Читать книгу Jenseits der Unschuld - Desirée Scholten - Страница 6
ОглавлениеKapitel 2
»Verstehe, Preacher«, murmelte Cathrynn, nachdem Gray seine knappe Statusmeldung beendet hatte. Natürlich war in diesem Zuge auch das Unwort der Woche ‚unauffällig‘ gefallen und das machte sie nervös. »Crossfire, Eclipse, ihr zwei habt grünes Licht«, wies sie Dustin und Montgomery deutlich gefasster an, als sie sich fühlte.
»Rhinestone, hier Cowboy.«
Cathrynn ließ den Blick in die Ferne schweifen, um den aufkommenden Wutanfall im Keim zu ersticken, als sie McDermotts Mitteilung, dass alles unauffällig sei, hörte. Ihre Augen glitten zu Nathan. Ihr bester Freund zwinkerte ihr aufmunternd zu. Grinsend wandte sie sich von ihm ab, als er beide Daumen hob. Langsam begann sich die Nervosität über ihr erstes Kommando zu legen. Das mochte zu einem großen Teil sicherlich daran liegen, dass Nathan heute Abend zusammen mit ihr hier draußen stand und im Zweifelsfall sicherlich eingegriffen hätte.
»Rhinestone, ich habe einen Sprengsatz gefunden«, meldete Marc Thompson gelassen.
»Horseman, dein Tanz«, richtete sie das Wort an Smith, ihren Sprengstoffexperten. Zufrieden verfolgte sie den kurzen Dialog der beiden Agenten. Vor dem Fund des Sprengsatzes hatte sie langsam begonnen, zu befürchten, dass sie sich im Einsatzort geirrt hatten.
Eine Hand berührte ihren Rücken. Sie wandte den Kopf und blickte Nathan an, der neben sie getreten war. »Weiter so, du machst das hervorragend«, flüsterte er in ihr Ohr.
Cathrynn stieß erleichtert die Luft aus. Seit ihrer Ernennung zum DO der Hunter und der kurz darauffolgenden Hiobsbotschaft, dass bereits am selben Tag ihr erstes Kommando anstand, hatte sie sich am Rande eines Nervenzusammenbruchs befunden. Jetzt begann sie sich endlich zu entspannen. Wider Erwarten war noch keiner ihrer Kollegen gestorben und die Männer machten es ihr, zu ihrer Überraschung, ziemlich leicht.
»Gute Arbeit, Horseman«, drang Nathans Stimme durch ihre Gedanken. »Bleib auf deiner Position.«
Cathrynn fuhr erstaunt zusammen, über ihre Grübeleien hatte sie Smith’ Meldung, dass er den Sprengsatz entschärft hatte, nur am Rande wahrgenommen. Sie schnitt eine entschuldigende Grimasse in Nathans Richtung, bevor sie sich wieder voll auf den laufenden Einsatz konzentrierte. »Crossfire, was ist bei dir los, bist du eingeschlafen?«, fragte sie Dustin, der sich, wie ihr plötzlich auffiel, seit mehreren Minuten nicht mehr gemeldet hatte.
»Sorry, Rhinestone«, meldete er sich mit einem Lachen in der Stimme. »Mein Boss reißt mir den Arsch auf, wenn ich zu viel quatsche.«
Cathrynn stimmte in das Lachen ein. Ein solcher Kommentar war typisch für ihren Freund. »Dein Boss hat ganz andere Pläne mit deinem Arsch, Crossfire«, informierte sie ihn trocken und ließ augenrollend das erfreute Johlen ihrer Kollegen über sich ergehen, die ihrem kurzen Schlagabtausch natürlich gefolgt waren.
Montgomery meldete Feindkontakt.
Beunruhigt begann sie auf und abzugehen, während sie die Meldungen ihrer Kollegen angespannt weiterverfolgte. Sie hoffte inständig, dass keiner der Männer sich ernsthaft verletzte, das hätte sie nicht überlebt.
Nathan bedeutete ihr mit einer Handbewegung, ruhig zu bleiben.
Sie schloss für einige tiefe Atemzüge die Augen. Schnell hörte sie die erlösende Meldung, dass alles in Ordnung sei, bevor alle Hunter nacheinander bestätigten, dass das Haus gesäubert sei. »Sehr gut, Ladies! Wie sieht es bei euch aus?« Wieder lauschte sie den knappen Antworten ihrer Kollegen mit angehaltenem Atem. Sie alle waren wohlauf; ein paar Blessuren von den Kämpfen, aber keiner der Männer war ernsthaft verletzt worden. »Gute Arbeit, Ladies. Zieht euch zurück«, befahl sie dem Alpha-Team. Dann gestattete sie sich endlich, erleichtert aufzuatmen, bevor sie ihre Kommunikationseinheit abschaltete. Sie wandte den Blick noch einmal zu Nathan.
Er nickte anerkennend, als er auf sie zutrat. »Dafür hast du dich und mich den ganzen Tag bekloppt gemacht, Rayven?«, zog er sie schmunzelnd auf, bevor er sie in die Arme schloss. »Wie geht es dir?«, fragte er dann, als er sie mit prüfendem Blick wieder losließ.
»Ich kann mich gerade eben noch davon abhalten, auf den Boden zu kotzen«, murmelte Cathrynn. Nathan schüttelte lachend den Kopf. »Ernsthaft, Nate. Ich glaube, ich hatte mindestens fünf Panikattacken innerhalb der letzten zwei Stunden«, stöhnte sie theatralisch. Fünf Panikattacken waren vielleicht ein wenig übertrieben, dachte sie amüsiert, aber sie hatte sich definitiv fast vor Angst die Hosen vollgemacht.
Hinter ihr ertönte ein rauchiges Lachen. »Fick dich, Rayven! Du bist ein beschissenes Naturtalent«, wies Montgomery sie zurecht. Vermutlich hatte er, im Näherkommen, ihren letzten Kommentar noch gehört.
»Glückwunsch, Boss«, rief Thompson, als er zusammen mit Smith und Gray auf den Transporter zukam.
»Wer redet hier von Glück? Das sind die Gene«, knurrte Montgomery an ihrer Stelle zurück, dann glitt sein Blick zu ihr. »Deine wirkliche Prüfung kommt erst noch, Perle«, erinnerte er sie mit einem, durchaus als verschlagen zu bezeichnenden, Grinsen.
Cathrynn seufzte tief. Das hatte sie, über ihre Aufregung, tatsächlich verdrängt. Traditionell würde ihr erster Einsatz als DO natürlich in einem Besäufnis enden.
Lachend schlug Montgomery ihr auf den Hintern, offensichtlich hatte er ihr Augenrollen gesehen.
»Behalte deine Hände bloß bei dir, alter Mann«, rief Dustin, als er, zusammen mit McDermott, auf Montgomery und sie zutrat.
»Kaum vögelt er den Boss, riskierte er schon eine große Fresse«, murmelte Montgomery kopfschüttelnd. Dann begannen beide Hunter zu lachen.
Cathrynn verdrehte erneut die Augen. Seit Dustin und sie sich dazu entschieden hatten, ihre Beziehung nicht vor der Einheit zu verheimlichen, flogen die, ohnehin flachen Kommentare ihrer Kollegen, besonders tief.
»Du warst toll«, lobte auch Dustin sie, als er sie endlich, nachdem er auch noch McDermott den Vortritt gelassen hatte, in die Arme schloss und ihr einen Kuss gab. Untermalt vom Grölen ihrer Kollegen, die sich, mal wieder, wie Mittelschüler benahmen, erwiderte sie seinen Kuss.
»Habt ihr beiden kein Zuhause?«, motzte Montgomery. Der anschließende Lachanfall strafte seine demonstrative Entrüstung allerdings Lügen.
Dustin und sie tauschten einen vielsagenden Blick miteinander, dann löste Cathrynn sich aus seiner Umarmung. Aus dem Augenwinkel fing sie dabei Montgomerys unverhohlen verschlagenes Grinsen auf. »Eins verspreche ich dir: Du läufst heute nicht eigenständig nach Hause«, flüsterte er ihr ins Ohr, als er sie passierte.
Cathrynn schluckte. Sie kannte Montgomery lange genug, um zu wissen, dass seine Worte mitnichten eine leere Drohung darstellten. Hilfesuchend blickte sie zu Dustin.
Sein breites Grinsen verriet ihr, dass er Montgomerys Versprechen ebenfalls gehört hatte. »Keine Sorgen, Cat. Ich leiste dir heute Nacht auf dem Klo Gesellschaft«, versicherte er ihr aufmunternd, bevor er sich zum Gehen wandte.
Auch von Nathan schien Cathrynn kein Mitleid erwarten zu können. Ihr bester Freund drehte sich mit ausdrucksloser Miene um, als hätte er von alledem nichts mitbekommen. »Rayven, kommst du?«, rief der stämmige Hunter, als er auf der Fahrerseite des Transporters einstieg.
Mit einem schicksalsergebenen Lachen schüttelte Cathrynn den Kopf, bevor sie sich umwandte und auf der Beifahrerseite einstieg.
*
McConaghey blickte auf, als Christian Desmond das Lagerhaus, das gewöhnlich Quinn und er für ihre konspirativen Treffen nutzten, betrat. Die Andeutung eines Grinsens umspielte die markanten Züge des schwarzhaarigen Hünen.
»Ian«, grüßte ihn der Blondschopf mürrisch.
McConaghey runzelte die Stirn. Er konnte sich nicht erklären, warum Desmond dieses Mal sauer auf ihn war. Er musterte den ISU-Agenten eine Weile. Der jüngere Mann war scheinbar nachtragender, als er angenommen hatte. »Christian«, grüßte er ihn, in absichtlich überzogener Parodie seiner vorhergegangenen Begrüßung, zurück, während er noch immer nachdachte.
Die Trachtprügel, die er Desmond hatte angedeihen lassen, lag inzwischen mehr als ein Jahr zurück. Er konnte unmöglich deswegen noch immer sauer sein. »Wo ist Quinn?«, fragte McConaghey dann jedoch irritiert, dass der Glatzkopf Desmond an seiner Stelle zu dem Treffen geschickt hatte.
»Zu beschäftigt, um sich mit Laufburschen zu treffen«, schnappte Desmond ätzend. Der schwarzhaarige Doppelagent hob missbilligend die Augenbrauen. Augenscheinlich war Desmond tatsächlich noch wegen der paar Schläge angefressen. »Also, was hast du für uns?«, knurrte der blonde ISU-Agent, bevor McConaghey etwas auf seine Stichelei erwidern konnte.
»Ich befürchte, nicht viel«, antwortete der Hüne trocken.
Desmond entfuhr ein abfälliges Schnauben. »Das ist in letzter Zeit nichts Neues mehr«, betonte er herablassend.
McConaghey spürte Ärger in sich aufwallen. Bei allem, ihm eigenen Langmut, begann Desmonds Verhalten ihn allmählich aufzuregen und er wusste nicht zu sagen, wie lange er sich noch zügeln wollen würde, wenn der blonde Agent diesen Kurs beibehielte. »Was hältst du davon, wenn du einfach ausspuckst, wo dein Problem liegt? Vielleicht können wir dann wieder normal miteinander reden«, knurrte er.
»Quinn hat mich von Deceit abgezogen«, schnappte Desmond ärgerlich.
McConaghey runzelte die Stirn. Sein letzter Erkenntnisstand war gewesen, dass die Deceit-Agenda durch starken Gegenwind von Iron Bill Singer endgültig eingestellt worden war. Nach dem Fiasko um Cathrynns Inhaftierung hatte der CIA-Direktor vehement Beschwerde beim Verteidigungsminister eingelegt, der daraufhin, zugunsten anderer Prioritäten, nachgegeben hatte. Quinn hatte ohnehin Wichtigeres zu tun, als seine Hexenjagd gegen die Hunter weiterzuverfolgen, seit er Joe Gonzales als Controller von Projekt Phoenix beerbt hatte. »Sei froh, so kannst du dir endlich eine befriedigendere Aufgabe suchen«, erklärte er Desmond lachend.
»Leck mich! Ich habe mir sechs Jahre für Deceit den Arsch aufgerissen«, fuhr der Blondschopf ihn ärgerlich an. »Alles nur, wegen deiner beschissenen Ratschläge.«
Wieder hob McConaghey fragend die Brauen. Er konnte vordergründig keinen Zusammenhang zwischen Desmonds Abzug von der Deceit-Agenda, die offensichtlich reaktiviert worden war, und sich selbst erkennen.
»Versuch es mit Waterboarding, damit brichst du sie«, höhnte Desmond bitter, bevor er McConaghey mit einem wütenden Blick bedachte. »Herzlichen Dank auch!«
Der schwarzhaarige Doppelagent begann zu lachen, als der Zusammenhang sich ihm plötzlich erschloss. Es hatte nach Cathrynns Befragung Gerüchte gegeben, dass Desmond suspendiert worden war. Vermutlich hatte die Hunterin ihn zur Weißglut getrieben und der blonde Heißsporn war, wieder einmal, ausgeflippt. »Kaum zu glauben, dass Quinn dir deswegen noch immer die Hölle heißmacht«, feixte er, wenngleich es ihn wirklich wunderte. Waterboarding war eine völlig normale Verhörmethode, die, anders als vieles, was die ISU in der Regel mit Gefangenen tat, legal war. McConaghey vermutete, dass Quinn Desmond nur abgezogen hatte, um die Stimmung zwischen der ISU und der CIA endlich wieder zu entspannen.
»Ich hätte auf meinen Verstand hören und es wie gewöhnlich bei den Weibern durchziehen sollen«, knurrte Desmond bitter.
Wut ballte sich, wie eine Faust in McConagheys Magen zusammen. Es bedurfte nur eines Minimums an Fantasie, um zu erraten, was Desmond unter »dem normalen Vorgehen bei den Weibern« verstand. »Ich kann dir versichern, dass es keines Iron Bills mehr bedurft hätte, um dich von Deceit abzuziehen, wenn du es gewagt hättest«, zischte McConaghey. Seine fast schwarzen Augen durchbohrten Desmond, als seine Gesichtszüge jeden Ausdruck verloren. Im Geist sah er bereits die Dinge vor sich, die er mit Desmond anstellen würde, als sein psychopathischer Teil drohte, die Kontrolle zu übernehmen. Sein Blick wanderte über den blonden ISU-Agenten, als seine Hand zum Griff des Jagdmessers an seinem Gürtel glitt.
Eine Stimme hob in dem Hünen an und verlangte nach Blut. Jener Teil in ihm, der taub und abgestumpft schien, bleckte die Zähne, in Erwartung der einzigen Befriedigung, die er kannte. Es war viel zu lange her, dass er seinem anderen Ich erlaubt hatte, zu spielen. Sein Daumen öffnete den Druckknopf, der das Jagdmesser in der Gürtelscheide sichert. Sein Körper bebte in freudiger Erwartung.
Dann begriff sein Verstand, was geschah. Automatisch begann McConaghey, tief und bewusst zu atmen, als er die Augen schloss und seinen Fokus verschob. Desmond hatte nichts in dieser Art getan, rief er sich harsch zur Ordnung, als er sich die Fakten wieder und wieder wie ein Mantra vorbetete. Der blonde ISU-Agent hatte es sich nicht gewagt, Cathrynn zu vergewaltigen, er hatte sie lediglich gefoltert. Desmond hatte Cathrynn ziemlich brutal gefoltert, präzisierte er seinen Gedanken, mit einem innerlichen Achselzucken. Das gehörte nun einmal zu den Risiken, die das Leben als CIA-Agent mit sich brachte. McConaghey hatte Desmond dennoch, schon aus Prinzip, ein paar Knochen dafür gebrochen und damit war das Thema für ihn vom Tisch gewesen. Der schwarzhaarige Hüne räusperte sich kurz, als er spürte, dass er langsam die Kontrolle über diese andere, dunkle Seite wiedererlangte.
Desmond starrte ihn noch immer fassungslos an, offensichtlich hatte seine Drohung ihre Wirkung nicht verfehlt.
»Wie dem auch sei«, setzte McConaghey mit einem Achselzucken an, »ich werde in nächster Zeit ein bisschen tiefer unterm Radar fliegen müssen«, erklärte er leichthin. »Genesis hat mich als King of Spades ersetzt und der Hurensohn, der meinen Platz eingenommen hat, wird mir mit Sicherheit versuchen, Ärger zu machen.« Wieder spürte er die Wut in sich aufwallen, die ihn nicht mehr losgelassen hatte, seit sein früherer Kollege unerwartet aufgetaucht war. Warum, fragte er sich erneut mürrisch, musste es von allen Bastarden, die ihn hätten beerben können, Jason Singer sein, mit dem ihn eine jahrzehntealte Feindschaft verband.
»Sollen wir dich rausholen?«, fragte Desmond trocken, offensichtlich hatte er entschieden, sich wieder auf seinen Job zu besinnen.
McConaghey schüttelte unwillig den Kopf, wenngleich diese Vorstellung etwas durchaus Reizvolles hatte. Er hätte von den Toten auferstehen und versuchen können, seine Angelegenheiten mit Cathrynn wieder geregelt zu bekommen.
Er unterbrach sich in seinem Gedanken. Wenn Phoenix ihn jetzt herausholte, dann hieße das, dass er endgültig untertauchen müsste, ohne jemals die Chance zu bekommen, Cathrynn wiederzusehen. Das war indiskutabel, schloss er den Gedankengang. Er würde es lieber mit Jason aufnehmen und ihren Machtkampf fortführen, anstatt die kleine Chance zu opfern, die er noch auf ein normales Leben hatte. »Lass es gut sein«, antwortete er seufzend auf Desmonds Frage. »So schlimm ist es bisher nicht.« Er musste lediglich dafür sorgen, dass er Jason aus dem Verkehr zog, bevor der dunkelblonde Agent ihm zuvorkäme, fügte er in Gedanken hinzu. Automatisch begannen diverse Szenarien hinter seiner Stirn Gestalt anzunehmen und ein süffisantes Lächeln zeigte sich auf seinen vollen Lippen. Er wusste nun, was zu tun wäre.