Читать книгу Osteopathie und Swedenborg - David Fuller - Страница 24
DIE ÜBERGANGSPHASE
ОглавлениеWährend er zwischen Ende 1743 und Anfang 1744 in Holland an Regnum Animale arbeitete, erfuhr Swedenborg eine persönliche Geisteskrise. Nach außen blieb er ein international angesehener Wissenschaftler und schwedischer Adliger. Innerlich aber erlebte er neue und verwirrende Träume und schwankte zwischen Zuständen unbeschwerter Heiterkeit und ernster Selbstkritik sowie Depression. Swedenborg führte gewöhnlich ein kleines Tagebuch während seiner Reisen und wie üblich begann er auch eines bei dieser Reise nach Amsterdam. Seine Reisetagebücher enthielten gewöhnlich Einträge zu Menschen, die er traf, und Orten, die er bereiste. Dieses Notizbuch jedoch wurde zu viel mehr als nur einem schlichten Reisebericht. Um die mächtigen und fremdartigen Träume und Erfahrungen besser verstehen zu können, zeichnete er sie in diesem persönlichen Journal von 1743/1744 auf. Es wurde posthum unter dem schwedischen Titel Drömboken veröffentlicht und übersetzt.24*Das Journal wurde mit den leidenschaftlichen Beschreibungen eines Mannes gefüllt, der eine Krise und im weiteren Verlauf eine Katharsis durchlief und aus diesem Prozess als ein verwandelter und glücklicherer Mensch hervorgehen sollte.83
Das Drömboken beschreibt die Abfolge von Swedenborgs Erfahrungen. Es beginnt mit knappen Zusammenfassungen der Reisen, denen eine Schilderung abwechselnder Zustände von Selbstkritik und Freude folgt. Weiter geht es mit komplexeren Bildern und Träumen, die zunächst als unsinnig erscheinen. Erst nachdem er bestimmten wiederkehrenden Konzepten und Bildern besondere Bedeutung zuschreibt, erscheinen sie mit der Zeit sinnvoller. Es wird klar, dass Swedenborgs antreibendes Begehren, Gott zu erkennen, als mächtige Kraft hinter diesem Prozess stand. Zudem kämpfte er mit der Empfindung eigener religiöser Unangemessenheit. Das Drömboken beschreibt somit eine intensive Zeit und einen damit verbundenen Prozess persönlichen Wachsens, an dessen Ende Swedenborg das Verhaftetsein an der Welt und an persönlicher Reputation hinter sich lassen konnte. Dies sollte Swedenborg für den Rest seines Lebens verändern.84
Moderne Psychologen haben angesichts dieses Vorgangs nicht nur Swedenborgs bedeutenden Intellekt erkannt, sondern gehen auch von einer anfänglich fehlenden Balance zwischen Gefühl und Intuition aus. Zum Ende des Journals reflektieren Swedenborgs zumeist positive Erfahrungen ein sehr viel demütigeres, liebendes und ausbalanciertes Individuum. Offensichtlich bemerkte er selbst die Veränderungen seiner Person während dieser Zeit und wunderte sich über das Verschwinden seines Begehrens nach Selbstrechtfertigung und Reputation. Seine Gefühlsseite hatte sich dagegen entwickelt, seine Fähigkeit zur Intuition und zur Einsicht hatte sich beachtlich erweitert, ebenso seine Fähigkeit, Studien auf selbstlose Weise zu betreiben.85
Im Laufe dieses Übergangsprozesses erfuhr Swedenborg im April 1744 eine erste mächtige, sein Leben verändernde Vision; diese folgte unmittelbar auf das Osterwochenende, während dem er an großer innerer Unruhe gelitten hatte. Noch am Sonntagabend war er voller Versuchungen und empfand abwechselnd inneren Frieden und äußere Traurigkeit. In seinem Traum traf er einen Bekannten, der ihn zu überzeugen versuchte, sich seinem Unternehmen anzuschließen. Swedenborg interpretierte dies im Kontext von Luxus, Reichtum und Eitelkeit. Darauf folgte ein unbeschreibliches Gefühl himmlischer Seligkeit, eine Empfindung der Liebe Gottes und der eigenen Bereitschaft, sein Leben für ihn hinzugeben. In der nächsten Nacht, am 6. April 1744, hörte Swedenborg etwa eine halbe Stunde, nachdem er schlafen gegangen war, das Heulen der Winde und wurde plötzlich von einem Zittern erfasst. Er empfand etwas Heiliges und fiel aus seinem Bett auf den Boden. Dort erfuhr er, ganz wach, eine Vision Christi. Swedenborg sah sich in Christi Armen und empfand, dass er von Gott für eine spezifische Aufgabe ausersehen war. Darauf erschien ihm ein Bild seines Vaters Jesper Swedberg, der ihm ein Leben außerhalb des Klerikerstandes erlaubte.86
Swedenborg schloss zwar die ersten Bände von Regnum Animale ab, ließ aber alle anderen wissenschaftlichen Arbeiten fallen, nachdem er diesen Übergangsprozess durchlaufen hatte. In seiner nächsten Arbeit, De cultu et amore Dei,25* versuchte er sich in einem gänzlich anderen und ungewöhnlich poetischen bzw. metaphorischen Schreibstil. Allerdings publizierte er nur einen Teil dieses Werkes. Zwar empfand er seine neue Berufung deutlich, doch es war ihm nicht klar, wohin sie ihn führte. Er empfand, dass er bei der Suche nach der Seele und den Angelegenheiten des Geistes in gewisser Weise an die Grenzen des wissenschaftlichen Weges gekommen war. Obgleich ihm zehn Jahre intensiver anatomischer Studien ein differenziertes und reiches Verständnis des Körpers gebracht hatten, so doch keine Lösung für die Frage der Interaktion von Seele und Körper respektive ein tieferes Verständnis Gottes. Ein neuer Weg war nötig, um die Wissenschaft vom Geist zu betreiben. Der fortdauernde Kampf zwischen seinem Sich-Verlassen auf wissenschaftliche Studien einerseits und der wachsenden Aufmerksamkeit für spirituelle Phänomene am Rand seines Bewusstseins andererseits erfüllten ihn. Zwar hatte er während seiner Studien seit 1736 einige Geistesblitze und er kam zu der Einsicht, dass sich dabei Wahrheiten verifizierten, doch diese neuen Erfahrungen waren sehr viel grundlegender als die vorherigen. Von nun an widmete er sich dem neuen Prozess mit der gleichen Intensität, wie er es bereits bei seinen wissenschaftlichen Studien getan hatte. Dabei benutzte er von ihm entwickelte Techniken intensiver Konzentration, Meditation, kontrolliertem Atmen, Trance und Traumanalyse.87
Im Mai 1744 und unmittelbar nach der Veröffentlichung der ersten beiden Teile von Regnum Animale in Holland hatte Swedenborg einen Traum, in dem ein Schiff vorkam. Dies deutete er dahingehend, dass er den dritten Teil von Regnum Animale in England veröffentlichen solle. Und so brach er nach London auf. In England setzte er den Abschluss des dritten Teils fort. Dabei erschien er allen, die ihn in jener Zeit umgaben, als ein internationaler Forscher, der ruhig seiner Arbeit nachging. Gleichwohl setzten sich seine inneren spirituellen Erfahrungen und Träume fort. Er verpflichtete sich selbst dazu, diesen Prozess durchzustehen, nicht aufzugeben oder diesem Veränderungs- bzw. Entwicklungsprozess zu entfliehen und stellte in diesem Zusammenhang sämtliche seiner Annahmen und Überlegungen infrage. An einem Punkt empfand er sogar, dass sein gesamtes Wissen über die Religion und alle dazu bereits gefassten Urteile weggeschwemmt worden seien, und er befand dies für gut, denn so, glaubte er, könne Gott ihn neu instruieren.88
Noch in London machte Swedenborg im April 1745 eine weitere machtvolle Erfahrung, die ihm Richtung und Inhalt seiner Lebensberufung besser erschloss. Dabei handelte es sich um seine erste offene und bewusste Begegnung mit der geistigen Welt und um erste Kontakte mit ihren Bewohnern. Er wurde gänzlich von ihrer Realität überzeugt. Wie Swedenborg schrieb, sei ihm der Herr erschienen und habe die Worte an ihn gerichtet,
„[…] dass Er mich ausgewählt habe, damit ich den Menschen den spirituellen Sinn der Schrift erkläre. Und Er selbst werde mir erklären, was ich dazu schreiben solle. Noch in derselben Nacht wurden mir daraufhin die Welt der Geister sowie Himmel und Hölle in voller Überzeugungskraft eröffnet. Ich erkannte dort viele Bekannte in allen möglichen Lebensumständen. Von diesem Tage an gab ich die weltliche Gelehrtheit auf und widmete meine Arbeit spirituellen Sachverhalten.”89