Читать книгу Geschichten aus dem Murkelland - Detlef Lindemann - Страница 13
ОглавлениеKarlchen: „Das Vorleben des Pastors und die nächste Drohung der Schwarzen Faust.“
Wir liefen also, nachdem wir uns von den Jugendlichen verabschiedet und uns bei ihnen bedankt hatten, mit unseren Sorgen um Mario zurück zu Else und erzählten ihr, was nach unseren Vermutungen passiert war. Für uns stand fest, dass Mario, Opfer der Randalierer vom Friedhof geworden war. Else wusste, dass der Pastor in einem Schrank in der Stube eine Flasche mit Weinbrand aufbewahrte. Sie füllte für Heini ein großes Glas mit dem Schnaps und trank selbst auch einen Schluck. Sie bat uns, in den Schuppen zu gehen und zu versuchen, zu schlafen. Sie würde uns informieren, sobald der Pastor wieder da wäre.
Widerwillig folgten wir der Aufforderung von Else. Heini schlief nach dem Schnaps, den er nicht mehr so gut vertragen konnte, sofort ein. Ich war von der Aufregung und den letzten Erlebnissen so erschöpft, dass ich ebenfalls gleich einschlief. Erst nach einigen Stunden sind wir wieder aufgewacht. Wir gingen sofort zum Haus des Pastors und trafen dort nur Else, die uns erklärte, dass der Pastor noch nicht wieder eingetroffen sei. Endlich kam der Pastor und erklärte, dass Mario nach der Beurteilung der Ärzte brutal zusammengeschlagen wurde. Die Gesichtsverletzungen würden wieder heilen. Man vermutete, dass er innere Verletzungen hätte und nach den ersten Untersuchungen, die im Krankenhaus durchgeführt wurden, war sicher, dass er an der Wirbelsäule verletzt sei. Auf jeden Fall hätte die Tatsache, dass Mario nicht bewegt wurde und erst von den Sanitätern des Krankenwagens professionell transportiert wurde, geholfen, dass nicht schlimmere Verletzungen an der Wirbelsäule entstanden seien, die zweifellos zum Tod von Mario geführt hätten. Er wäre im Krankenhaus, solange der Pastor dort war, nicht aufgewacht und die Ärzte hätten ihm ein starkes Betäubungsmittel für die Nacht gegeben. Erst am nächsten Tag wären sie in der Lage, eine genauere Einschätzung über den Zustand von Mario abzugeben. Der Pastor wollte sich mit einem befreundeten Arzt in Verbindung setzen, der auch Menschen behandeln würde, die in keiner Krankenversicherung wären. Wir sollten jetzt alle wieder versuchen, zu schlafen, weil wir für die Zukunft viel Kraft brauchen würden. Am nächsten Morgen wollten wir uns dann alle in der Küche beim Frühstück treffen und uns beraten.
An Schlaf war für Heini und mich nicht zu denken, weil wir dafür viel zu aufgeregt waren. Heini machte sich große Sorgen um seinen Partner und war froh, dass uns der Pastor geholfen hatte. Heini erzählte mir vom Pastor, dass der vor einiger Zeit für viel Wirbel gesorgt hätte, weil er einer Familie, die ins Ausland abgeschoben werden sollte, Unterschlupf, das sogenannte Kirchenasyl, gewährt hatte und mit Unterstützung von engagierten Kirchenmitgliedern erreichen konnte, dass diese Familie dann in Deutschland bleiben durfte. Offensichtlich hatte er sich damit nicht nur Freunde gemacht. Es war in der Stadt auch bekannt, dass der Pastor solchen Leuten, wie Heini und Mario, half und einige Obdachlose hätten dadurch wieder den Weg zurück in das „normale“ Leben gefunden. An der einen oder anderen Tierrettung, d.h. der Befreiung von Tieren aus einer sogenannten nicht artgerechten Haltung hatte sich der Pastor ebenfalls beteiligt. In einem Fall, wo Pferde, die total abgemagert, völlig ungepflegt und überhaupt nicht richtig versorgt waren, gab es böse Auseinandersetzungen mit dem Besitzer, der dann auch alle, die bei der Rettung der Tiere dabei waren, massiv bedrohte und beschimpfte. Er schwor Rache. Das Pferd, dem es am schlechtesten ging, wurde sofort mit Unterstützung von Helfern in eine Tierklinik gebracht und notversorgt. An den Namen des Pferdes konnte sich Heini noch erinnern. Es war ein Haflinger, der Lucky hieß und ein verletztes Auge hatte. Darüber hätte damals viel in der Zeitung gestanden. Der Pastor und Else hatten mit der Frau, die sich damals um Lucky kümmerte und bei der er heute auch leben würde, immer noch Kontakt. Die Frau hieß Emily und lebte auf einem einsamen Hof irgendwo mit ihrem Mann und vielen Tieren allein in der Nähe eines Waldes.
Am nächsten Morgen, nachdem Heini fast die ganze restliche Nacht erzählt hatte, um sich von seinen Sorgen abzulenken, gingen wir also in die Küche zu Else und wollten frühstücken. Heini wurde von Else aber erst einmal zum Duschen geschickt und kam dann mit neuen Sachen, die ihm Else vom Pastor besorgt hatte, frisch gewaschen wieder in die Küche. Der Pastor war jetzt auch da. Else, Heini und der Pastor unterhielten sich über die Ereignisse des gestrigen Tages. Der Pastor sagte, dass er nachdem der Schaden auf dem Friedhof, der nicht so gewaltig war, wie wir angenommen hatten, beseitigt war, die Polizei informieren wollte. Er würde dann ins Krankenhaus fahren und sehen, wie es um Mario stand und Heini so schnell es ging benachrichtigen. Heini erinnerte danach den Pastor an die Sache mit den Asylbewerbern und auch an die Tierrettung, über die damals so viel in den Zeitungen gestanden hätte, und an die Drohungen des Besitzers der Pferde. Erst spät am Abend kam der Pastor zurück und berichtete, dass Mario wieder wach wäre und starke Schmerzmittel bekäme. Er hätte, wie die Ärzte schon vermutet hatten, eine Verletzung an der Wirbelsäule und man würde nicht wissen, ob er jemals wieder laufen könnte oder im Rollstuhl leben müsste. In zwei bis drei Tagen könnte Heini ihn besuchen und dann würde man bestimmt schon mehr wissen. Der Schaden auf dem Friedhof sei von der Polizei fotografiert worden und sie hätten eine Anzeige gegen Unbekannt vom Pastor aufgenommen. Ein mit dem Pastor befreundeter Arzt würde sich um Mario kümmern und dieser Freund konnte auch erreichen, dass die Versorgung von Mario im Krankenhaus erst einmal nicht bezahlt werden müsste. Wie es dann weitergehen würde, müsste man sehen. Nach dem gemeinsamen Abendessen, gingen Heini und ich in unser Quartier und konnten trotz der Aufregungen etwas schlafen.
Als wir am nächsten Tag zum Frühstück in die Küche kamen, sahen uns Else und der Pastor völlig niedergeschmettert an. Heinis erster Gedanke war, dass etwas mit Mario passiert wäre. Der Pastor zeigte aber auf einen Brief, der vor ihm auf dem Küchentisch lag. In dem Brief stand:
Leute, wie Dich, die Ausländern und Pennern helfen, wollen wir hier nicht. Sei vorsichtig, wir wissen alles und lassen Dich nicht in Ruhe!
Nachdem Heini das gelesen hatte, sprach er aus, was wir alle dachten: Wir sind erst am Anfang einer Entwicklung, von der wir alle nicht wissen, wie sie ausgeht.