Читать книгу Sozialrecht für die Pflege - Dieter-Eckhard Genge - Страница 32

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3 Das Leistungssystem der Grundsicherung

Angesprochen ist insoweit die Mindestabsicherung im Sinne der Wahrung von existenziell unabdingbaren Lebensbedingungen für in Notsituationen geratene Menschen. Auch hier ergibt sich der staatliche Handlungsauftrag unmittelbar aus dem oben angesprochenen Sozialstaatsprinzip.

Neben den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende für erwerbsfähige Menschen, die langzeitarbeitslos geworden, d. h. länger als ein Jahr beschäftigungslos geblieben sind, sind es vor allem die Leistungen der Sozialhilfe, die diesen Schutz gewährleisten.

Sie sind geregelt im Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch und treten zunächst als »Hilfen zum Lebensunterhalt« in Erscheinung, wenn eine nicht, noch nicht oder vorübergehend nicht erwerbsfähige Person außerstande ist, aus eigenem Vermögen und Einkommen den täglichen Bedarf zum Lebensunterhalt zu decken (vgl. a. § 27 SGB XII).

3.1 Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung

Neben dieser klassischen Form der Sozialhilfe sind es die anderen Leistungsarten der Sozialhilfe in Form der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, die eine wichtige Funktion der Sozialhilfe im Rahmen der Altenpflege und Behindertenhilfe übernehmen (vg. a. § 41 Abs. 2 und Abs. 3 SGB XII):

• Sie mildert in beiden Erscheinungsformen die Defizite, die ältere, in ihrer häuslichen Umgebung nach wie vor lebende Menschen aufgrund zu geringer Renteneinkünfte in Kauf nehmen müssen. Damit wirkt sie zum einen ein Stück weit dem Schicksal von Altersarmut entgegen, von dem hierzulande immer mehr Menschen betroffen sind, wenn sie das für das Erreichen der Altersgrenze maßgebliche Lebensjahr vollendet haben.

• Zum anderen gewährt sie auch jenen beeinträchtigten Personen, die eine Rente bei voller Erwerbsminderung beziehen, ergänzende Leistungen in Form der Grundsicherung bei Erwerbsminderung. Wie bei der Grundsicherung im Alter wird die Sozialhilfe hier quasi als Aufstockung ergänzend zu den Renteneinkünften ausgezahlt, sofern es unwahrscheinlich ist, dass bei den Betroffenen eine Verbesserung ihrer Erwerbsfähigkeit jemals eintritt.

Da auch diese Leistungen dem Basissystem der sozialen Grundsicherung zuzuordnen sind, werden sie den nachfragenden Personen nur nach vorab erfolgter Bedürftigkeitsprüfung zur Verfügung gestellt. Letztere müssen daher vorab versuchen, die sie betreffende Notlage zunächst aus eigenem Vermögen oder Einkommen zu beheben. Hier gelten hinsichtlich dessen Einsatzes allerdings spezielle, gesetzlich geregelte Zumutbarkeitsgrenzen bzw. Schonvermögensansätze (vgl. a. §§ 85 bis 8 SGB XII bzw. §§ 90 bis 91 SGB XII).

Gegebenenfalls haben sich insoweit auch unterhaltsverpflichtete Angehörige im Hinblick auf die Beseitigung der Notlage vorrangig zu beteiligen:

§ 43 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch

Für den Einsatz des Einkommens sind die §§ 82 bis 84 und für den Einsatz des Vermögens die §§ 90, 91 anzuwenden […].

3.2 Grundsicherung in Form der besonderen Hilfen

Darüber hinaus entfaltet die Sozialhilfe ihre besondere Bedeutung überall dort, wo das oben skizzierte System der Sozialversicherung nicht eingreift, nicht ausreicht oder versagt. Genau hier übernehmen die Leistungen der sozialen Fürsorge ihre Funktionen als Lückenfüller, um die Mängel, insbesondere der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der sozialen Pflegeversicherung, überwinden zu helfen.

3.2.1 Hilfen zur Gesundheit

Gewissheit darüber, ob die Sozialversicherung Lücken hinterlässt, lässt sich anhand von unterschiedlichen Fragestellungen ermitteln. Die erste bezieht sich darauf, ob eine Person überhaupt zum sozialversicherten Personenkreis gehört?

Beispiel

Eine Migrantin ohne sicheren Aufenthaltsstatus erscheint in der Notaufnahme eines Kinderkrankenhauses mit ihrem schwerst erkrankten Kind und begehrt dringendst Behandlung. Da sie keine Krankenversichertenkarte vorlegen kann, wird sie vom Krankenhausträger prompt abgewiesen.

Tatsächlich gehört die Migrantin, ebenso wenig wie etwa hierzulande lebende Obdachlose, d. h. nicht sesshafte Menschen, formal nicht zum Kreis der versicherten Personen. Insofern muss die oben gestellte Frage verneint werden, ein Anspruch auf Behandlung gegen eine gesetzliche Krankenkasse besteht daher dem Grunde nach nicht. Hier versagt daher vordergründig das System der gesetzlichen Krankenversicherung. Ist jedoch eine derartige Person akut erkrankt, so hat sie gleichwohl Anspruch auf Krankenbehandlung wie eine gesetzlich Krankenversicherte:

Denn hier leistet die Sozialhilfe in Form der »Hilfen zur Gesundheit«.

§ 48 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch

Um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, werden Leistungen zur Krankenbehandlung entsprechend dem Dritten Kapitel […] des Fünften Buches erbracht. Die Regelungen zur Krankenbehandlung nach § 264 des Fünften Buches gehen den Leistungen der Hilfe bei Krankheit nach Satz 1 vor.

Soweit die Krankenkasse nicht für die Übernahme der Krankenbehandlung für Empfänger von Gesundheitsleistungen nach dem so genannten Asylbewerberleistungsgesetz verpflichtet sein sollte, ist der zuständige Sozialhilfeträger letzten Endes für die Leistungen der Hilfen bei Krankheit bzw. Hilfen zur Gesundheit verantwortlich.

3.2.2 Hilfe zur Pflege

Darüber hinaus ergänzt die Sozialhilfe die oft nicht ausreichenden Leistungen, die pflegebedürftige Menschen im Rahmen der häuslichen Pflege benötigen. Häufig decken die der Höhe nach begrenzten Pauschalen der sozialen Pflegeversicherung, etwa die je nach Pflegegrad gestaffelten Leistungssätze der Pflegesachleistung, nicht die Kosten, die von einem ambulanten Leistungsanbieter für erbrachte Leistungen in Rechnung gestellt werden.

Auch insoweit gewährt die Sozialhilfe im Rahmen dieser weiteren besonderen Hilfen die noch benötigte finanzielle Unterstützung, bietet aber auch kompensatorische Hilfen in Form von reinen Sach- oder Dienstleistungen an.

§ 61 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch

Personen, die pflegebedürftig im Sinne des § 61 a sind, haben Anspruch auf Hilfe zur Pflege, soweit ihnen und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern nicht zuzumuten ist, dass sie die für die Hilfe zur Pflege benötigten Mittel aus dem Einkommen und Vermögen […] aufbringen.

In diesen Konstellationen ist somit die Frage, ob die zur Verfügung stehenden Leistungen der Sozialversicherung, hier speziell der Pflegeversicherung, ausreichen, um den Bedarf einer Person zu decken, verneint worden.

In besonderer Weise wird die Funktion der Sozialhilfe offensichtlich, wenn es um die Begleichung von Kosten im Rahmen der stationären Pflege geht. Hier gewährleistet die Sozialhilfe die Finanzierung jenes Heimkostenanteils, den der pflegebedürftige, oft hochbetagte Mensch auch unter Einsatz der Renteneinkünfte und der Pauschalbeträge seiner Pflegekasse nicht aufzubringen imstande ist. Hier umfasst die Hilfe zur Pflege unter anderem auch die stationäre Pflege (vgl. a. § 63 SGB XII).

Ergänzt wird dieser Anspruch noch durch die Erbringung des sogenannten notwendigen Lebensunterhalts innerhalb von Einrichtungen, der unter anderem auch eine Bekleidungspauschale und einen darüber hinausgehenden Barbetrag zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens umfasst, den die betreffende Person in eigener Verantwortung – sofern sie dazu noch eigenständig in der Lage ist – bestimmungsgemäß verwendet. Er wird in Höhe von 27 % des derzeit geltenden Regelsatzes der Regelbedarfsstufe 1 (= 446 € im Jahre 2021) zwecks persönlicher Verwendung zur Verfügung gestellt (vgl. a. § 27 b SGB XII).

3.2.3 Leistungen der Eingliederungshilfe

Im Zusammenhang mit den Lücken der Sozialversicherung ist schließlich auch noch zu fragen, welche konkreten Leistungen der betreffende Zweig der Sozialversicherung bzw. das Sozialleistungsrecht überhaupt zu erbringen imstande wäre.

Beispiel

Ein krankenversicherter, körperbehinderter, jedoch nicht pflegebedürftiger Mensch benötigt nicht nur einen Rollstuhl – der tatsächlich von der Krankenkasse bereitzustellen und zu finanzieren wäre – sondern darüber hinaus zur Verwirklichung der Barrierefreiheit auch eine Anfahrrampe, um in den eigenen Wohnbereich gelangen zu können.

Hier vermag die Krankenversicherung dem Umfange nach nicht den begehrten Leistungsanspruch zu erfüllen. Einen Anspruch auf so genannte wohnumfeldverändernde Maßnahmen könnte der behinderte Mensch nur im Falle von Pflegebedürftigkeit gegenüber seiner Pflegekasse geltend machen.

Da diese jedoch hier nicht in Betracht kommt, kommt als Lückenfüller die Leistung der Eingliederungshilfe in Frage, die bis Ende 2019 als Leistung der Sozialhilfe ausgeführt wurde, seit Anfang 2020 aber als eigenständige Leistungsform mit Inkrafttreten der 3. Reformstufe des so genannten Bundesteilhabegesetzes in Erscheinung tritt.

Die von einem behinderten Menschen begehrte Anfahrrampe würde nun als Leistungen zur sozialen Teilhabe, hier speziell als Leistungen für Wohnraum, verstanden werden und vom Träger der Eingliederungshilfe erbracht werden müssen (vgl. a. § 77 SGB IX).

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