Читать книгу RC2722 - Давид Муате - Страница 7

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Seit fast drei Stunden arbeiten sich Sam und Oliver durch das Netz aus Tunneln voran, eine Art Krake mit vielen Tentakeln, die durch Erde und Gestein gehen und in einer Vielzahl natürlicher Grotten münden. Um sie herum verlaufen Rohre und elektrische Kabelbündel unterschiedlicher Größen, die das Belüftungssystem des Bunkers versorgen. Das Ziel der Architekten war, eine konstante Frischluftversorgung aus verschiedenen Quellen zu gewährleisten, ohne dabei an der Oberfläche Hinweise darauf zu geben, dass sich an dieser Stelle ein Bunker befindet. Als die Regierung Frankreichs verstanden hatte, dass die Erderwärmung außer Kontrolle geraten war, wurde die Konstruktion von insgesamt einhundert unterirdischen Schutzräumen im ganzen Land geplant und durchgeführt. Das Projekt unterlag der strengsten Geheimhaltung. Die Notwendigkeit, es vor der breiten Bevölkerung verborgen zu halten, erklärte sich von selbst. Nur einige wenige Privilegierte waren über die Existenz dieser Schutzräume informiert worden und hatten sich retten können, als der Kipppunkt erreicht war.

Bei jeder Abzweigung studiert Oliver die Karte, die sie zum Sektor Y führen soll. Sie sollten sich besser nicht verlaufen.

»Ich wusste nicht, dass diese Tunnel so lang sind«, stöhnt er.

»Manche über zehn Kilometer«, erwidert Sam. »Die Höhlen sind zum Teil ziemlich weit vom Bunker entfernt.«

»Ich hoffe, wir haben uns nicht verirrt. Die Ingenieure hätten ruhig mal ein paar Leuchtdioden einbauen können, die den richtigen Weg weisen.«

Sam gluckst. »Das wäre cool. Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie ein Handy mit GPS hatte, bevor sie in den Bunker gekommen ist, mit dem sie überall auf dem Planeten ihren Standort bestimmen konnte.«

»Mhm. Das habe ich in der Schule gelernt. Mein Vater meint, dass das eigentlich immer noch klappen müsste, solange die Satelliten funktionieren, die um die Erde kreisen. Aber ewig wird das nicht gehen, weil sie nicht mehr gewartet werden.«

»Glaubst du, die Wasserkrieger benutzen so einen Schnickschnack, wenn sie nach draußen gehen?«

»Keine Ahnung. Muss ich meinen Bruder fragen.«

Noch eine Abzweigung. Sie müssen sich bücken, weil der Gang so niedrig ist.

Sam wirft einen Blick auf die Karte. »Rechts, würde ich sagen.«

»Ich auch«, stimmt Oliver zu.

»Dann nehmen wir doch rechts. Wir brauchen kein GPS!«

»Hier unten würde es sowieso nicht funktionieren«, sagt Oliver und wagt sich in den dunklen Gang.

»Mist«, flucht Sam. Dieser Gang ist nicht nur eng, hier gibt es auch keine Beleuchtung mehr.

Die beiden wagen sich weiter in die Dunkelheit des unterirdischen Labyrinths, Sektor um Sektor, nur mit dem Licht ihrer Stirnlampen. Wie Wildschwein vorhergesagt hat, ist der Weg kräftezehrend. Sie keuchen und schwitzen, und ihre Rücken schmerzen durch die dauernde gebückte Haltung.

»Machen wir eine Pause?«, fragt Sam nach einer ganzen Weile.

»Da sage ich nicht Nein. Möchtest du einen Schluck Wasser?«

Sam nickt, greift nach seiner Flasche und trinkt mit geschlossenen Augen. »Tut das gut. Warum hast du das gemacht?«, fragt er plötzlich.

»Was?«

»Dich als Freiwilliger gemeldet.«

Oliver zuckt mit den Schultern. »Weiß ich selbst nicht. Vielleicht aus Abenteuerlust. Ich ersticke in diesem verdammten Bunker. Klar, wir kriegen was zu essen, wir haben Arbeit, Missionen, Bücher, Filme, Fitnessräume … Aber mir ist sterbenslangweilig! Findest du es nicht komisch zu wissen, dass wir nie wieder einen neuen Film sehen werden? Jedes Mal, wenn ich einen auf meinem Tablet schaue, habe ich das Gefühl, dass ein Stück Freiheit davonfliegt. Dieser Film wird nie wieder neu sein und mich nie wieder überraschen. Was mache ich, wenn ich alles gesehen habe?«

»Oh Mann, ich möchte ja nicht in deinem Kopf stecken«, sagt Sam und grinst. »Solche Fragen stelle ich mir nie.«

»Warum nicht? Macht dir das nichts aus?«

»Ich glaube, ich habe eine Art Motto. Da oben sind 99 Prozent aller Menschen tot. Es herrscht ein unsägliches Chaos. Es gibt kein Wasser und kein Essen, nur schreckliche Krankheiten und Müll, so weit das Auge reicht.« Sam seufzt. »Das Leben im Bunker ist kein Vergnügungspark, aber ich habe nie etwas anderes gekannt. Also vermeide ich es, darüber nachzudenken. Denken hält der Traurigkeit die Tür auf. Da spiele ich lieber Karten, trinke ein paar Gläser Kartoffelschnaps mit meinen Freunden und lebe einfach …«

Oliver denkt nach. »Das würde ich auch gerne können.«

»Und warum hast du nicht versucht, bei den Wasserkriegern aufgenommen zu werden, wenn du so scharf auf Abenteuer bist?«

Oliver holt tief Luft und atmet geräuschvoll wieder aus. »Ich bin nicht besonders gut darin, mich an Regeln zu halten. Soldat zu werden, war also keine Option für mich. Zur Enttäuschung meines Vaters, übrigens.«

»Man ist, wer man ist«, bemerkt Sam.

»Ja, das stimmt wohl. Ich habe auch eine Frage: Warum hast du dich gemeldet, um mich auf der Mission zu begleiten?«

Sam lächelt. »Ich kann doch nicht zulassen, dass der kleine Frischling sich tief unter der Erde verirrt. Du wärst in irgendeinem Stollen krepiert, und dann hätte der ganze Komplex ein halbes Jahr lang nach deiner Leiche gestunken. Ich habe eine empfindliche Nase.«

»Pff … Blödmann!«

»Na komm, gehen wir weiter.«

Nach etwa einer weiteren Stunde mühsamen Kriechens versperrt ihnen ein Luftfilter den Weg.

»Das ist das Ende von Sektor R«, erklärt Sam. »Wir kommen jetzt in die letzte Quarantäneebene. Wenn irgendwo ein Leck ist, kann es sein, dass dieser Bereich schon verseucht ist.«

»Ich weiß. Ich habe das Handbuch gelesen. Das heißt, wir ziehen jetzt die Schutzanzüge an?«

»Jep.«

»Ich hab sowieso keine Lust mehr, 15 Kilo auf dem Rücken zu schleppen.«

»Tja, wenn du das Ding erst anhast, wird es dir noch weniger gefallen. Da drin ist es gut zehn Grad wärmer.«

Die Jungen ziehen die Schutzanzüge über, wobei sie darauf achten, alle Dichtungen sicher zu verschließen, dann begutachten sie sich gegenseitig. Mit einem Virus, das nur einen von hundert Menschen verschont hat, ist nicht zu spaßen. Umgeben von der dicken Plastikschicht, versteht Oliver, was Sam gemeint hat. Sein Atem lässt die Maske beschlagen, und er hat das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

»Du musst möglichst langsam atmen«, rät Sam. »Sonst hyperventilierst du und kippst um.«

Oliver nickt, und es gelingt ihm, seinen Atem zu regulieren. Die beiden durchqueren die Luftschleuse und wagen sich weiter in die Windungen der Tunnel hinein. Oliver fragt sich, ob sie überhaupt jemals ankommen werden. Wie konnte er nur so blöd sein, sich freiwillig zu melden?

»Da wären wir«, sagt Sam nach einer gefühlten Ewigkeit.

Nur noch wenige Hundert Meter. Oliver ist völlig k. o. Er hätte nie gedacht, dass es so anstrengend werden würde.

»Wurde aber auch Zeit«, keucht er.

Am Ende des Gangs befindet sich die letzte Luftschleuse. Dahinter liegt die Außenwelt. Oliver spürt sein Herz heftig hämmern. Das ist bescheuert. In seinem Anzug hat er nichts zu befürchten. Außerdem müssen sie ja gar nicht rausgehen, nur überprüfen, ob der Sensor der Luftschleuse richtig funktioniert, und die Filter austauschen. Sam, der viel mehr Erfahrung hat als er, holt mehrere kleine elektronische Geräte hervor und kontrolliert einen Sensor nach dem anderen.

»Und?«, fragt Oliver.

»Keine Auffälligkeiten. Alles läuft perfekt.«

»Ist ja komisch.«

»Hm, ehrlich gesagt, ist mir das ziemlich egal. Wir wechseln die Filter und gehen zurück«, sagt Sam schulterzuckend. »Es geht ganz leicht. Ich nehme die alten Filter raus und setze die neuen ein. Dabei kann kontaminierte Luft hereinkommen. Dein Job ist es, auf den Virusdetektor zu schauen. Wenn der auslöst, drückst du auf den roten Knopf neben der Schleuse.«

»Okay. Und was passiert dann?«

»Dann sitzen wir hier fest, bis eine Dekontaminierungsmannschaft kommt und uns rettet.«

»Hierher? Machst du Witze?«

Sam stößt ein kleines Lachen aus, das im Schutzhelm widerhallt.

»Was denkst du, warum Wildschwein nicht scharf drauf war, zwei seiner Jungs hierherzuschicken?«

»Na schön, los geht’s. Wollen wir vorher noch beten?«

»Bist du gläubig?«, fragt Sam.

»Kein bisschen.«

»Hätte mich auch gewundert.« Sam holt das nötige Werkzeug aus seinem Rucksack und wirft Oliver einen Blick zu. »Bereit?«

»Jep.«

Mit flinken Bewegungen macht sich Sam daran, den Filter zu wechseln, während Oliver auf den Detektor starrt. Adrenalin rauscht durch seine Adern. So etwas Gefährliches hat er noch nie gemacht. Glücklicherweise bleibt der Detektor während der ganzen Operation still.

»Jippie!«, ruft Sam. »Mission erfolgreich. Rückzug. Schlag ein, mein Freund«, sagt er und hebt die Hand.

Oliver will einschlagen, doch im letzten Moment zieht Sam lachend die Hand weg, und Oliver fällt der Detektor aus der Hand. Mit einem Klirren landet er auf dem Boden.

»Mist«, sagt Sam. »Arbeit für die Elektroniker. Ist er kaputt?«

Etwas verärgert geht Oliver in die Knie und richtet seine Stirnlampe auf den Detektor.

»Verdammt, was ist das denn?«, fragt er plötzlich.

»Ach, keine Sorge«, sagt Sam. »Die lieben es, den Kram zu reparieren. Beschäftigungstherapie.«

»Nein, das meinte ich nicht.«

Sam nähert sich, so gut es in dem engen Gang geht.

»Sieh dir das an«, sagt Oliver.

Neben dem Detektor zeichnen sich mehrere Fußabdrücke aus roter Erde auf dem grauen Beton ab. Sie scheinen von der Luftschleuse zu kommen.

»Verflixtes Kanalrohr!«, ruft Sam. »Wie ist das möglich?«

»Wenn du mich fragst, hat jemand die Luftschleuse benutzt, um nach draußen zu gehen.«

»Spinnst du? Wer sollte das tun?«

»Das würde auf jeden Fall erklären, warum die Öffnungsdetektoren mehrmals ausgelöst wurden. Wie du gesagt hast, funktionieren sie perfekt.«

Oliver geht dicht an die Schleuse heran und versucht, in den dahinterliegenden Raum zu leuchten. Wie erwartet ist der Boden der Höhle von rötlicher Erde bedeckt.

»Bingo«, murmelt er.

»Sektor Z, Alter. Das heißt draußen. Man muss total durchgeknallt sein, um da rauszugehen«, sagt Sam.

»Warum regst du dich so auf?«, fragt Oliver. »Vielleicht hat ein Wasserkrieger den Durchgang genutzt, und das war’s.«

»Klar, und meine Mutter liegt am Pool und sonnt sich«, blafft Sam. »Wenn der Chefingenieur verlangt, dass wir die Luftschleuse kontrollieren, dann weil er nicht weiß, warum die Sensoren ausgelöst haben. Ich habe keine Ahnung, was hier los ist, aber die Sache ist ernst. Wir werden einen Haufen Probleme kriegen, das sage ich dir.«

»Wir können es ja auch für uns behalten.«

»Ich weiß nicht, Oliver. Die Sache ist ernst«, wiederholt Sam.

»Der Detektor hat nicht angeschlagen. Also ist das Virus nicht in der Höhle. Es besteht keine unmittelbare Gefahr.«

»Stimmt. Aber wie weit ist er wohl gegangen, der Typ, der die Spuren hinterlassen hat?«

»Das sehen wir später. Los, komm, wir drehen jetzt um.«

Sam will vorgehen, stolpert aber über die gebrauchten Luftfilter, die er noch nicht in seinem Rucksack verstaut hat, und taumelt nach hinten. Reflexartig hält er sich an Oliver fest und reißt dabei versehentlich seinen Sauerstoffschlauch ab, bevor er unsanft auf dem Hintern landet.

»Mist, entschuldige. Schnell, wir müssen ihn wieder anschließen!«

Oliver versucht es, aber der Anschluss an das Ventil scheint kaputt zu sein. Die Luft wird knapp. Endlich schafft er es atemlos, den Helm abzuziehen.

»Oh, verdammt«, sagt Sam. »Prozedur B 28.«

»Häh?«, fragt Oliver.

»Direkter Luftkontakt auf der ersten Quarantäne-Ebene. Du musst drei Tage in Isolation, das ist die Inkubationszeit des Virus.«

»Drei Tage? Das ist nicht dein Ernst.«

»Leider doch.«

»Das behalten wir auch für uns.«

»Kommt nicht infrage.« Sam schüttelt den Kopf. »Damit würden wir Hunderte Menschen in Gefahr bringen. Außerdem hat dein Anzug den Druckverlust aufgezeichnet. Der Ingenieur weiß schon Bescheid.«

»Was für ein Scheiß.«

»Das kann man wohl sagen.«

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