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„Prüft alles ...“

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Ist all das nun auch in Kontexten der katholischen Gestalt des Christentums denkbar? Wie wäre also in diesem hier gleichsam nur hingetupften Szenario der katholische Intellektuelle zu positionieren – so es ihn eben überhaupt gibt? Jedenfalls würde es sich bei ihm um eine besondere Spielart der allgemeinen Bi-Dimensionalität des Typus handeln. Exemplarisch für alle Formen intellektuellen Engagements verschärfte sich hier die Spannung zwischen Standort und Kritik. Die katholischen wären Intellektuelle ja nicht etwa im Sinne von Siegfried Kracauers Diagnose jener „Wartenden“, die zwar vor der „Leere“ der säkularen Moderne erschrecken, deren Verhältnis zum (verlorenen) Glauben aber nicht über ein „zögerndes Geöffnetsein“ hinaus gelangt – von jenen wie „Desperados“ durch religiöse Gefilde Schweifenden ganz zu schweigen, die sich hier und dort einmal kurzschlüssig nahe fühlen.15 Katholische Intellektuelle wären vielmehr an ein überindividuelles Credo Gebundene, nicht nur Interessierte, sondern Entschiedene, mit all den sich daraus ergebenden Verpflichtungen für das Alltagshandeln.

„Katholisch“ bezeichnet Herkunft und Selbstverortung dieser Intellektuellen, denen sich ihre Inspiration verdankt. Aus diesem Glutkern heraus leben und denken sie. Ganz ungeschützt könnte man auch sagen: Sie sind gläubig – oder versuchen es, aller geistigen Anfechtungen ungeachtet, denen man als aufmerksamer Zeitgenosse gar nicht entgehen kann, wenigstens zu sein. Sie fühlen sich zugehörig, und sei es noch im Zustand der Vertreibung oder des selbst gewählten Exils. In diesem Falle ähnelt er eher einem paradoxen Zugleich von Drinnen und Draußen.

Zum Hintergrund des katholischen Intellektuellen gehört indes nicht nur das Bekenntnis zu religiösen Maßstäben, die er nicht selbst erfindet, denen er sich vielmehr anschließt, sie aber individuell verantwortet, sondern auch eine institutionelle Beheimatung. sentire cum ecclesia als Wurzelgrund des katholischen Intellektuellen? Ja, ausdrücklich sogar, aber mit der Einschränkung von Albert Camus, wonach es „am unerträglichsten ist (...), das entstellt zu sehen, was man liebt“.16 Ganz im Sinne der Doppelbedeutung des lateinischen Verbs: mit der Kirche empfinden, kirchlich gesinnt sein; wenn Anlass dazu besteht, allerdings auch „schmerzlich empfinden“. Als deren mündiges Mitglied neigt der Intellektuelle nicht ungern dazu, seine Kirche an dem Anspruch des Geistes zu messen, in dem sie begründet ist. Gerade die tiefe Einwohnung im Katholischen kann zuweilen einen Dissens mit dessen amtlichen Verlautbarungen und Praktiken auslösen, die lauterste Frömmigkeit sich an der jeweils autoritativ verkündigten Linie der Kirche reiben. Beispiele hierfür gibt es genug.

Heinrich Böll bemerkte einmal sarkastisch: „Wenn es für einen Deutschen schon nicht leicht ist, Intellektueller zu sein, so ist es, wenn er außerdem noch Katholik ist, doppelt unangenehm.“17 Das seufzende Bonmot verweist darauf, dass das kirchliche Milieu lange Zeit hindurch keinen günstigen Resonanzraum gerade für die der eigenen Glaubensgemeinschaft angehörenden Anwälte des freien Diskurses und bewusster Zeitgenossenschaft geboten hat. Im Gegenteil: Vorherrschend waren oft Gesten der Abwehr, Verdächtigung und Abwertung. Noch heute (es mag wohl sein: sogar wieder verstärkt) wird Kritik – verstanden als Prüfung, Sichtung, Unterscheidung, Widerspruch –, wird das Erkunden noch unbetretener Wege häufig nur als unstatthafte Abweichung von einer feststehenden Doktrin angesehen, als Angriff, als etwas übel Beleumdetes jedenfalls. Statt derlei versuchsweise als bedenkenswerten Anstoß aufzunehmen (oder sich wenigstens inhaltlich damit zu befassen), ist man oft viel zu rasch mit moralischen Diskreditierungen bei der Hand, denen zufolge Abweichungen von amtlich Vorgegebenem als bloß reflexhaft oder irgendwelchem Anti-Affekt geschuldet, als Lieblosigkeit oder Zeichen falsch verstandener Freiheit und dergleichen mehr erscheinen. Wenn aber Wortmeldungen nur im apologetischen Sinne erwünscht wären, hätten Intellektuelle, wie ein unverkürzter Begriff sie verlangt, in der katholischen Kirche keinen Platz.

Wie viel Freiheit des Geistes also erträgt sie in ihrem Bereich, ertragen diejenigen, die bevollmächtigt für sie sprechen? Das ist eine von mehreren Kernfragen. Kann man sich Intellektuelle dort wirklich nur als Bestätiger vorstellen? Zehrt die Kirche (ebenso wie die Gesellschaft) letztlich nicht gerade von Unangepasstheit und Einzelgängertum, von denen, die sich in offenes Gelände hinaus begeben? Unterliegt man kirchlicherseits nicht vielfach dem Irrtum, Loyalität mit blindem Gehorsam zu verwechseln und den Glauben mit einem geschlossenen System, das Unterwerfung unter seine jeweils amtliche Kursbestimmung fordert? Dann nähme in der Tat jede Äußerung eines „intellectualen Gewissens“ bereits Züge des Maßlosen an. Nichts aber wäre beängstigender als (ihrerseits von Angst geprägte) Menschen, die Freiheit und Verschiedenheit, die Ambivalenzen, Anregungen und Einsprüche, die das Risiko neuer Versuche, auch kühner Vermittlungen, nicht aushalten, sondern darin gleich eine Bedrohung erblicken. So viel jedenfalls steht fest: Je feinmaschiger die Grenzen in der Kirche gesetzt werden, dazu gar noch mit autoritativen Rügen oder Sanktionen verbunden, desto schwieriger wird die Situation für intellektuelle Produktivität.

Der aktuellen Lage des Katholizismus insgesamt wird solche Abschottung nicht gerecht. Sie ist vielmehr durch eine Wandlungsdynamik gekennzeichnet, die mit Stichworten wie konfliktreiche Binnendifferenzierung, Pluralisierung, Individualisierung und Privatisierung nach dem Zerfall kollektiver Verbindlichkeiten umrissen zu werden vermag, wodurch Vielstimmigkeit fast schon strukturell geworden ist. Nicht nur als Niedergangs- und Auflösungsgeschichte fester Identitäten kann derlei beschrieben werden, sondern ebenso begründet als ein Prozess, in dessen Verlauf neue Formen katholischer Lebenswelt entstehen.

Sinn für Pluralismus bedeutet übrigens nicht, sich vom Widerstreit der Ansichten treiben zu lassen und keine Stellung zu beziehen. Er bestreitet nur, dass es in allen Wirklichkeitsbereichen lediglich eine, dazu noch für alle Zeiten „objektive“ katholische Denkmöglichkeit gibt. Tradition ist ein Schatz, kann aber auch zum Bann werden, wenn sie vor dem Horizont neuer Erfahrungen nicht sinnvoll geöffnet, auch behutsam korrigiert wird. Carlo Maria Martini, einer der klügsten ihrer hohen geistlichen Repräsentanten, empfiehlt im Anschluss an 1 Thess 5, 21 f. seiner Kirche, wie mit der zeitgenössischen Kultur umzugehen sei, und entwirft nebenbei ein Programm katholischer Intellektualität: „Seid nicht überrascht durch Vielfalt. Seid nicht geängstigt durch das, was anders oder neu ist, sondern betrachtet es als etwas, in dem ein Geschenk Gottes zu finden wäre. Stellt unter Beweis, dass ihr Dingen zuhören könnt, die ziemlich verschieden von dem sind, was wir gewöhnlich denken.“18

Selbstverständlich gibt es im katholischen Bewusstsein legitime Meinungsverschiedenheiten und Richtungsunterschiede, bilden sich differente Strömungen und Herangehensweisen, Bezugspunkte und Identifikationsmöglichkeiten ab. Schlimm wäre allein das Gegenteil. Fragen müssen gestellt und in unterschiedlichem Sinne beantwortet werden können, auch wenn die Ergebnisse, zu denen man gelangt, keineswegs alle oder in allem der jeweiligen amtlichen Agenda entsprechen. Nicht eine Gefahr für die Einheit der Kirche liegt hierin begründet, eher sogar die Bedingung für deren anspruchsvolle Möglichkeit.

Wie eingeigelt nämlich die konkrete Gestalt des Katholischen in unterschiedlichen Zeitläuften auch (gewesen) sein mag, und ohne religionsphänomenologisch allzu tief zu graben: Von jeher bietet seine zentrale Denkfigur Spielräume, die dem Intellektuellen entgegenkommen – ganz abgesehen davon, dass der Geist des Evangeliums wesentlich einer der Wertschätzung von verantworteter Freiheit ist. Katholisch im Wortsinne bedeutet immer, auch anverwandlungsoffen zu sein, wenn man (wie dies weithin Konsens ist) als sein Grundcharakteristikum ein Wirklichkeitsverhältnis des et – et versteht,19 eines auf Vermittlung ausgerichteten „sowohl – als auch“. Karl Lehmann spricht daher von einer „sehr hohen (...) Integrationskraft“ des Katholischen. In einer „differenzierten Dialektik“ verbinde es „die Freiheit des Gewissens und die Verbindlichkeit von Normen und Weisungen“.20 Eine Polyphonie der einzelnen Positionen macht Hans Urs von Balthasar zufolge den Charme des Begriffs aus.21 In diesem Rahmen ließen sich auch Eigensinn und Kirchlichkeit mit Gewinn aufeinander beziehen. Ein derartiges Verständnis kann sich auf eine Jahrhunderte alte Tradition berufen, die seit der „Gegenreformation“ und besonders während des 19. Jahrhunderts in Abwehr des modernen Freiheitsbewusstseins leider der zunehmenden lehrgesetzlichen Verengung gewichen ist. Unabhängigkeit bedeutet ja nicht Unverbundenheit, und Treue ist weder mit geistiger Trägheit zu verwechseln noch mit allfälligem Schulterschluss. Verankerung in der katholischen Kirche muss prinzipiell keine Einschränkung der Autonomie des Intellektuellen bedeuten. Überdies handelt es sich bei der Parrhesie, dem Freimut, welcher notfalls auch der höchsten Autorität „ins Angesicht widersteht“ (vgl. Gal 2, 11), um eine ur-kirchliche Tugend.

Solcher inneren Bezüge des Katholischen zu dem, wovon Intellektualität lebt, ungeachtet, und trotz der Tatsache, dass es sich bei einigen seiner hohen Amtsträger wiederholt selbst um Intellektuelle handelt – auch wenn es von dieser Rolle her natürlich Besonderheiten in der Gestaltung des Habitus und des Diskurses gibt –, besteht zwischen kirchlicher Gemeinschaft und den Ansprüchen des Intellektuellen letztlich ein Spannungsverhältnis, das man nicht einebnen sollte. Vielmehr wäre es fruchtbar zu machen. Der katholische Intellektuelle ist daher stets ein Katholik im Spagat zwischen Freiräumen und Gebundenheiten: keine einfache, aber eine reizvolle und wichtige Daseinsform.

Stets wäre jedenfalls an einen umfassenden Begriff von Katholizität zu erinnern, der keine Konfessionsbezeichnung meint, nichts partikular sich Abschließendes, sondern, wo immer möglich, auf Berührung und Teilhabe gerichtet ist. Er kann, ja soll auf eine reflexiv begründete Weite zielen, die manchmal sogar scheinbare Gegensätze zu umfassen vermag. Katholische Intellektualität leistet daher per se einen Beitrag zum Stand der gesamtchristlichen Diskussion. Intellektuelle beider Kirchen waren es ja, der protestantischen und der katholischen, die in Deutschland während der NS-Zeit Anfänge eines freundschaftlichen Miteinanders praktizierten. Hier wäre ein verpflichtendes Erbe zu wahren, das inhaltlich in hohem Maße legitimierbar ist. Auf beiden Seiten wächst zuletzt freilich wieder das Bedürfnis nach „Profil“ – wie man sich in ökonomisch dominierten Zeiten unter Wettbewerbern auf einem gemeinsamen Markt, hier: der spirituellen und Sinn-Ressourcen, eben gern auf die Suche nach dem Alleinstellungsmerkmal macht.

Auch wenn es unterschiedliche Denkformen und Lehrtraditionen geben mag, unterschiedliche Stile und Ausformungen des kulturellen Gedächtnisses, teilweise auch der fortwirkenden Sozialisation, sollte man „eine vielleicht vorhandene Differenz“ sicher nicht „unangemessen fixieren und auf diese Weise zu einem Unterscheidungsmerkmal hochsteigern, das es in Wirklichkeit gar nicht ist“.22 So steht bei inhaltlichen Eigentümlichkeiten katholischer Intellektualität, die teilweise angeführt werden,23 am Ende, geht man den Spuren nur genau genug nach, oft ein interkonfessioneller Transfer. Dass es bis in die Gegenwart hinein fortbestehende Ressentiments gegenüber Protestanten auch bei katholischen Intellektuellen gibt, ist leider eine andere Sache.

Statt mehr oder weniger ergebnisarme Kultivierung historisch gewachsener Unterschiede zu betreiben, muss der katholische Intellektuelle seine Identität jedenfalls nicht konstruieren, indem er sich von anderen christlichen Bekenntnissen schroff abgrenzt. Es reicht, wenn er sich auf seine Traditionen – im Plural ausdrücklich! – beruft, und oft genug wird er die Entdeckung machen, dass das, was kontroverstheologisch überbetont wurde und wird, in schönster Nachbarschaft beieinander liegt. Ohnehin scheinen – wenigstens bei der jüngeren Generation – wirklich lebensprägende Differenzen längst nicht mehr zwischen Protestanten und Katholiken zu bestehen, sondern zwischen den christlich Ansprechbaren und den Gleichgültigen.

Katholisch-Sein als Heimat ohne vorschnelle Abgrenzung also. Religionen sind heute mit Recht vielen gerade deswegen suspekt, weil sie Mauern errichten, die Menschen voneinander trennen. Das katholische Prinzip ist demgegenüber das einer bisweilen paradoxen Koexistenz. Daher ist ihm implizit eine große Ökumene eingeschrieben, auf die gegen alle Erstarrungen und Verengungen in seinem Namen zu bestehen wäre.

Eigensinn und Bindung

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