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Kontinuität und Wandlung: In der Zeit der Weimarer Republik
ОглавлениеDen Einschnitt der Niederlage und der Revolution von 1918 verkraftete das „Hochland“ besser als etwa die „Historisch-politischen Blätter“, die – als Reaktion auf die Demokratisierung – einen national-konservativen Einschlag bekamen und 1923 eingestellt werden mussten. Das „Hochland“ wahrte seine Identität, begleitete die sich überstürzenden Ereignisse mit tief ansetzenden Reflexionen. Es erklärte, dass ein dauerhafter europäischer Friede nur auf der Grundlage umfassender Völkerverständigung wiederzugewinnen sei. Im Ganzen hat die freiheitliche Entwicklung der Weimarer Republik dieses Sprachrohr der katholischen Publizistik eher begünstigt als gehemmt. Inmitten der Säkularisierungstrends war die Zeitschrift bemüht, die Zeichen religiöser Neubesinnung wahrzunehmen, wo sie sich auch zeigten. Sie praktizierte außerdem wie gewohnt Verständigungsbereitschaft über die Grenzen der Nationen, Weltanschauungen und Konfessionen hinweg. Sie registrierte erwartungsvoll, dass, während bisher irreligiöse Kreise sich plötzlich zu religionsphilosophischen und metaphysischen Betrachtungen hingezogen fühlten, Vertreter der christlichen Philosophie verstärkt über eine natürliche Theologie und deren psychologische Grundlagen nachdachten.
Grenzüberschreitendes Lob aus ehemals verfeindeten Lagern wurde der Zeitschrift anlässlich des 60. Geburtstages ihres inzwischen in der geistigen und literarischen Welt etablierten Gründers und Herausgebers zuteil, wenngleich natürlich die katholischen Pressestimmen überwogen. Neben vielen anderen gratulierten der „Osservatore Romano“ (Rom), die „Germania“ (Berlin), die „Kölnische Volkszeitung“, die „Augsburger Postzeitung“, die „Rhein-Mainische Volkszeitung“ (Frankfurt am Main), die „Bayerische Staatszeitung“ (München), die „Deutsche Rundschau“ (Berlin), die Salzburger „Katholische Kirchenzeitung“, der „Gral“, aber auch liberale und nationale Blätter wie die „Frankfurter Zeitung“ und die „Münchner Neuesten Nachrichten“. Muth hatte mit seiner freiheitlichen Konzeption viel Anklang, Zustimmung, Beifall und Bewunderung in der öffentlichen Meinung gefunden. Die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ (Berlin), immerhin die Nachfolgerin von Bismarcks Hauspostille, der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“, schrieb: „Karl Muth hat eigentlich die neue katholische Literatur geschaffen.“ Das Blatt gab sogar die Anregung (mit der es nicht allein stand), „der Protestantismus sollte diesen 60. Geburtstag benutzen, um sämtliche Bände des Hochlands genau zu studieren und etwas Gleichwertiges zu schaffen“.12 Muths Konzeption, die innere Sammlung voranzutreiben und zugleich durch die objektive Würdigung hochstehender Werke Anerkennung nach außen zu gewinnen, war von Erfolg gekrönt. Das Klima hatte sich gewandelt. Die Inferioritätsdebatte konnte als beendet gelten.
Dabei hatte Muth sich keineswegs der angeblichen Überlegenheit einer zum Säkularismus tendierenden nationalen Kultur gebeugt. Den säkularen Trends des mächtig ins Kulturleben hineinwirkenden Liberalismus und Säkularismus widersprach es durchaus, wenn er das Paradigma der inneren und eigentlichen Verwandtschaft von Dichtung und Religion aufstellte und sich dabei auf anerkannte Poeten wie Johann Wolfgang Goethe und Joseph von Eichendorff berief. Namentlich Eichendorff hatte die irdische Natur und Sinnlichkeit, wie sie allein von der Poesie erfasst werden konnten, als Abbilder und Chiffren einer höheren, transzendenten Welt der Religion angesehen.13 Die innere Beziehung von Poesie und Religion erschloss sich Muth zudem aus Überlegungen, die um zwei Schlüsselbegriffe kreisten: um die Freiheit und das Ideal. Er rezipierte die Idee des Philosophen und Münchener Universitätspredigers Martin Deutinger († 1864), dass die Ungezwungenheit und Freiheit künstlerischen Schaffens ihr Urbild im freien Walten der alles bewegenden Liebe Gottes fänden.14 Gemäß dieser Freiheitsvorstellung gelangte Muth auch zur Würdigung des weiblichen Elements in der Dichtkunst, träten in diesem doch spezifische Qualitäten hervor, eine dem einseitig ausgerichteten männlichen Intellekt überlegene Einfühlsamkeit, Ausgeglichenheit und Vielseitigkeit.15
Sodann lagen der Religion wie der Poesie „ideale Prinzipien“ zu Grunde; beide Welten teilten die Ausrichtung auf ein objektiv Vorgegebenes, in der Religion fassbar als die „objektive Welt des Glaubens“, in der Poesie als die objekthaft antreffbare Schönheit und Mannigfaltigkeit der Natur, der Welt und des Lebens. Die Orientierung am „Objektiven“, das letztlich auf die Gottnatur zurückverwies, war damals Allgemeinbesitz des katholischen Denkens. Entsprechend zog Muth die in seinen Augen mehr an objektiven Kategorien ausgerichtete Klassik dem Subjektivismus der Romantik vor. Diese idealistische Sichtweise wurde nur von der Erwägung unterstrichen, dass auch die „subjektivistische Lebensstimmung“ der Romantik der Idee der Einheit nicht habe entraten können, denn einige ihrer Vertreter hätten sie in der Epoche des Mittelalters kristallisiert gesehen.16
Muths eindringlich-behutsame, von großer Belesenheit zeugende und stilistisch hervorragende Interpretationsversuche, Goethe als einen vom Christentum beeinflussten Dichter und Denker zu verstehen, sind von der Fachgermanistik nie gebührend gewürdigt worden. Der Pfad dieser Interpretation war erst zu beschreiten, wenn das vordergründig-prüde Sittenrichtertum aufhörte, das bisher allzu oft die katholische Annäherung an den Weimarer Dichterfürsten bestimmt oder besser: verhindert hatte. Die hohe Auffassung von der Natur, die Goethe hegte, wird von Muth gemäß seiner die Religion und Poesie verbindenden, die Poesie auf die gottgewollte Natur gründenden Auffassung interpretiert, also nicht auf Neuheidentum oder Pantheismus zurückgeführt. Mehr noch: Goethes hohes Lebensgefühl steht für Muth keineswegs im Gegensatz zu dem diese Welt angeblich nur in ihrer Vorläufigkeit und Sündhaftigkeit zulassenden christlichen Glauben. Goethe habe vielmehr das übertriebene, ihn wegen seiner Begegnung mit dem Pietismus in jungen Jahren belastende „Memento mori“ hinter sich gelassen und sich dem entgegengesetzten Pol christlichen Lebens genähert, dem aus der kraftvollen Überwindung des Leidens, der Entsagung und der Todesfurcht resultierenden Aufschwung zum „Memento vivere“, zum schließlichen Sieg des Lebens über den Tod. Goethe „wollte in der Religion als dem höchsten Leben schon hienieden keinen Glauben des Verzichts, sondern der Aneignung, der Bereicherung, der höchsten Bejahung sehen“. Damit erfasste er die „christliche Religion“ ihrer „großen Idee“ nach: Ist sie doch – „richtig verstanden – die Religion höchster Kraft, intensivsten Lebens, freudigster Zuversicht, rastlosen Wirkens, beglückender Lichtfülle“.17