Читать книгу IXXI - Doug Mechthild - Страница 11
Nach Hause kommen
Оглавление„Habt ihr auch die Pinsel gestern noch gewaschen?“
„Ja, hat Murat gemacht.“ Andreas hievte das Werkzeug in den Lieferwagen und sah seinen Chef stirnrunzelnd an. Der fand, Andreas hatte in letzter Zeit sehr schlechte Laune.
„Unsere Pinsel sind alle sauber“, versicherte Murat grinsend und reichte Andreas zwei Farbeimer.
„Gut. Dann steigt mal ein. Wir sind schon spät dran.“ Markus Derkwert schloss die Türen und setzte sich ans Steuer. Murat und Andy stiegen hinten ein.
Markus fuhr los und schaltete das Radio an, denn heute gab es komischerweise keine Gespräche. Murat sah seinen Freund zwar von Zeit zu Zeit irritiert an, aber Andy hatte seine Nase in ein Buch gesteckt. Das war auch gut so, denn so sah man Andys finsteres, inzwischen bärtiges Gesicht nicht.
Markus sah in den Rückspiegel und betrachtete Andys unordentlichen Haarschopf, der tief über sein Buch gebeugt war.
"‘Guidelines for a New World?` Was ist denn das?", fragte Markus überrascht.
Andreas zuckte mit den Schultern. „Eine sehr vernünftige Weltanschauung.“
„Aha. Und seit wann interessiert dich das?“
„Seit ein paar Wochen“, murmelte er.
„Ist das so etwas wie der Koran? Nix für ungut, Murat", setzte Markus hastig hinzu, "ich finde das nur etwas ungewöhnlich.“
„Ich auch. Das Buch da kenne ich nicht. Der Islam ist besser, da sei mal sicher. Willst du konvertieren, Andy? Das kannst du bei uns in der Moschee tun“, versicherte Murat eifrig.
Andreas brummelte nur etwas Unverständliches und las weiter.
Markus und Murat tauschten einen verständnislosen Blick im Rückspiegel.
„Endlich Pause.“ Erleichtert gesellte sich Murat zu Andy, der lustlos an seinem Brot kaute, und zündete sich eine Zigarette an. Sofort hob Andy den Kopf und sah seinen Freund scharf an.
„Was ist denn?«, fragte der verwundert.
Da fragst du noch? Du rauchst!«, donnerte Andy.
„Ja, und?«
Du weißt doch, dass das verboten ist?"
„Verboten? Hä?“
Na, bist du nun Moslem oder nicht?", fragte Andy scharf.
"Natürlich bin ich einer. Vom Rauchen steht nichts im Koran!"
"Aber dass man seinem Körper keinen Schaden zufügen soll! Und dass Rauchen schadet, ist ja wohl bekannt! Nimmt denn keiner mehr seine Religion ernst? Fürchterlich!"
„Woher weißt du denn, was im Koran steht? Ich dachte, dich interessiert nur dieser „‘Guidelines for a New World?‘ Langsam glaube ich, du spinnst. Wo kommt das denn auf einmal her?“
Ärgerlich schüttelte Andy den Kopf. „Nur, weil ich mein Leben lang in einer geistigen Wegwerfgesellschaft gelebt habe, muss das ja nicht heißen, dass es so bleibt. Ich weiß, was in Koran, Bibel, Tora und Talmud steht. Und was Buddha sagte. Es hält sich niemand mehr dran. Ich finde das heuchlerisch! Sieh doch nur einmal fern. Wie viele nackte Brüste du da zu sehen bekommst!“
Murat grinste. „So schlimm ist das ja nun auch wieder nicht.“
„Ein schöner Moslem bist du mir.“ Andreas schüttelte verächtlich den Kopf.
„Deinen Humor hast du heute wohl zu Hause gelassen?“ Murat musterte seinen Freund besorgt.
„Wirst du jetzt etwa zu so einem Fanatiker? Was sagt denn Jana dazu?“
Andreas‘ Gesicht verfinsterte sich. „Ich soll ein Fanatiker sein? Nur, weil ich mich mit Weltreligionen beschäftige?“
„Das ist immer so eine Sache. Man muss doch nicht anderen immer sagen, was sie zu tun haben, oder? Meine Eltern hängen mir schon immer an den Hacken, dass ich endlich heiraten soll. Jetzt fang du nicht auch noch an.“
Murat warf seine Zigarette weg und trat sie aus. Andreas brachte es fertig, dass einem nicht einmal mehr die Pausenzigarette schmeckte! Als er seinen Fuß wegnahm, bemerkte er etwas Rosiges und Rundes neben dem zertretenen Stummel.
„Was ist denn das?“ Er sah auf das fast aufgegessene Brot seines Freundes.
Bist du deswegen so schlecht drauf? Weil dir dein Schinken runtergefallen ist?«
"Runtergefallen? Das ist Fleisch!", donnerte Andreas. „Ich sollte mir meine Brote besser
selbst schmieren!“
„Äh, und was ist falsch daran?“,
„Es ist nicht erlaubt, Fleisch zu essen!“
„Ach? Wieso denn nicht?“
„Ist dir nicht klar, wie viel Weidefläche für die Haltung von Tieren benötigt wird? Wie viel Wasser und Strom? Mal davon abgesehen, dass das Töten von Tieren falsch ist!“
„Echt jetzt?“
„Natürlich.“
„Du isst also kein Fleisch mehr?“
„Und trinke keinen Alkohol und nehme auch sonst nichts mehr zu mir, was ich nicht unbedingt benötige. Alkohol schadet der Leber. Dann muss ich irgendwann in ärztliche Behandlung, Medikamente schlucken, die auch wieder aufwendig hergestellt werden müssen und brauche vielleicht sogar eine teure Operation. Alles Ressourcenverschwendung. Eher würde ich Insekten essen. Gutes Protein. Oder Menschen, davon gibt es ja nun wirklich genug!“
„Igitt! Du machst hoffentlich Scherze?“
„Wer weiß ...“
„Völlig bekloppt, was du da sagst. Ich finde das ziemlich merkwürdig.“
„Ich nicht. Das macht alles Sinn.“
Murat warf einen Blick auf das finstere Gesicht seines Freundes. Die harten, zornigen Augen und der zottelige Bart, den er sich wachsen ließ, betonten nur noch den freudlosen Eindruck, den man von Andy heute bekam. Er hatte eigentlich ein offenes, freundliches Gesicht gehabt. Jetzt konnte man beinahe Angst vor ihm bekommen.
"Ey Alter ... Hör mal, es ist ja total super, dass du mehr moralisch drauf sein und den Planeten retten willst und so, aber sieh das bitte etwas lockerer, okay?"
"Locker? Es steht doch alles ganz klar in meinem Buch geschrieben! Da gibt es nichts dran zu ruckeln!"
„So was wird doch dauernd falsch ausgelegt! Da hat jeder seinen eigenen Blickwinkel! Guck dir doch an, was da drinnen abgeht.“ Murat wedelte mit der Hand in Richtung des Hauses, in dem die beiden gestern noch gestrichen hatten. „Der Alte sagt, im Baumarkt hätte der Mitarbeiter gesagt, rubinrot passt am besten. Seine Alte behauptet, es wäre dunkelrot gewesen. Wir waren erst gestern da, aber jetzt wissen sie schon nicht mehr, wie die Farbe hieß, die an die Wand gepinselt wurde! Menschen sind halt nicht perfekt. In drei Jahren wissen die mit Sicherheit überhaupt nicht mehr, was sie da an der Wand haben. Oder spiel doch mal ‚stille Post‘. Da siehst du erst, was am Ende rauskommt, wenn ein paar Menschen einen Satz weitergeben sollen. Du nimmst das echt zu ernst!"
Finster sah Andreas seinen Freund an.
"Denkst du über den Koran etwa auch so? Du bist ja ein feiner Moslem", brummte er verächtlich und ging zurück ins Haus.
„Und du machst mir langsam Angst“, murmelte Murat und folgte ihm.