Читать книгу RC2722 - Давид Муате - Страница 10

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Oliver eilt entschlossen durch die Gänge des Bunkers. Mehrere Bekannte grüßen ihn, doch er reagiert nicht. Er steuert geradewegs auf die Einäscherungskammer zu, überwältigt von Gefühlen, die er kaum beherrschen kann. Es tut ihm leid, dass er so hart zu seinem Bruder gewesen ist. In so einem Moment sollte er wohl vergessen, was sie trennt. Aber dazu fühlt er sich gerade nicht in der Lage. »Lass dir etwas Zeit und sprich mit Marco, wenn du ruhiger bist«, hätte sein Vater ihm geraten, der sich irgendwann mit Olivers impulsivem Wesen abgefunden hat. Aber sein Vater wird nie wieder da sein, um ihm zu helfen, die überschäumende Energie zu bändigen, die ihn immer daran hindert, sich an die strengen Vorschriften des Bunkers anzupassen. Er wird nie wieder da sein, um ihm Ratschläge zu geben, die er sich nur schwer anhören konnte. Ratschläge, die ihn aber doch oft auf den richtigen Weg zurückgebracht oder dafür gesorgt haben, dass er sich gewisse Probleme gar nicht erst eingehandelt hat. Im Bunker mit seinen militärischen Regeln werden Entgleisungen hart bestraft.

Oliver bleibt vor der Tür der Einäscherungskammer stehen. Er holt tief Luft und betritt zum ersten Mal den Raum, den er und seine Klassenkameraden früher immer »den Grill« genannt haben. Heute kommen ihm diese Zeiten weit weg vor. Er denkt, dass Sams Vater sein Sprichwort ergänzen sollte: Man muss im Leben über alles lachen können, aber bitte im richtigen Moment.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragt der Empfangsbeamte.

»Ich möchte den Leichnam meines Vaters sehen. Nikolaï Sokolov.«

»Oh … mein aufrichtiges Beileid.«

Oliver nickt. Der Mann kommt ihm vage bekannt vor. Er muss ihn schon einige Male gesehen haben. Ist ja auch kein Wunder, da nur zweitausend Menschen im Bunker leben. Eine Art Kleinstadt, nur eben unterirdisch.

»Wenn Sie mir bitte folgen würden.«

Als Oliver den Leichnam seines Vaters sieht, werden seine Knie weich, und er verliert beinahe das Gleichgewicht.

»Alles in Ordnung?«

»Ja«, stammelt Oliver. »Danke.«

»Soll ich Sie einen Moment allein lassen?«

»Ja. Bitte.«

»Ich bin nebenan, wenn Sie mich brauchen.«

Als er mit seinem Vater allein ist, tritt Oliver näher und legt ihm eine Hand an die Wange. Dann schließt er die Augen.

»Es tut mir leid«, murmelt er. »Es tut mir leid, Papa. Warum bist du einfach so gestorben? Ich hätte dir gerne noch ein paar Dinge gesagt. Dinge, die man einer Leiche nicht sagen kann.«

Oliver beugt sich vor und legt die Stirn an die seines Vaters. Die Berührung ist seltsam, aber tröstlich. Wie kann es sein, dass dieser starke Mann, den scheinbar nichts aus der Fassung bringen konnte, ohne das kleinste Vorzeichen gestorben ist? Oliver richtet sich wieder auf und bemerkt eine klebrige rote Flüssigkeit an seinen Fingern. Blut. Er untersucht das Genick seines Vaters. Sein Datenimplantat wurde entfernt. Die Elektroden, die das Gerät mit den Synapsen seines Vaters verbunden haben, wurden nicht einmal herausgezogen. Oliver kennt Ethan, den jungen Mann, der mit dieser Aufgabe betraut ist, und er wundert sich über seine Nachlässigkeit. Er dreht sich um und wischt sich die Hände an einem Recyclingpapier ab, dann wirft er es in den Schacht, der es der Wiederverwertung zuführt. Das Papier wird durch das Unterdrucksystem angesaugt.

Oliver setzt sich auf eine Bank, zu Füßen seines Vaters. Er weiß nicht, was er tun oder sagen soll, deshalb wartet er, starrt ins Leere, lässt seine Gedanken wandern. Wirre Bilder der letzten Tage mischen sich mit älteren Erinnerungen, auch mit seinen Albträumen, die ihn nachts verfolgen. So sitzt er eine ganze Weile, bis sein Blick an den Schuhsohlen seines Vaters hängen bleibt. Feiner roter Staub sitzt in den Rillen ihres Profils. Oliver vergewissert sich, dass er nicht träumt, beugt sich vor und schaut näher hin.

Abgesehen von den Fußspuren in Sektor Y hat er Erde dieser Farbe noch nie gesehen.

RC2722

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