Читать книгу Geschichten aus dem Murkelland - Detlef Lindemann - Страница 8
ОглавлениеKarlchen: „Heini, Mario und ich finden etwas im Wald.“
Am nächsten Morgen ging es mir schon wesentlich besser. Ich hatte zwar einen mörderischen Hunger aber sonst ging es mir gut. Heini sagte zu mir, dass wir uns auf den Weg in die Stadt machen müssten, da wir was zu essen bräuchten und er wollte versuchen, bei der Tafel etwas für mich zu organisieren. Die Tafel würden er und Mario nutzen, weil dort alle nett wären, und sie auch mal etwas ohne Geld bekommen würden. Es könnte auch sein, dass wir unterwegs etwas im Müll finden würden, weil die Menschen so viele Dinge in den Müll schmeißen würden, die man auch noch gut essen könnte. In der Stadt gäbe es auch ein Lokal, das einem Freund von Mario gehören würde, der gerne von den Essensresten etwas abgeben würde. Wir müssten also auf keinen Fall verhungern. Das wenige Bargeld, das Heini und Mario brauchten, verdienten sie sich durch Leergut, das sie aus dem Müll sammelten und mit der Straßenmusik von Mario, der Gitarre spielen und gut singen konnte. Mit dem Geld könnte man dann auch mal zur Waschstation und sich einer Reinigungsprozedur unterziehen. Dort gäbe es Duschen, Waschmaschinen und was zu trinken und belegte Brote könnte man auch bekommen. Wir machten uns, nachdem die Isomatten, die Schlafsäcke und die Gitarre und die wenigen anderen Habseligkeiten der beiden Freunde verstaut waren, auf den Weg. Heini erzählte gerne und war glücklich darüber, dass neben Mario jetzt auch ich ihm zuhörte. Ich war froh, dass Heini mit mir redete. Heini erzählte, dass er in seinem früheren Leben ganz „normal“ war. Er hatte eine schöne Wohnung, einen Lebenspartner und arbeitete als Prokurist in einem großen Unternehmen, das Maschinenbauteile in alle Welt verkaufte. Eines Tages kam er nach Hause und sein Partner hatte ihm einen Brief geschrieben, der im Wohnzimmer auf dem Tisch lag, und darin stand, dass er ausgezogen wäre und nun mit einem anderen Mann zusammen leben würde. Heini brach das Herz. Er fing an zu saufen und die Abwärtsspirale nahm ihren Lauf. Am Ende landete Heini auf der Straße. Er wollte aber auch nicht auf Kosten anderer leben und versuchte deshalb, sich so durchzuschlagen. Mit Ausnahme der Tafel und der Hilfe von netten Leuten, wie einem Lokalbesitzer, den Mario gut kannte, sorgten Heini und Mario für sich selbst. Heini sammelte die Flaschen und bekam auch mal etwas zugesteckt, weil man ihn kannte. Heini lebte seit zwei Jahren als Landstreicher auf der Straße und wollte auch mal wieder sesshaft werden. Im Winter hatte er Mario kennen gelernt, der sich seinen täglichen Geldbedarf als Straßenmusiker verdiente. Sie hätten, nachdem sie sich kennengelernt hatten, beschlossen, als Paar zusammen „auf Platte“ zu gehen, so erzählte Heini. Diesen Sommer wollten Heini und Mario noch auf der Straße leben und sich dann beide etwas Dauerhaftes suchen. Sie wussten nur noch nicht genau, was sie dann machen würden. Heini glaubte nicht an Gott. Er kannte aber einen Pastor in der Stadt, der ihm gesagt hatte, dass er ihm helfen würde, wenn Heini wirklich zurück ins “normale“ Leben wollte. Der Pastor, wisse allerdings noch nicht, dass er jetzt mit einem Zigeuner zusammen leben würde. Das alles erzählte mir Heini. Er erklärte mir auch, dass das Leben auf der Straße nicht ungefährlich wäre. Wir wären jetzt aber drei und würden damit viel stärker sein. In der gefährlichen Welt der Landstreicher hätten wir deshalb jetzt viel bessere Chancen als einer alleine. Unter der Brücke, auf der die beiden mich gefunden hatten, war ein Quartier von ihnen, das relativ wettergeschützt war und die beiden Freunde wurden durch mein Bellen aufmerksam und so fanden wir zusammen, wie sie mir erzählten. Der Weg in die Stadt führte von dort durch einen Wald, der an der Straße lag, auf der ich dachte, dass ich mit meiner alten Familie in den Urlaub fahren würde.
Wir marschierten also gemütlich vor uns hin und Heini erzählte viel und die Zeit verging sehr schnell. Wir kamen auf unserem Weg an einem Hof vorbei, wo wir von vier Hunden durch freundliches Bellen begrüßt wurden. Auf diesem Hof konnten wir auch zwei Haflinger und ein Shetlandpony erkennen, die uns neugierig anschauten. Gegenüber von dem Hof lag eine Weide, auf der ein zerstörter und mit Nazisymbolen beschmierter Bauwagen stand. Wir waren dann insgesamt ungefähr eine Stunde unterwegs, da hörten wir ein leises Jammern und konnten zunächst nicht einordnen, wer, wo und was da jammerte. Wir gingen einfach dem Geräusch nach und fanden dann unter einem Gebüsch eine völlig verängstigte Katzenmutter mit drei kleinen Katzen, die weinten. Heini redete mit Engelszungen auf die Katzen ein und versuchte, sie zu beruhigen. Endlich gelang es Heini, die Katzen in die Decke einzuwickeln, die schon mir eine ausreichende Wärmeportion gegeben hatte. Die Katzen hatten Angst und wollten abhauen und Heini kratzen, hatten aber so wenig Kraft, dass der erste Schritt zur Rettung mit Unterstützung von Mario schließlich gelang.
Wir drei waren etwas ratlos. Wir wussten nur, dass es sich um einen Notfall handelte. Aber Heini und Mario mussten sich jetzt plötzlich nicht mehr nur um sich kümmern, da waren plötzlich viele, die versorgt mussten. Heini und Mario beschlossen zu dem Lokal, das dem Freund von Mario gehörte, zu laufen und sich dort mit ihm zu beraten, was sie unternehmen könnten, um den Katzen dauerhaft zu helfen. Die Schwester von dem Lokalbesitzer arbeitete in einem Tierheim. Heini hatte die Katzen glücklich im Rucksack verstaut und wir konnten weiter marschieren. Ich lief fröhlich an der Seite meiner Freunde und die Dinge nahmen ihren Lauf.