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4. Gemeindediakonin im Seniorenbereich ab 2016

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Durch einen Teilzeitauftrag als Gemeindediakonin unter Senioren kam dieses Thema jedoch gut ein Jahr später wieder an die Oberfläche. Mit dem Kontakt zu den Bewohnern eines Altenheims und durch ein Fortbildungsangebot beschäftigte ich mich mit den „kriegstraumatischen Folgen für ältere Menschen heute und den Konsequenzen für die Seelsorge“ – so der Titel der Fortbildung mit Udo Baer.14 Und auf einmal war die nationalsozialistische Geschichte meines Volkes, auch 70 Jahre nach Kriegsende, wieder ganz präsent. Denn die Tatsache, dass im Alter unbewältigte und traumatische Erfahrungen auf vielfältige Weise an die Oberfläche kommen, wurde mir bewusst, als zum Beispiel einmal ein über 90-jähriger Mann mitten in einer Feier des Altenheims ganz unvermittelt zu mir sagte: „Was wir den Juden angetan haben, war nicht recht.“

Mir wurde zunehmend bewusst, dass diese und viele andere Themen im Zusammenhang damit unser ganzes Volk betreffen. Was immer auf politischer Ebene schon geschehen ist, berührt bis heute nicht unbedingt die Ebene von Kirchengemeinden und Familien in der Kriegs- und Nachkriegsgeneration und ihren Kindern, den Kriegsenkeln. Vielmehr fand und findet das große Schweigen auf der familiären und persönlichen Ebene seinen Ausdruck in vielen Erscheinungsformen – wie einer harten, gefühlsarmen oder -kalten, leistungsorientierten oder aggressiven Erziehung und vielen anderen traumatischen Reaktionen aus dem Körpergedächtnis.15 Auch die inneren Fragezeichen und Verunsicherungen – im Blick auf die Bedeutung der eigenen Person als Deutscher nach einem verlorenen Weltkrieg und im Blick auf den Sinn des Lebens nach den unzähligen Verlusten und Entbehrungen, der Schuld und der Scham – wurden mit und ohne Worte an die nächste Generation weitergegeben.16

Unter diesen Eindrücken begann ich, für einen nationalen Buß- und Bettag zu beten, an dem der Heilige Geist uns als Volk zum Kreuz Jesu ziehen könnte, wie ich es als Jugendliche schon ganz persönlich erlebt hatte. Dann wären Trauer, Trost und neue „Tanzschritte“ der Hoffnung und des Glaubens für alle möglich, die sich dazu einladen lassen, so dachte ich. Denn der Heilige Geist ist ja der Tröster, der wahre Beistand, der allein das aufschließen kann, was im Menschen ist.17

Zugleich will er auch das erschließen, was in Wahrheit am Kreuz Jesu an Vergebung und Befreiung zugänglich wurde, ob man sich in seiner nationalen Identität eher als Opfer oder als Täter empfindet. Aber aufgrund der damaligen Propaganda und Umdeutung des Evangeliums war dessen Bedeutung durch andere Mächte verdreht und umgekehrt worden. So lautete zum Beispiel das Schulgebet damals: „Führer, mein Führer, von Gott mir gegeben, beschütz’ und erhalte noch lange mein Leben. Hast Deutschland gerettet aus tiefster Not – dir danke ich heute mein täglich Brot! Bleib lange noch bei mir – verlaß’ mich nicht! Führer, mein Führer, mein Glaube, mein Licht! Heil, mein Führer!“18

Jesus ruft seine Braut

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