Читать книгу Die Frauen von Schloss Summerset - Ed Belser - Страница 8

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Es folgten lange Jahre der Verbannung für Margaret in einem fremden Land, zwar mit vielen Landsleuten, doch letztlich einsam und heimatlos. Mühsam sparte sie das Geld für eine Reise zurück in ihre Heimat zusammen, eine Reise, die für sie eine Heimkehr sein sollte, voller Hoffnung, zusammen mit dem treuen Andy Sullivan als Beschützer, die verzweifelte Suche nach ihrer Tochter, doch es gab nur die schreckliche Erkenntnis, dass sie tot war; sie hatte vor ihrem Grab gestanden — bei der alten Brücke zur zerfallenen Mühle. Es gab keine Möglichkeit Cremor zu finden, nicht einmal eine Spur von ihm. So war sie resigniert nach New Brunswick zurückgekehrt, im Herzen die leise Hoffnung, dass er trotzdem noch leben könnte.

Sie war wiederum von allen willkommen geheißen worden, kaum war sie zurück; man hatte ihr jeden Weg offengelassen.

Wieder vergingen Jahre, und stets waren ihre Gedanken bei Cremor, selbst dann, als sie sich in der geruhsamen Verbindung mit Scott eingerichtet hatte. Scott, der Sheriff, war stets für sie da gewesen, schon damals, bei ihrem ersten Schritt auf das neue Land. Es hatte nur sein Kopfnicken gebraucht, und der Bürgermeister war einverstanden gewesen, ihr den Aufbau der Schule anzuvertrauen.

Dann endlich: ein zufälliges Signal. Die ersten Zeitungen, die Amerikas Kolonien erreichten. Ein zerknülltes Exemplar, der Bericht über die Blair Mhor Brennerei. Lucas Creamore. Er lebte! Da gab es für Margaret kein Halten mehr. Sie verließ ihren Ehemann und die Menschen, die sie gebraucht hätten — sie verließ letztlich jenes Gefängnis, das ihr bisheriges ersetzt hatte.

Andy Sullivan hatte eine neue Heimat gefunden, war glücklich mit ihrer ehemaligen Zofe, und so hatte sie sich allein auf den Weg machen müssen, zum zweiten Mal zurück über den Ozean.

Margaret hatte die Ankunft sehnlichst erwartet, doch als die Küste in Sicht kam und sie sich Greenock näherten, wäre es ihr lieber gewesen, die Reise hätte noch angedauert.

Die Caroline legte an, das Fallreep wurde heruntergelassen und Kapitän Garcia begleitete sie an Land, gefolgt von einem Diener, der ihre zwei Taschen trug. Ihre Bücher hatte sie auf dem Schiff zurückgelassen.

"Es tut mir im Herzen weh, dich hier einfach alleine zu lassen, Margaret. Alles was ich tun kann ist, dir viel Glück zu wünschen." Er umarmte sie. "Ich weiß, dass du wegen eines Mannes diese Gefahr auf dich nimmst. Ich glaube, sonst hätte ich dich begleitet … " Er sah sie mit seinen dunklen Augen an, die leicht feucht waren.

Margaret lächelte und hielt seinem Blick stand. Augen, fast wie Cremor, dachte sie. "Ich werde dich nie vergessen, Jose. Danke für alles." Sie sah ihm nach, wie er das Fallreep wieder hochstieg, winkte als er sich kurz umdrehte, und dann war sie allein.

Sie schaute um sich. Auf der Mole wimmelte es von Männern, allesamt Fischer, Seeleute, Handwerker, Bettler. Garcia hatte recht gehabt: Ein weibliches Wesen war weit und breit nicht zu erblicken. Die Einsamkeit überfiel sie wie plötzlicher Frost.

Sie war zurück in ihrem Heimatland, doch es kam ihr fremder vor als damals, als sie ihren Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt hatte. Dort hatte sie sich willkommener gefühlt als hier.

Die Menschen, die eilig ihren Geschäften nachgingen, würdigten sie keines Blickes. Sie kam sich vor wie unsichtbar. Sie umfasste mit beiden Händen ihre Unterarme, versuchte sich zu wärmen, schaute zum Himmel, blickte an sich herunter, und spürte wie sich die Angst in ihr ausbreitete. Warum bin ich hier? Warum bin ich nicht geblieben wo ich war? Es ging mir doch gut dort. Lehrerin in Brunswick, sogar Schulleiterin. Jetzt bin ich wieder da, wo ich herkomme. Es schien ihr, als ob die Zeit in ihr stehen geblieben wäre. Am liebsten hätte sie laut gerufen, um auf sich aufmerksam zu machen: Ich bin Lady Margaret MacAreagh von Schloss Blackhill! Kümmert euch um mein Gepäck, bereitet mir die Kutsche, richtet mir die Unterkunft! Ihr Mund formte die Worte, doch sie blieben tonlos. Margaret Smith, dachte sie, so, wie sie sich in North Carolina, New Hanover County, genannt hatte. In New Brunswick, benannt nach dem Kurfürsten von Braunschweig, geboren in Hannover, König von Großbritannien, Vater des jetzigen Herrschers George II, dessen Sohn William Augustus, der Herzog von Cumberland, den Aufstand der schottischen Highlander blutig niedergeschlagen hatte, sich den Namen William der Schlächter wahrlich verdient hatte und den es zu fürchten galt. Sie spürte, wie ihre Tränen über Wangen und Kinn bis in den Kragen ihres hochgeschlossenen Kleides flossen.

Sie wusste nicht, wie lange sie da gestanden hatte. Offensichtlich lange genug, um dem einen oder anderen aufgefallen zu sein. Sie spürte Blicke, die sie musterten. Sie versuchte sich auf den Zweck ihrer Reise zu besinnen. Blair Mhor. Cremor. Daselbst erfolgreicher Besitzer der gleichnamigen Brennerei, auf der Wirtschaftsseite der Edinburgh Gazette erwähnt als erfolgreicher Unternehmer … neue Arbeitsplätze, Steuereinnahmen. Sie trug das Stück Papier stets bei sich, hatte es immer und immer wieder gelesen. Sie musste hin. Sie musste den Faden der Zeit wieder aufnehmen. Sie musste zu Cremor — selbst, wenn er längst ein anderes Leben führte. Sie würde es verstehen. Aber sie musste es herausfinden. Und alles über Shauna, ihre Tochter, von der sie nichts wusste, außer dass sie tot war, und an deren Grab sie geweint hatte. Sie würde sonst diesen Teil ihres Lebens nie abschließen können. Sie presste ihre Hände vor die Augen und versuchte ihre Tränen zu stillen.

Sie fragte nach dem Markt, dort würde es Frauen geben, die ihr vielleicht helfen konnten eine Unterkunft für die Nacht, wenn nötig für die nächsten Tage zu finden. Sie folgte der angegebenen Richtung und kam zu einem kleinen Markt, wo alte Frauen in langen Röcken und verhüllten Häuptern Fisch und Brot angeboten.

Es war eine rechte Spelunke, die man ihr empfahl; das einzige Wirtshaus, das auch Zimmer für Reisende anbot. Als sie mit ihren zwei Taschen ankam und die Tür mit dem Fuß aufstieß, drang ihr sofort das laute Geschwätz der zechenden Gäste entgegen, ein Geruch von Bier und Schweiß und gebratenen Fisch stieg ihr in die Nase. An der Theke standen die Männer zwei Reihen dicht, tranken dunkles Bier oder hielten den leeren Krug zum Nachfüllen hin. An den Tischen wurde gegessen, Flaschen standen dicht an dicht oder waren zur Seite geräumt worden, um Platz für das Würfelspiel zu schaffen. Der Lärm schwoll an, wenn einer sich mit lauter Stimme durchsetzen wollte, oder nahm ab, wenn die Männer wie auf Kommando ihre Becher leerten. Sie musste sich seitwärts durch die Menge kämpfen, die sie nicht weiter beachtete, um zum Durchgang in die Küche neben der Theke zu gelangen.

Ein Kellner mit einem dampfenden Teller in jeder Hand tauchte auf und sah sie überrascht an. Sein Hemd wies auf der Brust und unter den Armen lange nasse Flecken auf. "Was willst du?"

"Ein Zimmer."

Er nickte und eilte mit den Tellern zu den Tischen.

Margaret stellte ihre Taschen ab und drehte sich um. Kaum ein armbreit von ihr entfernt wölbten sich die breiten Rücken von Seeleuten, die um einen runden Tisch herum saßen. Ein Becher mit Würfeln machte die Runde, auf einem Holzteller sammelten sich Geldstücke, von Zeit zu Zeit heimste einer die Münzen mit Triumphgeschrei ein, die anderen stöhnten auf und spülten ihre Enttäuschung mit einem langen Zug aus den Bierkrügen hinunter. Ihr Blick traf sich mit den hellblauen Augen eines Mannes, der an der gegenüberliegenden Seite des Tisches saß. In der Hand hielt er den Würfelbecher, schüttelte ihn; Margaret hörte die Würfel klappern, er lachte sie mit breitem Mund an und hielt ihr den Becher entgegen, bevor er ihn auf den Tisch entleerte. Sie hörte am schadenfreudigen Gejohle der anderen, dass der Wurf misslungen war, doch der Mann löste seinen Blick keinen Moment von ihren Augen. Dann hob er kurz seine Schultern und ließ sie wieder fallen. Er erinnerte sie an Andy Sullivan. Er hatte die gleichen weißblonden Haare, etwas jünger vielleicht, etwa so alt wie ihre Tochter Shauna jetzt wäre.

Der Kellner eilte schweißtriefend an ihr vorbei in die Küche und kam mit einem gedrungen gebauten Mann mit dicken nackten Oberarmen zurück. Der Kellner wies mit dem Finger auf den runden Tisch.

Der Mann sah kurz hin, dann wandte er sich an Margaret. "Wie lange bleibst du hier?"

"Einige Tage, meine ich."

Der Kellner stand immer noch da.

"Hilf mir!", befahl ihm der Wirt. "Schmeißen wir ihn raus, wenn er nicht bezahlt." Er musterte Margaret. "Einige Tage? Hast du Geld? Du zahlst im Voraus!" Er ließ sie stehen und ging zum runden Tisch.

Finn O'Brian hatte einige Gläser Bier in sich, einige der Würfelspiele gewonnen, die Mehrzahl von ihnen jedoch verloren. Er war wie durch Zufall in dieser Kneipe gelandet. Eigentlich wollte er so rasch wie möglich an Bord eines Schiffes, möglichst weit weg. Wie er die Reise bezahlen sollte — darüber hatte er noch keinen Moment nachgedacht. Seinen letzten Sold hatte er in eine Mahlzeit, serviert von diesem nach Schweiß stinkenden Kellner, in das Bier und in das Spiel mit diesen verhexten Würfeln investiert, die nie auf seiner Seite standen. Und jeden weiteren Verlust seiner Münzen kompensierte er mit einem Glas Bier. Er durchstöberte seine Taschen, doch da war nichts mehr zu finden. Finn trug noch die leinenen Hosen der englischen Armee, recht verschmutzt und mit Rissen, seine Rotjacke hatte er unterwegs in einen Fluss geworfen, damit sie sich möglichst weit von ihm entfernte; seine neue Jacke war die alte eines Bauern und sie hatte schon manchen üblen Tag erlebt, aber ihn auch nicht viel gekostet. Finn sprach leidlich Englisch, mehr wäre für seine Aufgabe auch nicht notwendig gewesen. Er bekam seinen mageren Sold dafür, dass er auf seinem Wachposten bei der Garnison stand und jeden Angreifer abwehren sollte. Er war nie einem solchen begegnet. Dafür nahm der Strom von gefangenen Soldaten zu, die nicht die Rotjacke trugen, aber die gleiche Sprache sprachen wie er und behandelt wurden wie der letzte Dreck. Da hatte er aufbegehrt. Sein Unteroffizier hatte ihm eine Ohrfeige verpasst, und als er ihn dafür mit einem Faustschlag zu Boden streckte hatte er es vorgezogen, so rasch wie möglich das Weite zu suchen. Er rannte und rannte, selbst als ihn niemand mehr verfolgte. Somit war er zum Deserteur geworden. Deserteure taten gut daran, um ihr Leben zu rennen.

Und jetzt saß er an diesem Tisch, hoffend, dass ihm sein letzter Einsatz einen Gewinn brachte, der ihm ermöglichte seine Zeche zu bezahlen. Er sah Margaret, die an der Theke stand in die Augen, sah kurz ihre elegante Nase mit der leicht ansteigenden Spitze, ihre breiten Schultern, hörte ihre tiefe Stimme als sie mit dem Kellner sprach, erinnerte sich kurz an seine Mutter — sie hatte die gleiche Stimme — und konnte nicht anders, als sie anzustrahlen. Er hörte die Würfel fallen, sah der Dame an der Theke weiter in die Augen, sah an ihrem Blick, dass er verloren hatte, sah wie sie mit dem Kellner und dem Wirt sprach, der ihn zornig im Visier hatte, hörte wie die Dame fragte: "Wie viel schuldet er dir?", wie der Kellner den Betrag nannte und wie sie antwortete: "Setz es auf meine Rechnung!", und dann holte ihn seine Trunkenheit ein, er kippte seitwärts vom Stuhl auf den Boden und spürte gar nicht mehr, wie der Kellner und der Wirt ihn durchsuchten, ihn an den Schultern packten, durchs Lokal schleiften, zur Tür hinaus, durch den Dreck zogen und ihn auf der gegenüberliegenden Straßenseite fallen ließen.

Margaret hatte zugesehen, halb entsetzt, halb belustigt, als sie erkannte, dass der Mann einigermaßen unversehrt davongekommen war. Der Wirt hatte von den Tischen einige leere Gläser an ihren Henkeln zusammengerafft, kam zurück zur Theke und sagte: "Ich zeige dir dein Zimmer, sobald du bezahlt hast."

Das Zimmer, wie es der Wirt nannte, war ein Hinterraum, in dem sich bereits zwei weitere Frauen für die Nacht eingerichtet hatten. Margaret wusste, dass es klüger wäre ihr Gepäck nicht alleine zu lassen, deshalb suchte sie sich eine Pritsche, legte ihre Taschen zwischen sich und die Wand, suchte sich selbst und suchte ihren Schlaf.

Noch vor dem Morgengrauen trieb es sie hinaus; sie wollte an die frische Luft, wollte das Wasser eines Brunnens, wo sie noch niemand beobachtete, zum gierigen Trinken und zum Waschen. Als sie zurück zum Wirtshaus kam, sah sie auf der anderen Straßenseite den Mann vom Vorabend. Er saß am Boden, seinen Kopf zwischen den Knien.

Er sah auf, als sie sich näherte.

"Guten Morgen. Ausgeschlafen?"

Als er sie erkannte, schoss er auf, doch fiel sofort wieder auf die Knie, wahrscheinlich war ihm schwarz vor Augen geworden. Langsam erhob er sich, und Margaret folgte dem Blick seiner Augen von unten bis sie zu ihm hoch schauen musste.

Sie lächelte. "So groß habe ich dich gar nicht in Erinnerung. Wie heißt du?"

"Finn O'Brian, ich bin Ire."

"Das habe ich auch so bemerkt", antwortete sie auf Gälisch.

"Oh, ich dachte du seist Engländerin."

Sie musterte seinen weißblonden Schopf. "Was tust du hier?"

"Ich warte, bis ich wieder klar im Kopf bin."

"Und dann?"

"Ich suche eine Überfahrt."

"Wohin?"

"Amerika."

"Da komme ich gerade her."

Finn sah sie verwundert an.

"Offensichtlich fehlt dir das Geld dafür."

"Das hast du gut erkannt."

"Was gedenkst du zu unternehmen?"

Finn strich sich die Haare aus der Stirn. "Weiß nicht … arbeiten?"

Margaret musterte ihn von Kopf bis Fuß. Finn war nicht nur groß, sondern auch stark gebaut. Ein idealer Leibwächter. "Du trägst die Stiefel und die Hosen der Armee. Ich kenne das von Amerika, da tragen die englischen Soldaten das Gleiche. Hat es dir in der Armee nicht gefallen?"

"Ja, das ist so … er klopfte den Staub von seinen Kleidern, " … wie heißt du eigentlich?"

"Margaret."

"Verzeih, aber du passt gar nicht hier her, weder in diese Stadt noch in diese Kneipe, was … "

Margaret unterbrach ihn: "Suchen wir uns etwas zu essen, aber nicht hier. Ich sterbe vor Hunger! Komm mit!"

Zwei Stunden später hatten sie ihre Vereinbarung besiegelt. Finn würde drei Pferde und genügend Proviant beschaffen, Decken für die Nacht, kleine Pistolen die sich gut verstecken ließen, falls sie auf englische Patrouillen stießen, er würde seine blonde Mähne kurz schneiden und eine Mütze tragen. Seine Entschädigung sollte genügen, ihm später seine Schiffsreise zu finanzieren, doch würde er zwei Drittel davon erst erhalten, wenn sie am Ziel der Reise, der Blair Mhor Distillery ankämen. Als Erstes müsste außerdem ein Platz auf einem Fischerboot gefunden werden, groß genug auch für drei Pferde, das sie von Greenock so weit wie möglich in den Norden brachte. Margaret hatte alles so kalkuliert, dass ihr Geld bis ans Ziel, aber kaum einen Tag darüber hinaus reichen würde.

"Was sucht du da eigentlich?", fragte er fast wie nebenbei.

Margaret sah ihn nachdenklich an. "Gehen wir hin — alles Weitere zeigt sich dann."

Die Frauen von Schloss Summerset

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