Читать книгу RC2722 - Давид Муате - Страница 16

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Der Weg aus den Abfallrohren dauert länger, als Oliver erwartet hat. Er tastet sich vorsichtig voran, um nicht noch einmal in die Tiefe zu stürzen, und findet schließlich eine Klappe, die er aufschraubt und über die er wieder in das Lüftungssystem des Bunkers gelangt. Er ist erschöpft, und er hat kaum noch Nahrung und Wasser. Den Blick auf die Karte gerichtet, nähert er sich der Stelle, wo Wildschwein versprochen hat, eine Nahrungsration für ihn zu deponieren. Je näher er kommt, desto schneller geht sein Herzschlag. Nur noch zwei Biegungen, nur noch eine …

»Uff!«, schnauft er.

Ein kleiner Beutel und eine Flasche warten am Boden neben der Mauer auf ihn. Gierig schraubt er die Flasche auf. Wieder einmal wird ihm bewusst, wie kostbar ein paar Schlucke Wasser sein können. Er schließt die Augen und dankt Wildschwein im Stillen, dass er Wort gehalten hat.

»Tut gut, was?«

Oliver zuckt zusammen und verschluckt sich. Hustend dreht er sich zu der Stimme um.

»Marco? Was machst du denn hier?«, stammelt er.

»Das sollte ich eher dich fragen. Himmel, du stinkst! Was ist passiert?«

»Lange Geschichte. Ich bin ein paar hungrigen Entsorgungsratten begegnet. Aber was viel wichtiger ist … Ich … ich habe Zweifel an der Todesursache unseres Vaters.«

»Inwiefern?«

»Ich habe den Verdacht, dass er den Bunker regelmäßig verlassen hat. Nach draußen. Er muss irgendetwas Unglaubliches über die Vorgänge hier entdeckt haben. Insbesondere über die Wasserkrieger … Du sagst ja gar nichts … Bist du nicht überrascht?«

»Bei dir überrascht mich gar nichts mehr, Oliver«, schnaubt Marco. »Du warst schon immer so, wolltest eine Welt erfinden, die unmöglich ist, und bist nicht in der Lage, die Realität zu akzeptieren. Erst dachte ich, du wärst wegen Papas Tod so durchgedreht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie wütend mich das gemacht hat. Als Wasserkrieger hat mich dein verantwortungsloses Verhalten in eine sehr unangenehme Lage gebracht. Sie haben ein Verfahren gegen mich eröffnet, weil ich dich vorzeitig aus der Quarantäne entlassen habe.«

Oliver zuckt mit den Schultern. »Das tut mir leid. Ich wollte dich nicht in Schwierigkeiten bringen.«

»Ich weiß. Das willst du nie.«

»Trotzdem tue ich es ständig.«

Marco lächelt. Es ist Monate her, dass Oliver ihn hat lächeln sehen. Plötzlich würde er ihn gerne umarmen. Er geht näher.

»Du hast mir gefehlt, kleiner Bruder«, murmelt Marco und drückt ihn an sich.

»Papas Tod macht mich völlig fertig«, gesteht Oliver. »Ich hätte ihm gerne noch so viel gesagt.«

»Und ich erst. Wir waren in unserer Familie noch nie besonders gut darin, miteinander zu reden. Aber Papa hat dich sehr geliebt, weißt du …«

»Wir haben uns die ganze Zeit gestritten.«

»Er wollte dich schützen, Oliver. Er wollte nicht, dass du Probleme bekommst. Aber er mochte deine rebellische Art, das kannst du mir glauben.«

»Das sagst du doch nur, um mich zu trösten.«

»Nein. Es stimmt. Ich habe ein Tagebuch in seinem Büro gefunden, zusammen mit Karten von der Außenwelt und Notizen … Was ich gerade gesagt habe, steht da schwarz auf weiß.«

Oliver nickt langsam. Es passt zu den Erinnerungen, die er gesehen hat. »Wie hast du mich gefunden?«, fragt er.

»Glaubst du, mich würde interessieren, warum mein kleiner Bruder in den Tiefen des Bunkers abgetaucht ist? Ich bin deiner Spur gefolgt. Ich war in der Einäscherungskammer und bei deinem Freund Ethan, der mir alles gesagt hat, als ich gedroht habe, ihn rauszuschmeißen … Die Uniform der Wasserkrieger hat durchaus ihre Vorteile. Die härteste Nuss war Wildschwein. Ich dachte, der würde nie mit der Sprache rausrücken.«

»Wildschwein hat dir geholfen?«, wundert sich Oliver. »Wie hast du das denn geschafft?«

»Ich habe ihm die Wahrheit gesagt. Dass du mein kleiner Bruder bist und dass du mir wichtiger bist als alles andere auf der Welt. Wichtiger als die verdammte Uniform, wichtiger als die Gesetze des Bunkers. Ich habe es ihm beim Kopf unseres Vaters geschworen.«

Oliver spürt, dass ihm die Tränen kommen. Er schluckt mühsam. »Was machen wir jetzt?«, krächzt er.

»Du machst gar nichts«, bestimmt Marco. »Du hältst dich weiter versteckt, bis ich meine Untersuchungen beendet habe. Wenn der Tod unseres Vaters kein Zufall war, will ich wissen, wer ihn auf dem Gewissen hat und warum.«

»Unser Vater hatte Geheimnisse.«

Marco nickt. »Ja. Das ist noch untertrieben.«

»Wusstest du, dass wir früher in Marseille gewohnt haben? Dass unser Vater Lehrer war? Und dass er eigentlich Lucas hieß?«

Marco runzelt die Stirn. »Hast du das von seinem Datenimplantat?«

Oliver nickt.

»Nein, das wusste ich nicht. Er hat es mir nie gesagt.«

»Komisch.«

»Ja, aber auch nicht komischer, als dass er nach draußen gegangen ist und Zeit hatte, Karten der Umgebung zu erstellen …« Marco zieht etwas aus der Tasche. »Schau, hier ist sein Heft. Du kannst es haben. Ich habe es mir schon durchgelesen.«

Oliver nimmt das kleine ledergebundene Heft.

»Sieh dir weiter die Daten von seinem Implantat an«, sagt Marco. »Vielleicht verstehen wir dann, was passiert ist. Ich werde alle Möglichkeiten ausschöpfen, die ich in meiner Position habe, um die Wahrheit herauszufinden.«

»Sei vorsichtig, Marco. Die Wasserkrieger sind nicht die, für die du sie hältst. Papa hat herausgefunden, dass sie gar nicht nach draußen gehen, um Wasser zu holen. Es gibt einen Wasserspeicher, an dem sie die Kanister füllen, ohne überhaupt die Nase vor die Tür zu strecken.«

Marco zuckt nicht mit der Wimper. »Ich weiß. Das ist das Erste, was sie dir beibringen, wenn du bei ihnen aufgenommen wirst.«

»Ich verstehe es nicht. Warum tun sie das?«

»Der Oberbefehlshaber ist überzeugt, dass es das beste Mittel ist, damit die Leute die Wasserkrieger fürchten und respektieren. Er behauptet, es sei eine kleine Lüge, die die Bewohner des Bunkers vor Chaos und revolutionären Ideen bewahrt …«

»Was für ein Quatsch!«, faucht Oliver.

»Ich wiederhole nur seine Worte.«

»Ich weiß, entschuldige.«

»Sehen wir uns morgen an der Stelle der zweiten Lieferung?«, fragt Marco.

»Abgemacht.«

»Dann berichten wir uns, was wir herausgefunden haben.«

»Ja.«

»Pass gut auf dich auf, Kleiner. Und wenn möglich, wasch dich. Du stinkst wie die Pest!«

Oliver lächelt. »Danke, Marco. Danke für alles.«

Als sein Bruder weg ist, lässt Oliver sich Zeit, um auszuruhen und etwas zu trinken. Dann macht er eine dünne Wasserleitung ausfindig, schraubt ein Verbindungsstück ab und baut sich eine improvisierte Dusche. Eine heillose Vergeudung, aber es tut gut, die stinkende Schmiere herunterzuspülen. Bei der Gelegenheit zieht er auch gleiche seine Kleider aus und wäscht sie. Dann schraubt er das Verbindungsstück wieder fest und hängt seine Sachen über einen Schacht des geothermischen Heizsystems.

Während er darauf wartet, dass sie trocknen, wickelt er sich in seine Rettungsdecke. Er fühlt sich besser. Bereit, wieder in die Vergangenheit seines Vaters einzutauchen.

RC2722

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