Читать книгу Gottes Feuer - E.D.M. Völkel - Страница 13
ОглавлениеSchröders Aufzeichnung
Eva öffnete den Umschlag, der Inhalt erwies sich als ein ordentlich gebundenes Werk von vormals losen Seiten, in Sütterlin geschrieben. Erstaunt über das nachträgliche Vertrauen macht sie sich ans Werk, die Eintragungen zu entziffern. Sie verfasste eine Zweitschrift, in der sie nach Belieben blättern und später Notizen einfügen konnte, ohne das Original mit seinen eingerissenen Papierbögen noch zusätzlich zu beschädigen. Je weiter sie las, desto mehr erkennt sie die Brisanz der Zeilen.
Die ersten Seiten bestanden aus Angaben zu den alltäglichen Arbeiten auf dem neu angelegten Flugfeld, Probestarts und Landungen, einem Absturz mit sieben toten Soldaten und von Materialanlieferungen. Besonders interessant wurde es ab 1944.
Denn Hans Schröder schrieb:
Heute kam erneut eine Lieferung Holzkisten. Der Aufseher stand wie jedes Mal im Hintergrund und führte akribisch Buch. Er hatte auch diesmal keinerlei Rangabzeichen, die Rückschlüsse auf seinen Dienstgrad zuließen. Die in letzter Zeit vermehrten Anlieferungen machten uns stutzig. Wir stellten keine Fragen, kümmerten uns lediglich um die Verladung in die bereitstehende DFS 230. Die Kameraden schlossen bereits Wetten ab, ob der Übungspilot wieder den Flug ausführt und er diesmal den Heimweg findet.
Leutnant Stiller hatte unterdessen alle Soldaten antreten lassen und zum Stillschweigen verpflichtet, jeden Monat ließ er uns erneut den feierlichen Eid schwören. Dabei befahl er uns bei der Treue zu Führer und Vaterland absolute Geheimhaltung. Im Jahr 1940 wurde ich vom ihm ausgesucht, weil er bei mir die optimalen Voraussetzungen als Pilot sah und den Respekt meiner Soldaten fand. Seit der ersten Lieferung wussten wir alle, dass diese Holzkisten zu einer geheimen Operation gehörten, die unseren Sieg unterstützen und beschleunigen sollten. Der Befehl lautete, die Kisten mit dem eigenen Leben zu verteidigen.
15. August 1944 – Heute war ein schrecklicher Tag, wir hatten gerade die Kisten verladen und rollten auf die Bahn zu, als das Signal eines Luftangriffs ertönte. Umgehend leiteten wir den Startvorgang ein, aber unsere Flugzeuge wurden bereits getroffen und flugunfähig. Deshalb begannen wir die Ladung zu bergen und in ein sicheres Versteck nahe am Fuhrparkgebäude zu bringen.
Die Erde bebte bei jedem Einschlag einer Bombe, oftmals wurde uns der Boden unter den Füßen weggerissen. Aufrappeln und ohne Unterlass rennen hieß da die Devise, zwischen Flugzeug und Gebäude hin und her. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie mein Kamerad plötzlich zusammensackte. Schnell verstaute ich die Kiste und kümmerte mich sofort um ihn. Ein Splitter steckte tief in seinem Bauch. Er griff mich mit letzter Kraft an den Aufschlägen und verlangte meinen Schwur, das Versteck niemand anderem als Major Friedrich von Arche zu verraten. Er würde diese Verletzung nicht überleben und könne die Aufgabe nicht mehr ausführen. Sein Name sei Paul und ich musste beim Leben meines Sohnes Peter schwören, diese Kisten noch sorgfältiger zu verbergen, niemals darüber zu sprechen oder das Versteck aufzuschreiben. Ich solle sehr vorsichtig sein und keinem Menschen vertrauen. Ausschließlich Friedrich von Arche dürfe den Ort der Operation Medusa erfahren, niemand sonst, weder Spieß noch ein anderer aus der Kaserne in Frankfurt. Ich müsse ihn hier auf dem Flugfeld beerdigen und kein einziges Wort sagen, er sei niemals hier gewesen. Die Operation Medusa ist streng geheim.
Mit diesem letzten Satz verstarb Paul in meinen Armen. Getreu dem Schwur verbarg ich die Kisten noch tiefer in den aufgerissenen Grasflächen und begrub ihn ordentlich. Er hatte seine Erkennungsmarke versteckt im Futter der Jacke eingenäht, die ich beim Beerdigen fühlte und sie unzerbrochen zwischen seine Kiefer steckte. Mir war, bis auf einige oberflächliche Verletzungen, nichts weiter geschehen. Meine Ohren dröhnten von den heftigen Explosionen und die Augen brannten vom beißenden Rauch.
Der Luftangriff war vorbei, der Flugplatz fast vollständig zerstört, am Hangar stand nur noch ein fahrtüchtiger LKW, auf den Soldaten die Verwundeten luden. Die überlebenden Kameraden begrüßten mich, keiner hatte gedacht, mich lebend wiederzusehen. Sie sahen wie die Flugzeuge getroffen und in Schutt und Asche gelegt wurden. Auf der Ladefläche sah ich den Aufseher mit seinem Buch, er war verletzt und kam mit den anderen ins Lazarett. Er schien nicht froh zu sein, mich zu sehen, aber vielleicht hoffte er, dass auch Paul mit überlebt hätte. Nachdem die Verwundeten abtransportiert waren und die verbleibenden Soldaten mit dem Aufräumen begannen, teilte ich mich zum Fuhrparkgebäude ein, um die Kisten sicher zu verbergen.
Am nächsten Tag versuchte ich, in der Frankfurter Schreibstube, mit Major Friedrich von Arche Kontakt aufzunehmen. Der Obergefreite verweigerte mir jegliche Auskunft, ich solle ihm die Nachricht sagen oder aufschreiben, er würde sie an den Major weiterleiten, denn dieser sei bereits auf dem Weg zur Front. Ich fühlte mich an meinen Schwur gebunden und hinterließ keine Botschaft. Der Obergefreite war misstrauisch, er wollte eigentlich mehr über den Grund meines Ersuchens wissen. Deshalb wohl, rief er bei Hauptfeldwebel Wimmer an und unterrichtete ihn. Dieser kam dann auch umgehend in die Schreibstube und begann intensive Fragen zu stellen, ich sei verpflichtet, die Nachricht an ihn auszuhändigen. Erste Zweifel stiegen in mir auf, dann überdachte ich die Vorkommnisse erneut.
Paul war kein Anfänger, sondern ein hervorragender Pilot, das hatte ich schon vom ersten Tag an gewusst. Die Übungsflüge waren lediglich vorgeschoben, galten der Tarnung, der Verschleierung. Die beschädigten Kisten hatten mir einen Teil des Inhaltes gezeigt, ich hatte die Ampullen sowie einige Goldmünzen gesehen. Die geheime Operation Medusa durfte unter keinen Umständen verraten werden, Paul hatte es mich schwören lassen. Ich erfand einen fadenscheinigen Grund und erzählte vom Luftangriff auf den Flugplatz. Diese Nachricht war schon bekannt und ich wurde als Trottel hinauskomplimentiert. Auf dem Heimweg drängten sich unweigerlich Fragen in meinen Kopf.
Was für Gründe außer der Unterstützung des Endsieges konnte es noch geben, um Fracht heimlich zu versenden? Die Operation Medusa war wohl so ungeheuer wichtig, um diese Kisten unauffällig an einen anderen Ort zu bringen. Was verbarg sich in den Ampullen und wofür waren die Goldmünzen gedacht? Niemand durfte von den Flügen wissen, es gab keinen offiziellen Flugplan, niemals eine Flugnummer oder gar einen Eintrag im Register.
Am folgenden Tag bin ich nochmals zum Flugplatz gelaufen und habe den Rest der vorläufig versteckten Kisten ausgegraben und sorgfältig an einem anderen, wesentlich sichereren, Ort gebracht und sie dort vergraben.
Nur einen Tag später erhielt ich den Marschbefehl.
Einige Wochen war ich in Italien im Einsatz, im Kampf um den Monte Cassino, dann wurde mein Flugzeug abgeschossen und ich kam in der Nähe der Gustav-Linie zu den Amerikanern in Gefangenschaft.
1948 durfte ich nach Hause zurückkehren. Meinen Schwur hatte ich immer noch im Kopf, den unerledigten Auftrag des sterbenden Paul konnte ich nicht vergessen. Erneut suchte ich Major Friedrich von Arche. Die Suchanfrage beim Roten Kreuz ergab, dass er als vermisst an der Ost-Front galt und, falls er noch lebte, mit großer Wahrscheinlichkeit nach Sibirien gebracht worden sei. Etliche Versuche waren nötig, bis ich endlich seine Familie in Wiesbaden gefunden hatte. Mein Besuch bei der Mutter und der Ehefrau Charlotte waren ein Desaster, niemand wollte mit mir sprechen, geschweige denn mein Anliegen hören. Auch die Söhne und Töchter wendeten sich hochmütig von mir ab. Der einfache Oberleutnant hatte in ihren Kreisen keinerlei Wert und verdiente ihre Beachtung nicht. So behalte ich das geheime Versteck für mich, getreu meines Schwures wird es nicht aufgeschrieben oder jemand anderem erzählt.
Hier brachen die Eintragungen ab.
Elektrisiert, endlich einen Beweis in Händen zu halten, dass auf diesem Flugfeld und seiner Umgebung weit mehr lag, als lediglich Metallschrott, schlug sie ihre angefertigten Kopien auf. Mit einem grellgelben Textmarker unterstrich sie den Familiennamen von Arche sowie die Vornamen Friedrich und Charlotte in Wiesbaden und machte drei dicke Ausrufungszeichen an den Rand. Hier bekam sie ganz konkrete Informationen und es durfte nicht so schwierig sein, diese Familie wiederzufinden. Nachdenklich klopfte sie mit ihrem Kugelschreiber auf die Seiten.
›Wer war der Aufseher mit dem Buch? Lebte er noch?‹
Das Rumoren aus dem Badezimmer besagte, das Moritz aufgewacht war. Seine Stimmung war besser, dennoch grummelte er beleidigt vor sich hin. Eva kochte extra einen Kaffee für ihn und schlug versöhnliche Worte an, präsentierte ihm ihr Handy und dass es seit gestern keinerlei Nachrichten anzeigte, egal von welcher App auch immer. Sie merkte sehr wohl, dass Moritz dies als Ausrede ihrerseits wertete, nur um sich nicht entschuldigen zu müssen. Eva versuchte einen weiteren Anlauf, mit ihm zu sprechen, doch er machte total dicht. Zog sich in sein Schneckenhaus zurück und war nicht gewillt ihr zuzuhören.
»Moritz, was soll ich machen um Dich zu einer Antwort zu bewegen?« Er schaute sie nur böse und beleidigt an.
»Entschuldige, dass mein Telefon kaputt ist, es war weder meine Absicht Dich warten zu lassen, noch Dich zu verletzten. Sprich mit mir. Wie soll ich Dich verstehen, wenn Du Dich in Schweigen hüllst«, Eva wurde merklich ungeduldiger. ›Wollte er nicht, oder was war der Grund für sein Verhalten?‹
»Eva, ich habe lange über uns nachgedacht und habe festgestellt, dass ich nicht so weitermachen will, wie es momentan zwischen uns läuft. Wir vertrauen uns nicht mehr und Du glaubst mir nicht mehr. Ich kann das nicht und ich denke Du auch nicht. Es hat so toll angefangen und ich dachte, wir wären auf der gleichen Wellenlänge mit unserem gegenseitigen Vertrauen. Das ist nicht mehr der Fall, ich glaube, es ist besser, wenn wir getrennte Wege gehen.«
Eigenartigerweise sprach Moritz ganz genau ihre Gedanken aus. So verschieden waren sie doch nicht, ihre Empfindungen glichen sich mehr, als sie dachten. Eva nickte,
»Ja, vielleicht ist es besser so. Gibst Du uns noch eine Chance oder wollen wir es sofort beenden?«
»Eva, ich liebe Dich und bin bereit, einen Neuanfang mit Dir zu wagen, vorausgesetzt wir glauben und vertrauen uns und beschuldigen uns nicht gegenseitig.« Ein weiteres Mal sprach er aus, was sie dachte.
»Moritz, ich liebe Dich ebenfalls und wir sind nicht so verschieden. Ich verstehe nicht, wie wir uns so verändern konnten. Ja. Lass es uns noch einmal versuchen, ich bin bereit Dir zu vertrauen und Dir zu glauben.« Sie stellten Hausklingel und Telefone aus, genossen ihre leidenschaftliche Versöhnung mit allen Sinnen.