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Drittes Kapitel: Über die Kraft des Gebetes, über den seligen Hierotheus, Gottesfurcht und theologische Schriftstellerei.

§ 1.

Zuerst nun wollen wir, wenn es gut scheint, die allvollkommene und alle Ausgänge Gottes offenbarende Benennung „der Gute“ ins Auge fassen, nachdem wir die Dreifaltigkeit um Beistand angerufen, welche die Urquelle der Güte und übergut ist und alle ihre gütigen Vorsehungsakte offenbart. Zuerst müssen wir ja mit unseren Gebeten zu ihr als der Urgüte erhoben und ihr nähergebracht und hierbei dann in alle die überguten Gaben, die bei ihr hinterlegt sind, eingeweiht werden. Denn sie selbst ist zwar allem nahe, aber nicht alles ist ihr nahe. Dann erst, wenn wir sie mit heiligen Gebeten, ungetrübtem Sinn und der für die Vereinigung mit Gott geeigneten Verfassung anrufen, dann sind auch wir ihr nahe. Denn sie selbst ist an keinem Orte in der Weise zugegen, daß sie von irgendeinem anderen Orte abwesend wäre, oder daß sie aus den einen Orten in die anderen hinübergehen müßte. Aber auch wenn wir sagen, daß sie in allen Wesen sei, so bleibt die Rede doch hinter der Unendlichkeit zurück, welche alles übersteigt und alles umschließt. Wir wollen uns also mit unseren Gebeten im höheren Aufblick zu den göttlichen und gütigen Strahlen erheben. Ein Gleichnis! Wenn eine lichtstrahlende Kette, an der Höhe des Himmels befestigt, bis zu uns hierniederreichte und wir sie immer mit abwechselnden Händen weiter hinauf erfaßten, so schiene es, als ob wir sie herabzögen, in Wirklichkeit brächten wir sie aber nicht herunter, da sie ja oben und unten ist, sondern wir selbst würden zu dem höheren Glanze der lichtvollen Strahlen hinaufgehoben. Oder ein anderes Beispiel! Wenn wir in ein Schiff gestiegen wären und da Taue, an irgendeinen der Felsen gespannt und uns wie zum Daranhalten gereicht, gegen uns heranzögen, so würden wir nicht den Fels zu uns her, sondern in Wirklichkeit uns selbst und das Schiff zum Felsen hinziehen. Und hinwieder, wenn einer auf dem Schiff stehend den Meerfelsen wegstoßen will, so wird er gegen den unbeweglich stehenden Fels nichts ausrichten, sondern sich von ihm entfernen, und je mehr er ihn abstoßen will, desto weiter wird er von ihm weggetrieben werden.74 Deshalb muß man vor jedem Werke und besonders vor der Lehre über die Offenbarung mit Gebet beginnen, nicht als ob wir die überall und nirgends gegenwärtige Macht Gottes zu uns herzögen, sondern indem wir durch göttliche Erinnerungen und Anrufungen uns ihr hingeben und uns mit ihr vereinigen.

§ 2.

Es bedarf hier vielleicht einer Entschuldigung, daß wir, nachdem unser berühmter Meister Hierotheus seine theologischen Grundlehren in übermenschlicher Weisheit kurz und bündig verfaßt hat, andere Abhandlungen und auch die vorliegende über göttliche Dinge geschrieben haben, als ob jene (des Hierotheus) nicht genügt hätte. Fürwahr, wenn jener Mann sich gewürdigt hätte, alle theologischen Traktate auszuarbeiten und wenn er in Einzelerörterungen den Hauptinhalt der ganzen Offenbarungslehre durchgenommen hätte, so wären wir nicht so weit in der Torheit oder Verkehrtheit gegangen, um zu glauben, daß wir erleuchteter und göttlicher als er den Worten der Offenbarung nahezukommen vermöchten, oder um dasselbe unnötigerweise zweimal zu sagen und bedachtlos zu schwätzen und dazu noch einem Lehrer und Freund Unrecht anzutun, sowie uns selbst ins Unrecht zu setzen. Würden wir uns ja widerrechtlich seine herrliche Lehre und Erklärung aneignen, nachdem wir doch nächst dem göttlichen Paulus durch seine Unterweisungen gebildet worden sind. Nun hat aber jener Meister, die göttlichen Geheimnisse in echter Reife darlegend, komprehensive Definitionen, die in einem Satze vieles zusammenfassen, für uns aufgestellt, soweit sie uns und allen, welche gleich uns Lehrer von Neophyten sind,75 angepaßt erscheinen. Und dazu gab er den Auftrag, mit der uns angemessenen Rede die gedrängten und in eins gefaßten Konklusionen des überaus geistesmächtigen Mannes zu entfalten und zu distinguieren. Oft hast auch du uns dazu ermuntert und das Buch als überaus trefflich wieder zurückgesandt.76 Demnach weisen auch wir diesen Mann als einen Lehrer vollkommener und reifer Gedanken den Geistern zu, welche über der großen Menge stehen, gleichwie eine Art zweiter Heiliger Schrift, welche sofort an die von Gott inspirierten Bücher sich anschließt. Den Hörern dagegen, die auf unserer Stufe stehen, wollen wir in der uns entsprechenden Weise die göttlichen Wahrheiten überliefern. Denn wenn die feste Nahrung für die Vollkommenen ist, welche Vollkommenheit dürfte es dann erfordern, mit ihr auch andere zu speisen! Mit Fug und Recht sagen wir auch dieses, daß zur selbsteigenen Intuition der geistigen Offenbarungen und zur synoptischen Belehrung über dieselben die Kraft eines gereiften Alters erforderlich ist, daß dagegen die Wissenschaft und Erlernung der hierzu anleitenden Winke für Lehrer und Schüler, die auf einer tiefern Stufe des Heiligen stehen, sich schicken. Wir haben auch darauf mit sehr großer Sorgfalt geachtet, daß wir an das, was unser göttlicher Meister in deutlicher Aufklärung genau bestimmt hat, überhaupt nicht mehr Hand anlegten, um nicht tautologisch dasselbe Schriftwort, das er schon behandelte, noch einmal auf gleiche Weise zu erklären. Denn auch bei unsern gottergriffenen Hierarchen sogar, als auch wir, wie du weißt, und er selbst und viele von unsern heiligen Brüdern zur Schau jenes Leibes, in dem Ursprung des Lebens und Aufnahme Gottes ward, zusammengekommen waren — es war aber auch anwesend Jakobus, der Bruder des Herrn, und Petrus, die vornehmste und ehrwürdigste Spitze der Theologen —, da gefiel es ihnen nach der Schau, daß alle Hierarchen, jeder nach seiner Fähigkeit, die unbegrenzt mächtige Güte der urgöttlichen Schwachheit preisen sollten —, da nun übertraf er (Hierotheus), wie du weißt, nach den „Theologen“ auftretend, die andern Hieromysten, indem er ganz weg war, ganz aus sich heraustraf und die Gemeinschaft mit dem, was er pries, innerlich erlebte, und von allen, die ihn hörten und sahen, kannten und nicht kannten, als ein Mann erachtet wurde, der gottergriffen, ein göttlicher Lobpreisender sei. Doch was soll ich dir von den Dingen reden, die dort in göttlicher Rede besprochen wurden? Denn wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht, so weiß ich, daß ich oft von dir selbst einige Stücke jener gottbegeisterten Lobpreisungen gehört habe. So groß war dein Eifer, dem Göttlichen nicht nur flüchtig nachzugehen.77

§ 3.

Doch um jene mystischen Reden, die ja für die große Menge nicht auszusprechen, dir aber schon bekannt sind, zu übergehen, wie hat er (Hierotheus) dann, als es galt, davon dem gewöhnlichen Volke mitzuteilen und möglichst viele zur Kenntnis unserer heiligen Lehre zu führen, die große Menge der heiligen Lehrer in lange geübter Fähigkeit, Reinheit des Sinnes, Schärfe der Beweisführung und den andern Stücken heiliger Rede übertroffen, so daß wir wohl nie versucht hätten, in eine so große Sonne zu schauen.78 Denn soweit sind wir uns selbst bewußt und überzeugt, daß wir den Erkenntnisinhalt der göttlichen Dinge weder genügend verstehen noch das über die Gotterkenntnis Gesagte wiedergeben und aussprechen können. Weit davon entfernt bleiben wir hinter der Wissenschaft der heiligen, in den göttlichen Wahrheiten bewanderten Männer zurück, weil wir überhaupt vor außerordentlicher heiliger Scheu dahin gekommen wären, über die göttliche Weisheit ganz und gar nichts zu hören oder zu sagen, wenn wir nicht die innerste Überzeugung gewonnen hätten, daß wir die Kenntnis des Göttlichen, die uns verstattet ist, nicht dürfen brach liegen lassen. Dazu bestimmte uns nicht bloß das angeborene Verlangen des Geistes, welches immer in Liebessehnsucht nach der zulässigen Schau der über das Natürliche erhabenen Dinge begehrt, sondern auch die so schöne Anordnung der göttlichen Satzungen selbst. Denn sie versagt uns zwar, uns viel mit dem zu befassen, was über uns ist, weil es unsere Würdigkeit übersteigt und unerreichbar ist, dagegen befiehlt sie uns in einem fort, alles, was uns in unserem Stande zu lernen überlassen und gestattet ist, auch anderen gütig mitzuteilen. Hierdurch also bewogen, haben wir uns an die Abfassung dieser Schrift gemacht, ohne in der uns möglichen Erforschung der göttlichen Wahrheiten zu ermüden oder zu erschlaffen, da wir es nicht über uns brachten, die Mitmenschen, die das über uns Liegende zu betrachten nicht imstande sind, ohne Hilfe zu lassen. Dabei wagten wir aber nichts Neues einzumischen, während wir die von dem wahrhaftigen Hierotheus synoptisch vorgelegten Sätze in kleineren und ins Einzelne gehenden Untersuchungen zerteilten und erläuterten.

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