemmte sich mit voller Kraft ins Geschirr und verfiel in einen flotten Trab, den es über Meilen halten würde. Die Leine des Braunen war lang genug, sodass er mithalten konnte, ohne mit der Kutsche ins Gehege zu kommen.

Über etwa zwei Meilen verlief die Wagenroute am Nordufer des Brazos River entlang. Nat wusste von seinem vorherigen Besuch bereits, dass El Rancho Nuevo auf der Nordseite des Flusses lag, allerdings weiter landeinwärts. Nat und Carolina spähten unablässig nach allen Seiten, auch in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Doch nirgendwo war auch nur die kleinste Bewegung zu bemerken. Das änderte sich auch dann nicht, als die Wagenstraße wieder ins Hügelland abzweigte.

Etwa eine halbe Stunde waren sie unterwegs, als Nat jäh zusammenzuckte. Er konnte nichts dagegen tun, denn zu mächtig traf ihn der Schock.

Schwarzer Rauch verdunkelte den Himmel!

Düster und unheilvoll wölkte es empor über dem Ende der langgestreckten Senke, die sie durchfuhren.

Nat schätzte die Entfernung auf etwa drei Meilen.

Carolina sah es im nächsten Moment.

»O mein Gott!«, rief sie und schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund.

Nat antwortete nicht. Stattdessen ließ er die Zügel klatschen und trieb den Grauschimmel zum Galopp an. Während er die Wagenfurchen und die Umgebung im Auge behielt, bemerkte er, dass Carolina keineswegs in Verzweiflung ausbrach. Vielmehr ergriff sie die Winchester und hielt sie schussbereit. Ihre schmalen Hände hielten die Waffe kraftvoll und entschlossen. Ihre Gesichtszüge spannten sich an, und ihr Blick war voller Konzentration auf das vor ihnen liegende Land gerichtet.

Nat wusste es in diesem Augenblick Carolina würde ihren Beitrag leisten, wenn es ernst werden sollte. Er konnte sich auf sie verlassen, falls Angreifer auftauchen sollten. Es tat gut, das zu wissen, obwohl er es als seine Aufgabe betrachtete, sie zu beschützen. Obwohl Carolina nun schon einige Zeit in der Stadt gelebt hatte, war sie ein Kind dieses Landes geblieben.

Es war das Erbe der Pionierfrauen, das in ihr durchbrach – das Erbe jener Frauen, die ihren Männern bei der Eroberung des Westens zur Seite gestanden hatten. Statt zu klagen, hatten sie zugepackt. Statt den Mut zu verlieren, hatten sie Kampfgeist gezeigt.

Der Rauch stieg etwa nördlich von ihrer jetzigen Position auf. Aus der eben noch turmartigen Säule wurde eine Wolke, die sich rasch verbreiterte. Fett und finster quoll das Schwarz sowohl in die Höhe als auch nach den Seiten hin. Nur zeitweise schimmerte die dunkelrote Glut des Feuers durch.

Es war nicht das erste Mal, dass Nat einen solchen Großbrand sah. Menschliche Behausungen entwickelten solchen Rauch, weil Menschen viele fetthaltige Vorräte unter ihren Dächern anhäuften. Wagenschmiere und Teer lagerten in den Stallungen. Melasse, Butter und geräucherter Speck wurden in den Vorratsräumen aufbewahrt.

»Ist es die Ranch?«, rief er gegen das Trommeln der Pferdehufe und das Rollen der Wagenräder an. Er wusste, dass er Carolina die Frage stellen konnte. Sie war gefasst und auf das Schlimmste vorbereitet.

»Ja!«, antwortete sie vernehmlich und ohne Zögern. »Es kann nur die Ranch sein. Hier ist sonst nichts.«

Nat nickte ergrimmt und voller Bitterkeit. Was geschehen war, hatte mit ihm zu tun. Er spürte es mit allen Fasern seiner Sinne. Er fühlte sich verantwortlich, bevor er wusste, was genau geschehen war. Eine ohnmächtige Wut stieg in ihm empor, breitete sich wie eine vernichtende Glut in ihm aus.

Seine Winchester stak im Scabbard des Braunen. Doch er wusste, dass er die Langwaffe nicht brauchen würde. Auch Carolina würde keinen einzigen Schuss abfeuern müssen. Es war eine seltsame Gewissheit, die Nat zu dieser Überzeugung führte. So, wie sie gespürt hatte, dass ihrer Familie etwas geschehen war, so stand es für ihn fest, dass sie zu spät kamen.

Sie würden nichts mehr verhindern können.

Sie näherten sich der riesigen Rauchwolke nun immer rascher. Schon vermochten sie den beißenden Brandgeruch zu riechen, und auch die Gluthitze des Feuers waberte ihnen entgegen. Für sie hatte sich der Himmel bereits zur Hälfte verdunkelt. Der Anblick erinnerte an ein heraufziehendes Unwetter. Doch die Katastrophe dort war von Menschen gemacht.

Nat wandte sich zur Seite, während der Einspänner mit unverminderter Geschwindigkeit dahinjagte. Der Grauschimmel war unermüdlich. Nat sah Carolina fragend an, doch er brauchte nichts zu sagen. Sie ahnte seine Gedanken.

»Nein!«, rief sie. »Nicht anhalten. Ich will es sehen. Ich muss es sehen.«

Revolverfreunde: Wichita Western Sammelband 6 Romane

Подняться наверх