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2.4.2Modell zur mehrdimensionalen Charakterisierung von außerschulischen Lernorten – Ableitung eines Kategoriensystems aus der Planungsperspektive der Lehrkraft

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Das außerschulische Lernen erfordert in Abhängigkeit von den sehr unterschiedlichen Umgebungen, Konzeptionen und Angeboten der Lernorte sowie den jeweiligen Lernzielen spezifische Vorgehensweisen in der Planung, Durchführung und Nachbereitung des Lernortbesuchs seitens der Lehrkraft. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, außerschulische Lernorte mit Blick auf die Aufgaben der Lehrerinnen und Lehrer zu beschreiben und eine den Planungsprozess unterstützende Kategorisierung zu entwickeln.

Aus dieser Perspektive ergibt sich die Frage, welche Kriterien oder Dimensionen außerschulischer Lernorte für gelungene Unterrichtsszenarien besonders wichtig sind. Aus den vorliegenden empirischen Studien lassen sich nur bedingt Gelingensbedingungen, die für schulische Lernprozesse an außerschulischen Lernorten gesichert werden müssen, ableiten. Allerdings zeigen die Befunde, wie bereits erwähnt, dass vor allem eine gezielte Vor- und Nachbereitung des Lernortbesuchs zur Entfaltung positiver Lerneffekte und damit zur gelungenen Umsetzung beiträgt (vgl. Brovelli et al., 2011; Streller, 2015; Simon et al., 2018). Damit ist die unterrichtliche Einbettung des Lernortbesuchs eine relevante Zieldimension.

Außerschulische Lernorte ermöglichen im Vergleich zum Klassenzimmer als schulischem Lernort einen breiteren Zugang zur Wirklichkeit. Der Lerngegenstand ist am außerschulischen Lernort immer in einen räumlichen und inhaltlichen Kontext eingebettet. Diese Einbettung beschreibt die Dimension der Kontextualität. Die Kontextualität eines Lerngegenstands am außerschulischen Lernort ist ein wichtiger Aspekt für die Nutzung in schulischen Lernprozessen. Über die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Kontextualität werden anschließend die resultierenden Aufgaben für Lehrerinnen und Lehrer abgeleitet.

Ein weiterer zentraler Aspekt für eine gelingende Einbettung ist die didaktische Aufbereitung von Lerninhalten vor Ort. Viele außerschulische Lernorte werden bereits durch (museums-)pädagogische Experten und Expertinnen unterstützt, um so an Attraktivität für Lehrkräfte und Lernende zu gewinnen. Als aktuelle Bestrebungen seitens der außerschulischen Lernorte sind erkennbar: Orientierung an Lehrplänen, zeitliche Eingrenzung und Nutzung handlungsorientierter Methoden. Den Lehrerinnen und Lehrern werden Anknüpfungspunkte für curricular gesetzte Lerninhalte aufgezeigt, und die Lernangebote werden für schulisches Lernen optimiert und didaktisch vorbereitet.

Die Art und Ausprägung dieser Didaktisierung kann somit bereits die Einbettung in die rahmende Unterrichtseinheit determinieren. Die Didaktisierung ist darum eine zweite, wesentliche Dimension bei der Erschließung von außerschulischen Lernorten und die kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit den (ggf.) vorhandenen Didaktisierungen eine zentrale Aufgabe bei der Vorbereitung des Lernortbesuchs.

Nachstehend wird der Versuch unternommen, die Dimensionen Kontextualität und Didaktisierung präziser zu fassen.

Dimension: Kontextualität

Kontextualität meint die Einbettung der dargebotenen Lerninhalte in einen originären Wirklichkeitsausschnitt, wobei die räumliche Dimension des Wirklichkeitsausschnitts (äußere Kontextualität) von der bedeutungsvollen Einbettung der Lerngegenstände in einen Wirklichkeitszusammenhang (innere Kontextualität) zu unterscheiden ist.

Durch außerschulische Lernorte bieten sich Möglichkeiten, Originale (direkt) in ihrem Wirklichkeitszusammenhang wahrzunehmen. Es ist zu erwarten, dass das Erleben der realen Welt im Sinne authentischer Orte gegenüber schulisch inszenierten Kontexten mehr Glaubwürdigkeit erzeugt. Roth (1970) stellt heraus, dass originale Begegnungen Schülerinnen und Schülern helfen, Primärerfahrungen mit den Lerngegenständen zu sammeln, wodurch Motive für das Erschließen der Inhalte gesetzt werden können. Im Zusammenhang mit geografiedidaktischen Fragestellungen betont Neeb (2010, 18), «dass das Prinzip der originalen Begegnung bis heute eine zentrale Position in der Exkursionsdidaktik einnimmt». Dieses Prinzip lässt sich auf andere Fächer und deren Nutzung außerschulischer Lernorte übertragen.

Die Dimension der äußeren Kontextualität erfasst folglich, wie nah der dargebotene Kontext der Lerngegenstände dem originären Wirklichkeitszusammenhang in einem räumlichen Sinne ist. Die höchste Ausprägung ist gegeben, wenn die Lerngegenstände im originären Wirklichkeitszusammenhang zugänglich sind, das heißt, wenn der Kontext authentisch ist. Beispiele dafür finden sich sowohl an naturbezogenen Lernorten, wie an einem Bachlauf oder in einem Nationalpark, als auch in technisch geprägten Lernorten, zum Beispiel in einem Landwirtschaftsbetrieb, Kraftwerk, Denkmal, Forschungszentrum et cetera.

Eine geringe äußere Kontextualität zeigt sich, wenn Inhalte ohne oder mit sehr geringem räumlichem Bezug zum originären Wirklichkeitszusammenhang dargestellt werden. Dann kann auch von artifiziellen Kontexten gesprochen werden. Als Beispiel für Lernorte artifizieller äußerer Kontextualität sei hier auf klassische Museen verwiesen, die eine Sammlung verschiedenster Exponate ohne oder mit stark eingeschränktem Bezug zur ursprünglichen Umgebung ausstellen. Allerdings sei darauf verwiesen, dass Museen als Orte der Kunst eigenständige authentische Kontexte bieten, die per se auf die Sammlung, Bewahrung, Erforschung, Ausstellung und Vermittlung von Kunst fokussieren. Wird also das Museum als solches thematisiert – zum Beispiel das technische Equipment, das jeweilige Ausstellungskonzept, das Gebäude –, dann ist ein authentischer Kontext, das heißt eine hohe äußere Kontextualität gegeben.

Die Exponate in einer Kunstsammlung sind jedoch in der Regel nicht mehr in ihren ursprünglichen Wirklichkeitszusammenhang eingebunden, es sei denn, sie wurden explizit für diese Ausstellung und damit auch einen konkreten Ausstellungsraum geschaffen, wie es zum Beispiel bei Abschlussausstellungen von Kunstakademien der Fall ist.

Oft werden die Lerngegenstände an den außerschulischen Lernorten aber auch in inszenierten Kontexten dargeboten, die sich den originären annähern oder sich zumindest daran orientieren. Damit wird ein Übergangsbereich mit verschiedenen Facetten zwischen den Polen artifiziell und authentisch erkennbar. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Lernorten, die inszeniert sind (siehe Abb. 2.3). Ein Beispiel hierfür ist das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz (smac), das archäologische Exponate in Anlehnung an ihren Fundort arrangiert und miteinander in Beziehung setzt, um mehr Authentizität zu erzeugen, aber Funde aus ganz Sachsen an einem Ort zusammenführt. Ein weiteres Beispiel für inszenierte äußere Kontextualität ist die Kabinettausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden anlässlich der Restaurierung des Cuccina-Zyklus von Veronese. Hier wurde nicht nur der Prozess der Restaurierung nachvollzogen, sondern auch die ursprüngliche Bestimmung der Gemälde für den Palazzo Cuccina in Venedig konnte erkundet werden, indem die Besucherinnen und Besucher den Palazzo virtuell begehen konnten. Die Gemälde wurden somit virtuell in ihren originären Wirklichkeitszusammenhang eingebettet.

Abbildung 2.3:

Einteilung der äußeren Kontextualität


Auch wenn bislang kaum belastbare empirische Daten erhoben wurden, kann vermutet werden, dass durch das Erleben authentischer Kontexte Vorteile für das Lernen gegeben sind. Erste aktuelle Forschungen zur Wirksamkeit von Authentizität auf die Lerneffekte finden sich bei Sommer (2018).

Zudem lassen sich mögliche Effekte der äußeren Kontextualität auf das Lernen theoriegeleitet begründen. Durch das Erleben eines authentischen Wirklichkeitsausschnitts, der gegebenenfalls auch sehr verschieden zur alltäglichen Lebenswelt5 der Lernenden ist, werden im besten Fall sinnstiftende Denkprozesse bei den Lernenden ausgelöst. Sie formulieren selbst Fragen und initiieren hierüber Lernprozesse. Die Besichtigung eines Windkraftrads wäre zum Beispiel ein solcher authentischer Kontext, der eigenständige Fragestellungen zu den Gefahren der Windräder für die Vögel, zum Aufbau solcher Bauwerke, aber auch zur Funktionsweise des Windrads und damit zum Prinzip der Energieumwandlung oder zu Vor- und Nachteilen dieser Form der Energiebereitstellung anregen kann.

Die innere Kontextualität ergibt sich durch die inhaltliche (materiale/methodische) Einbindung der Lerngegenstände, wodurch den Lernenden ein sinnstiftender Zugang ermöglicht wird (vgl. Muckenfuß, 1995). Die innere Kontextualität, die den Lebens- oder Arbeitsweltbezug erst konkretisiert, wird durch entsprechende Problemstellungen, mit denen die Lernenden am Lernort konfrontiert werden, herausgestellt und erlebbar. Für die innere Kontextualität gilt eine ähnliche Abstufung wie für die äußere (siehe Abb. 2.4): Eine hohe Ausprägung ist gegeben, wenn für den außerschulischen Lernort authentische Problemstellungen mit den Lernenden besprochen und bearbeitet werden oder die Lernenden aufgrund der Begegnung am Lernort eigenständige Frage-/Problemstellungen formulieren. Die innere Kontextualität ist also genau dann authentisch, wenn sich die Frage- oder Problemstellung aus den realen Gegebenheiten am Lernort ergibt und den Lernenden in diesem Rahmen sinnvoll erscheint. Ein Beispiel: Die Lernenden sind am außerschulischen Lernort an Laborarbeiten beteiligt, bei denen Daten gewonnen werden, die anschließend im Kontext eines Forschungsauftrags (z. B. Herstellung biokompatibler Kunststoffe) interpretiert werden. Ein solches Forschungsthema impliziert, dass Lernende eigenständig Fragen formulieren, wie zum Beispiel: Welche Wirkungen entstehen, wenn die Materialien nicht biokompatibel sind? Wofür werden die Materialien konkret eingesetzt: Prothesen oder medizinische Geräte, wie Insulinpumpen?

Ist eine solche Authentizität, das heißt hohe innere Kontextualisierung am Lernort nicht gegeben, kann sie durch entsprechende Problemstellungen inszeniert werden, damit die erfahrbaren Sachverhalte für die Lernenden in einen bedeutungsvollen Zusammenhang gestellt werden. In diesem Fall sprechen wir von einer inszenierten inneren Kontextualität. Diese Variante ist typisch für Schülerlabore, in denen Forschungsmethoden erprobt werden können, ohne dass ein Bezug zu einer konkreten Forschungsfrage gegeben ist. Das bedeutet, dass die innere Kontextualität durch das didaktische Konzept am außerschulischen Lernort gesichert werden muss. Dies ist ein bedeutender Aspekt der Dimension Didaktisierung und wird dort aufgegriffen und untersetzt. Die Dimensionen innere Kontextualität und Didaktisierung an außerschulischen Lernorten sind insofern nicht überschneidungsfrei.

Steht die Frage- oder Problemstellung, die am außerschulischen Lernort bearbeitet wird, in keinem logischen Zusammenhang zum Ort und erscheint den Schülerinnen und Schülern somit unmotiviert, dann sprechen wir in Anlehnung an Müller (2006a) von vorgeblicher innerer Kontextualität. Ein Beispiel: Man geht mit den Lernenden in den Wald, um dort ein rechtwinkliges Dreieck aus Stöcken zu legen und vor Ort den Satz des Pythagoras zu behandeln unter der Fragestellung: «Wie kann ich die Länge des Stockes ermitteln, der die Hypotenuse darstellt, wenn ich die Länge der anderen beiden Stöcke kenne?» Die Fragestellung ergibt sich nicht aus dem Ort heraus. Die innere Kontextualisierung wird zwar vom Lehrenden inszeniert, indem er eine Fragestellung formuliert, die eine praktische Anwendung darstellt, eine praktische Relevanz der Fragestellung im inszenierten Kontext ist aber nicht erkennbar und damit für Lernende in Anlehnung an Muckenfuß (1995) nicht sinnstiftend und damit auch nicht motivierend.

Abbildung 2.4:

Einteilung der inneren Kontextualität


Fehlt die Problematisierung an außerschulischen Lernorten gänzlich, kann nicht angenommen werden, dass Schülerinnen und Schüler selbstständig einen entsprechenden Sinnzusammenhang herstellen. Eine fehlende innere Kontextualisierung sollten Lehrpersonen durch ein eigenes didaktisches Konzept kompensieren, indem sie selbst übergeordnete Problemstellungen formulieren oder gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern entwickeln, damit die Exponate beziehungsweise die erfahrbaren Phänomene sinnstiftend eingebettet werden (vgl. Muckenfuß, 1995). Eine Ausstellung, in der Originalmanuskripte und Briefe einer Schriftstellerin präsentiert werden, besitzt meist per se keine übergeordnete Problem- oder Fragestellung. Die Lehrkraft müsste also zur Auseinandersetzung mit den Ausstellungsstücken motivieren, z. B.: «Welche Fragestellungen zum Schreibprozess kann man aus den hier ausgestellten Dokumenten ableiten?»

Die äußere Kontextualität der außerschulischen Lernorte kann durch die Lehrpersonen nicht grundsätzlich verändert werden, sie kann lediglich durch die Inszenierung von räumlichen und zeitlichen Bezügen verstärkt werden. Somit ergibt sich aus der identifizierten Kontextualität des außerschulischen Lernorts ein unterschiedlicher Handlungsbedarf für Lehrpersonen, der sich im didaktischen Konzept niederschlägt.

Dimension: Didaktisierung

Lernangebote an außerschulischen Lernorten lassen sich nach der didaktisch-methodischen Aufbereitung der Inhalte (Didaktisierung) unterscheiden. Das Kriterium der Didaktisierung steht für die Bereitstellung von Lehr-Lern-Materialien, über die die Auseinandersetzung am außerschulischen Lernort initiiert (z. B. Formulierung konkreter Aufgaben/Problemstellungen für die Lernenden) oder unterstützt (z. B. Materialien, die Prozesse der Problemlösung strukturieren und ggf. anleiten) wird. Die Relevanz der Didaktisierung wird auch über die Kontextualität determiniert, denn Didaktisierung kann fehlende Kontextualität in Grenzen kompensieren.

Im Hinblick auf die Didaktisierung unterscheidet sich ein natürlicher Lernort, wie zum Beispiel der Stadtpark, stark von einem durch Pädagoginnen und Pädagogen entwickelten Kursangebot in einem Museum oder Schülerlabor. Die Didaktisierung kann jedoch nicht als eine binäre Eigenschaft wahrgenommen werden, die entweder vorhanden ist oder nicht, sondern als eine graduelle Skala verschiedener Abstufungen.

Der Grad der Didaktisierung eines Angebots am außerschulischen Lernort entfaltet sich in den Merkmalen Bildungskonzeption, Angebotsstruktur, bereitgestellte Materialien, Personalsituation und Qualitätssicherung. Zur Beschreibung der Didaktisierung eines außerschulischen Lernorts können die Qualitätskriterien des Didacta-Verbands genutzt werden. Zu fragen ist, ob beziehungsweise inwiefern der Lernort:

•ein Bildungskonzept mit didaktischer und methodischer Umsetzung verfolgt (Merkmal Bildungskonzeption),

•Lernarrangements gestaltet (Merkmal Angebotsstruktur),

•Möglichkeiten zur Vor- und Nachbereitung anbietet (Merkmal Materialien),

•umfassende Beratung/Betreuung leistet (Merkmal Personalsituation),

•geschultes Personal beschäftigt,

•die Qualität seines Personals durch kontinuierliche Schulungen oder vergleichbare Maßnahmen verbindlich fördert (Merkmal Qualitätssicherung),

•wissenschaftlich vernetzt ist,

•sich zur Evaluation verpflichtet.

Diese Merkmale können unterschiedlich ausgeprägt sein. Entsprechend variiert der Planungsaufwand der Lehrkraft, da mitunter ein geeignetes Lernarrangement selbst zu gestalten ist.

Während hier die Didaktisierung isoliert betrachtet wird, soll das vorgeschlagene Modell zur Charakterisierung von außerschulischen Lernorten die beiden Dimensionen – Kontextualisierung und Didaktisierung – zusammenführen, um die damit verbundenen Herausforderungen und Chancen für die unterrichtliche Nutzung ableiten und Handlungsbedarfe für (angehende) Lehrkräfte operationalisieren zu können. Durch die entsprechende Charakterisierung eines in Betracht kommenden Lernorts anhand dieser beiden Dimensionen lassen sich Strategien für gelungene Lernortbesuche generieren, und der notwendige Aufwand zu deren Einbettung kann differenzierter erfasst werden.

Im Gegensatz zu bekannten Modellen, die Lernorte häufig nur über dichotome Merkmale charakterisieren (siehe Tab. 2.1), werden durch die gestufte Erfassung von Kontextualität und Didaktisierung Lernortspezifika stärker differenzierbar. Das Modell erhebt nicht den Anspruch, alle relevanten Faktoren zu erfassen, sondern konzentriert sich bewusst auf zwei für die unterrichtliche Planung besonders zentrale Faktoren.

Das Modell wird im Folgenden zunächst beispielhaft zur Charakterisierung des Staatlichen Museums für Archäologie Chemnitz (smac) genutzt, bevor im Anschluss vier Typen und die mit ihnen verbundenen Herausforderungen für Lehrende vorgestellt werden.6

Charakterisierungsbeispiel: smac

Das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz (smac) präsentiert im Rahmen seiner Dauerausstellung unter dem Titel «In die Tiefe der Zeit» auf drei Etagen etwa 280 000 Jahre sächsische Regionalgeschichte – von der Ur- und Frühgeschichte bis zur Zeit der frühen Industrialisierung. Daneben bietet es auf jeder Ebene in sogenannten Erkerausstellungen Einblicke in die Geschichte des Gebäudes und temporäre Sonderausstellungen zu wechselnden Themen (vgl. Wolfram, 2014). Seitdem das Museum im Mai 2014 seine Türen geöffnet hat, stellen Schülerinnen und Schüler beziehungsweise Kinder und Jugendliche mit circa 35 Prozent der Besucherzahlen eine wesentliche Besuchergruppe dar (vgl. smac 2015, 2). Dafür stellt das smac verschiedene museumspädagogische Angebote bereit, beispielsweise Führungen für Schulklassen, Suchblätter zur selbstständigen Erkundung der Dauerausstellung oder Aktionsprogramme zum Thema «Leben in der Steinzeit».

Abbildung 2.5:

Panorama der pleistozänen Umwelt sowie Vitrinen auf der ersten Etage der Dauerausstellung im smac (Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz, Foto: Michael Jungblut)


Kontextualität: Da die Ausstellungsobjekte in einem Archäologiemuseum präsentiert werden, befinden sie sich nicht mehr im originären (räumlichen) Kontext – dem Fund- beziehungsweise Ausgrabungsort. Die archäologischen Objekte wurden aus ihrem originalen Primärzusammenhang (Entstehung/Verwendung, Fund) entnommen und in einen musealen Sekundärzusammenhang gebracht (Ausstellung/Arrangement). Die szenografische Gestaltung der Ausstellungsinhalte, zum Beispiel in Form eines Panoramas zur pleistozänen Umwelt und einem Arrangement von Replikaten zur Flora und Fauna sowie Werkzeugen aus dem Paläolithikum (siehe Abb. 2.5), lässt sich folglich als inszenierte (äußere) Kontextualisierung auffassen. Da zudem viele Exponate Replikate sind, ist eine originale Begegnung mit archäologischen Lerngegenständen nur bedingt möglich.

Aufbauend auf den Konzeptionen der szenografischen Gestaltung (inszenierter Kontext), ergeben sich Anknüpfungspunkte für fächerübergreifende Problemstellungen, wodurch die innere Kontextualität erhöht werden kann, zum Beispiel: «Welche Entwicklungsschritte führten von der Natur- zur Kulturlandschaft?»

Didaktisierung: Die Charakterisierung der Didaktisierung folgt den oben genannten Merkmalen: Angebotsstruktur, Bildungskonzeption, Materialien, Personalsituation, Qualitätsmanagement.

Zur Unterstützung unterrichtlicher Nutzungsvarianten des smac werden verschiedene museumspädagogische Angebote bereitgestellt. Dabei handelt es sich zumeist um geführte Programme, die bestimmte Perspektiven auf unterschiedliche Ausstellungsteile vorstellen. Ebenso gibt es Phasen des gemeinsamen Austauschens und selbsttätiger Arbeit unter Nutzung von Repliken.

Die Bildungskonzeption des smac spiegelt dessen grundlegende Ausrichtung als (musealer) Lernort wider. Als Museum für alle bietet es Besucherinnen und Besuchern unterschiedliche Möglichkeiten an, das smac kennenzulernen und seine Exponate zu erschließen. Dabei sind die Bildungsangebote nach Schularten (Grundschule, Oberschule und Gymnasium sowie Berufs[fach]schulen) differenziert und auf die Lehrpläne des Freistaats Sachsen abgestimmt.

Bei einigen Programmen bietet das smac bereits entsprechende Materialien zur unterrichtlichen Vor- und Nachbereitung von Museumsbesuchen mit Lerngruppen als Handreichung an.

Der Bereich «Bildung und Besucherservice» des smac konzipiert und realisiert die musealen Vermittlungsangebote gemeinsam mit dem museumspädagogischen Fachpersonal. Die Angebote werden dann von Ausstellungsmoderatorinnen und -moderatoren durchgeführt. Eine bedarfsorientierte Bereitstellung von individualisierten Lernangeboten findet hingegen nur bedingt statt, ebenso wie eine umfassende Beratung zu den bestehenden Varianten.

Die Ausstellungsmoderatorinnen und -moderatoren verfolgen konzeptionelle Vorgaben, werden hospitiert und nehmen an regelmäßigen Weiterbildungen teil. Ferner ist das smac mit verschiedenen Fachvertreterinnen und Fachvertretern aus assoziierten Wissenschaftsdisziplinen in Kontakt, um die Angebote wissenschaftlich aktuell zu halten. Jedoch stößt die Umsetzung neuer Erkenntnisse häufig an die Grenzen einer Dauerausstellung. So bedürfen Eingriffe in die Ausstellungskonzeption der Genehmigung der verantwortlichen Kuration.

Lehrkräfte können davon ausgehen, dass sie am smac ein qualitativ hochwertiges Programm buchen, das von geschulten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern konzipiert, durchgeführt und betreut wird. Herausfordernd ist die Tatsache, dass die derzeitigen Angebote nur wenig auf Individualisierungsanforderungen eingehen können und nur begrenzt Materialien zur Verfügung stehen. Deshalb ist es für eine gelungene Vor- und Nachbereitung empfehlenswert, das jeweilige Angebot im Vorfeld zu hospitieren oder gegebenenfalls in einer Fortbildung kennenzulernen.

Zieht man die zweite Dimension des Modells, die Kontextualität, hinzu, wird ersichtlich, dass Lehrkräfte für die unterrichtliche Nutzung des smac als außerschulischer Lernort Folgendes berücksichtigen sollten: Sie sollten erstens mithilfe einer geeigneten Problem- oder Fragestellung die innere Kontextualität erhöhen und zweitens das vorhandene museumspädagogische Angebot durch Materialien erweitern, um die Lernenden bei der Erschließung des Lernorts zu unterstützen. Dies bietet die Chance einer optimalen Integration in den Schulunterricht und individualisiert den Lernortbesuch. (Konkrete Berücksichtigung finden diese Anforderungen in der studentischen Konzeption für diesen Lernort in Kapitel 13 dieses Buches.)

Typen außerschulischer Lernorte

Das Modell, das heißt eine Betrachtungsweise, die Kontextualität und Didaktisierung verbindet, kann Lehrerinnen und Lehrern helfen, Aufgabenbereiche für die Planung außerschulischer Lernvorhaben und deren sinnvolle Vernetzung mit schulischen Lernprozessen aufzuzeigen. Dies reicht von der Einschätzung notwendiger zusätzlicher Kontextualisierungsleistungen bis zur gezielten didaktisch-methodischen Aufbereitung für eine optimale Einbettung in den Regelunterricht. Sehr stark didaktisierte Lernorte, wie Schülerlabore, bergen eher Herausforderungen für die Einbettung einer meist sehr engen Angebotskonzeption in den Unterricht; offene (natürliche) Lernorte wie der Wald erfordern hingegen eine Kompensation der fehlenden Didaktisierung.

Werden beide Dimensionen in ein zweidimensionales Koordinatensystem übertragen, kann die Charakteristik eines außerschulischen Lernorts visualisiert werden. Aus dem Modell lassen sich verschiedene Cluster ableiten, die ähnliche Planungsmuster beziehungsweise -aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern verlangen (siehe Abb. 2.6). Dabei handelt es sich um Lernorte,

•die schwach kontextualisiert und kaum didaktisiert (Typ A),

•schwach kontextualisiert, aber stark didaktisiert (Typ B),

•stark kontextualisiert und schwach didaktisiert (Typ C) oder

•stark kontextualisiert und stark didaktisiert (Typ D) sind.

Die sich dadurch ergebenden Cluster ermöglichen es, die Lernorte spezifischer und vor allem aus der Perspektive des schulischen Lernens zu betrachten. Da das smac in beiden Dimensionen eine mittlere Ausprägung hat, gehört es nicht zu einem dieser vier spezifischen Cluster, sondern nimmt – auch in den Planungsanforderungen – eine Zwischenstellung ein.

Abbildung 2.6:

Ableitung von vier Typen außerschulischer Lernorte


Die einzelnen Lernorttypen und die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen werden nachfolgend knapp charakterisiert.

Typ A – schwach kontextualisiert und kaum didaktisiert: Lernorte dieses Typs sind eher selten, da außerschulische Lernorte per se einen Wirklichkeitsausschnitt eröffnen und damit grundsätzlich ein gewisses Maß an Kontextualität bieten. Die Frage ist nur, inwieweit dieser Kontext den ursprünglichen Wirklichkeitszusammenhang der dargebotenen Lerngegenstände/Inhalte abbildet.

Sind beide Dimensionen, Kontextualität wie Didaktisierung, am außerschulischen Lernort gering ausgeprägt, bedarf es eines entsprechenden didaktischen Konzepts: Die äußere Kontextualität kann durch die Einbindung der Inhalte in räumliche und zeitliche Wirklichkeitsausschnitte inszeniert werden, während die innere Kontextualität durch geeignete Problemstellungen erzeugt werden muss (zur Umsetzung siehe Kap. 11). Zudem sollten Materialien bereitgestellt werden, die eine vertiefte und kognitiv anregende Auseinandersetzung der Lernenden mit dem Lernort strukturieren und unterstützen. Daraus ergibt sich ein vergleichsweise hoher Vorbereitungs- und Planungsaufwand.

Allerdings bieten Lernorte, die offen für verschiedene Zugänge sind, meist größere Freiheiten hinsichtlich der Einbindung in ein schulisches Lehr-Lern-Setting. Damit kann ein Besuch dieser Lernorte optimal in die rahmende Unterrichtseinheit eingepasst werden.

Ein Beispiel für diesen Lernorttyp ist das Erlebnisland Mathematik in Dresden. Dort werden Phänomene dargestellt, die so in der Umwelt nicht sichtbar sind und nur mittels idealisierter, modellierter Objekte beobachtbar werden. Die Konzeption ist sehr offen und auf forschendes Lernen ausgelegt, dementsprechend gibt es nur wenige Hinweise oder Informationen für die Besucherinnen und Besucher. Ein anderes Beispiel ist die Historische Farbstoffsammlung der TU Dresden, in der Farbstoffproben aufbewahrt und ausgestellt werden.

Typ B – schwach kontextualisiert und stark didaktisiert: Lernorte vom Typ B sind vornehmlich solche Museen, deren Bildungsangebote durch museumspädagogische Konzeptionen untersetzt und ausgebaut sind, die ihre Objekte aber nicht in authentischen Kontexten präsentieren. Es ist aber eine szenografische Darstellung der Exponate möglich, die die äußere Kontextualität erhöht, wie zum Beispiel im smac.

Aufgrund der vorhandenen Lernangebote sind diese Lernorte für Lehrkräfte attraktiv, da sich der didaktisch-methodische Vorbereitungsaufwand reduziert. Es bleibt jedoch Aufgabe, die äußere Kontextualisierung zu thematisieren und die Lerngegenstände in ihren authentischen Wirklichkeitszusammenhang einzubinden. Die didaktischen Angebote sind folglich auf ihre sinnstiftende Einbettung für die Lernenden (innere Kontextualität) sowie auf ihre Eignung für das avisierte Unterrichtssetting zu prüfen.

Typ C – stark kontextualisiert und kaum didaktisiert: Bei diesem Typ ist der authentische Kontext der dargebotenen (Lern-)Inhalte prägend, wie zum Beispiel in Gedenkstätten, Unternehmen oder an natürlichen Lernorten, wie im Wald. Für die unterrichtliche Einbindung reduziert sich der Kontextualisierungsaufwand für Lehrerinnen und Lehrer, die Herausforderung besteht nun darin, den dargebotenen äußeren Kontext entsprechend zu nutzen. Es gilt, die jeweils gegebenen Lernpotenziale zu erkennen und didaktisch-methodische Konzepte zu erarbeiten, die auch die innere Kontextualität sichern. Hinsichtlich der didaktischen Gestaltung ergeben sich die gleichen Notwendigkeiten, wie sie bereits zu Typ A erörtert wurden. Großes Potenzial bergen diese Lernorte häufig für die Lebens- und Arbeitswelt oder die Berufsorientierung der Schülerinnen und Schüler.

Typ D – stark kontextualisiert und stark didaktisiert: Lernorte mit starker Kontextualität und Didaktisierung reduzieren den Vorbereitungs- und Planungsaufwand für Lehrerinnen und Lehrer erheblich. Hier sind vor allem Schülerlabore zu nennen, die ein hohes Maß an Authentizität erreichen, wenn sie ausschnitthaft der realen Arbeitswelt nachempfunden sind beziehungsweise diese inszenieren.

Die von geschultem Personal in Schülerlaboren umgesetzten Angebote fokussieren häufig auf bedeutungsvolle Problemstellungen und bieten eine Fülle von Materialien für die Problemlösung. Die Zusammenhänge zu den curricularen Vorgaben der Fächer werden in der Regel explizit ausgewiesen. Schülerlabore erfreuen sich dementsprechend größter Beliebtheit und werden stark frequentiert.

Das sehr konkrete Gerüst lässt den Lehrkräften jedoch nur sehr wenig didaktischen Spielraum. Im Gegenzug ist die Einbettung in den Unterricht anspruchsvoll, denn die (vor- und nachbereitenden) Unterrichtsstunden sollten möglichst genau auf die entsprechenden Lerninhalte des außerschulischen Lernorts ausgerichtet sein. Das umfassende Angebot sollte nicht dazu verleiten, sowohl die Lernenden als auch die eigene Lehrerrolle abzugeben. Vielmehr sollten Lehrkräfte sensibilisiert und befähigt sein, die Angebote so vor- und nachzubereiten, dass der Besuch des außerschulischen Lernorts als bedeutsames Element des schulischen Lernens erfahrbar wird.

Begegnungen mit der Wirklichkeit (E-Book)

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