Читать книгу Revolverfreunde: Wichita Western Sammelband 6 Romane - Conrad Shepherd - Страница 49
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ОглавлениеNat Love und seine Gefährten hatten längst festgestellt, dass Mr. Farnum, der Bürgermeister, nur so etwas wie eine Marionette Al Swearengens war. Doch das kümmerte die Männer aus Arizona nicht weiter. Für sie zählte nur, dass der Wettkampf eröffnet wurde, und dass die Zeitnehmer sich auf ihre Tätigkeit konzentrierten.
Nat bemerkte, dass nicht weit von den zwölf Gentlemen entfernt ein Mann in den Publikumsreihen stand, dem das Geschehen überhaupt nicht zu gefallen schien. Es war Bud Shanks. Das Mondgesicht des Kerls war grimmig und verkniffen, und sein finsterer Blick war voller Hass auf Nat gerichtet. Unablässig starrte er herüber, und Nat konnte sich gut vorstellen, dass Mr. Shanks sich inbrünstig wünschte, der Mann, der ihn mit einem einzigen Fausthieb ins Traumland befördert hatte, möge sich beim Mustang-Wettkampf das Genick brechen.
Das eigentliche Startsignal kam von Mr. Sol Stein, dem Inhaber des Hardware-Geschäfts in der Stadt. Er beaufsichtigte die Zeitnehmer und war dafür verantwortlich, dass alles seine Ordnung hatte.
Das Signal, ein Revolverschuss in die Luft, war kaum gefallen, als Nat Love seinen Braunen herumriss und ihm die Stiefelabsätze in die Flanken drückte. Das brave Tier streckte sich unter ihm und preschte los, dass es die reinste Freude war. Nat löste sein Lasso vom Horn und erreichte den Corral als Erster, zwei Pferdelängen vor den anderen. Die beiden Kutscher der Trail Mannschaft, die dort für das Gatter verantwortlich waren, konnten es gerade rechtzeitig öffnen.
Die Mustangs ahnten, was ihnen blühte. Sie empfingen Nat und gleich darauf die anderen Cowboys mit schrillem Wiehern. Dazu gaben sie immer wieder jene markerschütternden Schreie von sich, wie sie die Männer von den Plains kannten, wo diese stolzen Tiere auf der freien Wildbahn lebten und sich nur mit allergrößter Mühe einfangen ließen. Noch bevor Nat Love und seine Gefährten überhaupt in den Corral vorgedrungen waren, zettelten die stämmigen Wildpferde ein wüstes Durcheinander an. Ihre zottigen Mähnen flogen, während sie wie von Sinnen im Kreis und hin und her galoppierten. Zeitweise stieg der eine oder andere Mustang auf die Hinterhand und hieb Luftlöcher mit den Vorderhufen als unmissverständliche Warnung für jeden, der ihnen zu nahekommen wollte.
Doch Nat ließ sich dadurch nicht beeindrucken. Schließlich kannte er seine Pappenheimer.
»Wartet nur!«, rief er laut in das Getöse aus Hufgetrappel, Wiehern und Schreien. »Ihr kennt Nat Love noch nicht. Aber jetzt, Freunde, jetzt gleich holen wir das nach!«
Zum Glück war der Boden noch nicht vollständig trocken, denn sonst hätten die Zuschauer schon bald vor Staub nichts mehr sehen können. So flogen lediglich Erdbrocken und Grasbüschel unter dem wilden Hin und Her der Pferdehufe nach allen Seiten.
Nat hatte seinen Mustang sofort im Auge. Schon als Bill Flanagan jedem der Männer eines der Tiere zugewiesen hatte, war Nat klar gewesen, dass er den wildesten Burschen von allen bekam. >Du bist mein bester Mann<, pflegte Bill zu sagen. >Ich weiß, dass du dich nur dann gefordert fühlst, wenn das Äußerste von dir verlangt wird.
Nats Mustang war ein grauschwarz gescheckter Hengst mit tückischen Augen. Gleich nach dem ersten Besichtigen hatte Nat ihn auf den Namen »Lobo« getauft. Dieses stolze und muskulöse Tier hatte in der Tat etwas von einem Wolf. Einsam und unbeugsam musste es sein bisheriges Leben in der Wildnis verbracht haben. Bei seiner Gefangennahme handelte es sich um eine Laune des Schicksals. Lobo hatte ganz einfach Pech gehabt. Vielleicht hatte er einen Moment zu lange versucht, seine Stuten zu schützen. Schon möglich, dass ihm eine solche Unachtsamkeit zum Verhängnis geworden war.
Nat machte kurzen Prozess. Er ließ das Lasso kreisen, dirigierte den Braunen mit den Schenkeln und achtete darauf, dass sie beide den schlagenden Hufen der Mustangs nicht zu nahekamen. Nur einen Moment lang ritt er scheinbar unschlüssig im Getümmel hin und her. Dann aber, blitzartig, ließ er den Braunen auf Lobo zujagen, in spitzem Winkel, schräg von hinten. Nat warf das Lasso und zog.
Mit einem harten Buck schloss sich die Schlinge um den Hals des Mustangs. Mitten im Lauf wurde er zurückgerissen, und er spürte dabei die ungeheure Kraft des Mannes, der im Begriff war, sein Meister zu werden. Das wilde Tier stieß einen Zornesschrei aus, der alles andere übertönte. Doch es beging nicht den Fehler, auf die Hinterhand zu steigen. Instinktiv schien es zu spüren, was ihm bevorstand. Und mit aller Macht versuchte es, ebendies zu verhindern.
Scheinbar völlig irritiert, tänzelte Lobo auf der Stelle, warf den Kopf schnaubend von einer Seite zur anderen und schien nicht zu wissen, wie er mit der neuen Situation umgehen sollte. Nat wusste jedoch, dass der schlaue Bursche ihn zu täuschen versuchte.
Und tatsächlich.
Plötzlich, ohne erkennbaren Ansatz, brach der grauschwarz gescheckte Hengst zur Seite aus. Wie ein angreifender Stier raste er auf Nat zu.
Doch Nat hatte oft genug mit Wildpferden zu tun gehabt. Er kannte alle Tricks, mit denen sich diese edlen und unbeugsamen Kreaturen ihrem Schicksal zu entziehen versuchten. Mit seinem Braunen arbeitete erlange genug zusammen, um blitzschnell reagieren zu können.
Noch während Lobo heranstürmte, stieß Nat einen gellenden Schrei aus. Gleichzeitig trommelte er dem Braunen die Hacken in die Flanken und beugte sich nach vorn. Der Wallach begriff sofort, was von ihm verlangt wurde, und er setzte es augenblicklich in die Tat um. Aus dem Stand heraus schnellte er los auf den heranstürmenden Mustang zu. Selbst die ausladenden Hörner eines Longhornbullen hätte der Braune nicht gefürchtet.
Lobo schien die Entschlossenheit zu spüren, die ihm entgegengesetzt wurde.
Vermutlich vor Schreck darüber vergaß er das Lasso um seinen Hals, und als ihn der jähe Ruck schon jetzt fast zu Boden warf, war sein Gegner umso mehr darauf vorbereitet. Nat hielt das Lasso mit eisenhartem Griff und veranlasste den Braunen, nach rechts zu schwenken und das Tempo nur geringfügig zu verringern. Der Mustang wurde herumgerissen, und ehe er sich versah, zog ihn sein Bezwinger aus dem Corral, hinaus auf dem Wettkampfplatz.
Zurück blieben die übrigen Männer, die gemeinsam mit ihren geschulten Pferden verbissen daran arbeiteten, ihrer wilden Widerparts Herr zu werden. Nat hatte freie Bahn für seinen Zweikampf gegen Lobo. Niemand behinderte ihn dabei, und er nutzte seinen Zeitvorteil, ohne auch nur eine Sekunde zu verschwenden.
Erließ Lobo keine Zeit, seinen Fehler durch einen neuen Trick wettzumachen. Vielmehr hielt er das Lasso straff, und wiederum genügte ein kurzer Schenkeldruck, um den klugen Braunen zu dem Balken vor dem Corral zu dirigieren. Dort schnappte sich Nat mit der freien Hand einen Sattel und das dazugehörige Zaumzeug und packte beides vor das Sattelhorn des Braunen.
Im nächsten Moment ließ er den Wallach lospreschen. In rasantem Galopp zwang er Lobo in ein immer schnelleres Kreiseln, wobei er das Lasso gleichzeitig zunehmend verkürzte. Währenddessen hatten die übrigen Wettkampfteilnehmer den ersten Schritt gleichfalls geschafft. In großer Zahl schwärmten sie mit ihren Mustangs auf dem Platz aus. Nat war noch etwa drei Yard von dem benommen wirkenden Lobo entfernt, als er den Braunen urplötzlich herumriss. Er erwischte den Mustang exakt zum richtigen Zeitpunkt. Diesmal hatte er dem jähen Ruck nichts entgegenzusetzen. Schrill wieherte er seinen Protest hinaus, als er auf der Seite landete. Sofort versuchte er, wieder auf die Beine zu gelangen.
Doch Nat war im selben Augenblick bei ihm. Kraftvoll umarmte er den Hals des verzweifelten Tiers, das in seiner augenblicklichen Lage nahezu wehrlos war. Mit tausendfach geübten Handgriffen zwang Nat ihm das Zaumzeug auf und entfernte das Lasso. Dann warf er ihm den Sattel über und ließ ihn auf die Beine kommen. Die Zügel straff gespannt in der linken Hand, ließ Nat den Grauen spüren, wozu eine Kandare gut war. Der ungewohnte Schmerz lähmte den Mustang für einen Moment – Zeit genug für Nat, den Sattel zurechtzurücken und den Gurt festzuziehen.
Mit einem Riesensatz sprang er den bereits bockenden Hengst von der Seite an, packte das Sattelhorn und schwang sich hinauf. Er reckte den rechten Arm hoch und stieß einen Triumphschrei aus. Mit einem raschen Blick überzeugte er sich, dass sein Zeitnehmer die Hand hob und damit den Erfolg bestätigte. Im selben Augenblick verwandelte sich Lobo unter ihm in einen wild zuckenden und sich aufbäumenden Muskelberg. Weil er seine Aufgabe erfüllt hatte, dachte Nat jedoch nicht daran, sich auch nur einen Sekundenbruchteil länger als nötig im Sattel zu halten. Er wollte Bud Shanks unter keinen Umständen den Gefallen tun, sich das Genick zu brechen.
Daher schnellte er in hohem Bogen aus dem Sattel, als der Mustang einen Katzenbuckel machte und im nächsten Moment mit der Hinterhand hochkam. Sicher landete Nat auf beiden Füßen. Noch während er in den Knien nachfederte, schnappte er sich erneut die Zügel und zog Lobo zurück in den Corral. Geschickt und mit der gebotenen Vorsicht befreite er ihn von Zaumzeug und Sattel und brachte beides zurück an seinen Platz. Er gesellte sich zu den Männern beim Gatter und schaute den Gefährten zu, wie sie nach und nach ihre Mustangs bezwangen. Es gelang allen, die Aufgabe bis zum Aufsitzen zu erfüllen, doch die meisten brauchten dafür fast doppelt so viel Zeit wie Nat.
Nachdem die Zeitnehmer die Ergebnisse in einem gemeinsamen Protokoll niedergeschrieben hatten, übergaben sie das Papier an Al Swearengen. Bis zum Abschluss des Wettkampfs, so erfuhren die Zuschauer, würden die Zeiten geheim gehalten werden. Trotzdem stand schon jetzt unumstößlich fest, dass der Sieger des Mustang-Wettbewerbs Nat Love hieß. Lediglich für die Reihenfolge der weiteren Platzierungen waren die Ergebnisse der Zeitnehmer noch von Bedeutung.
Für die Männer aus Arizona galt es nun, ihre Fähigkeiten mit Revolver und Gewehr unter Beweis zu stellen. Dazu musste jeder einzeln auf dem provisorischen Schießstand antreten. Es durften die eigenen Waffen verwendet werden, sofern sie den Regeln entsprachen. Letztere waren einfach. Vorgeschrieben waren Winchester-Gewehr und Cavalry Colt, wobei in der Revolver-Disziplin auch ein entsprechender Remington mit siebeneinhalb Inch langem Lauf zugelassen war. Die Zielscheiben waren auf Zeitungspapier gedruckt worden, und auf jeder war oben rechts in Überschriftengröße zu lesen, dass es sich um einen Festbeitrag der Lokalzeitung von Deadwood, »The Black Hills Pioneer«, handelte.
In drei verschiedenen Entfernungen standen die Holztafeln, auf denen die Zielscheiben befestigt wurden. Jeder Schütze erhielt seine eigenen Scheiben, die mit seinem Namen gekennzeichnet wurden. Auf 100 und 250 Yards mussten jeweils 14 Schuss mit dem Gewehr abgegeben werden nicht etwa im Schulteranschlag, sondern freihändig aus der Hüfte. Das Schwarze im Zentrum der Gewehrzielscheiben hatte die Größe eines Apfels. Nur halb so groß war es bei der Scheibe für Revolver, die in 150 Yards Entfernung angebracht wurde. Mit dem Sechsschüsser allerdings waren bei vorgeschriebenen zwölf Schuss das Schießen mit gestrecktem Arm und das Zielen über Kimme und Korn erlaubt.
Als Sieger des Mustang-Wettkampfs hatte Nat das Recht, den Schießwettkampf zu eröffnen. Ohne den Gewehrlauf auch nur um den Bruchteil eines Millimeters zu verreißen, absolvierte er seine Schüsse aus der Hüfte. In zügiger, doch keineswegs hastiger Reihenfolge ließ er seine Winchester peitschen. Jeder seiner zweimal 14 Schüsse traf ins Schwarze. Mit Ferngläsern ausgerüstete Scheibenbeobachter meldeten die Ergebnisse, und bei Nat schwoll der Beifall rasch zum vielstimmigen Jubel an. Ohne sich lange aufzuhalten, wechselte er zum Revolver und jagte die insgesamt zwölf Kugeln aus dem langen Lauf des Cavalry Colts. Diesmal traf er mit zehn Schüssen ins Schwarze. Zwei gingen knapp daneben ins Weiße. Unter Applaus und anerkennenden Rufen wurden Nats Scheiben abgenommen und die des nächsten Schützen aufgehängt.
Der Schießwettkampf war ein langwieriges Unterfangen, das mehr als drei Stunden dauerte. Unter den Mitgliedern der Trailmannschaft waren einige hervorragende Schützen, die sich klangvolle Spitznamen zugelegt hatten. Zu ihnen gehörte »Stormy Jim«, der sich lauthals als Sieger bezeichnete, noch bevor er einen Schuss abgegeben hatte. Von »Powder Horn Bill« so nannte sich der Trailboss wurde erzählt, dass er noch nie danebengeschossen hatte. »Buffalo Head«, ein Halbblut, galt ebenfalls als überragender Schütze. Aber auch die übrigen Teilnehmer konnten hervorragend mit ihren Waffen umgehen.
Alle Zuschauer harrten geduldig aus und warteten voller Spannung auf die Auswertung der Ergebnisse. Niemand hatte den Wettkampfplatz verlassen, als Al Swearengen endlich die Platzierungen bekanntgab.
»Ladies and Gentlemen«, rief er, »ich darf Ihnen verraten, dass wir einen Gesamtsieger haben, einen Champion!« Beifall erhob sich brausend, doch der Saloon-Inhaber sorgte mit einer sensenden Armbewegung wieder für Ruhe. »Die komplette Score-Liste können Sie morgen im >Pioneer< nachlesen. Von mir erfahren Sie erst einmal, wer nicht der Champion geworden ist. Also den dritten Platz im Schießwettkampf erreichte Mr. Abraham Caldwell, besser bekannt als >Buffalo Head<. Auf Platz zwei landete >Stormy Jim<, mit bürgerlichem Namen James Egan.« Jeder Name wurde von Beifall und freudigem Johlen begleitet. Swearengen nannte als Nächstes die Platzierten des Mustang-Wettbewerbs; Bill Flanagan war Dritter geworden, und ein schwarzer Cowboy namens Gordon Montague hatte den zweiten Platz erreicht.«
Anschließend ging Al Swearengens Stimme fast im Jubel unter, als er verkündete: »Sieger in beiden Disziplinen ist: Mr. Nat Love! Sowohl im Schießwettkampf als auch mit dem Mustang hat Mr. Love den ersten Platz erreicht. Damit ist er der Champion des westlichen Rinderlandes und der Held des Tages! Aber das ist noch nicht alles, wie Sie wissen, Ladies and Gentlemen. Treten Sie vor, Mr. Love!«
Nat folgte der Aufforderung. Er fühlte sich ein bisschen unwohl in dem Trubel und bei all dem Klatschen und den Freudenrufen. Al Swearengen händigte ihm einen dicken Umschlag und eine Urkunde aus, die ebenfalls aus der Druckerpresse des »Black Hills Pioneer« stammte. Der Saloon-Inhaber musste brüllen, um sich Gehör zu verschaffen.
»In dem Kuvert befindet sich Ihr Preisgeld, Mr. Love. Vergessen Sie bloß nicht, nachzuzählen. Wer weiß, wie viele von den edlen Spendern anschließend ihren Schein wieder herausgezupft haben!« Damit erntete er schallendes Gelächter, das aber gleich darauf verstummte, als er hinzufügte: »Mit der Urkunde wird offiziell bestätigt, dass Ihnen, Mr. Nat Love, hiermit außerdem der Titel >Deadwood Dick< verliehen wird!«
Diesmal wollte der Beifall kein Ende nehmen. Kräftige Fäuste packten Nat, warfen ihn empor und fingen ihn wieder auf, um ihn gleich darauf erneut in die Höhe zu wuchten. Erst als er zu guter Letzt zurück auf dem Erdboden war, wurde ihm bewusst, dass er die Urkunde und den Umschlag fest an sich gepresst hielt. Der Zufall wollte es, dass ihm in diesem Augenblick abermals das eine, finstere Gesicht in der Menge auffiel.
Bud Shanks war es, der ihn mit unvermindertem Hass anstarrte.
Mr. Merrick, der Redakteur des Black Hills Pioneer lenkte ihn ab, indem er ihm auf die Schulter tippte und in sein Ohr rief: »Darf ich Sie um ein Interview bitten, Mr. Love? Unsere Leser sind gespannt darauf, alles über Sie zu erfahren.«