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Wege zum Widerstand

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Die Bildungselite um die Zeitschrift „Hochland“ erlebte nach 1933 eine ganz andere „Volksgemeinschaft“, als Muth sie propagiert hatte. Während viele katholische Presseorgane, namentlich die Tageszeitungen mit ihrer vielfältigen landschaftlichen Verwurzelung, rasch unterdrückt, verkauft oder verboten wurden, erlebte das „Hochland“, wie das Gros der katholischen Zeitschriften überhaupt, bis zu seinem Verbot im Juni 1941 einen Aufschwung in Gestalt einer Auflagensteigerung. Diese fiel vor allem in die zweite Hälfte der 1930er-Jahre. Die Gründe dafür sind schwer nachweisbar. Zunächst einmal werden die Periodika von dem Verschwinden der katholischen Tagespresse profitiert haben. Speziell für das „Hochland“ dürfte zutreffen, dass sein hohes intellektuelles Niveau Verständnisschwierigkeiten mit sich brachte und darum der Zensur des Nationalsozialismus nicht so viele direkte Angriffsflächen und Anhaltspunkte bot. Dazu kam, dass die Monatsschrift eine Abonnentenschar in vielen Ländern der Welt besaß, im Ausland sehr angesehen war und ein Verbot dort allzu deutlich als Beispiel für die Unterdrückung der Geistesfreiheit in Deutschland hätte herangezogen werden können.

Auch entwickelte „Hochland“ unter den Bedingungen der Diktatur und gemäß den ausdrücklichen Vorgaben der Redaktion die Kunst, die ihm und seinen Lesern wichtigen Inhalte verdeckt und indirekt zu vermitteln. Einerseits musste die Gemeinschaft mit einem geistesverwandten Lesermilieu aufrechterhalten werden; andererseits war eine Form oder Verpackung zu wählen, die unauffällig und angepasst genug zu sein schien, um nicht offiziell Anstoß zu erregen.23 Dazu gehörte auch die Verwendung von Pseudonymen für die Autoren zeit- und regimekritischer Beiträge. Schließlich kam es in Einzelfällen doch zu einer Anpassung an die übermächtigen Zeitumstände. So verharmloste ein Artikel des angesehenen französischen Paläographen und Patristikers Dom Germain Morin den deutschen „Blitzkriegs“-Angriff auf Frankreich mit historischen Argumenten, wurde aber dennoch vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda abgelehnt.24 Das Genus dieser Widerstandsliteratur, das von plumpen Interpretationen verkannt wird, ist noch nicht genügend untersucht und gewürdigt.

Vor allem während der letzten Phase des Aufstiegs der „Hitlerbewegung“ publizierte das „Hochland“ allerdings eindeutig ablehnende Stellungnahmen. Sie wiesen über Tagesgesichtspunkte hinaus und enthielten bereits gültige Argumente für eine historische Analyse des Totalitarismus-Phänomens. Das traf vor allem für die Aufsätze des promovierten Juristen, Soziologen, Schriftstellers und politischen Kommentators russisch-jüdischer Herkunft, Elias Hurwicz,25 zu. Er war auch mit Analysen der russischen Revolution hervorgetreten, die er ablehnte, obwohl er für ihr Entstehen aus den in Russland herrschenden Zeitverhältnissen großes Verständnis zeigte. Hurwicz musste dann Deutschland verlassen. Aus der langen Lebenserfahrung des Zeitzeugen prangerte er die Marxismus-Renaissance nach 1945 als „Wiederkehr des Vorgestrigen“ an.26 Hurwicz fasste 1933 zunächst den übersteigerten Nationalismus als Bedingung für den Aufstieg des Nationalsozialismus in den Blick, kritisierte die Übertreibung national- und machtstaatlichen Denkens dieser – insofern nicht neuen – „Bewegung“. Weitere Bedingungen für den Erfolg des Nationalsozialismus sah er in dem bei den Deutschen verfangenden Personenkult, im ersatzreligiösen Auftreten der Bewegung sowie in der auf bloßen Stimmenfang berechneten, inkohärenten, „buntscheckigen“ Programmatik.

Die ideologische Auseinandersetzung des „Hochland“ mit dem Nationalsozialismus lässt sich summarisch drei Grundlinien zuordnen:27

1. Der „geistige Widerstand“ aus dem religiösen Bereich legte einem Staat, der die bürgerliche Ordnung hinter sich ließ, eine unzulässige Grenzüberschreitung zur Last, weil er sich über das Gewissen und die Freiheit der Kirche hinwegsetze und insofern eine Tendenz zur Totalität zeige. Autoren des „Hochland“ wollten aber die natürliche Ordnung – als eine Voraussetzung der Gnade – erhalten wissen. Sie verteidigten auch das von den Nationalsozialisten angegriffene Alte Testament als integrierenden Bestandteil des christlichen Glaubens und widersprachen dem Antisemitismus der nationalsozialistischen Rassenlehre. Sie bezeichneten ihn als widerchristlich, weil er unzulässige Schranken unter den Völkern aufrichte, die alle gleichermaßen zur Erlösung berufen seien.

2. Auf historischem Gebiet widersprach das „Hochland“ der Pervertierung des Reichsgedankens durch die nationalsozialistische Ideologie, der Erhebung des Zentralismus zum Entwicklungsziel der deutschen Geschichte, der biologisch-materialistischen Geschichtsbetrachtung, der Verbiegung der Geschichtswissenschaft durch ihre Indienstnahme für politische Gegenwartsziele und der damit verbundenen Leugnung des historischen Objektivitätsgebots. Das außenpolitische Auftrumpfen des Nationalsozialismus geriet in die Kritik, wenn Muth – durch die Blume gesprochen – sich mit den „nationalegoistischen Instinkten“ des Kardinals Richelieu auseinandersetzte und dem nur von den eigenen Interessen geleiteten Vertreter des frühen Absolutismus in Frankreich das größere „europäische Solidaritäts- und Verantwortungsgefühl“ des habsburgischen Kaisers gegenüberstellte.28

3. Auf dem ihm ureigenen Gebiet der schönen Literatur trat die Zeitschrift der Verbreitung der Blut- und Boden-Ideologie entgegen, verwarf die einseitige Nationalisierung des universellen Kulturgutes der Kunst, bestand auf den Freiheiten und selbstgesetzten Zwecken jeder künstlerischen Betätigung. Die Selbstständigeit des Denkens und der künstlersichen Emotion, eine je eigene Auffassung des Lebens und der Wirklichkeit galten ihr nach wie vor als die allein angemessenen Grundlagen für jede geistige Produktivität. Der Abdruck klassischer Lyrik – von Emanuel Geibel, Jeremias Gotthelf oder Gottfried Keller – stellte gewissermaßen geistige Residuen der Normalität, Inseln der Zuflucht und des Trostes in persönlichen Bedrängnissen oder inmitten der sich allgemein verbreitenden Niedergeschlagenheit bereit.

Zwar stammten die meisten Widerstands-Artikel nicht aus der Feder von Karl Muth. Aber ihm und seinem letzten Schriftleiter Franz Josef Schöningh gebührt das Verdienst, inspirierend, lenkend und planend den widerständigen Kurs der Zeitschrift bestimmt zu haben. Muth betrat aber auch noch mit eigenen Beiträgen die politische Arena. So nahm er die falsche Traditionsanmaßung der Nationalsozialisten nicht hin. Deutlicher noch als in seinen Besprechungsartikeln über Richelieu bezeichnete er in einem klugen Essay über den Reichsgedanken den Kaiser als „Schützer des Rechts und Wahrer der Ordnung“ – nach außen wie im Innern des Alten Reiches – und scheute, sich auf Theodor Haecker berufend, auch nicht die deutlichen Worte in der Sache: Das „Dritte Reich“ konnte sich nicht als Erbe des mittelalterlich-frühneuzeitlichen Reiches ausgeben, da dessen „wahre Idee“ ihrem „Wesen nach“ dem Nationalsozialismus „zuwider sein muß“.29 Wenn die Zeitschrift die Machtübernahme des Nationalsozialismus mit klaren Abgrenzungen quittierte, so musste sich allerdings nach dessen Machtbefestigung der geistige Kampf mehr der indirekten Vermittlung, etwa der Diskussion über historische Komplexe und Analogien oder der Erzählung über unpolitische, aber aktuelle Schlussfolgerungen nahe legende Themen bedienen.

Nach dem Verbot seiner Zeitschrift arbeitete Muth mit der ihm eigenen Rastlosigkeit weiter und beschäftigte noch jüngere Mitarbeiter. Zu ihnen gehörte im Sommer 1942 Hans Scholl. Er half, Muths große Bibliothek zu katalogisieren. In den die Arbeit begleitenden Gesprächen bestärkte der erfahrene Publizist den jungen Mann in seiner Abwehrhaltung gegen den Nationalsozialismus. Die Meldung über die Hinrichtung des noch jugendlichen Widerstandskämpfers hat Muth tief erschüttert.30 Er selbst entging der Verhaftung, obwohl er eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen musste. Belastendes Material, so eine für Papst Pius XII. bestimmte Denkschrift über aktuelle deutsche Zustände, entging den Häschern. Am 15. November 1944 verstarb Karl Muth im Krankenhaus von Bad Reichenhall. Dorthin war er verlegt worden, nachdem sein Haus in Solln und die Münchener Klinik, die ihn aufgenommen hatte, zerstört worden waren. Bis zuletzt hegte er die Gewissheit, die er schon in den Anfangsjahren der NS-Diktatur gewonnen hatte, dass der Nationalsozialismus dem Untergang geweiht war.

Doch würde dies, wie er ebenfalls glaubte, nicht ohne außergewöhnliche Opfer abgehen. Muth war angesichts der Akzeptanz, die der Nationalsozialismus, kaum dass er zur Herrschaft gelangt war, in allen Bevölkerungsschichten erlangt hatte, früh der Meinung, dass dieses Unrechtsregime nur durch einen verlorenen Krieg zu beseitigen sein würde.31 Der Publizist, Essayist und Schriftsteller, eine Künstler- und Gelehrtennatur, gewann eine wirklichkeitsnahe Einschätzung der nach 1933 eingetretenen Lage. Aus langjähriger politischer Erfahrung, aus der Beobachtung des geistigen und politischen Lebens wie aus einer weltanschaulichen Grundhaltung, die heute gern als „ontologisch“, spekulativ oder unwissenschaftlich abgetan wird, fand er zum Widerstand.

Schriften von Karl Muth: (Hg.:) Hochland. Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur u. Kunst. Kempten/München 1903 – 1941 – (u. d. Pseudonym Veremundus:) Wem gehört die Zukunft? Ein Literaturbild der Gegenwart. Frankfurt a. M. 1893 – (u. d. Pseudonym Veremundus:) Steht die Katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? Eine litterarische Gewissensfrage. Mainz 1898 – (u. d. Pseudonym Veremundus:) Die Litterarischen Aufgaben der Deutschen Katholiken. Gedanken über katholische Belletristik und litterarische Kritik. Zugleich eine Antwort an seine Kritiker. Mainz 1899 – Die Wiedergeburt der Dichtung aus dem religiösen Erlebnis. Gedanken zur Psychologie des katholischen Literaturschaffens. Kempten/München 1909 – Schöpfer und Magier. Drei Essays. München 1935.

Sekundärliteratur: Konrad Ackermann: Der Widerstand der Monatsschrift Hochland gegen den Nationalsozialismus. München 1965 – Winfried Becker: Muth, Carl Borromäus Johann Baptist. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Hg. v. Traugott Bautz. Bd. 6. Herzberg 1993, Sp. 396 – 402 – Walter Ferber: Carl Muth (1867 – 1944). In: Rudolf Morsey (Hg.): Zeitgeschichte in Lebensbildern. Bd. 1. Mainz 1973, 94 – 102, 301 f. – Maria Cristina Giacomin: Zwischen katholischem Milieu und Nation. Literatur und Literaturkritik im „Hochland“ (1903 – 1918). Paderborn 2008 – Anton Wilhelm Hüffer: Karl Muth als Literaturkritiker. Münster 1959 – Gilbert Merlio: Carl Muth et la revue Hochland. Entre catholicisme culturel et catholicisme politique. In: Michel Grunewald/Uwe Puschner in Zus.arb. m. Hans Manfred Bock (Hg.): Das katholische Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1871 – 1963). Bern u. a. 2006, 191 – 208 – Wulfried C. Muth: Carl Muth und das Mittelalterbild des Hochland. München 1974 – Barbara Schüler: „Geistige Väter“ der „Weißen Rose“. Carl Muth und Theodor Haecker als Mentoren der Geschwister Scholl. In: Rudolf Lill/Klaus Eisele (Hg.): Hochverrat? Neue Forschungen zur „Weißen Rose“. Konstanz 1999, 101 – 128.

Eigensinn und Bindung

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