Читать книгу Jenseits der Unschuld - Desirée Scholten - Страница 3
ОглавлениеProlog – 13. März 1995
McConagheys Blick schweifte gelangweilt in der Runde aus sieben Männern umher, die sich, irritiert und beunruhigt zugleich, anblickten. Überraschtes Murmeln hatte angehoben, seit der Tumult vor der Tür des Konferenzraums losgebrochen war.
Der schwarzhaarige Agent grinste Serpentine an, der ihm gegenüber am Konferenztisch saß, bevor er sich entspannt zurücklehnte.
Von der Tür her ertönten Schüsse. Jetzt wurde es ernst.
Zu allem bereit, glitt McConagheys Hand unauffällig zur Glock im Hüftholster. Mit einem weiteren kurzen Blick zu Serpentine quittierte er zufrieden, dass auch die manikürte Rechte des blonden Ahnen unter dem Tisch verschwand.
Serpentines hellblaue Augen trafen für wenige Herzschläge seine fast schwarzen, als sie sich zunickten. Sie beide kannten den Plan zur Genüge. Sie hatten erst gestern Abend zusammen mit Elias Duncan, einem der Genesis-Agenda zugehörigen Waffenlobbyisten aus Washington, die letzten Feinheiten abgestimmt.
Die Tür schlug scheppernd gegen die Wand.
McConaghey und Serpentine erhoben sich nahezu gleichzeitig. Sofort legten sie, wie besprochen, auf die sechs verbliebenen Männer am Tisch an, die fassungslos zu dem achtköpfigen Söldnerteam blickten, das den Raum stürmte.
Einer der Leibwächter, die manche Ahnen überallhin zu begleiten pflegten, hob seine Maschinenpistole.
McConaghey erahnte die Bewegung im Augenwinkel mehr, als dass er sie wirklich sah. Der schwarzhaarige Hüne zögerte keine Sekunde.
Zwei Schüsse hallten in kurzen Abständen.
Der Leibwächter ging zu Boden. Blut sickerte aus den Einschusslöchern in Hals und Stirn.
McConaghey grinste, der doppelte Schuss war ihm, nach all den Jahren bei den Huntern, zum Reflex geworden.
Ein weiterer Schuss. Ein anderer Leibwächter ging zu Boden. Serpentine war ebenfalls in die Kampfhandlungen eingestiegen.
Walter Mayfield, einer der beiden anderen Vampire der Gruppierung, neben dem McConaghey bis zum Angriff gesessen hatte, schien die gleiche Absicht zu verfolgen. Seine Rechte glitt zur Waffe.
Die Glock in McConagheys Hand presste sich in den Nacken des kahlköpfigen Ahnen. »Wenn du das hier überleben willst, Walter, dann verhältst du dich jetzt ganz ruhig«, riet er Mayfield trocken. Trotz des Kampfeslärms hallte seine Stimme laut und klar durch den Raum. Wieder suchte er nacheinander den Blickkontakt mit den anderen Ahnen. »Das gilt für jeden von euch Arschlöchern«, betonte er schneidend. Zufrieden quittierte er die offene Kapitulation in den Gesichtern der Männer, als ihre Gedanken an Gegenwehr so schnell erstarben, wie sie gekommen waren.
»Ich wusste von Anfang an, dass du nicht sauber bist, McConaghey«, knurrte Mayfield verächtlich, als auch die letzten beiden Leibwächter den Kugeln der Söldner zum Opfer fielen. »Doch warum du dich dafür hergibst, ist mir ein Rätsel, Victor.«
McConaghey bedachte Serpentine, über den kahlen Schädel des Ahnen hinweg, mit einem zynischen Grinsen. Seine linke Hand glitt in die Gesäßtasche seiner Lederhose, während er Mayfield weiter im Fadenkreuz behielt. Ohne den Ahn aus den Augen zu lassen, holte er das Handy hervor und drückte eine Kurzwahltaste. Es klingelte nur einmal, bevor der Lobbyist abhob. »Die Situation ist unter Kontrolle«, meldete er Duncan kurzangebunden und beendete das Gespräch sofort grußlos wieder. Jetzt wäre der Moment gekommen, sich zu entspannen, doch es sollte ihm nicht vergönnt sein. Instinktiv erahnte er das Zucken von Conrad Tysons Schulter, das vom weiten, schwarzen Rüschenhemd, das er trug, fast vollkommen kaschiert wurde. McConaghey reagierte in Sekundenbruchteilen.
Das Wurfmesser in seinem linken Ärmel rutschte ungesehen in seine Hand. Eine kurze Drehung des Handgelenks und etwas schnellte durch die Luft und fand ein Ziel. »Wäre ich du, ich würde noch nicht einmal daran denken, Conrad«, warnte er den schwarzhaarigen Vampir.
Eine noch tiefere Blässe breitete sich auf Tysons Gesicht aus, als er ungläubig auf das Wurfmesser starrte, das, nur Millimeter neben seiner linken Hand, in der Tischplatte steckte. Sofort tauchte auch seine rechte wieder an der Oberfläche auf.
»Bist du eingeschlafen, Victor?«, rief McConaghey barsch zu dem blonden Ahn hinüber. Es war Serpentines Aufgabe, Tyson und die beiden anderen Ahnen, die bei ihm saßen, im Auge zu behalten, damit genau das, was Tyson gerade versucht hatte, nicht geschah.
Der Angesprochene hob kurz entschuldigend die freie, linke Hand, bevor er Tyson einen Schlag gegen die Schulter verpasste und dann endlich dessen Hinterkopf ins Fadenkreuz nahm.
McConaghey bedachte ihn noch mit einem letzten, warnenden Blick, bevor seine Aufmerksamkeit sich wieder ganz auf die drei Ahnen auf seiner Seite des Konferenztisches richtete. Besonders Mayfield hielt er scharf im Auge. Ein vages Gefühl versicherte ihm, dass von dem kahlköpfigen Ahn die größte Gefahr ausging.
Wieder ertönten Schritte vor der offenstehenden Tür, bevor Elias Duncan, flankiert von drei weiteren Söldnern als persönlicher Leibwache, eintrat.
McConaghey nickte dem Lobbyisten grüßend zu, während er die Glock sicherte und zurück in das Hüftholster schob.
»Gute Arbeit, Gentlemen«, richtete Duncan mit, für einen Mann seines Körperbaus, überraschend tiefer Stimme das Wort an Serpentine und ihn. Zusammen mit den Söldnern trat er an das Kopfende des Konferenztisches heran.
Sechs Augenpaare starrten den schmächtigen Mann im modischen, dunklen Zweireiher fasziniert an, als zaghaft erstes unsicheres Flüstern unter den Ahnen anhob.
Unbeeindruckt von der Situation, nahm McConaghey wieder neben Mayfield Platz.
Serpentine tat es ihm gleich, als er sich einen Stuhl neben Bart Winfield heranzog. Die acht Söldner, die den Raum gestürmt hatten, bezogen, wie auf einen stummen Befehl hin, um den Tisch herum Stellung.
Abwartend lehnte McConaghey sich zurück, als sein Blick zu Duncan wanderte, der ebenfalls noch darauf zu warten schien, dass sich die erste Aufregung der Ahnen legte. Nur langsam kehrte angespannte Stille ein, als der Lobbyist mit jedem der versammelten Männer nacheinander Blickkontakt aufnahm. »Mein Name ist Elias Duncan. Ich spreche stellvertretend für die Genesis-Agenda zu Ihnen«, erklärte er den Ahnen freundlich.
McConaghey lachte in sich hinein. Duncans joviale Freundlichkeit war faszinierend, wenn man bedachte, dass er sich, vor wenigen Minuten erst, gewaltsamen Zutritt zu dieser Versammlung verschafft hatte. Über den Tisch hinweg fing er Serpentines belustigtes Augenrollen auf, bevor der blonde Ahn mit den Lippen »Er tut es schon wieder« formte.
McConaghey grinste kopfschüttelnd, bevor sein Blick über die anderen Ahnen glitt. Erstaunen zeigte sich auf einigen Gesichtern. Natürlich waren Gerüchte und Spekulationen über die sogenannte Genesis-Agenda auch bis zu ihnen vorgedrungen.
»Zuallererst darf ich Sie darüber in Kenntnis setzen, dass Sie ab sofort für uns arbeiten«, erklärte Duncan gerade. Erneut hob teils fassungsloses, teils aufgebrachtes Flüstern unter den Männern am Konferenztisch an. Duncan hob die Hand. Alle Stimmen verstummten, als sich die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf ihn richtete. »Ich möchte betonen, dass es sowohl in Ihrem, als auch in unserem Interesse liegt, dass diese Fusion unkompliziert und friedlich verläuft«, fuhr er sachlich fort.
Wieder glitten McConaghey Augen zu den Ahnen, die den unscheinbaren Mann inzwischen mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen anstarrten.
»Ich würde es vielmehr eine feindliche Übernahme nennen«, korrigierte Mayfield, neben McConaghey, den Lobbyisten herablassend. Der Kahlkopf war anscheinend ebenso immun gegen Duncans Charisma, wie McConaghey und Serpentine.
Der Lobbyist nickte einem der Söldner in McConagheys Rücken zu. Ein Schuss durchschnitt die Stille. Mayfield kippte, mit erstaunt geöffneten Augen, vornüber. »Gibt es weitere Bedenken, die wir erörtern müssen, Gentlemen?«, erkundigte Duncan sich mit einem unverbindlichen Lächeln. Er wartete einige Augenblicke, dann nickte er. Es war klar ersichtlich, dass, nach Walter Mayfields Ermordung, der Diskussionsbedarf der restlichen Ahnen gedeckt war. »Nachdem wir somit alle Missverständnisse beseitigt haben«, nahm Duncan, völlig ungerührt, den Faden wieder auf, »ist es mir eine Freude, Ihnen die beiden Leiter Ihrer Zelle vorstellen zu dürfen.« Duncans hellbraune Augen glitten zu McConaghey und dann zu Serpentine. »Mr. Ian McConaghey und Mr. Victor Serpentine.«
Wieder hob das überraschte Flüstern an, als die Blicke der verbliebenen fünf Ahnen zwischen Serpentine und McConaghey hin und her glitten. »Im Zuge unserer Fusion haben wir, in Absprache mit Mr. McConaghey und Mr. Serpentine, einige strukturell-personelle Veränderungen und eine Optimierung der internen Abläufe vorgenommen«, erläuterte Duncan den Männern, die noch immer die letzte Hiobsbotschaft zu verdauen schienen. »Beide werden Sie, im Anschluss, noch umfassend über diese in Kenntnis setzen.« McConaghey spürte Duncans Blick auf sich und wandte den Kopf zu ihm. »Gentlemen, in diesem Sinne, übergebe ich Ihnen hier das Wort.« Duncan nickte ihm noch einmal kurz zu, bevor er sich abwandte und, zusammen mit seinen drei Leibwächtern, den Konferenzraum wieder verließ.
Fragend suchte der schwarzhaarige Hüne Serpentines Blick, der ihm mit einem angedeuteten Nicken das Feld für das Briefing der Ahnen überließ. Gemächlich erhob McConaghey sich mit einem breiten Grinsen auf den vollen Lippen. Was Genesis im Einzelnen verlangte, würde keinem der Ahnen sonderlich gut gefallen. »Ich komme am besten direkt zur Sache, meine Herren«, richtete McConaghey das Wort an die Versammlung. Er grinste in sich hinein, als ihm bewusst wurde, dass er sich noch in letzter Sekunde die Anrede »Ladies«, die Frank immer benutzte, verkniffen hatte.