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Erik Meijer, Peter Hyballa, Eric van der Luer: Lernen von den Niederlanden?
ОглавлениеIm August 2011 ist die Fußballsaison noch jung. Beim Zweitligisten Alemannia Aachen werden die sportlichen Geschicke von einem niederländisch-deutschen Trio geleitet: Erik Meijer (Manager), Peter Hyballa (Cheftrainer) und Eric van der Luer (Co-Trainer). Alle drei stammen aus dem Grenzgebiet – Hyballa aus dem westfälischen Bocholt, Meijer und van der Luer aus Meerssen bzw. Maastricht in der Provinz Limburg. Und alle drei haben ihre eigene Sicht auf Johan Cruyff.
Für Peter Hyballa (Jahrgang 1975) ist Alemannia Aachen die erste Station im Profigeschäft. Als Hyballa am Tivoli anheuert, ist er mit 34 Jahren der jüngste Trainer im deutschen Profifußball und verfügt über keine Erfahrungen im Seniorenbereich. Aber er hat sich bereits einen Namen gemacht, als Coach der U19-Teams des VfL Wolfsburg und von Borussia Dortmund. Und seine erste Saison bei Alemannia verlief recht vielversprechend; mit einer jungen Mannschaft erreichte man Platz zehn, und im DFB-Pokal unterlag man erst im Viertelfinale dem von Louis van Gaal trainierten Pokalverteidiger Bayern München.
Peter Hyballa ist zu jung, um den Spieler Johan Cruyff live erlebt zu haben. Aber einen intensiven Bezug zu Cruyff hat er trotzdem. Hyballas Vater war Seemanns-Pastor in Rotterdam, seine Mutter Deutsche. In Bocholt ist Hyballa zweisprachig aufgewachsen. Schon früh entwickelte er ein Interesse am niederländischen Fußball, reiste als Jugendlicher nach Arnheim und Rotterdam, um Vitesse und Feyenoord zu sehen.
Die Ajax-Schule war damals auch in Deutschland in aller Munde, aber niemand wusste so richtig, was das ist. Hyballa: „Also fuhr ich hin und schaute es mir an.“ Er schrieb seine Magisterarbeit über die niederländische Nachwuchsarbeit und veröffentlichte später – gemeinsam mit Hans-Dieter te Poel – ein viel beachtetes Buch zu diesem Thema: „Mythos niederländische Nachwuchsarbeit“. Der „Fußball total“ wurde zu einer „Inspirationsquelle“ für den jungen Fußballtrainer. Hyballa: „Die Diskussionen gehen immer um Visionen. Ich will Profifußball schmecken, ich will ’ne Show haben.“
Für Peter Hyballa ist Cruyff der „Vater des Offensiv- und Zirkulationsfußballs“: „Wovon schwärmt die Fußballwelt seit Jahrzehnten? Antwort: vom Ajax-Modell und nach der WM 2010 vom ‚Ableger’ La Masia in Barcelona. Zwei Fußballschulen, die auf Johan Cruyff zurückgehen.“ Und zu Cruyffs Persönlichkeit: „Große Trainer und große Schriftsteller sind etwas schwierig. Wenn du ästhetischen Fußball liebst und ein Programm hast, mobilisierst du immer Neider und Kritiker – und dann wehrst du dich.“
Hyballas Co-Trainer Eric van der Luer (Jahrgang 1965) begann seine Karriere als Profispieler 1982 bei MVV Maastricht und wechselte 1987 zu Roda JC Kerkrade, wo er unter anderem unter den Trainern Huub Stevens und Martin de Jol 418 Spiele in der Eredivisie bestritt. Seine Profikarriere ließ er bei Alemannia Aachen ausklingen. 2010 absolvierte van der Luer einen Lehrgang an der berühmten niederländischen Trainerschmiede in Zeist und hospitierte in München bei Landsmann Louis van Gaal.
Mit Eric van der Luer spreche ich zunächst über den sensationellen Einfluss, den die Niederlande seit den späten 1960ern auf den Weltfußball ausgeübt haben. Wie erklärt sich das? Es hat wohl auch mit einem ausgeprägten Pioniergeist, Abenteuerlust und einem gewissen Hang zum Missionieren zu tun. Van der Luer: „Die Niederlande sind ein kleines Land – und doch wieder nicht. Wir haben nur 200 Kilometer Küste und sind trotzdem ein Volk von Seefahrern. Überall, wo Wasser ist, sind die Niederländer gewesen. Unsere Vorfahren sind auf Holzbooten bis nach Indonesien gereist, Holländer haben New York gegründet, und in Südafrika spricht ein Teil der Bevölkerung noch immer Holländisch. Und überall auf der Welt lehren niederländische Trainer.“
Für Eric van der Luer steht Johan Cruyff für den starken Ausbildungsgedanken im niederländischen Fußball: „Die Jugend ist immer sein Thema gewesen. Auch jetzt wieder in Amsterdam.“ Van der Luer ist selber in ein Cruyff’sches Ausbildungsprojekt involviert: Die von der Johan Cruyff Foundation geförderten sogenannten Cruyff Courts, kleine Kunstrasenfelder mit kleinen Toren, die inmitten dicht besiedelter Gebiete gebaut werden und auf denen der gute alte, die Technik schulende Straßenfußball zelebriert werden soll. Van der Luer betreut einen solchen Cruyff Court in der Region Maastricht / Kerkrade.
Für ein kleines Land wie die Niederlande habe eine Figur wie Cruyff „eine riesige Bedeutung“. Dass er umstrittener sei als hierzulande der „Kaiser“ Franz Beckenbauer, führt van der Luer auf zwei Faktoren zurück: die deutsche Boulevardpresse, namentlich die „Bild“-Zeitung, und den Widerspruchsgeist der Niederländer, die stets alles und jeden hinterfragen würden.
Cruyff, Pelé und Beckenbauer werden häufig in einem Atemzug genannt. Ich frage van der Luer nach den Unterschieden: „Cruyff agiert, Beckenbauer und Pelé reagieren. Cruyff hat eine Idee, und diese setzt er durch.“ Beckenbauer und Pelé hätten keine eigene Philosophie vom Fußball. Für welchen Fußball der „Kaiser“ steht, bleibt in der Tat nebulös. Außerdem rede Cruyff „viel mehr über die Sache Fußball als Pelé und Beckenbauer. Cruyff hört man zu. Es ist nicht immer leicht, ihn zu verstehen. Aber dann merkt man doch: Was er sagt, hat Hand und Fuß. Alles, worüber er sich Gedanken gemacht hat und was dann in die Praxis gebracht wurde, verlief positiv.“
Was die Leute häufig vergessen würden: Cruyffs Spielphilosophie starte mit etwas Unattraktivem: dem Organisieren. Am Anfang des Vormarsches stehe „die Organisation des gegnerischen Ballverlustes“. De facto stünden in diesem Moment sechs defensive und vier offensive Spieler auf dem Feld. Im Übrigen habe die niederländische Nationalmannschaft von 1974 mit richtigen Verteidigern gespielt: „Hulshoff und Suurbier waren Leuten, denen du nicht mitten in der Nacht in einer dunklen Straße begegnen wolltest.“
Auch bei Barcelonas Coach Pep Guardiola würde oft der defensive Inhalt des Konzepts vergessen. Beim „Fußball total“ würde immer nur darüber geredet, dass die Verteidiger auch stürmen. Und nur wenig darüber, dass die Stürmer und Mittelfeldspieler auch verteidigen.
Cruyffs aktuelle Kritik an der Ausbildung bei Ajax Amsterdam sei völlig korrekt. Früher habe man z. B. gezielt „linke Verteidiger“ ausgebildet. „Alles war im hauseigenen Arsenal vorhanden. In den letzten Jahren musste man Positionen mit mittelmäßigen, aber teuren Einkäufen besetzen.“
Skeptischer beurteilt Erik Meijer, der Dritte meiner Aachener Gesprächspartner, die Person Cruyff. Meijer (Jahrgang 1969) ist als Spieler viel herumgekommen, spielte beim PSV Eindhoven, beim KFC Uerdingen, bei Bayer Leverkusen, dem FC Liverpool, dem Hamburger SV und zum Schluss bei Alemannia Aachen, wo man ihn dann für die Position des Geschäftsführers Sport verpflichtete.
Wenngleich er Johan Cruyff nicht den Respekt verweigert, macht Meijer keinen Hehl daraus, dass er kein großer Freund seiner Persönlichkeit ist. Cruyff kritisiere viel, wolle aber nie Verantwortung übernehmen. Er habe viele Jahre immer andere vorgeschickt, „seine Adjutanten: Ronald de Boer, Marco van Basten – Leute, die er groß gemacht hat“.
Für den Jugendlichen Erik Meijer allerdings war Cruyff „ein Trendsetter – einer, der gegen die Strömung schwamm; der nach links marschierte, als alle anderen nach rechts gingen. Auf dem Spielfeld wie in der Gruppe.“ Fußball sei „ein egoistischer Teamsport. Jeder kämpft um seinen Platz im Team, um seinen Vertrag. Und gleichzeitig muss man gemeinsam spielen und gewinnen.“ Cruyff habe die Idee vom „egoistischen Teamsport“ als Spieler perfekt verkörpert. Dass er 1983 von Ajax Amsterdam zum Erzfeind Feyenoord Rotterdam gewechselt sei, nachdem man ihn bei Ajax nicht mehr ausreichend gewürdigt habe, sei typisch für ihn gewesen.
Cruyff sei „sehr anwesend – auch wenn er nicht anwesend ist. In Amsterdam wie in Barcelona. Sein Geflüster bringt sehr viel Wind ins Dorf.“ Cruyff sei sehr konfrontativ, was Meijer nicht per se schlecht findet: „Konfrontation erzeugt Kreativität.“ Was wohl irgendwie niederländisch sei. Meijer: „Wir Niederländer sind immer die Ersten, die etwas probieren. Prostitution, ‚weiche Drogen’ und eben ‚totaal voetbal’. Auch im Fußball sind wir die Ersten. Überall, wo Wasser ist, sind auch wir Niederländer. Und überall, wo wir sind, müssen wir den Leuten erzählen, wie es besser geht.“
Sind Johan Cruyff und Louis van Gaal wirklich so unterschiedlich in ihren Philosophien? Meijer: „Das sind Magnete – und Plus und Plus stößt sich ab. Van Gaal ist eine große Persönlichkeit und rhetorisch sehr gut. Und genauso arrogant wie Cruyff. Das sind Spiegelbilder.“
Was macht man im niederländischen Fußball anders als in anderen Ländern? „Die Technik steht stark im Vordergrund, bei uns hat jeder Jugendspieler im Training einen Ball. Nicht elf Spieler einen Ball. Außerdem wird bei uns schon in der Jugend taktisch gut geschult. Technik- und Taktiktraining genießen absolute Priorität: Passformen mit zahlreichen Wiederholungen, Verschieben und Pressen, Trainingsformen mit Ball und in kleinen Gruppen zur Defensive und Offensive, Spielformen und das Vier-gegen-Vier als Basis für alle weiteren Spiel- und Trainingsformen.“ Auch seien niederländischer Spieler mündiger, lauter, mutiger und eher dazu in der Lage, eigenständig Entscheidungen zu treffen. Bereits den Juniorenspielern würde beigebracht, sich im Spiel hörbar untereinander zu coachen. „Beim Spiel im Stadion ist es laut – da versteht man den Trainer nicht. Da muss es diese Spieler geben, die auf dem Platz coachen. In den Niederlanden musst du als Spieler mitdenken und Eigenverantwortung übernehmen.“
Der Spieler Johan Cruyff hatte es allen vorgemacht. Diese Gesten auf dem Spielfeld, dieses Wedeln mit den Armen, das Anzeigen von Laufwegen, diese permanente Kommunikation mit seinen Mitspielern – das hatte die Fußballwelt in dieser Form und diesem Ausmaß noch nicht gesehen.
Im September 2011 bricht das Aachener Dreigestirn auseinander. Nach sieben Spielen hat die Alemannia nur drei Punkte auf dem Konto. Nun greifen die „branchenüblichen Regeln“. Der Klub und seine Trainer Hyballa und van der Luer trennen sich im gegenseitigen Einvernehmen. Was folgt, ist weder mutig noch visionär, und auch nicht erfolgreich: Am Aachener Tivoli regiert nun Friedhelm Funkel.
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