Читать книгу Shinobi - Der Weg der Schatten - Danny Seel - Страница 11
Оглавление5. Grenzkontrolle
Es war schon spät am Nachmittag. Zeichen des sich zu Ende neigenden Sommers waren überall erkennbar und die Ankunft des Herbstes wurde immer deutlicher.
Aus einer kleinen Gasse beobachte Yujiro, wie der Wind die herbstverfärbten Blätter aufwirbelte. Das Rascheln der vielen Blätter erinnerte ihn an seine Kindheit.
Tief ausatmend betrachtete er den großen Tempel, der als Treffpunkt für die drei Shinobi ausgemacht worden war. Sein Blick verharrte einen Moment lang auf dem prachtvollen Gebäude, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder seiner früheren Beschäftigung zuwandte. Sorgfältig wickelte er einen Verband um seinen Schenkel. Die Wunden waren weder lebensgefährlich, noch tief und behinderten ihn lediglich in seinen Bewegungen.
„Ich frage mich, wie ich damit an den Wachen vorbeikommen soll“, brach er die Stille. „Sie werden mich sicherlich darüber fragen.“
Der eher zurückhaltende Rintaro, der neben ihm stand, spähte aus der Gasse heraus, welche einen direkten Blick auf den Tempel hatte, um Ausschau nach Suzaku oder möglichen Gefahren zu halten.
„Mach dir keine Sorgen“, versicherte er seinem Freund, „es wird schon gut ausgehen.“
Sobald Yujiro endlich mit dem Verbinden seiner Wunde fertig war, seufzte er wegen der Schmerzen. Er wollte sich an die Wand hinter ihm zurücklehnen, als eine plötzliche Bewegung seines Gefährten ihn aufblicken ließ.
„Was ist?“
Um die Ecke blickend, schwieg Rintaro einen Augenblick lang und zog dann abrupt den Kopf so schnell zurück, als ob man ihn gesehen hätte. „Da kommt ein Komusō.“
Neugierig riskierte Yujiro einen Blick und sah einen Mann, der in einem ruhigen Gang unbewusst auf sie zuging. Er hatte eine eigenartige Kopfbedeckung, die darauf hinwies, dass er ein Mönch der Leere war. Diese Kopfbedeckung war ein Korb aus Stroh, der etwa fünfzig winzige Löcher hatte, die ihm die Sicht und vor allem die Atmung ermöglichten.
Er stand eine halbe Minute lang vor dem Tempel da und blickte sich mehrmals um. Dann, zum Entsetzen der beiden Männer, bog er direkt in die Gasse ab und blieb vor ihnen stehen, sobald er sie erblickte.
„Kann ich euch irgendwie behilflich sein?“, fragte er vorsichtig.
Yujiro fing sich als Erster. „Ich bezweifle es. Wir warten auf jemanden.“
Er wurde ein wenig nervös, als der Komusō zwei Sekunden lang nichts sagte, denn er konnte wegen des Korbs die Reaktion des Mönchs nicht erkennen.
„Wartet ihr nicht zufällig auf einen Bauern, der heute von Dōshin verfolgt worden war, die behauptet haben, er sei ein Shinobi?“
Rintaro war kurz davor nach einem Messer zu greifen, konnte sich jedoch noch in der letzten Sekunde zurückhalten. Bestürzt tauschten er und Yujiro alarmierte Blicke aus. Der Komusō musste Mut haben, wenn er tatsächlich annahm, dass sie die anderen zwei feindlichen Spione waren.
Yujiro betrachtete aus den Augenwinkeln das Schwert, das an der Hüfte des Mönchs hing. Viele Komusō waren ursprüngliche Samurai und obwohl Bushi immer ein Schwertpaar trugen, durften diese Mönche bloß ein einzelnes Schwert besitzen.
„Angenommen, das würde stimmen … was wäre dann?“, antwortete er subtil, als er versuchte durch die kleinen Ritze der Kopfbedeckung seines Gesprächspartners zu schauen.
„Na dann könnte ich euch helfen. Ich weiß nämlich, wo er sich aufhält“, erwiderte der Komusō.
Yujiro nickte seinem Gefährten zu und dieser zog begreifend einen kleinen Geldbeutel heraus.
„Wie viel?“, fragte er.
„Nein! Ich möchte euer Geld nicht haben!“, rief der Mönch empört.
Überrascht band Rintaro den Beutel wieder an seinen Obi, seinen Gürtel.
„Euer Gefährte befindet sich direkt vor Ihnen!“
Der Komusō nahm den Korb ab.
„Suzaku!“, schnappten die beiden nach Luft.
Yujiro schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Du bist ja einer! Wo hast du dich eigentlich herumgetrieben? Nur ein Neuling wie du könnte so viel Zeit benötigen!“
Suzaku widersprach: „Ich hatte mein Training bereits vor zwei Jahren abgeschlossen. Ich denke, ich bin schon lange kein Neuling mehr.“
„Ich glaube, du meinst, du hattest erst vor zwei Jahren dein Training abgeschlossen“, lächelte Yujiro. „Wobei meins bereits fünfzehn Jahre zurückliegt.“
„Wo hast du eigentlich diese Verkleidung her?“, erkundigte sich Rintaro und hob eine Augenbraue.
„Nun ja …“ Suzaku wirkte verlegen und kratzte sich am Hinterkopf. Es war ihm anzusehen, dass er versuchte, der Frage auszuweichen, denn es war ihm unangenehm, zuzugeben, dass er die Kleidung gestohlen hatte, während sich ein paar Komusō in einem Badehaus aufgehalten hatten. Auf einmal erhellte sich sein Gesicht und er griff nach zwei Körben, die er am Rücken trug.
„Ich habe auch eine Verkleidung für euch!“
Aus den Körben nahm er zwei Komusō-Kleidungen heraus.
„Die ganze verlorene Zeit hat sich gelohnt!“ Yujiro war entzückt. „Sie werden nach Bauern suchen, nicht nach Komusō. So können wir viel schneller nach Iga zurückkehren.“
Beide fingen an, sich zu verkleiden.
„Aus der Stadt können wir jedoch nicht heraus“, meinte Suzaku stirnrunzelnd. „Wie ihr wisst, stehen dort Wachen, die nach Ausweispapieren fragen und nach Leuten wie uns Ausschau halten. Und unsere gefälschten Papiere habe ich leider aus Versehen zurückgelassen, als ich meine Bauernkleidung für diese hier eintauschte.“
Rintaro räusperte sich. „Hast du vergessen, dass Komusō keine Papiere brauchen?“
Suzakus Miene erhellte sich. „Richtig!“, stieß er begeistert aus.
„Nicht so laut!“, zischte Yujiro alarmiert und warf einen Blick aus der Gasse, als ob er damit rechnete, dass Dōshin um die Ecke auf sie warteten. „Wir sollten uns schleunigst auf den Weg machen.“
* * *
Eine Viertelstunde später schritten drei Komusō auf den Ausgang der Stadt zu. Einige Dutzend Meter vor ihnen befand sich ein Wärterhäuschen, in dem sich eine Truppe Bushi aufhielt. Diese kontrollierten die Ausweispapiere von all denen, die in die Stadt von Nagahama hinein oder aus ihr hinauswollten.
„Verhaltet euch unauffällig“, riet Rintaro flüsternd, während er unruhig zusah, wie die Wachen die Papiere von einem Bauer verlangten.
„Die Ausweispapiere!“, befahl der Samurai, als der Bauer sich ihm näherte. „Sind Sie etwa taub?“
Der Bauer zitterte am ganzen Leib und schluckte nervös. Mit bebender Hand gab er der Wache die Papiere. Der Bushi betrachtete sie gelangweilt, wobei er den Bauer von Zeit zu Zeit musterte.
„Scheint alles in Ordnung zu sein“, murmelte er. „Aber ich kann solche Bettler nicht ausstehen. Warum erlösen wir ihn nicht einfach von seinem Leid?“, fragte er, sich an die anderen beiden Wachen wendend, die neben ihm standen.
Der Bauer schnappte nach Luft und seine Augen weiteten sich.
„A-a-aber … das könnt ihr mir doch nicht antun!“, stammelte er vor Furcht.
„Wieso nicht?“, fragte der Samurai mit einem spöttischen Grinsen.
„Ich habe doch nichts getan!“, erwiderte der Bauer erschrocken.
„Die Regeln sind folgende: Wir sollen alle Verdächtigen töten, deren Schuld wir zumindest annähernd beweisen können“, erklärte der Bushi und runzelte die Stirn, ohne genau zu definieren, dass „annähernd“ für ihn auch bedeutete, alle hinzurichten, die zu viel zu wissen schienen. „Scheint, als hätten Sie Recht.“
„Oh, Danke! Habt Tausend Dank!“, freute sich der Bauer mit zwei tiefen Verbeugungen.
Doch dann erschien ein heimtückisches Lächeln auf dem Gesicht der Wache. „Ich finde, Sie sehen äußerst verdächtig aus. Geben Sie mir Ihren Korb.“
Zitternd tat der verängstigte Mann, was ihm befohlen wurde. Langsam begann der Samurai den Inhalt des Korbes zu durchwühlen. Mit einer hochmütigen Miene inspizierte er jeden Gegenstand, in der Hoffnung eine Schmuggelware zu finden.
Plötzlich lächelte er boshaft. „Aha! Seht euch das mal an.“
Er holte einen dunkelgrünen Kimono heraus, auf dem ein roter Kreis mit vier schwarzen Romben, die parallel aneinander lagen, abgebildet war.
„Ihr seid ein Anhänger des Takeda-Clans! Ihr müsst doch wissen, dass die Takeda mit den Oda verfeindet sind. Hiermit verurteile ich Euch wegen feindlicher Unterstützung!“
„Was?!“ Es sah aus, als würde der Bauer vor Angst in Ohnmacht fallen.
Der Bushi schaute auf die grinsenden Gesichter seiner Gefährten. Sie nickten. Sobald der Bauer dies sah, fiel er auf die Knie.
„Ich flehe euch an! Bitte lasst mich am Leben! Ich habe eine Familie, die ich ernähren muss! Habt Erbarmen!“
Doch die Wachen waren nicht mehr umzustimmen. Gnadenlos zog der Samurai sein Katana aus dem Saya. In Todesgefahr versetzt, sprang der Bauer eiligst auf die Beine, um wegzulaufen.
„Keine Chance! Es gibt keine Fluchtmöglichkeit!“
Eine Wache stand bereits hinter dem armen Bauern und blockierte ihm den Fluchtweg.
„Wir können doch nicht zusehen, wie ein unschuldiger Mensch hingerichtet wird!“, flüsterte Suzaku, der wegen seiner Jugend noch nicht vollständig seine Naivität losgeworden war.
„Dagegen können wir nichts tun“, seufzte Rintaro.
„Haltet ihn fest!“, befahl einer der Bushi.
Mit Freude gehorchten die zwei anderen Wachen. Sie zwangen den Bauer wieder auf die Knie und senkten gewaltvoll seinen Kopf. Ohne sein Gejammer und Flehen wahrzunehmen, hob einer von ihnen sein Schwert hoch in die Luft. Die drei Komusō konnten nur zusehen, wie die Klinge auf den Hals des Bauern zusauste.
Mit einem kurzen, schrillen Schrei wurde der Bauer enthauptet. Sein Kopf trennte sich von seinem Körper und rollte zu den Füßen seines Mörders. Mit einer Bewegung seines Katana, die von Schwertkämpfern oft angewandt wurde, um sich angeblich des Blutes des Opfers zu entledigen, warf der Letztere einige Tropfen des Bluts von der Klinge. Befriedigt lächelnd, steckte er sein Schwert wieder in die Scheide, ohne die Leiche des Bauern eines Blickes zu würdigen.
„Jetzt sind wir dran“, flüsterte Yujiro und hoffte, sie würden nicht die nächsten Opfer sein.
Die Wachen jedoch schenkten den drei Mönchen keine Beachtung. Es schien, als wären sie mit dem Tod des Bauern übermäßig zufrieden, um weitere Reisenden ernsthaft wahrzunehmen.
„Halt, wartet!“
Die drei Männer blieben abrupt stehen. Der Samurai, der den Bauer hingerichtet hatte, näherte sich ihnen. Sich an Suzaku wendend, deutete er mit dem Finger auf die Flöte, die ihm an der Hüfte hing.
„Sie da! Ich möchte, dass Sie mir eine Melodie auf ihrer Shakuhachi vorspielen.“
Etwas besorgt betrachteten Rintaro und Yujiro ihren Waffenbruder. Zwar mussten sie alle viele Jahre zuvor, als sie noch Kinder waren, die Shakuhachi, eine Bambusflöte, spielen lernen, da man es zeitweise für Identitätsvortäuschungen benötigte. Jedoch hatte Suzaku damals dem Flötenspiel nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, weil er gedacht hatte, dass es viel zu unwichtig wäre, sodass seine Fertigkeiten in diesem Bereich fraglich waren.
„Wie wäre es, wenn stattdessen ich Ihnen vorspiele?“, schlug Rintaro freundlich vor. „Ich werde manchmal als der beste Shakuhachi-Spieler meines Dorfes bezeichnet.“
„Nein!“, entgegnete der Bushi barsch. „Ich möcht’s von ihm hören. Ich führe hier gerade eine Kontrolle durch und keinen Wettbewerb.“
Hoffnungsvoll schauten die beiden Suzaku an. Rintaro warf ihm einen aufmunternden Blick zu. Du schaffst es, sagte sich Suzaku innerlich. Er hielt sich die Flöte unter dem Korb an den Mund und fing an zu spielen.
Kaum verging eine Sekunde, als ihn der Samurai unterbrach: „Das habe ich schon hundertmal gehört. Eine andere Melodie!“
Bedrohlich blickte er auf den Komusō. Suzaku überlegte, welche Melodie er vorspielen sollte, bevor er tief einatmete und von neuem begann. Aufmerksam hörten die drei Wachen zu.
Yujiro wagte es, sich ein wenig zu entspannen. Alles schien nach Plan zu gehen. Da er sowie seine zwei Gefährten seit mehreren Wochen nicht ganz weit vom lärmenden Marktplatz gewohnt hatten, hörte sich die Musik nun äußerst friedlich an, besonders weil sie fast der einzige Ton war, der am Ortsrand zu hören war. Sie schien die Zuhörer in den Schlaf zu wiegen. Der Flötenspieler blies mit abwechselndem Rhythmus und ließ die Melodie einfach harmonisch klingen.
Plötzlich machte Suzaku zwei Fehler. Yujiros Herz rutschte ihm in die Hose. Das zufriedene Lächeln des Samurai verschwand und seine Miene verfinsterte sich.
„Es reicht!“, zischte er.
Mit der Hand auf seinem Schwertgriff trat er einen Schritt auf Suzaku zu. Aufgrund seines Gesichtsausdruckes schien er nicht besonders glücklich mit der Leistung des Mönchs zu sein. Die drei angespannten Männer hielten den Atem an, als sie auf die Reaktion der Wache warteten.
Yujiros Hand glitt langsam zu einer verborgenen Waffe, während Rintaro bereits versteckt ein Messer hielt. Die Stille war äußerst bedrückend und die drei Gefährten stellten sich innerlich auf einen Kampf ein. Schließlich vernahmen sie die Antwort des Samurai.
„Ihr habt schon genug meine Zeit verschwendet – Ihr könnt weitergehen!“