Читать книгу IXXI - Doug Mechthild - Страница 7
Erwacht - errettet?
Оглавление„Mach deinen Scheiß leiser! Ich kann nicht lernen!“, schrie Steffi und hämmerte gegen die Tür ihres Bruders. Der hörte so laut Musik, dass der Boden vibrierte. Als Steffi es satthatte, riss sie die Tür auf und stapfte zu seiner Minianlage herüber. Mini oder nicht - das Ding produzierte einen beachtlichen Lärm. Noch bevor sie den Knopf für die Lautstärkeregelung herunterdrehen konnte, hatte Andreas sie von hinten gepackt, auf sein Bett geworfen und sie durchgekitzelt.
Steffi quiekte vor Lachen, wand sich und trat ihrem Bruder spielerisch in den Bauch.
„Lass das! Ey! Du Penner!“
„Dann lass deine Griffel von meiner Anlage!“
Andreas griff nach ihrem Fuß und kitzelte den, bis Steffi kreischte vor Lachen.
„Was ist denn hier los?“ Martina kam herein, und stellte kopfschüttelnd die Musik ab. Bedauernd ließ Andreas von Steffi ab. Die versetzte ihm noch einen Fausthieb in die Seite, den er aber kaum merkte. Seit ein paar Wochen machte er Hanteltraining, und Steffi war klein, zart und viel zu dünn.
„Was ist mit Hausaufgaben? Euch gegenseitig umbringen könnt ihr später.« Martina nahm im Bürostuhl ihres Sohnes Platz und sah stirnrunzelnd auf seinen Computermonitor.
„Was ist denn ‚die Neue Welt ohne Waster?‘“
„Das geht dich nichts an.“ Schnell verkleinerte Andreas die Seite. Martina sah überrascht, dass ihr Sohn rot geworden war. Dabei hatte er nur gegrinst, als seine Mutter ihn vor Monaten auf einer Pornoseite erwischt hatte.
„Der hat die Musik wieder so laut an, dabei kann ich nicht Englisch lernen“, beschwerte sich Steffi. Martina nickte.
„Ja, ich habe es bis unten gehört. So habe ich ja nichts gegen deine Musik, Andy, aber wenn Steffi nicht lernen kann, musst du Rücksicht nehmen. Sie steht in Englisch sowieso schon nahe am Abgrund.“ Andreas zuckte zusammen.
„Ja, ist ja gut. Aber dann soll sie was sagen und nicht einfach an meine Anlage gehen. Ich kann das nicht leiden.“
„Was ist schon dabei. Ich wollte es ja nur etwas leiser drehen“, murrte Steffi und zog an ihrem Haarband, bis das lange blonde Haar frei über ihren Rücken floss. Lange blieb es nie in einem Pferdeschwanz. Steffi hielt nie etwas lange durch. Martina befürchtete schon, dass ihre Tochter an ADS oder dergleichen litt. Stillsitzen konnte sie nur selten, fummelte ständig an ihren Haaren oder ihrer Kleidung herum und rutschte auf Stühlen hin und her.
Andreas war das Gegenteil seiner kleinen Schwester. Hochgewachsen, etwas kräftiger gebaut. Während Steffi wie ein Irrwisch durch ihr Leben huschte, konnte Andreas den ganzen Tag vor seinem PC sitzen oder ein Buch lesen. Er glich seinem Vater Hans aufs Haar und hatte auch dessen ruhige Art geerbt. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich schmutzige Teller, da jeder dann aß, wann er wollte. Meistens nahmen sich Andreas und Steffi etwas Essbares mit in ihre Zimmer und hockten sich vor ihre Fernseher.
„Morgen kann ich wieder waschen, wie ich sehe“,
seufzte Martina und nickte in Richtung der Zimmerecke, die ihr Sohn zur Aufbewahrung schmutziger Wäsche nutzte. Der Berg war schon recht beachtlich. Zwei Jeans, sechs T-Shirts, Unterhosen, Socken und seine Latzhose. Bestimmt wieder voller Farbflecken.
„Ja“, grinste Andy. „Aber nur, wenn die Maschine auch voll ist. Wasser und Strom darf man nicht verschwenden!“
„Du könntest das Zeug ruhig in die Wäschetonne schmeißen, du Sau!“, stichelte Steffi. Andy hob drohend seine Zeigefinger zu einer weiteren Kitzelattacke, und Steffi floh kichernd aus dem Zimmer.
Andreas sah ihr hinterher.
„Wer ist eigentlich ihr Vater?“, fragte er auf einmal, und Martina erstarrte.
„Ähm, wie kommst du denn jetzt da drauf?“, fragte sie irritiert. Andreas zuckte mit den Schultern.
„Ich dachte nur, da mein Papa es ja nicht ist, dass du dich vielleicht manchmal schämst oder so.“
„Schämen? Wieso denn das?“ Martina schluckte schwer. Wieder zuckte ihr Sohn mit den Schultern.
„Weil du ihn niemals erwähnst. Von Hans sprichst du öfter. Aber von Steffis Papa nie.“
„Äh, na ja ... ich hatte nie eine richtige Beziehung mit ihm. Ich war drüben in der Kneipe, und dann habe ich mich mit so einem Kerl den ganzen Abend unterhalten, getanzt ...“
„So ein Kerl? Weißt du seinen Namen nicht?“, fragte Andreas erstaunt.
„Nein, ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Es war ja auch nicht geplant, dass daraus ein Kind entstehen sollte, weißt du. Wir haben geflirtet und geknutscht. Und dann, als die Toilette frei war ...«
„Boah, Mama!“
„Ja, na und? Was ist schon dabei? So was passiert eben.“
„So was passiert eben nicht einfach so! Hast du nicht Angst gehabt wegen AIDS? Und hat es dir nichts ausgemacht, von einem Wildfremden ein Kind zu kriegen? Von jemandem, von dem du gar nichts weißt? Und wieder ein Esser mehr für diesen überbevölkerten Planeten?“ Andreas schien entsetzt.
„Einen AIDS-Test habe ich danach gemacht. Was ist denn so schlimm? Ich verstehe dich da nicht, Andy. Du sitzt da wie `ne Kuh wenn’s donnert, und das wegen eines One-Night-Stands. Ich habe das Beste daraus bekommen, was eine Frau bekommen kann. Deswegen schäme ich mich nicht!“
Andreas sah sie lange an. In seinem Blick lag eine Mischung aus Mitleid und Ekel.
„Vielleicht solltest du das aber“, sagte er schließlich und wandte sich wieder seinem Computer zu.
Audienz beendet, dachte Martina ironisch. Ihr Herz klopfte heftig, und sie war doch tatsächlich etwas rot geworden. Das gibt es doch gar nicht! Da hat mein neunzehnjähriger Sohn `nen Stock im Arsch und macht einen auf Moralapostel, und ich bin diejenige, die viel cooler mit so etwas umgeht, dachte sie ärgerlich. Sie sammelte den Haufen Wäsche ein und machte die Tür hinter sich zu, während ihr Sohn sich wieder mit seinen Videos über nutzlose Waster beschäftigte.
„Sollte mal lieber aufräumen, der Bengel“, knurrte sie und ging ins Bad, um die Waschmaschine zu befüllen.