Читать книгу Gottes Feuer - E.D.M. Völkel - Страница 20
ОглавлениеErkenntnis
Der quirlige und sprunghafte Benny traf sich gelegentlich mit Eva auch außerhalb des Clubs, dann klagte er ihr sein Leid, immer noch nicht in den Status eines Prospects aufgenommen worden zu sein. Zu ihrer heutigen Verabredung hatte er Eva ins Stadtcafé eingeladen. Sie trafen sich im Außenbereich und Eva wählte einen Tisch am Rand. Der weit aufgespannte Sonnenschirm spendete Schatten und ein kaum spürbares Lüftchen wehte den herrlichen Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee herüber. Sie wusste, dass er chronisch pleite war und die Rechnung ein weiteres Mal an ihr hängen blieb.
Missgelaunt rührte er in dem Cappuccino, zerstörte den Milchschaum mit heftigen Bewegungen. Unvermittelt hob er den Blick und fragte, »Was würdest Du unternehmen, um Dir Geld zu leihen, wenn die Bank Dir nix gibt und Du auch nix hast?«
Eva wusste allzu gut, wovon Benny sprach, sie selbst hatte jahrelang knapp am Limit gelebt und war mehr schlecht als recht über die Runden gekommen. Heute erkannte sie, wie kindisch ihr damaliger Stolz gewesen war und bereute dieses Verhalten zutiefst. Sie lehnte sich zurück, strich das lange Haar auf die linke Schulter und sah ihn mit offenen Augen an.
»Geh und frag Deine Eltern«, war ihre logische Empfehlung.
»Das geht nicht, sie haben mich rausgeworfen«, bedrückt senkte er seinen Kopf und kickte verärgert mit dem Schuh einen kleinen Stein weg, wobei er das Tischbein traf und der Kaffeetasseninhalt überschwappte. Sofort bildeten sich hell- und dunkelbraune Ringe in den Untertassen und ließen die Servietten unerfreulich aufquellen. Interessiert sahen andere Gäste zu ihnen hinüber und schüttelten dann missbilligend ihre Köpfe.
»Was kuckt ihr so«, fauchte Benny ärgerlich. Eva legte ihre Hand beruhigend auf die seine.
»Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Eltern ihre Kinder lieben, auch wenn sie manchmal ärgerlich mit ihnen sind. Geh und versöhne Dich, eine Familie zu haben ist wichtig.«
»Wenn ich das mache, zwingt mein Vater mich, Jura zu studieren und Anwalt zu werden, genau wie er selbst. Ich will aber nicht. Endlose Semester, pauken bis in die Nacht, es ist eine immerwährende Schinderei«, entgegnete er trotzig wie ein Teenager.
»Hm, also wenn gar nichts geht, dann bleiben nur noch betuchte Freunde, die Du fragen kannst, jedoch wollen die mit Sicherheit eine Gegenleistung, ein Faustpfand, oder Bürgschaft, dass sie ihr Geld wiederbekommen«, schlug sie vor. Durch ihre besonnene Art gelang es ihr, den frustrierten und gleichzeitig euphorischen jungen Mann etwas zu beeinflussen, ihm eine alternative Sichtweise auf seine Probleme zu geben. Eva hörte geduldig und interessiert mit zu und Benny hatte viel zu erzählen, er war überaus froh endlich mal mit jemanden reden zu können, der nichts weiter von ihm wollte. Bereitwillig erzählte er ausführlich von seiner Familie.
»Weißt Du, ich war 20 Jahre alt und sollte mich gleich nach dem Abitur an der Uni einschreiben und Jura studieren. Mein Vater verstand nicht, wie hart die Paukerei fürs Abi war, ›das sind Kleinigkeiten, wenn Dir für das Abitur schon der Kopf raucht, dann wirst Du Dich im Studium aber umsehen. Da musst Du lernen, im Gegensatz war das jetzt eine Lappalie‹«, ahmte er den Vater nach und hob verzweifelt die Schultern.
»Diese Aussage besiegelte endgültig meinen Entschluss, nicht zu studieren. Ich wollte eine Auszeit, einfach mal nix tun, abhängen und das Leben genießen, mit Freunden feiern, Party machen«, rechtfertigte er sich.
»Vater verstand das nicht, er machte mir gehörigen Druck und war stinksauer, dass ich mich nicht in die Familientradition einfügte und Anwalt wurde. Meine Mutter schaffte es, Vater zu besänftigen, er erlaubte, das ich knapp zwei Jahre ins Ausland konnte. Mit Gelegenheitsjobs hielt ich mich über Wasser, es war hart, aber die schönste Zeit in meinem Leben.« In Erinnerungen schwebend stützte er seinen Kopf in die Hände und sah sie verträumt an.
»Ohne Zwang und Vorschriften, du lebst jeden Tag, wie er kommt, das ist Freiheit, das ist Leben, wie ich es mir wünsche.« Er seufzte auf und Eva schubste den ihr gegenüber Sitzenden grinsend an.
»Kaum war ich wieder zu Hause, zwang mein Vater mich zu einer Ausbildung, er hatte zum Glück den Versuch mich an die Uni zu bringen aufgegeben, drehte mir dafür aber auch den Geldhahn zu. Ich solle arbeiten gehen und mir meinen Weg suchen, jetzt sei Schluss, er habe genug.« Unschuldig sah er sie an.
»Kannst Du das verstehen? Ich probierte einiges aus, habe es aber nirgends wirklich ausgehalten, arbeiten ist nichts für mich. Ich will leben!« Verzweiflung lag in seiner Stimme.
»Jeden Morgen aufstehen, Tag ein Tag aus, den gleichen Job machen, wie öde. Das kann ich nicht.« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, richtete er sich kerzengerade auf.
»Nach meinem dritten Versuch und Abbruch stand ich ohne einen Cent da. Auf der Suche nach Kohle habe ich das ganze Haus durchsucht, aber nur einige 100 Mäuse gefunden.« Enttäuschung spiegelte sich auf seinem Gesicht.
»Das reichte gerade mal für eine Woche, wenn überhaupt. Dann bin ich zu meinem Großvater und habe ihn angefleht, doch Vater hatte schon mit ihm gesprochen und ihm verboten, mir auch nur einen Euro zu geben«, Empörung sprach aus seiner Stimme.
»Trotzdem hielt er mir 500 Euro entgegen und sagte, ›Die bekommst Du, wenn Du mir zwei, drei Stunden Deiner Zeit dafür gibst.‹ Ok, das war ein Angebot und Großvater war eigentlich ganz ok, also habe ich zugestimmt.« In Erinnerung an dieses Gespräch nickte Benny.
»Er begann mit unserer Familiengeschichte mit seinem Vater, der sich als Anwalt einen hervorragenden Namen geschaffen hatte und auch in den Kriegsjahren durch seine akribische und gewissenhafte Arbeit, für sehr einflussreiche Personen, diese kennengelernt und sogar als Mandanten gewinnen konnte. Er war sehr pingelig, hat alles aufgeschrieben und genauestens Buch geführt. Unser guter Name habe heute noch Einfluss und wir alle können ausgezeichnet davon leben. Er gestand mir, auch mal als junger Mann einen schweren Fehler gemacht zu haben, doch er fand den richtigen Weg zurück, das sei auch ein Grund warum wir finanziell gut gestellt sind. Ich solle mir sehr genau überlegen, welchen Weg ich für die Zukunft einschlagen wolle. Er redete und redete, ich hab dann aufgehört hinzuhören. Als er endlich fertig war, gab er mir den Schein und verlangte, ich solle ihm schwören über all das nachzudenken und nicht leichtfertig meine Zukunft wegzuwerfen.«
Eva hatte schweigend zugehört und den inzwischen lauwarmen Cappuccino ausgetrunken. Die Hoffnung, seine Rede Flut auf den MC zu lenken, verwarf sie vorläufig, vielleicht ergab sich später noch mal eine Gelegenheit dafür. Die erhaltenen Informationen speicherte sie dennoch sorgfältig in ihrem Gehirn. Der letzte Teil seiner freiwillig gelieferten Angaben machten sie hellhörig. Sofort erwachte ihr Instinkt, stand Bennys Familie möglicherweise irgendwie mit den Vorkommnissen von 1944 in Verbindung? Vorsichtig hinterfragte sie, beiläufig den Wohnort und seinen Familiennamen. Überrascht sah Benny Eva an, »Teubner, Benjamin Teubner, und wir sind aus Frankfurt. Mein Vater ist DER Rechtsanwalt in Frankfurt.«
Blitzartig erkannte sie die mögliche Verknüpfung zu ihrer Recherche. Geschickt horchte sie ihn weiter aus.
»Das bedeutet, wenn ich mal in Schwierigkeiten bin, ist Dein Vater der richtige Anwalt?!«
»Naja, er kümmert sich um die Angelegenheiten von Wirtschaftsbossen und total reichen Typen. Ich glaube nicht, dass Du ihn Dir leisten kannst.«
»Dann muss ich wohl einen Kredit aufnehmen«, lachte sie, »In welche Fachrichtung arbeitet er?«
Benny zuckte mit den Schultern, »Ehrlich gesagt keine es hat mich nie wirklich interessiert und sobald er wieder mit einer der berüchtigten Reden, das haben wir alles Großvater Kurt, Deinem Urgroßvater zu verdanken, ankam, hab ich abgeschaltet.«
Sie hob fragend die Augenbrauen und grinste auffordernd.
»Oh nein. Du nicht auch noch«, stöhnte er.
»Bitte, nur ein einziges Mal und ich verspreche Dir, niemals wieder danach zu fragen«, spontan bot sie ihm die Hand, »Großes Ehrenwort.«
»Also gut, aber nur ein einziges Mal«, schnaufte er, richtete sich erneut kerzengerade auf, hob die rechte Hand und streckte den Zeigefinger in die Höhe.
»Wertes Fräulein, nur mit Disziplin und ohne Ansehen der Person, hat Dein Urgroßvater Kurt, die Arbeit eines Buchhalters angenommen. Es waren harte Zeiten und sie lebten sehr sparsam. Diese Aufgabe, seinem Können eine weit unterlegene Tätigkeit, hat ihm später die Türen und Tore zu den gehobenen und adligen Kreisen geöffnet.« Kunstvoll machte er eine kleine Pause, um die Tragweite zu unterstreichen.
»Dort trafen sich nur die angesehenen Mitglieder der Gesellschaft, Richter, Politiker, Industrielle und Prominente. Man blieb gerne unter sich und als Kurt eingeladen wurde, war dies ein sensationeller Erfolg. Er durfte dazugehören trotz der niederen Herkunft.« Bedeutungsvoll verzog er die Augenbrauen.
»Schnell hatte sich seine ausgeklügelte Taktik, die ihm unglaubliche Erfolge als Anwalt einbrachten, herumgesprochen. Von diesem Tage an brauchte er keine Mandanten mehr zu suchen, musste keine Kleinkriminellen mehr verteidigen, jetzt kamen sie zu ihm, drückten sich gegenseitig die Klinke in die Hand. Er allein hat uns dieses gute Leben und die finanzielle Sicherheit ermöglicht. Denk immer daran, auch Du bist ihm verpflichtet sein Erbe fortzuführen.« Benny war ein brillanter Schauspieler, er imitierte die Stimme des Vaters und grinste erleichtert.
Plötzlich sprang er auf, der Stuhl scharrte über die Bodenfliesen,
»Ich habs, Eva Du bist die Beste.« Überschwänglich drückte er ihr einen Kuss auf die Wange und war schon verschwunden. Noch im Gehen wählte er hastig die Nummer von Kralle und lauschte ungeduldig dem Freizeichen. Leider sprang nur die Mailbox an. Aufgeregt, endlich die Lösung für sein finanzielles Problem zu haben, platzte er heraus.
»Kralle, ich muss Fritz und Dich unbedingt sprechen, es ist sehr wichtig, bitte ruf mich ganz schnell an.«
Rasch kehrte er ins Clubhaus zurück, wo er vorübergehend wohnte, und wartete sehnsüchtig auf den Rückruf. Ruhelos lief er von einem Raum in den nächsten, setzte sich und sprang sofort wieder auf,
»Verdammt, warum meldete sich niemand«, achtlos trat er nach dem silbernen Mülleimer, der laut scheppernd in der Ecke landete.
›Geduld, beruhige dich‹, ermahnte er sich. Endlich nach für ihn endlosen Stunden kam der erlösende Anruf, hastig hob er ab.
»Hey Kralle, ich hab einen prima Vorschlag, wann können wir uns treffen, es ist wichtig«, sprudelte es geradewegs aus ihm.
»Gude Benny, komm erstmal runner und dann erzähl, was es gibt.«
»Es geht um meinen Eintritt, das Motorrad und den Führerschein…..«
»Benny, dann treffe wir uns mit Fritz und berede das unner sechs Augen. Ich ruf ihn an und frag, wann er Zeit hat, dann meld ich mich wieder«, unterbrach ihn Kralle, »Bis später«, und hatte aufgelegt.
Perplex sah Benny auf sein Handy, er verstand die Reaktion von Kralle nicht. Zorn übernahm die Führung seines Inneren und wischte schlagartig die Begeisterung fort. Aufgebracht warf er das mobile Telefon ins Flaschenregal. Laut klirrend landete es zwischen den Spirituosen. Die vorderen begannen bedrohlich zu wanken, geschickt fing er den hochprozentigen Whisky auf, bevor dieser auf dem Betonboden zerschellte. Ein wütender Schrei drang aus seiner Kehle und erfüllte die menschenleere Halle.
›Begriff Kralle nicht was für eine exzellente Idee er hatte? Wieso wurde er nicht ernst genommen? Wen konnte er noch fragen?‹
Tief mit Grübeln beschäftigt, hörte er nicht, wie Andreas hereingekommen war.
»Hey Benny, was ist passiert? Ich habe Dich bis raus gehört«, freundschaftlich kam er näher, »Du siehst schlimm aus, kann ich Dir helfen?« Verstört hob dieser den Blick, ›Ach nur der‹, dachte er, wandte sich niedergeschlagen ab und umschlang mit den Armen seine hochgezogenen Beine.
»Na dann eben nicht«, hörte er Andreas Worte, der achselzuckend den Raum verließ.