Читать книгу RC2722 - Давид Муате - Страница 11

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Oliver hält kurz inne, bevor er die Tür zum Labor öffnet. Dann drückt er energisch die Klinke und tritt über die Schwelle. Ihm gegenüber ist ein Tresen. Ein kleiner Mann hebt fragend den Blick.

»Hallo, ich heiße Oliver. Ich bin ein Freund von Ethan. Können Sie ihm sagen, dass ich da bin?«

Trotz seines inneren Aufruhrs ringt Oliver sich ein Lächeln ab. Der Mann hinter dem Tresen zuckt mit den Schultern.

»Das interne Kommunikationssystem ist gerade ausgefallen«, sagt er nur. »Ich warte auf die Techniker.«

»Und was heißt das?«

»Dass ich Ethan nicht informieren kann.«

»Okay. Geht es vielleicht auch direkt? Sein Büro ist doch gleich am Ende des Gangs, oder?«

»Sie wollen, dass ich meinen Posten verlasse, um ihm zu sagen, dass sie da sind?«

Oliver nickt.

Der kleine Mann rührt sich nicht. »Ausgeschlossen«, sagt er schließlich.

»Können Sie mir sagen, warum?«, fragt Oliver, der langsam die Geduld verliert.

»Es verstößt gegen die Vorschrift.«

»Das verstehe ich. Aber die Vorschrift beinhaltet doch bestimmt gewisse Ausnahmen, zum Beispiel, wenn das Kommunikationssystem ausgefallen ist.«

»Nicht, dass ich wüsste.«

»Na schön, ich will Ihnen keine Probleme machen«, lenkt Oliver ein. »Kann ich selbst zu ihm gehen? Dann müssen Sie Ihren Posten nicht verlassen.«

»Auch das verstößt gegen die Vorschrift. Kein außenstehendes Individuum darf das Labor ohne Vorlage von Formular B 26 mit Unterschrift des Laborleiters oder eines hohen Verantwortlichen des Bunkers betreten.«

Oliver seufzt. Am liebsten würde er den kleinen Mann von seinem Stuhl zerren und über den Gang schleifen, aber er beherrscht sich. Da kommt ihm ein Gedanke.

»Und wenn ich Ihnen versprechen würde, dass dreißig Kreditpunkte ganz diskret auf Ihren Kollektor übertragen werden könnten, bestünde dann die Chance, dass Sie irgendeine Möglichkeit finden, Ethan zu holen?«

»Das wäre gegen die …«

»… Vorschrift. Ich weiß, das haben Sie schon gesagt.«

»Für sechzig Kreditpunkte wäre es vielleicht möglich …«

»Fünfzig.«

»Es ist ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Oliver«, sagt der Mann und streckt den Arm aus.

Oliver hält seinen Unterarm an den des Mannes und gibt seinem Implantat gedanklich den Auftrag, fünfzig Kreditpunkte zu überweisen. Als die Transaktion beendet ist, zeigt der kleine Mann ein großes Lächeln und entriegelt die Tür, die zu den Laborräumen führt.

»Hinterste Tür rechts«, sagt er.

Oliver verschwindet in den Gang, ohne den Mann eines weiteren Blickes zu würdigen. Er steuert auf die Tür des Büros zu und tritt ein. Und richtig, da sitzt Ethan, ein Stirnband mit diversen Geräten um den Kopf, darunter eine Lupe und eine starke LED-Lampe. Dieses praktische Accessoire erleichtert seinem Freund die Arbeit, verleiht ihm aber auch einen ziemlich speziellen Look. Als er den Kopf hebt, die Lupe vor dem linken Auge, erinnert er eher an einen verrückten Wissenschaftler als an den Jungen, mit dem Oliver früher stundenlang im Pausenraum Cageball gespielt hat.

»Hey Oliver, schön dich zu sehen! Ist ja schon ewig her …« Sein Gesicht verdunkelt sich. »Ich hätte dich lieber unter anderen Umständen wiedergesehen«, fügt er schnell hinzu. »Mein herzliches Beileid.«

Oliver lächelt schwach. »Danke. Es ist ein trauriger Tag.«

»Ich habe gehört, dass du in Quarantäne musstest. Geht es dir gut?«

»Ja, in der Hinsicht ist alles in Ordnung. Wenigstens etwas.«

»Du bist sicher nicht zufällig hier.«

»Nein. Ich komme gerade aus der Einäscherungskammer. Ich konnte dort einen Moment … bei meinem Vater sein.«

Ethan nickt.

»Mir ist aufgefallen, dass sein Datenimplantat entfernt wurde«, fährt Oliver fort. »Die Synapsenverbindungen wurden nicht korrekt getrennt. Totaler Pfusch, wie mein Boss sagen würde. Ich habe gleich gedacht, dass so eine stümperhafte Arbeit bestimmt nicht auf dein Konto geht … Das machst du doch sonst immer, die Datenimplantate entfernen, oder?«

»Ja«, sagt Ethan. »Das gehört zu meinem Job, und ich kann dir sagen, dass sich auch niemand darum reißt. Du hast recht. Wenn ich mich um deinen Vater gekümmert hätte, hätte ich es besser gemacht.«

»Wenn du es nicht warst, wer war es dann?«

Über Ethans Gesicht huscht ein Schatten. »Sein Datenimplantat wurde gleich heute Morgen von einem hochrangingen Wasserkrieger entfernt. Es ist außer Funktion. Der Blödmann hat es ihm regelrecht rausgerissen.«

»Weißt du, warum?«

»Keinen Schimmer. Jeder weiß doch, wie wertvoll die Implantate sind. Wir haben keine Rohstoffe, um neue herzustellen. Deshalb müssen wir ja die der Verstorbenen wiederverwenden.«

»Und du sagst, das von meinem Vater ist kaputt?«

»Ja, das Interface ist komplett hinüber. Man kann keine Erinnerungen oder gespeicherten Daten mehr lesen.«

»Könntest du es reparieren?«

»Ich kann es versuchen. Das gehört ja auch zu meinem Job.«

»Könntest du es jetzt gleich machen?«

»Ich verstehe nicht, was …«

»Ich will wissen, was auf dem Implantat ist.«

»Aah! Mach mal langsam, Kumpel. Es gibt einen ganzen Ethikkodex, was die Implantate angeht. Wir nehmen sie den Toten ab, weil wir keine andere Wahl haben, aber den Inhalt darf man unter keinen Umständen anschauen. Er wird sofort gelöscht, und dann wird das Implantat bei jemandem von der Warteliste eingesetzt. Es wäre absolut regelwidrig, in den Erinnerungen eines Verstorbenen herumzuspionieren.«

»Aber es ist sehr wichtig.«

»Das verstehe ich, Alter, aber ich kann nichts für dich tun.«

»Ich glaube nicht, dass mein Vater an einem Herzinfarkt gestorben ist«, sagt Oliver langsam. »Ich glaube, er wurde ermordet.«

»Was? Wie kommst du darauf?«

»Aus mehreren Gründen, in die ich dich lieber nicht hineinziehen möchte.«

»Dann musst du sofort deinen Bruder benachrichtigen. Die Wasserkrieger werden eine Untersuchung anordnen und …«

»Ich glaube, dass die Wasserkrieger knietief mit drinstecken.«

Ethan antwortet nicht gleich. Er scheint die Tragweite von Olivers Worten zu erfassen.

»Das wäre ja schrecklich«, flüstert er schließlich.

»Ja. Schrecklich – und gefährlich. Ich bin mir beinahe sicher, dass mein Vater den Bunker heimlich verlassen hat. Er muss irgendeine Entdeckung gemacht haben, die den Wasserkriegern nicht gefällt.«

»Draußen? Hast du dafür Beweise?«

»Unter den Schuhen meines Vaters sind Reste einer rötlichen Erde, die nirgends im Bunker zu finden ist. Ich bin sicher, dass ein Test aus dem geologischen Labor das bestätigen würde. Und warum sollten die Wasserkrieger ihm sein Implantat rausreißen? Ist das schon mal vorgekommen?«

Ethan schüttelt langsam den Kopf. »Nein, noch nie. Ich werde dir helfen«, sagt er. »Ich werde versuchen, das Implantat zu reparieren, damit wir an die Daten kommen.«

Ethan steht auf und geht zu einem Schrank mit verschlossenen Fächern, entriegelt eins davon mit seinem digitalen Daumenabdruck und holt ein übel zugerichtetes Implantat heraus. Dann setzt er sich an seinen Arbeitsplatz und beginnt eine ganze Reihe komplizierter Vorgänge, denen Oliver reglos zuschaut. Er beobachtet die mal hoffnungsvolle, mal verzweifelte Mimik seines Freundes und ist froh, dass der junge Informatiker so beharrlich ist. Die Zeit vergeht, und Ethan treten Schweißperlen auf die Stirn. Oliver begreift, dass die Prozedur länger dauern wird, und lässt sich auf einen Stuhl sinken. Nach etwa zwei Stunden taucht Ethan aus seinem Zustand absoluter Konzentration auf.

»Und?«, fragt Oliver.

»Die haben es wirklich so richtig verhunzt!«

»Nichts zu machen?«

»Das habe ich nicht gesagt.« Ethan lächelt schief. »Indem sie es rausgerissen haben, haben sie jede Verbindung mit unseren herkömmlichen Lesegeräten unmöglich gemacht. Kurz gesagt, es ist nicht möglich, die Daten wie gewohnt anzusehen oder das Implantat jemand anderem einzusetzen. So wie es aussieht, glaube ich fast, dass sie darauf rumgetrampelt sind, um die Daten zu zerstören.«

»Aber?«

»Aber es gibt eine interne Sicherungskopie, und die scheint noch intakt zu sein. Es ist mir gelungen, den üblichen Zugang zu umgehen und eine direkte Verbindung herzustellen.«

»Und was heißt das in Worten, die ein Informatik-Loser wie ich versteht?«

»Das heißt«, sagt Ethan und holt Luft, »dass man, wenn ich meine Drähte richtig verschweißt habe, die Sicherungskopie an ein Implantat anschließen kann.«

»Genial. Versuchen wir es?«

»Nein, warte. Vorher musst du zwei Dinge wissen: Erstens, das hier ist eine echte Flickarbeit. Du hast keine Möglichkeit, etwas auszuwählen oder vorzuspulen, wenn du die Daten siehst. Das heißt, du wirst alles sehen, was dein Vater im Gedächtnis bewahrt hat, und zwar in Rohfassung, ohne Interface, und nicht unbedingt in chronologischer Reihenfolge. Und ich bin mir nicht sicher, ob die Daten nach der Sichtung noch zur Verfügung stehen, wenn man nicht neu startet und wieder bei null anfängt …«

»Also wird es lange dauern, sich alles anzusehen, und wenn man es gesehen hat, kann man sich bestimmte Stellen nicht noch mal anschauen, ja?«

»Ja.«

»Und zweitens?«

»Wie gesagt, du wirst dich direkt an seine Erinnerungen anschließen müssen. Kein Interface, kein Filter. Du wirst die Wahrnehmungen deines Vaters so unmittelbar erleben, als wären es deine eigenen … Das könnte eine ziemlich krasse Erfahrung sein.«

Oliver schweigt. »Egal«, sagt er schließlich. »Ich muss es wissen. Alles.«

»Gut. Du musst nur diesen Stecker in deinen Übertragungsadapter stecken, dann geht’s los.«

Oliver läuft zu Ethan und umarmt ihn. »Danke für deine Hilfe.«

»Keine Ursache, Alter. Dafür hat man doch Freunde, oder nicht?«

Oliver tritt zurück und runzelt die Stirn. »Was soll das rote Blinklicht?«, fragt er.

Ethan dreht sich um. »Das ist der stille Alarm. Er löst nur sehr selten aus.« Hastig tritt er an seinen Computer. »Wir haben gerade ein Warnschreiben bekommen. Gegen dich liegt ein Verhaftungsbefehl vor, Oliver.«

»Warum?«

»Vorzeitiger Abbruch der Quarantäne.«

»Scheiße.«

»Stimmt das?«

»Ja. Mein Bruder hat mich rausgelassen, damit ich meinen Vater vor der Einäscherung noch mal sehen konnte.«

»Dann sitzt ihr zwei jetzt ganz schön in der Kacke. Die Wasserkrieger werden keine Ruhe geben, bis sie dich haben. Hier im Bunker kannst du ihnen nicht entkommen. Du musst dich stellen.«

»Mit dem Implantat meines Vaters in der Hand? Kommt nicht infrage. Ich muss sehen, was da drauf ist, bevor ich eine Entscheidung treffe.«

»Aber du kannst doch nirgendwo hin!«

»Ich hab da schon eine Idee. Danke für alles, Ethan«, ruft Oliver. Dann rennt er aus dem Zimmer.

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