Читать книгу Revolverfreunde: Wichita Western Sammelband 6 Romane - Conrad Shepherd - Страница 50
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ОглавлениеBei jedem Krachen eines Schusses wiederholte sich der gleiche Ablauf. Die Kugel peitschte den Sand der Bodenmulde und riss einen gelbgrauen, feinkörnigen Schwall empor. Ein Teil davon wehte jedes Mal auf Nat herab und rieselte ihm in den Kragen.
Er kauerte in der Mulde und fluchte über seine Unachtsamkeit. Er hatte die Verfolger zu nahe herankommen lassen, und jetzt saß er in der Falle. Zwei verdammte Hurensöhne waren es. Ihre Schüsse fielen in regelmäßigen Abständen, ziemlich genau jede dritte Sekunde. Damit zwangen sie ihn in Deckung. Er hatte bereits angefangen, mitzuzählen.
Einundzwanzig – zweiundzwanzig – Schuss.
Das war ihr Rhythmus.
Sie waren beileibe keine Anfänger. Sie lösten sich beim Schießen ab, und sie wussten verdammt genau, dass sie ihm mit der Zwei-Sekunden-Spanne keine Chance ließen, die Bodenmulde zu verlassen und sich eine neue, bessere Deckung zu suchen. Denn so, wie es aussah, war er nicht einmal in der Lage, es ihnen mit ein paar gut gezielten Kugeln heimzuzahlen. Er konnte nicht mal seine Nasenspitze zeigen. Sobald er es tat, war er ein toter Mann.
Aber das würde er so oder so sein, wenn es nach dem Plan der verdammten Bastarde ging. Sie hatten sich getrennt vor zwei oder drei Schüssen. Nat hörte es aus dem Klang. Beide Waffen, die seine Gegner benutzten, waren Winchester-Karabiner. Einer davon wanderte nach rechts, dort oben auf der Anhöhe, schätzungsweise hundert Yards entfernt. Sie wollten ihn also in die Zange nehmen. Das Gelände eignete sich hervorragend für diesen Zweck. Es war hügelig und stieg vom Fluss her steil an.
Dort unten, in einer geschützten Bucht, stand sein Brauner. Nat konnte von Glück reden, dass seine Verfolger ihn dort nicht schon erledigt hatten. Seine Unachtsamkeit hatte darin bestanden, dass er sich gemeinsam mit dem Braunen zu schnell von dem einladenden Strand in der kleinen Bucht hatte locken lassen. Das kristallklare Wasser war einfach zu verführerisch gewesen. So hatte er, Nat, wohl nicht gut genug aufgepasst, als er den Wallach zum Ufer hatte laufen lassen.
Als er die Geräusche aus dem Unterholz des höher gelegenen Uferbereichs gehört hatte, war ihm gerade noch Zeit geblieben, die Winchester aus dem Scabbard zu ziehen und sich in die Büsche zu schlagen. Zu dem Zeitpunkt hatten die Kerle bereits begonnen, ihn mit Kugeln einzudecken. Mit knapper Mühe hatte er es aus der Bucht in das angrenzende Hügelland geschafft. Sie waren von vornherein im Vorteil gewesen, weil sie den besseren Überblick hatten. So hatten sie lediglich einen Bogen zu schlagen brauchen, um ihn von der Anhöhe aus in Empfang zu nehmen.
Plötzlich änderte sich die Situation.
Nur noch einer der Kerle feuerte.
Es war der Mann, der an der Stelle ausharrte, an der sie ursprünglich beide in Deckung gelegen hatten. Der andere, der nach rechts unterwegs war, hatte das Feuer eingestellt. Wahrscheinlich nur vorübergehend, weil er eine Senke zwischen den Anhöhen überwinden musste. Nat spürte instinktiv, dass seine Chance gekommen war. Und verdammt, er musste sie nutzen.
Eine Idee durchzuckte ihn, wie vom Himmel geschickt. Er setzte sie in die Tat um, ohne auch nur den Hauch einer Sekunde zu verschwenden.
Während über ihm weiter die Kugeln pfiffen und peitschten, drehte er sich auf den Rücken. Die Winchester klemmte er sich zwischen die Beine, mit dem Lauf von sich weg gerichtet, damit kein Sand hineinrieseln konnte. Gleichzeitig rutschte er tiefer in die Mulde und griff sich einen der in der Sommerhitze verdorrten Büsche. Mühelos zog er das abgestorbene Gewächs aus dem weichen Boden. Es war oval, um die fünf Fuß hoch und federleicht.
Nat spannte die Muskeln, während er sich wieder ein Stück höher schob. Er blieb jedoch im toten Winkel, sodass der Gewehrschütze ihn auch weiterhin nicht sehen konnte. Zugleich war ihm klar, dass er handeln musste, bevor der zweite Mann die nächste Anhöhe erreichte.
Er packte den Busch mit beiden Händen und schleuderte ihn wie einen Speer – nach rechts, landeinwärts.
Noch während die längliche Silhouette über den Rand der Mulde flog, packte er die Winchester. Er zog die Beine an, stieß sich ab, warf sich herum. Und er war oben, als sein Gegner auf den Trick hereinfiel. Nat sah das Mündungsfeuer zum ersten Mal. Hundert Yards entfernt stach es nach rechts, in die Richtung, in der der Busch inzwischen über den Boden hüpfte. Im selben Moment hatte Nat seine Winchester im Anschlag. Sein Zeigefinger umschloss den Abzug wie von selbst.
Der Mann lag am Rand des Buschwerks, fast ungedeckt jetzt, wie auf dem Schießstand. Er fluchte lästerlich, als er seinen Fehler erkannte. In wilder Hast versuchte er, ihn wiedergutzumachen. Matt feuerte, als der Gewehrlauf seines Gegners beim Schwenken einen matten metallischen Reflex verursachte.
Die Waffe des Mannes flog hoch, nach hinten über ihn hinweg. Er selbst wurde von der Wucht des Einschusses zurückgestoßen, als hätte ihn eine unsichtbare Gigantenfaust erwischt. Das Gellen seines Schreies wurde hörbar, als das Krachen des Schusses verklang.
Nat beging nicht den Fehler, auf seiner Position zu verharren.
Kaum hatte er abgedrückt, stieß er sich erneut ab. Diesmal katapultierte er sich über den Rand der Mulde hinaus. Oben angekommen, rollte er sich ab, um die Längsachse seines Körpers.
Er tat verdammt gut daran.
Dort, wo er eben noch gelegen hatte, hieb es in den Boden wie von einem Vorschlaghammer. Im nächsten Sekundenbruchteil folgte das Donnern des Schusses.
Nat machte eine Kehrtwende auf der Gürtelschließe, rollte sich erneut zur Seite.
Wieder hieb eine Kugel in den Boden, diesmal haarscharf neben ihm.
Er sah den erlöschenden Mündungsblitz. Der Mann hatte bereits die Anhöhe oberhalb des Flussufers erreicht. Nat fackelte nicht lange. Er feuerte, ohne zu zielen. Mit seiner Deutschuss-Technik hatte er zuletzt beim Wettkampf in Deadwood gesiegt. Dafür hatte er Geld bekommen. Hier aber ging es um nicht weniger als um sein Leben.
Sofort nach dem Schuss wälzte er sich abermals nach rechts. Eine kleinere, flache Bodenmulde nahm ihn auf. Er verharrte auf dem Bauch liegend, das Gewehr im Anschlag. Er glaubte, einen unterdrückten Schmerzenslaut gehört zu haben. Doch so angestrengt er auch horchte, es folgte kein weiteres Geräusch.
Kein Schuss fiel mehr.
Nat blieb dennoch vorsichtig. Er wartete ab. Durchaus möglich, dass der andere darauf lauerte, ihn beim Verlassen der Deckung abknallen zu können. Nat lächelte grimmig. Wenn der Kerl es so haben wollte, sollte er es kriegen: ein Geduldsspiel auf Leben und Tod.
Nats Gehör stellte sich auf die Umgebung ein. Das Rauschen des Flusses drang leise vom Ufer herauf. Tierstimmen waren nicht zu hören. Die Vögel mussten beim Krachen der Schüsse fluchtartig das Weite gesucht haben.
Außer seinen Verfolgern waren keine Menschen in der Nähe. Hier, im Panhandle von Texas, begegnete man oftmals tagelang keiner Seele. Die beiden Männer, die ihm wahrscheinlich schon seit Deadwood auf den Fersen waren, hatten die Stelle, an der sie es wissen wollten, mit Bedacht ausgewählt.
Es war der Red River, der dort unten floss. Nat wusste nun, dass er auf alle Fälle rechtzeitig in Red Springs, seinem Ziel, eintreffen würde. Eine wichtige Aufgabe wartete dort auf ihn. Er sollte Trauzeuge bei der Hochzeit seines alten Freundes Gary Shaffer sein. Anfang Oktober würde Gary seine stolze Spanierin Reyna Menendez heiraten; jetzt war es erst Mitte September.
Zwei Monate war Nat inzwischen unterwegs. Kurz nach dem Aufbruch aus Deadwood hatte er sich von seiner Trail-Mannschaft getrennt. Er würde die Freunde in Arizona wiedertreffen, wenn er von Garys Hochzeit zurückkehrte.
Während er weiter angestrengt horchte, tastete er unwillkürlich nach seinem Brustbeutel. Darin befanden sich die 200 Dollar Preisgeld und 150 Dollar Lohn, die Bill Flanagan im Auftrag des Ranchers aus dem Erlös für die Longhornherde ausgezahlt hatte. Pete Gallingers Cowboys erhielten pro Monat 40 Dollar Lohn; für den dreimonatigen Trail hatten sie zehn Dollar pro Monat als Zulage erhalten. Nat hatte sich vorgenommen, seine 350 Dollar gleich nach seiner Ankunft in Red Springs zur Bank zu bringen. In einem Tresor war das Geld auf alle Fälle am besten aufgehoben.
Plötzlich ertönte Hufgeräusch.
Es setzte auf der Anhöhe ein, und es entfernte sich rasch. Der Mann ritt zum Fluss. Wahrscheinlich suchte er die Furt, die es in der Nähe geben musste.
Nat sprang auf und rannte los. Haken schlagend eilte er zum Ufer hinunter, in die Bucht. Er atmete auf, als er seinen Braunen erblickte. Wasser tropfte vom Maul des treuen Tiers.
»Hast dir den Bauch vollgeschlagen, was?«, sagte Nat und tätschelte ihm den Hals. Dann schwang er sich in den Sattel. Er legte die Winchester schussbereit über das Sattelhorn und ritt zum Ufer hinauf.
Wenig später erreichte er die Anhöhe, auf der sein erster Gegner lag. Nat kannte ihn nicht. Er saß ab und kniete neben ihm nieder. Der Mann atmete noch, aber es war nur noch wenig Leben in ihm. Er spürte, dass jemand in seiner Nähe war. Mit größter Kraftanstrengung gelang es ihm, noch einmal die Augen zu öffnen, doch sein Blick erfasste Nat nicht mehr, richtete sich an ihm vorbei ins Leere. Der Sterbende war wachsbleich. Das schwarze Haar klebte schweißdurchtränkt auf seinem Kopf. Auch in seinen Bartstoppeln standen Schweißtropfen.
»Bist du ... der ... Schwarze?«, fragte er mit schwacher Stimme.
»Der bin ich«, antwortete Nat. »Kommst du aus Deadwood?«
»Ja ...«
»Wer ist dein Partner? Wer ist der andere, der auf mich geschossen hat?«
»Hast du ... ihn ... erwischt?«
»Nein.«
Der Hauch eines Grinsens huschte über die Züge des Bleichen.
»Dann ...«, wisperte er, »wirst du ... dich ... noch ... wundern.«
Sein Atemzug versiegte, und es gab keinen weiteren.
Nat drückte ihm die Augen zu. Er fragte sich, wie ein Mensch angesichts des Todes noch so gehässig sein konnte. Warum hatte der Mann die letzten Augenblicke seines Lebens nicht genutzt, um Frieden mit sich und der Welt zu schließen?