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Politische Diskussionen

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In die Zeit der Weimarer Republik fiel das wohl bedeutsamste politische Engagement von Karl Muth. Es kam beispielhaft in einem programmatischen „Hochland“-Aufsatz zum Ausdruck, der den aufrüttelnden Titel „Res publica“ trug.18 Muth entwickelte hier nichts weniger als den Ehrgeiz, die deutschen Katholiken endgültig auf die Bahn der Aussöhnung mit der Republik und die Deutsche Zentrumspartei in die zukunftweisende Richtung der christlichen Demokratie zu lenken. Er bewegte sich damit im Rahmen konzeptioneller Erörterungen über miteinander konkurrierende Staatsdoktrinen, zu denen das „Hochland“ mehrmals Gelegenheit bot. So ließ es die Unterschiede zwischen einer liberal(istisch)en, sozialistischen und einer organisch oder thomistisch genannten Staatsidee in seinen Spalten diskutieren. Diese an das Verfahren von trial and error erinnernde Methode ist wohl aussagekräftiger für die politischen Vorstellungen der katholischen Zeitschrift als ein den Katholiken der Vor- und Zwischenkriegszeit unermüdlich von den Historikern unterstellter konservativer Korporativismus,19 der angeblich mitgeholfen habe, die Entwicklung zur Demokratie in Deutschland zu verbauen.

Erneut ging Muth nicht von einem separierenden, sondern von einem integrierenden Denkansatz aus. Er fasste – ohne Bewährtes zu verwerfen – ein allgemeines (Reform-)Ziel ins Auge. Ihm schwebte, zugleich mit der Erneuerung der Gesellschaft gemäß den Erfordernissen der gewandelten Nachkriegszeit, die Überwindung der seit 1918/19 latent drohenden Verfassungskrise der Republik vor. Dabei richtete er sein Wort zunächst an die weiter an der Kaiserzeit hängenden Konservativen, „die nichts gelernt und nur zu viel vergessen haben“, besonders aber an die unentschiedenen „Opportunisten“, die ebenfalls Distanz zum Weimarer Staat hielten. Die nach Versailles stark erregten nationalen Gefühle berücksichtigend, verwarf er das Vorbild der Dritten Republik Frankreichs, hatte sich hier doch ein unüberwindlicher Gegensatz zwischen der Partei der atheistischen Republikaner und den vereinigten Monarchisten und Klerikalen aufgetan; nicht zuletzt auf Grund dieser Polarisierung war der Staat dann zur Beute der Radikalrepublikaner geworden. Muth proklamierte vielmehr eine andere, eine auf der eigenen Vergangenheit beruhende Konsolidierung der deutschen Republik. Im Unterschied zum Frankreich der 1870er-Jahre, das zunächst noch die Wahl zwischen einer konservativen oder demokratischen Vorherrschaft gehabt hatte, war den Deutschen 1918 nur übrig geblieben, die neue Staatsform als unabwendbare Tatsache hinzunehmen; das nannte Muth aus einer vertieft christlichen Sicht sogar eine aus „Christenpflicht“ zu bejahende göttliche Fügung; an der Staatsform war danach eigentlich nicht mehr zu rütteln.

Was die Katholiken betraf, so hatte die Republik ihnen entscheidende Vorteile gebracht, ihnen die bisher im Prinzip vorenthaltenen „verfassungsmäßigen Freiheiten“ gewährt. Aber bedeuteten die neuen „Freiheiten“ nicht für alle Staatsbürger einen wesentlichen Fortschritt? Den kirchenpolitischen oder konfessionellen Ansatz überschreitend, forderte Muth die Besinnung auf die Freiheitstraditionen der deutschen Geschichte, auf die in deren „mittleren Zeiten“ herrschenden „jures, libertates et consuetudines“. An diese – gegen die unbeschränkte Souveränitätsdoktrin gerichteten – Freiheitsrechte sollte die deutsche Republik anknüpfen, sollte sie „ein den germanischen Freiheiten“, wie Muth in historisierender Diktion ausführte, „adäquates Gebilde“ werden.

Die „Freiheiten“ der modernen Welt sahen natürlich anders aus: Für Muth naheliegend waren es zunächst Religion, Wissenschaft und Kunst, die der republikanische Staat, anders als der Obrigkeitsstaat, als von ihm unabhängige Kräfte anerkennen sollte, dann die Werte der Persönlichkeit, der Ehe, der Familie, der familiengerechten „Kindererziehung“ und des „Berufsgedankens“. Diese gesellschaftlichen Grundkonstellationen sollte eine christliche Demokratie vor den Nivellierungen und „Verstaatlichungstendenzen“ einer „rein sozialistisch entwickelten Demokratie“ schützen. Die neue, zukunftweisende politische Kraft einer christlich inspirierten Demokratie sollte noch zwei andere politische Lager im Zaum halten: eine liberal-sozialistische Kulturkampfkoalition, deren Wiederaufleben nach den Vorgängen in Preußen 1919 anscheinend möglich schien, sowie die „unbelehrbaren reaktionären Elemente“. Dabei setzte Muth seine Hoffnung auf die „republikanische Bewegung“ unter dem Zentrumsführer und Reichskanzler Joseph Wirth und auf die Weiterentwicklung der erprobten volksparteilichen Konzeption der Deutschen Zentrumspartei.20 Die neue Gruppierung sollte sozial auf der Einigkeit des „Besitzbürgertums“, einschließlich der Bauern, mit dem bereits von der christlichen Gewerkschaftsbewegung erfassten „arbeitenden Volk des vierten Standes“ beruhen.

Konsequent maß Muth auch die Politik an den für die Literatur eingeführten Koordinaten: an der Verbindung von „Religion“ und „Freiheit“. Die tieferen Wurzeln der „staatsbürgerlichen Tugenden“, auf denen die Demokratie beruhte, allen voran Verantwortungsgefühl und Gewissen, fand er in den „Grundkräften des Christentums“ verankert. Muth deklamierte das nicht nur, sondern berief sich auf die Werke und historischen Forschungen ihm verwandter Geister, des Engländers Hilaire Belloc und des Spaniers Donoso Cortés. Ihnen hatte sich bei ihren Studien die Erkenntnis aufgedrängt, dass das allmähliche Verschwinden des aus der Antike überkommenen „Sklavenstaats“ auf eigentümliche Weise mit der Entwicklung der „christlichen Kultur“ zusammenhänge. Und auch jüngste kirchliche Entwicklungen schienen symbolisch zu bekräftigen, was nun auf dem weltlichen Gebiet gefordert war.

Die Ausrufung des Christkönigsfestes an Silvester 1925 in Rom wurde Muth zum Zeichen, dass nach dem soeben erlebten Sturz vieler weltlicher Königsthrone nur das Königtum des Gottessohnes noch wahre Gültigkeit beanspruchen könne, dieses nun verstanden als Symbol für jene sittliche Kraft, die sich gegen alle weltliche Despotie richte. Das aus „religiösen Grundsätzen“ abzuleitende Gebot, die irdischen, stets „bedingten Erscheinungen“ nicht „zu verabsolutieren“, bezog Muth auf die Monarchie. Das Verbot der Absolutsetzung historischer „Erscheinungen“ wurde diesem Katholiken und Anhänger der Zentrumspartei gerade nicht, wie öfters zumindest über seine Gesinnungsgenossen zu lesen, zum Argument der Relativierung der republikanischen Staatsform. Vielmehr hat er die Republik ausdrücklich als zeitgemäß begrüßt. Dabei half ihm die von Georg von Hertling schon 1911 in Bezug auf die USA formulierte staatstheoretische, aber moderne Mentalitätsphänomene einbeziehende Erkenntnis, dass in den Augen seiner Bürger auch die „Institution“ eines „Freistaats“ einen „geheiligten Charakter“ gewinnen könne – wie vordem der Royalist dem Königtum ein „religiöses Empfinden“ entgegengebracht habe. Die „demokratische Form“ allein reichte Muth nicht aus; die Aufgabe war, „das Demokratische mit den Grundkräften des Christentums“ zu „verbinden“, also die Vertiefung der Republik zur „Gesinnungsdemokratie“.

Muth schlug sich mit solchen Reflexionen auf die Seite erprobter Politiker der Zentrumspartei wie Hertling (der Anfang 1919 verstorben war) und Joseph Joos, 1920 bis 1933 Reichstagsmitglied der Zentrumspartei, seit 1927 Vorsitzender des Westdeutschen Verbands der Katholischen Arbeiterbewegung.21 Er bewahrte sich so den Blick für die politische Realität. Ohnehin glaubte er, dass nach 1918 eine „überparteiliche Politik“ ein Widerspruch in sich geworden sei. Demgegenüber ließen die Historiker Friedrich Fuchs und Philipp Funk, beide geschätzte Mitarbeiter am „Hochland“, eine gewisse Distanzierung vom politischen Katholizismus erkennen, wenn sie diesem nur eine Hilfsfunktion oder Vorreiterrolle in dem von ihnen als vorrangig erachteten Ringen um Fortschritt und Gleichberechtigung auf dem Gebiet des deutschen Kulturlebens zugestanden.22

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