Читать книгу RC2722 - Давид Муате - Страница 9
5
ОглавлениеJetzt ist Oliver wieder allein. Die Ärzte beruhigen ihn, sein Gesundheitszustand sähe gut aus. Und aus irgendeinem Grund ist er nicht vor Angst gelähmt, dass das Virus ihn kontaminiert haben könnte. Dabei hat man ihnen immer wieder eingebläut, wie ansteckend es ist, dass man sich schützen muss, dass man auf keinen Fall nach draußen gehen darf und immer in der Tiefe der Erde bleiben muss. Ein dummer Gedanke treibt Oliver ein Grinsen ins Gesicht: Was ist besser – innerhalb weniger Tage an einer schrecklichen Viruserkrankung zu sterben oder langsam an diesem trostlosen Leben kaputtzugehen, das man ihnen hier bietet? Ein Leben ohne Perspektive, ohne Geschmack, ohne Farbe? Es ist Zeit, diesen Käfig zu verlassen, denkt er bitter, als ihm klar wird, wie düster seine Gedanken sind.
Eine Silhouette nähert sich hinter der Glasscheibe. Sein Bruder Marco. Er ist groß, sein braunes Haar glatt gekämmt, sein muskulöser Oberkörper wird von der Uniform der Wasserkrieger betont. Die menschgewordene Perfektion. Ihr Vater ist so stolz auf ihn. Oliver will einen bissigen Kommentar machen, doch Marcos zitternde Lippen halten ihn davon ab. Es kommt selten vor, dass sein großer Bruder die Fassung verliert, und sein verzerrter Mund weckt in Oliver eine schlechte Vorahnung.
»Das ist kein Anstandsbesuch, hm?«, fragt er beunruhigt.
Marco schüttelt den Kopf. Er kann nicht spre-
chen.
»Was? Was ist los?«, fragt Oliver. »Haben sie dich geschickt, um mir irgendeine Strafe zu verkün-
den?«
»Ich habe eine schlechte Nachricht.«
»Dann raus damit.«
»Unser Vater …«
»Was ist mit unserem Vater?«
»Er … Er ist tot«, stammelt Marco. »Er ist heute Morgen gestorben, ganz früh.«
Oliver hat das Gefühl, dass die Zeit stehen bleibt. »Aber das kann doch nicht sein! Er … war total fit. Was ist passiert? Ein Unfall?«
»Ein Herzinfarkt. Er hat nicht gelitten.«
»Wann?«
»Gegen sieben.«
Oliver schaut auf die Uhr. Es ist elf. »Vor vier Stunden? Und du kommst erst jetzt?«
»Ich … ich hatte einen Zusammenbruch, Oliver. Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte. Und wie du reagieren würdest, in deiner Situation …«
Oliver spürt eine schreckliche Wut in sich aufsteigen. Sein Vater? Tot? Das ist etwas, was er sich einfach nicht vorstellen kann. Zorn, Trauer und ein heftiges Gefühl der Ungerechtigkeit kämpfen in ihm. Ihm wird bewusst, dass ihre letzten Gespräche aus nichts als Beschimpfungen, Vorwürfen und fruchtlosen Äußerungen bestanden haben. Alles kommt hoch, was er seinem Vater gerne gesagt hätte. Was sein Vater ihm hätte sagen sollen. Eine regelrechte Sturmflut. Mit dem Handrücken wischt er sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Er wird nicht weinen. Nicht jetzt. Nicht hier, vor seinem Bruder.
»Ich will ihn sehen.« Olivers Worte hängen in der Luft. »Jetzt.«
»Du weißt, dass das nicht geht. Du stehst unter Quarantäne.«
»Du bist doch ein Wasserkrieger, oder nicht? Befiehl ihnen, mich rauszulassen.«
»Aber die Regeln …«
»Zum Teufel mit den Regeln! Es ist unser Vater, verdammt noch mal!«
Marco schüttelt langsam den Kopf. »Du änderst dich nie«, sagt er.
Ohne den Blick von ihm zu lösen, reißt Oliver sich die Sensoren von Brust und Armen.
»Was … was machen Sie da?«, schaltet sich der Arzt ein.
Oliver ist so voller Schmerz und Wut, dass er ihn gar nicht hört. Er steht auf und rüttelt an der Türklinke.
»Aufmachen!«, schreit er.
Der Arzt wirft ihm einen strengen Blick zu. »Mit der Quarantäne ist nicht zu spaßen«, sagt er.
»Machen Sie auf, oder ich schlage die verdammte Scheibe mit dem Stuhl ein«, droht Oliver.
Der Arzt wendet sich fassungslos an Marco. Als Wasserkrieger ist sein Rang höher als der des Arztes. Im Bunker ist alles eine Frage der Hierarchie.
Marco seufzt tief. »Wie hoch ist die Kontaminierungswahrscheinlichkeit?«, fragt er schließlich.
Der Arzt tut so, als würde er nicht verstehen.
»Ich habe Sie gefragt, wie hoch die Kontaminierungswahrscheinlichkeit ist!«, wiederholt Marco laut.
»Äh … nun ja, ich würde sagen, unter einem Prozent, aber …«
»Machen Sie die Tür auf«, sagt Marco kühl.
Der Arzt tut es widerstrebend.
Oliver verlässt das Isolationszimmer und bleibt vor seinem Bruder stehen.
»Danke«, sagt er nur. »Wo ist Papa?«
»Er wurde gerade ins Krematorium gebracht.«
»Du hättest ihn ohne mich verbrennen lassen?«
»Die Regeln schreiben vor, das ein Verstorbener …«
»Stopp. Es reicht. Ich hab genug gehört. Ich will ihn sehen.«
»Soll ich mitkommen?«
»Nicht nötig.«