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Juli 2017

Peter Schröder

Dicke Regentropfen prasselten, in einem immer schneller werdenden Rhythmus, auf das Dachfenster über ihrem Schreibtisch.

›Moritz treibt mich in den Wahnsinn, schon wieder hat er in meinen Notizen gelesen und die vorsortierten Berichte durcheinandergebracht. Das geht so nicht weiter, ich muss dringend mit ihm reden. Vielleicht war es doch besser, er wohnte einige Zeit in Oberursel um sich über seine neuen Ziele klar zu werden.‹ genervt klappte Eva ihren Laptop auf und fand Chris Mail.

-Hallo Eva, leider reagierst du nicht, ich warte seit mehreren Tagen auf eine Antwort von dir, melde dich bitte. Chris-

Eva starrte ungläubig seine Nachricht an, schüttelte verwirrt den Kopf und überprüfte ihren Posteingang. Hier war keine Mail von Chris angekommen, möglicherweise im Spam-Ordner? Ebenfalls negativ. Kurzentschlossen griff sie zum Handy, wählte Chris Nummer und wartete auf das Freizeichen. -Diese Rufnummer ist nicht vergeben- hörte sie die automatische Ansage. Erstaunt las sie den Eintrag ihres Telefonbuches und drückte erneut die Hörertaste.

-Diese Rufnummer ist nicht vergeben-. ›Ok, dann hab ich definitiv etwas verpasst. Ruf ich in der Redaktion an und lass mich zu ihm durchstellen oder hat Moritz seine neue Handynummer? Ich muss sowieso mit ihm sprechen.‹ Das Signal ihres Telefons mahnte sie, dringend den Akku zu laden. Ihr prüfender Blick zur Uhr verriet, dass Moritz erst in knapp zwei Stunden hier sein würde. ›Dann doch vom Festnetz und die Redaktion‹, entschied sie, blätterte ihr Notizbuch auf und wählte die Zentrale der Zeitung an. Hier erfuhr sie, von einer freundlichen und höflichen Dame, Chris sei unterwegs und erst spät wieder erreichbar, es wäre besser, sie versuche morgen, im Laufe des Vormittags, ihn anzurufen.

›Verflixt, es ist zum Auswachsen. Heute ist der Wurm drin‹, gefrustet stand sie auf, ›Vielleicht brauche ich eine Pause. Kuchen backen, etwas Leckers kochen, eine große Tasse Tee und dem Regen zusehen.‹

Nachdenklich stieg sie die Treppe hinunter und sah durch das Treppenhausfenster den Postboten einen großen Umschlag in des Nachbars Briefkasten werfen. ›Die Gemarkungskarte von Herr Gerhardt‹, fiel ihr siedend heiß wieder ein, ›Er hat sie mir extra geschickt, sie steckt noch in meinem Ordner.‹ Blitzschnell waren ihr Unmut und der Frust verflogen, sorgsam zog sie die Kopie der Karte aus ihrer Tasche und kehrte an ihren Schreibtisch zurück. Mit unterschiedlichen Farben zog sie die heutigen Gemeindegrenzen nach und umrahmte die ehemaligen Gebäude. ›Das Einzige was heute noch stand, waren ein Hangar und die Fuhrparkhalle.‹ Nachdenklich tippte sie mit dem Kugelschreiber auf die Schreibunterlage. Das Stakkato des Stiftes passte sie unbewusst dem Rhythmus der Regentropfen an. Die Gewissheit, dass es hier mehr als nur ein Geheimnis herauszufinden galt, breitete sich beständig in ihr aus. Der Krieg und die Zeit der Kapitulation waren voll von merkwürdigen Vorkommnissen. Überall kursierten die wildesten Gerüchte über angebliche Beuteverstecke, die gefunden werden wollten.

Bereits der erste Skelettfund nahm viele Spalten der Zeitungen und eine Sondermeldung in den Hessennachrichten in Anspruch. Nach dem zweiten Fund kurze Zeit später, wurden beide ganz groß in den Tagesblättern und Nachrichten gebracht. Für wenige Tage war dies die Sensation. Live Übertragungen vom Schauerflugplatz bekamen die besten Sendezeiten und eine Extraspalte auf der ersten Seite. Reporter griffen uralte Berichte auf, wonach durch damalige Anzeigen die Vermutung nahe lag, das nach versteckten Gegenständen und persönlichen Dingen gesucht wurde. Rasend schnell verbreiteten sich die unglaublichsten Geschichten über das Internet, trieben immer neue kuriose Stilblüten von unentdeckten Kunstschätzen, geheimnisvollen Substanzen und die verschollenen Goldbarren vom 15. April 1945 verschwundenen Transport des deutschen Reichsbankgoldes nach Frankfurt.

Diese Mutmaßungen zogen extrem schnell die modernen Schatzsucher mit ihren Sonden und Detektoren an. Die Bauarbeiten wurden empfindlich gestört, was die Ordnungsbehörde auf den Plan rief, welche die illegalen Zeltlager auflöste. Der Boom hielt jedoch nur einige Monate, bis sich die ernüchternde Erkenntnis in der gesamten Schatzsuchergemeinde verbreitete, dass das komplette Gelände mit den Lochstahlplatten der Start und Landebahnen durchzogen war. Auch der hartnäckigste Schatzsucher kapitulierte nach zwei Monaten erfolgloser Dauersuche.

Tief in ihren Recherchen versunken hörte sie Moritz erst, als er schon mit einer Tasse Tee vor ihr stand.

›Diese liebe und fürsorgliche Geste von ihm, wie soll ich jetzt vorgehen? Egal was ich sage, es ist entweder für ihn oder für mich verkehrt‹, doch Moritz kam ihr zuvor.

»Ok, was ist los? Du machst schon seit Tagen so ein komisches Gesicht. Was habe ich jetzt wieder angestellt?«

»Lass uns runter gehen, du hast recht, wir müssen reden.«

»So schlimm?«

»Das kommt darauf an. Wohnzimmer oder Küche?«

»Küche.« Gemeinsam stiegen sie die Stufen hinunter, gingen in die Wohnküche und setzten sich. Eva holte tief Luft, verwarf den ersten Gedanken und begann, »Moritz, ich weiß du hast eine harte Zeit hinter dir und eine ebenso aufreibende vor dir.«

»Lass den Honig weg, ich bin schon groß.«

»Wie weit bist du mit deinem Buch?«

»Was hat das Buch damit zu tun?«

»Wenn du eine Denkblockade hast oder Anregungen brauchst, frag mich doch bitte einfach, ich finde es nicht in Ordnung, dass du heimlich meinen Notizen und Ergebnisse durchsuchst.«

Moritz Augen wurden groß wie Kuchenteller, was Eva ihm hier unterstellte, war in keiner Weise gerechtfertigt. Ohne ein Wort zu sagen, stand er auf, humpelte ohne seinen Stock ins Wohnzimmer hinüber und kam mit einem Packen Papier zurück. Diesen legte er bestimmt vor Eva auf den Tisch und sah sie abwartend an.

»Das sind meine Entwürfe, Notizen und Zusammenfassungen. Ich habe keinen Grund in deinen Sachen herumzuschnüffeln und finde, da ist jetzt eine Entschuldigung fällig.«

Eva betrachtete den Stapel, er war größer geworden, Moritz hatte tatsächlich weitergeschrieben, und dennoch wurden ihre Unterlagen durchsucht. Nicht sehr auffällig, jedoch gerade so viel, dass sie dies bemerkte. Moritz sah ihren leicht misstrauischen Blick.

»Du bist noch nicht überzeugt? Brauchst du noch mehr Beweise um mir zu glauben?«

»Entschuldige, ich glaube dir.« Mit zusammengekniffenen Augen sah sie an ihm vorbei zum Fenster hinaus. Er kannte diesen Blick, sie gab erst einmal nach, überzeugt war sie jedoch noch nicht. Etwas stimmte nicht, Eva bemerkte Kleinigkeiten, die ihm nicht auffielen. Am besten er ließ sie vorerst in Ruhe, griff den Stapel Papier, »Ich geh weiterschreiben«, und gab ihr einen Kuss mitten auf den Mund, den sie erwiderte.

Das Gespräch war ohne greifbares Ergebnis verlaufen. ›Ich habe Moritz zu Unrecht verdächtigt. Er war es tatsächlich nicht. Wer kommt noch in Frage? Chris? Tom? Welchen Grund hätten die beiden? Im Gegenteil, Chris hilft mir, seine Recherchen sind Gold wert und Tom? Er ist eher Moritz Freund als meiner. In Zukunft schließe ich die Schubladen ab‹, entschied sie und stand fest entschlossen, dem ganzen einen Riegel vorzuschieben, auf. Mit einem Becher Eis und zwei Löffeln betrat sie das Wohnzimmer, »Frieden?«, sah ihn mit einem Lächeln in den Augen erwartungsvoll an und setzte sich dicht neben ihn. Er legte seinen Arm um sie und grinste zurück,

»Frieden. Eva ich kenne Dich jetzt einige Zeit und bemerke sehr wohl, das etwas nicht stimmt. Dein Gesicht sagt mir, Du hast eine mögliche Lösung für Dich gefunden. Kann ich Dir dennoch helfen?«

»Ja, das kannst Du. Ich habe von Chris eine Mail erhalten, er warte auf Antwort und ich würde mich nicht melden. Dann wollte ich ihn anrufen, doch er hat eine neue Handynummer, gib sie mir bitte.«

»Chris hat keine neue Nummer, im Gegenteil, er ist ganz stolz darauf seit dem ersten Tag ein und dieselbe zu haben.« Verwunderung schwang in seinen Worten mit. Eva war aufgestanden und kam mit ihrem Handy zurück. Laut las sie den Eintrag in ihrem Telefonbuch vor. Moritz schupste sie an der Schulter, »Du hast einen Zahlendreher der letzten beiden Ziffern, dann kannst Du ihn auch nicht erreichen«, frotzelte er sie. »Hier nimm mein Laptop und schreib die Mail an Chris, dann kann er sich bei Dir melden, er war zwei Tage unterwegs.«

Eva schrieb, -Hallo Chris, entschuldige bitte, dass ich Dich warten ließ. Deine Mail habe ich nicht erhalten, möglicherweise ist sie im Spamordner gelandet oder im Nirwana meiner Festplatte verschwunden. Bitte ruf mich zurück, sobald Du Zeit dafür hast. LG Eva-.

Chris las verwundert Evas Mail. ›Ist das ein netter Versuch mich zu manipulieren? Eigentlich sollte sie wissen, dass ich mich beeile und ihre Bitte um Informationen schnell erledige.‹ Er hatte all seine Möglichkeiten strapaziert, es gab jedoch erstaunlich wenig greifbares, viele Gerüchte und noch mehr Spekulationen zu einem verborgenen Goldschatz auf dem alten Fliegerhorst.

»Hallo Eva, nur ganz kurz, ich habe jede Menge andere Arbeit und schick Dir eine Zusammenfassung. Übrigens, Deine Mail war lieb gemeint, aber schneller ging nicht. Gruß an Moritz, ciao Chris.«

Eva hörte ihre Mailbox ab, fand Chris Nachricht und öffnete seine Mail. Sie enthielt einen weiteren Hinweis, auf ein Gerücht, das sich überaus hartnäckig, seit 1945 hielt. Angeblich sei Kriegsbeute vom Eschborner Flugplatz ausgeflogen worden und eine der Maschinen nicht in der Heimat angekommen. Dieses Gelände verbarg Ereignisse, die vertuscht und verschwiegen, unter dem Deckel gehalten wurden. Welch hohe Brisanz sie möglicherweise besaßen, war aus den vorhandenen Fakten schwer abzuleiten.

›Schade, dass die alten Steine nicht reden können, ich glaube sie würden nicht mehr aufhören, so viel hätten sie zu sagen.‹

Diese Widrigkeit bestärkte sie, nach Namenslisten der Soldaten zu suchen, welche bis 1944 in Eschborn stationiert waren.

›Vielleicht hat Herr Gerhardt noch einen Tipp, wen ich kontaktieren kann.‹ Nachdenklich blätterte sie in ihrer Zusammenfassung,

1991 - Abzug der Amerikaner. Kaum hatten die Besatzer das Gelände freigegeben, wurden bereits Sondengänger beobachtet, die mit ihren Geräten konzentriert über die jetzt offenen Bereiche des Areals schritten. Dieses Verhalten zog die Aufmerksamkeit der Spaziergänger und Anwohner auf sich. Umgehend griffen die Artikelschreiber der wöchentlich erscheinenden Stadtanzeiger das Thema auf und berichteten darüber.

1992 - die Stadt Eschborn hatte das Gelände gekauft und begann darauf ein Industriegebiet zu planen. Der erste Unglücksfall des 72-jährigen Rolf-Kaspar M. war zu beklagen. Erhaltene Gebäude, die nicht der Planung im Wege standen, blieben stehen, bekamen ein neues Dach und wurden an ortsansässige Interessenten vermietet. Ein Motorradclub, der Lakota MC, waren dort eingezogen und nutzten die Fuhrparkhalle als Clubhaus. Sie halfen bei der Instandsetzung und kümmerten sich um das angrenzende Gelände. Alle Beteiligte freute diese Lösung, jetzt waren sie weitgenug entfernt und störten bei ihren Partys keine Anwohner mehr.

›Der Motorrad Club war seit langem auf dem Gelände beheimatet, eventuell wussten einige der Mitglieder etwas über ungewöhnliche Vorkommnisse.‹ Im Internet fand Eva schnell die Homepage des Clubs und beschloss ihren Besuch an einem der offenen Abenden zu planen.

1993 - die beiden Skelettfunde wurden ganz groß in den Zeitungen und Nachrichten gebracht.

›Es ist wie verhext, ich bin an einem Punkt und komme nicht so richtig weiter. Verflixt noch mal, Eva streng dich an, dein Gehirn arbeitet sonst auch präzise. Es muss doch noch mehr Menschen, außer der vierer Gruppe geben, die in diese Vorfälle verwickelt waren.‹

Zwei Tage später, die morgendliche, frischere, Luft strömte durch die weit geöffneten Fenster und brachte den intensiven Duft der Blumen aus dem Garten hinein. Eva saß, vertieft in ihre Recherche und genoss die leichte Abkühlung. Der Sommer meinte es besonders gut und versprach, dieses Jahr alle Rekorde zu brechen. Das charakteristische Klappern des Briefkastendeckels drang leise an ihr Ohr, durchbrach ihren Gedankengang und ließ sie aufhorchen. Rasch blickte sie auf die Uhr, ›5: 30 Uhr, so früh? War das der Zeitungsträger? Nein, der kam immer pünktlich wie ein Uhrwerk. Wer ist um diese Zeit schon unterwegs?‹ Neugierig stand sie auf, lief die Treppe hinunter und erkannte auf dem Treppenabsatz ein Kuvert liegen. ›Gut, dass Vater den Einwurf durch die Mauer bis ins Haus gelegt hatte‹, grinste sie und griff den Umschlag. Eva Völkel, stand in der typischen alten Sütterlin Schrift auf ihm. ›Herr Gerhardt‹, freute sie sich, nur er würde ihr in dieser Form schreiben. Flink öffnete sie die Lasche und entdeckte die Kopie eines alten schwarzweißen Fotos, auf dem drei Männer abgelichtet waren. Rechts und in der Mitte standen eindeutig Piloten, was sie direkt an den Abzeichen auf den Uniformen und den Kappen erkannte. Der Hochgewachsene, umrahmt von den beiden anderen, schien etwas älter zu sein, links neben ihm ein im Overall gekleideter Soldat. Dieser sah unverkennbar nach einem Mechaniker aus. Eva drehte das Foto, auf der Rückseite stand, August 1944 Abschied von Hans Schröder. Nachträglich war ein Kreuz auf dem Rücken des mittleren Mannes gezeichnet worden.

›Danke jubelte sie innerlich. Er hat sein Versprechen gehalten und tatsächlich einen Hinweis ausgegraben. Ok, der Lange war Hans Schröder, Pilot. August 1944, am 15. erfolgte die Bombardierung, in dessen Verlauf die Münzen und wer weiß, was noch alles verschwand. Vor 7: 00 Uhr brauch ich Chris gar nicht anzurufen, besser erst um 8: 00 Uhr‹, entschied sie.

Endlich 8: 00 Uhr, Eva hob den Hörer ab und klingelte bei Chris durch.

»Hallo mein Lieber, erstmal ein dickes Danke für Deine Recherchen, sie sind mehr als hilfreich für mich. Bist Du sehr beschäftigt, oder hast Du Zeit, für mich etwas herausfinden?«

»Hallo Eva, schleim Dich nicht so ein, ich geb‘ mein Bestes um Deinen hohen Anforderungen gerecht zu werden«, scherzte er. »Hast Du die letzten Infos bekommen?«

»Ja, die habe ich. Perfekt. Du, entschuldige, dass ich mich nicht gemeldet habe, Deine Mail ist irgendwo im Nirwana meines Laptops verloren gegangen.«

»Das wollte ich Dich schon letztens fragen, von welcher Mail sprichst Du andauernd?«

»Na, Du hattest mir doch geschrieben, das Du auf eine Antwort von mir wartest und ich mich endlich melden solle.«

»Heeehhh, welchen Tee trinkst Du momentan? Ist dort eventuell etwas anderes drin als Kräuter und Gewürze? Ich hab‘ Dir keine solche Mail geschrieben.«

»Nein?! Warte, ich sehe im Posteingang nach. Ich bin mir sicher, die war von Dir. Komisch ich kann sie nicht mehr finden, ist sie schon im Papierkorb? Nein, auch nicht. Sehr merkwürdig, kapier‘ ich jetzt echt nicht.«

»Ich geb Dir einen Ratschlag, so von Freund zu Freundin. Hör auf, Tee zu trinken, steige lieber auf Kaffee um, dann hast Du weniger Sinnestäuschungen.« Chris hatte es als Scherz gedacht, doch Eva fand diesen Satz gar nicht lustig.

›Sollte Chris recht haben und ich erlebe Dinge, die nicht real waren? Das habe ich in der Vergangenheit bereits hinter mir und will es auf gar keinen Fall ein weiteres Mal.‹

»Hallöli, bist Du noch dran? Das war ein Spaß! Sei nicht sauer. Mit was kann ich Dir helfen?«

Eva schüttelte heftig ihren Kopf, um diese unangenehmen Gedanken zu vertreiben.

»Finde bitte einen Piloten namens Hans Schröder, er war bis August 1944 in Eschborn stationiert.«

»Oh, mehr nicht? Das ist eine Kleinigkeit, hast Du nichts Komplizierteres für mich?«, hörte sie seine ironischen Worte. »Da brauche ich lediglich die alten Marschbefehle, Einberufungsbescheide, Ausbildungslisten, Flugstunden Nachweise, usw. Das wars?! Eva Du bereicherst mein Leben um viele Stunden Arbeit. Mach´s gut, die Pflicht wartet. Ciao.«

Tatsächlich fand Chris Hans Schröder, der wenige Tage nach dem Bombenangriff der Amerikaner, noch im August 1944 den Marschbefehl, für die Front im Süden, nach Italien bekam, dort kurze Zeit später abgeschossen wurde und in Gefangenschaft geriet. 1948, direkt nach seiner Freilassung kehrte er in die Heimat Eschborn zu Frau und Sohn zurück.

Eva suchte nach Hans Schröder, der mit Sicherheit bereits verstorben war, jedoch nachweislich einen Sohn hatte, welcher im Jahr 2017 ebenfalls ein alter Mann sein dürfte. Möglicherweise hatte dieser Sohn gleichfalls eine Familie und Eva würde über den ›Enkel‹ mehr internes von früher erfahren.

Nach unendlich vielen Versuchen, mit jeder Menge Absagen und erbosten, »Was soll das, lassen Sie mich in Ruhe, unerhört«, fand sie endlich die richtige Familie Schröder wohnhaft immer noch in Eschborn. Der Sohn Peter war, wie Eva bereits vermutete, schon 82 Jahre alt. Er lebte im Haus mit seinen Kindern zusammen. Die Tochter Anette bestätigt Eva, nach ihren wiederholten Bekräftigungen eine Dokumentation zu schreiben, das ihr Großvater Hans Pilot im 2. Weltkrieg war und in Eschborn gedient hatte. Eva bat Anette darum, mit ihrem Vater persönlich sprechen zu dürfen.

»Ach wissen Sie, hier zu Hause ist mir das nicht so recht, wir sind froh diese alten Geschichten nicht mehr hören zu müssen und wenn Sie jetzt damit anfangen, setzen Sie all das wieder in Gang und es beginnt von vorne. Das will ich nicht.«

Eva konnte diese Beweggründe gut nachvollziehen, innerlich war sie enttäuscht, so kurz vor einem Ziel die Absage zu erhalten. Ihr Einfallsreichtum hatte bereits bei Frau Schling und Frau Mertens gute Ergebnisse gebracht. Sie atmete hörbar aus, »Schade, ihr Vater ist einer der wenigen Lebenden die von der Zeit des Eschborner Flughafens berichten können.« Anette hörte Evas Bedauern sehr deutlich.

»Warten Sie, mein Bruder Andreas bringt unseren Vater immer zum Seniorentreffpunkt der Stadt, wo zweimal wöchentlich ein Programm angeboten wird. Falls Sie noch interessiert sind, gehen sie dorthin. Vater freut sich immer über Abwechslung.«

»Ich danke Ihnen recht herzlich, Sie haben mir sehr weitergeholfen«, versicherte Eva.

»Viel Erfolg mit dem alten Querkopf«, hörte sie Anettes skeptisches Lachen.

Das Angebot der Stadt Eschborn war vielfältig und bot für jeden Geschmack etwas Interessantes. Rasch fand sie die Zeiten des Seniorentreffs und entschied aus dem Bauch heraus, dass morgen ein guter Tag war Peter Schröder dort zu besuchen.

Es versprach ein sonniger Tag zu werden, obwohl die Wettervorhersage, heftige Niederschläge angekündigt hatte. Gut gelaunt holte sie ihr Rad aus dem Schuppen und schlug den Weg zum Treff ein. Ihre langen Haare flatterten im Wind und nachträglich bedauerte sie, sich nicht doch einen Zopf geflochten zu haben.

Die Eingangstür zum Seniorentreff stand sperrangelweit offen, gespannt darauf, ob sie Peter Schröder erkennen würde, schritt sie die wenigen Stufen hinauf. Überrascht stellte sie fest, dass es hier hoch her ging und überschwängliches Lachen durch die Räume hallte. Die freundliche Dame der Leitung begrüßte sie herzlich und freute sich darüber, dass Peter Besuch bekam. Sie zeigte auf einen Mann, der mit dem Rücken zum Raum saß und in den angrenzenden Park hinaus schaute. »Vorsicht, er ist ein Schwerenöter«, gab sie ihr mit auf den Weg. Eva bahnte sich einen Weg durch die Tischgruppen und sprach Peter Schröder an. Eindeutig, er war, mit dem Mann auf dem Foto verwand, eine jetzt ältere Ausgabe von ihm. Überglücklich Besuch zu erhalten, der nicht zu ›denen da‹ gehörte, wobei er mit dem Kopf auf eine Gruppe von Personen deutete, die eindeutig eine kirchliche Einrichtung vertraten, reichte er ihr die Hand.

Eva überraschte seine lebenslustige Art und verzieh ihm die zweideutigen Anspielungen und Scherze. Er war erstaunt, dass eine so junge Frau sich für diese alten Geschichten interessierte. Der alte Herr erzählte Eva von seinem Vater Hans, der ein sagenhafter Pilot gewesen sei und den Respekt der ganzen Staffel hatte, blieb allerdings sehr oberflächlich.

›Er kennt mich nicht und wird keine Familiengeheimnisse ausplaudern. Dafür ist er noch viel zu clever.‹ Sie sprachen über Gott und die Welt, schnitten etliche Themen an und stellten überrascht fest, das sie zahlreiche gemeinsame Interessen hatten. Zu schnell verfolg die Zeit und Eva versprach wiederzukommen. ›Wenn ich es diplomatisch anstelle, wickel ich ihn um den Finger. Er freut sich dermaßen, über die Vergangenheit zu erzählen und mit etwas Geschick lenke ich das Thema auf die Vorfälle des Flugplatzes.‹

Bei ihrem nächsten Besuch, zwei Tage später, fand Eva den Senior in einem schrecklichen Zustand vor. Sie konnte gar nicht glauben, dass dies der Mann von vor drei Tagen war. Eva setzte sich neben ihn auf die Bank, als er mit hartem Griff ihren Unterarm packte. Seine Fingernägel bohrten sich in ihre Haut, unwillkürlich verzog sie schmerzhaft das Gesicht.

»Du hast mich beloche Mädche. Des häd ich von Dir ned erwardet, wo wir uns doch so gut verstande habbe.« Böse Augen funkelten Eva an. Sie war überrascht, wie stark er zupackte, welche Kräfte er auf seine alten Tage noch mobilisieren konnte.

»Was habe ich getan? Wieso sollte ich Sie belügen? Dafür besteht kein Grund.« Unschuldig zog sie ihre Schultern hoch und sah ihn mit großen Augen an. ›Was zum Teufel war innerhalb der wenigen Tage passiert?‹

»Un warum bisde wirklich hier un redest so nett mit mir?«

»Das habe ich Ihnen gesagt, ich recherchiere zu einer Dokumentation über die Geschehnisse auf dem Eschborner Flugplatz.«

»Schätzje, lüch mich ned an.« Hart fordernd sprach er diese Worte aus.

»Ich weiß nicht was Sie hören wollen, es ist die Wahrheit«, beteuerte Eva, wohlwissend, dass sie einen Teil der Gründe weggelassen hatte. Peter konnte anscheinend Gedanken lesen,

»Un über was redsde ned, denkst wohl ich wär ein blöder alder Simbel oder senil, los jetzt, spuck’s aus, denn des da obbe«, wobei er seine freie Hand zur Stirn führte, »arbeitet noch klar un logisch.«

›Was soll ich ihm alles erzählen? Die Dokumentation hat er nicht geschluckt. Mal sehen wie weit ich gehen muss, bis er zufrieden ist.‹ Schnell sah sie sich um, ›Hörte jemand mit zu?‹ Herr Schröder war ihrem Blick gefolgt, er nickte und deutete mit dem Kopf auf den Ausgang zum Park. Wortlos standen sie auf, er griff seinen Rollator, zog sich an ihm hoch und schlurfte voraus.

Eva begann, »Ich habe den Hinweis erhalten, das mehr als nur Materiallieferungen ausgeflogen wurden.«

Der Senior nickte, »Weider.«

»Am 15. August 1944 sind einige der Lieferkisten beschädigt worden und ein Teil des Inhalts ging verloren.«

»Als weider.«

»Die Überreste von Paul Wenzel dem Piloten wurden vor Ort in bestattungsähnlichem Zustand gefunden, er galt als vermisst.«

»Un weider.«

›Himmeldonnerwetter, was will er denn noch alles wissen? Soll ich sagen das war´s, mehr hab ich nicht?‹ »Moderne Schatzsucher, Sondengänger waren unterwegs, habe allerdings nichts Brauchbares gefunden.«

»Ja un, weider, weider.«

»Ein Erschlagener wurde ebenfalls gefunden, diese Tat muss zu Kriegszeiten passiert sein, später noch ein Unfalltoter, der anscheinend in eine Baugrube gestürzt ist. Das war´s, mehr hab ich nicht.« Argwöhnisch fixierte er sie, zog die rechte Augenbraue hoch, was sein Gesicht zu einer Grimasse werden ließ.

»Gut. Dann weis ich ja jetzt, wo mei Geschicht beginnt«, nickte er zufrieden und nahm langsam auf der Parkbank unter den Kastanienbäumen Platz. »Mein Vadder Hans war en Pilot von em Schlepperflugzeuch, was die Lastensegler hochgezoche hat. Die Segler wurde in Leichtbauweise hergestellt, un ham beachtliche Strecke zurückgelescht. Wenn die dann widder unne warn, hat mer die auseinanner genomme, die Brocken zum Hangar zurück gebracht, un en neue Flieger draus gebaut. Es gab so gut wie kei Besatzung, der Pilot konnt den Segler auch alleins fliege.«

Er grinste in sich, etwas in seinen Erinnerungen schien ihn sehr zu belustigen. Mit einem Lächeln auf dem faltigen Gesicht sah er sie an und sprach weiter.

»Uff dem Flugplatz Eschborn is dann an nem schöne Tach ein Pilot uffgetaucht, der immer wieder Stunde lang geübt hat, un sein Segler wurd jedes Mal mit mehr Gewicht belade. Is eigentlich Käs, des verkürzt die Reichweit un wird ne verdammt harde Landung, wenn er dann zu steil und schnell runnerkommt. Die gesamt Mannschaft hat sich insgeheim dotgelacht, wenn der kam. Dann war der plötzlich immer öfder da, zwei mal in de Woch, um die Übungsflüch zu mache. Des komische an der Sach war abber, der is zwar in Eschborn gestardet, aber is nie hier wieder gelandet. Wo der des Flugzeuch zweima in de Woch zerlecht hat, wusst niemand.«

Eva war erleichtert, dass der alte Herr von früher erzählte, konnte sich allerdings keinen Reim auf sein vorheriges Verhalten machen.

›Soll ich ihn darauf ansprechen?‹ überlegte sie, doch er kam ihr zuvor,

»Ich weiß ned, wer noch alles in Dei Geschicht verwickelt is, sieh Dich vor, Du bist ned die einzige, die fracht, aber wirglich die schönst und intelligentesde. Des nächsde Ma redsde ned Drumherum, sonnern fragst gleich richdisch un schickst mir ned so dumme Bengel, der versucht mich auszuquetsche und Dich reinzulesche. Ich kann des hinnenrum überhaupt ned leide.«

Unendlich mühsam erhob er sich und zuckelte mit gebeugtem Rücken auf das Gebäude zu. Eva blieb perplex zurück, es dauerte einige Sekunden, bis sie seine Aussage verdaut hatte. Es gab noch mehr Interessenten, einer davon hatte sich an ihre Fersen geheftet und gab sich hinterlistig als ihr Helfer aus. Nutzte ihre Ergebnisse, um selbst weiter zu kommen. Rasch lief sie hinterher, öffnete die Tür und ließ ihn eintreten.

»Maniern un Achtung vor‘m Alder hasde. Komm nächst Woch wieder, bis dahin überlesch ich, wie weit mer Dir glaube un vertraue kann.«

Für ihn war das Gespräch beendet. Sie musste seine Entscheidung akzeptieren, jeder Versuch ihn zum Reden zu bringen, verkleinerte die Chancen beim nächsten Mal mehr zu erfahren. Betreten verabschiedete sie sich und lief in Gedanken versunken dem Ausgang entgegen. Auf halber Strecke rempelte sie mit dem Arm einen anderen Besucher an. Erschreckt blickte sie auf, »Entschuldigung«, entgegnete sie automatisch und sah dem Mann mittleren Alters hinterher. Sie wollte sich bereits abwenden, bemerkte gerade noch aus den Augenwinkeln, wie er sich zu Peter Schröder hinunterbeugte. Sie sprachen miteinander und Eva sah, wie der Mann wild mit den Händen gestikulierte. Sein Kopf flog herum, er starrte sie mit zu Schlitzen verengten Augen an. Hart schlug seine Hand auf die Tischplatte, ruckartig richtete er sich auf und kam mit langen, schnellen Schritten auf sie zu. Es war verblüffend, wie ähnlich die Männer sich sahen, niemand konnte bestreiten, das es sich hier um Vater und Sohn handelte. Viel zu spät wandte sie ihren Blick ab, um noch die Ahnungslose zu spielen, sie hatte den heftigen Wortwechsel gesehen.

›Was hatte der Vater ihm erzählt?‹ Sie sah ihn in diesem Augenblick den Kopf schütteln, bevor sich der mittelgroße, muskulöse Mann vor ihr aufbaute. Sein kantiges Gesicht, die stahlgrauen Augen, welche sich in ihre bohrten, das kurze strubbelige blonde Haar, stoppte kurz vor ihr.

»Wer sin Sie, das Sie es wage, mein Vater zu belästige?«, aus jedem einzelnen Wort tropfte, -pass bloß auf-. Er kam ihr, bis auf wenige Zentimeter gefährlich nahe, sie spürte seinen heißen Atem am Ohr.

»Gehn Sie, solang es Ihne noch möglich is. Schnell is es zu spät dafür.«

Evas Haare sträubten sich, das war eine deutliche Warnung. Eisig rieselten die Worte durch ihren Körper. Wie gefährlich war er? Seine heftige Reaktion bestätigte, hier gab es definitiv etwas, das nicht ans Licht gebracht werden sollte und der Senior wusste Details darüber. Sie hatte seinen Blick als Bitte wiederzukommen verstanden. Eine stumme Aufforderung, den Drohungen des Sohnes keine allzu große Bedeutung zu schenken. Als könne dieser Gedanken lesen vernahm sie,

»Lasse Sie das, komme Sie ned wieder.« Scharf beobachtete er haargenau ihre Mimik. Erneut suchte sie die Augen des alten Herrn, dieser starrte sie an und schloss für kurze Zeit ausdrücklich seine Lider. Andreas folgte Evas Blick, »Des würd ich an Ihrer Stell ned mache, für alles was ab jetzt passiert trage Sie selbst die Konsequenze un alle weitere Folge daraus.«

Eva nickte zur Bestätigung, wandte sich um und ging. ›Das musste Andreas gewesen sein, den Anette erwähnt hatte. Sie sahen sich relativ ähnlich, es gab wenig Zweifel, das sie Geschwister waren.‹

Sie ahnte, dass Peter Schröder sehr viel mehr wusste, als er bisher gesagt hatte, das überaus heftige und aggressive Verhalten seines Sohnes ließ darauf schließen.

Gottes Feuer

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