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Geburtstagsgeschenk

Andreas Schröder hatte Eva im Auge behalten. Sie war schwer einzuschätzen und kein Dummchen, ihre freundliche und heitere Art täuschte jeden schnell. Gut zuhören konnte sie, das hatte er sofort bei ihrer Begegnung im Seniorentreff gemerkt, auch wie glücklich sein Vater gewesen war, ein geduldiges Opfer gefunden zu haben. Hatte Eva wirklich nur ein offenes Ohr oder war sie ebenso hinterhältig wie er selbst? Nutzte sie auch jede Chance, um die eigenen Interessen zu verwirklichen, dem persönlichen Ziel näher zu kommen? Im vergangenen Sommer hatte Vater eine ganz besondere Überraschung zu seinem 50. Geburtstag parat. Anette, die Zwillingsschwester, war mit dem Geburtstagsessen in der oberen Wohnung beschäftigt. Ihr Sohn Felix würde etwas später auch noch zur Feier kommen und so nutzte sein Vater die Gelegenheit ihm dieses außergewöhnliche Geschenk zu überreichen. Er erzählte von den damaligen Zeiten, Andreas stöhnte innerlich auf, er kannte sie in- und auswendig. Als Heranwachsender war er ein begeisterter Zuhörer, er hatte ein altes Fotoalbum gefunden und fragte begierig nach Großvater Hans, dem Piloten. In seinen kindlichen Vorstellungen war er ein Held, der unbestrittene König des Himmels, Sieger aller Gefechte. Später erzählte ihm die Mutter vom unerwarteten Tod des Großvaters und das er mit den Erinnerungen an der Krieg nicht mehr leben konnte. Andreas wollte damals schon ungeduldig aufstehen, doch sein Vater hielt ihn mit den Worten, »Willst Du gar ned die beide genaue Orte der Verstecke erfahrn?«, zurück. Andreas blieb wie angewurzelt stehen, hatte er doch immer geglaubt, diese alten Erzählungen seien Erfindungen eines senilen, in der Vergangenheit stehengebliebenen Mannes. »Ich weiß, Du hast mer als Bub mein letztes Heft gestohle, Du warst schon immer begierig die ganz Wahrheit zu erfahrn. Ich hab viele Jahr überlegt un bin zu dem Entschluss gekomme Dir an deim 50sten die genaue Orte zu verrate. Jetzt bist Du alt genug selbst zu entscheide, ob des Gold Menschenlebe aufwiege kann. Ich wollt es ned, es is verflucht un bringt nur Unglück, es is Schuld an eines Soldate Tod und deim Großvater Selbstmord. Überleg genau, ob es Dich auffresse soll.« Ruckartig drehte sich Andreas in dem Türrahmen um und wandte sich seinem Vater zu.

»Die roten Kisten sind teilweise zerstört, der zerbrechliche Inhalt ist unversehrt. Ich habe ihn in den Totrohren des Fuhrparkgeländes versteckt. Die Männer müssen erst die Belüftungsdeckel der Kanalisation heben, um an die beiden zusätzlichen Rohrstutzen zu gelangen. Die gelben Kisten mit den Münzen sind am Fundamentsockel der gegenüberliegenden Seite vergraben. Etwa 90 Zentimeter tief, acht Meter vom Stubenfenster.«

»Des warn sein Worte, jetzt liege sie in Deiner Verantwortung.«

Andreas war nach anfänglichem Zögern total begeistert und wollte mit seinem Vater sogleich zum Versteck fahren um sich die Örtlichkeit anzusehen und einen Plan zu schmieden, wie er sein Vorgehen umsetzten konnte. Der Vater bremste ihn, er wusste, dass der Motorrad Club Lakota ganz genau in dem besagten Gebäude ansässig war und seit 25 Jahren dort sein Clubhaus betrieb.

Das Gold infizierte Andreas sofort und er war fest überzeugt, es bergen zu können. Noch am gleichen Tag führte sein Weg ihn direkt zum Grundstück mit dem Clubhaus, das von einem hohen Zaun umringt wurde und dessen Tor eine dicke schwere Eisenkette verriegelte. Fest entschlossen umrundete er das, von außen teilweise mit Gestrüpp und Unkraut zugewachsene Gelände und versuchte, durch den Sichtschutz die Rückseite des Gebäudes zu erspähen, um seine Größe einzuschätzen. Mit dem Absatz des Schuhs hackte er eine Kerbe in die Grasnarbe und schritt die Strecke ab.

›Acht Meter vom Stubenfenster, lautete die Angabe. Hier gab es keine Fenster, vermutlich waren sie bei der Instandsetzung zugemauert und mit der restlichen Wand verputzt worden.‹ Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, sicherlich erkannte man die Mauerunterschiede im Inneren, oder einer der Männer und Frauen wusste noch, wo damals die Fenster eingebaut waren. Gewissenhaft trug er die Zeit in sein mobiles Telefon, er würde jeden Tag wiederkommen und so die beste Gelegenheit auskundschaften, um unauffällig das Grundstück zu betreten. Notfalls, wenn er überhaupt keine Chance bekam, musste er zwangsläufig Clubmitglied werden, um das Gebäude von innen zu durchsuchen. Dann konnte er bestimmt den Goldschatz’ unbemerkt bergen. Er las die Homepage, fand die offenen Zeiten und begann regelmäßig die Freitagabende im Clubhaus zu verbringen.

In der folgenden Woche war Peter nicht bei dem Seniorentreffen erschienen, ›Hinderte ihn sein Sohn daran oder war er möglicherweise erkrankt? Soll ich Anette anrufen? Vielleicht empfand sie das als aufdringlich.‹ Eva entschied, noch die zwei Tage bis zum nächsten Treffen abzuwarten.

Erneut verstrich der Nachmittag, ohne das Peter aufgetauchte.

Eva telefonierte mit Anette und erfuhr, dass ihr Vater bereits vor einer Woche unglücklich auf dem Treppenabsatz gestolpert war und die Kellertreppe hinunter stürzte. Der herbeigerufene Notarzt konnte lediglich seinen Tod feststellen, Vater hatte sich das Genick gebrochen. Eva erschauderte, ›Der Oldie war passenderweise zu einem Zeitpunkt verstorben, in dem er sich ihr gegenüber geöffnet aber, leider keinerlei unveröffentlichte Informationen ausgeplaudert hatte. War es zum Streit zwischen Vater und Sohn gekommen? Wovor fürchtete sich der Junior, was sollte unter dem Mantel des Schweigens verborgen werden?‹

Anettes Stimme klang fragend aus dem Hörer, »Frau Völkel? Hallo? Sind Sie noch dran?«

»Ja, verzeihen Sie, Ihre Nachricht hat mich getroffen. Meine aufrichtige Anteilnahme.«

»Vater war schon alt, wir haben mit dem Gedanken seines plötzlichen Todes gelebt, es kam nicht überraschend«, tröstete Anette Eva, »Er war bislang fit im Kopf, doch sein Körper war gebrechlich, immer öfter hatte er Aussetzer. Was mich allerdings überrascht, er hat mir nur einen Tag vor seinem Tod einen Umschlag für Sie gegeben. Es war ihm unglaublich wichtig. Niemandem durfte ich davon erzählen nicht mal meinem Bruder. Diesen Schwur hat mir Vater noch abverlangt.«

»Für mich?«, erstaunt rutschten Eva die Worte schneller aus dem Mund als beabsichtigt.

»Ja für Sie, ein fester, brauner Umschlag, ich musste ihn extra mit Klebeband verschließen, damit er auf gar keinen Fall aufging.«

»Kann ich ihn vielleicht heute abholen?«, fragte sie, neugierig darauf, was er beinhaltete.

»Nein, lieber nicht, Andreas kommt gleich und er sollte auf keinen Fall davon erfahren. Morgen, kommen Sie morgen am besten neun Uhr, bevor ich zur Arbeit gehe, dann ist er schon weg.«

»Ja, vielen Dank, ich werde da sein, also bis morgen«, verabschiedete sich Eva, enttäuscht, dass die Befriedigung ihrer Neugierde noch warten musste.

In diese Nacht schreckte Eva aus einem Alptraum hoch. Fahrig strich sie über ihr Gesicht und setzte sich auf. Peter Schröder hatte ihr einen dicken braunen Umschlag entgegengehalten und gerade als sie ihre Hand danach ausstreckte, versperrte Andreas Schröder ihr den Weg. Böse und hämisch grinsend schnappte er das prall gefüllte Kuvert vor ihrer Nase weg.

Pünktlich klingelte sie bei Anette Schröder, ›Was würde sich in dem Umschlag befinden? Peter hatte doch noch entschieden, mir weiterzuhelfen.‹

»Sie?! Verschwinde Sie. Vater is tot«, schlugen ihr die hasserfüllten Worte von Andreas Schröder entgegen. Erschrocken seiner heftigen Reaktion war sie einige Schritte zurückgetreten und sah ihn verunsichert an, »Meine aufrichtige Anteilnahme«, entgegnete sie reflexartig. Im Hintergrund erschien Anette, mit furchtsamem Blick schüttelte sie deutlich ihren Kopf und legte den Zeigefinger auf den Mund.

Eva verstand sofort ihre Bitte, »Verzeihung«, drehte sich rasch um und ging. ›Bin ich zu früh?‹, schnell kontrollierte sie die Uhrzeit. ›Nein, neun Uhr. Was war schiefgelaufen? Andreas sollte längst auf der Arbeit sein. Weswegen ist er zu Hause geblieben, oder hatte sich Anette verraten? Nein eher nicht, ihr angsterfülltes Augenpaar kann ich immer noch sehen. Rufe ich morgen nochmals an oder ist es besser auf Anettes Nachricht zu warten?‹ Es blieb ihr nichts anderes übrig, als vorerst den Heimweg anzutreten. ›Verdammt noch mal, was zum Teufel war geschehen?‹

Genervt, erneut gestoppt zu werden, öffnete sie die Haustür und wurde schon von Moritz in der Diele erwartet. Um das Maß des heutigen Tages bereits am Vormittag vollzumachen übergoss er sie mit seinem Ärger darüber, dass Eva die Vertraulichkeit ihrer Unterlagen in Anspruch nahm, ihrerseits jedoch in seinen schnüffelte. Sie war völlig überrumpelt, versicherte, noch bevor sie die dünne Jacke auszog und ihre Tasche abstellte, nichts dergleichen unternommen zu haben. Was sie nicht wolle, fügte sie auch keinem anderen zu. Moritz glaubte ihr nicht, alle Versuche ihre Beziehung auf neue Beine zu stellen, waren zunichte. Er war durch ihren Vertrauensbruch zutiefst gekränkt und überlegte, ob er vielleicht besser nach Oberursel in seine Wohnung zog, um die begonnenen Notizen weiter auszuarbeiten.

Am nächsten Morgen war Eva bereits vor der Dämmerung aufgestanden und zum Parkplatz Nepomuk Quelle gefahren. Die aufgehende Sonne warf ihre Strahlen durch das Blätterdach der Bäume und zeichnete phantastische Muster auf den Waldboden. Tief in Gedanken lief sie den sonst feuchten und jetzt staubtrockenen Pionierweg bergauf. Die ungewöhnliche sommerliche Hitze und der seit Wochen anhaltende Mangel an Regen hatten auch hier ihre unübersehbaren Spuren hinterlassen. Das trockene Laub raschelte bei jedem Schritt unter ihren Füßen.

Sie brauchte Abstand, Moritz hatte sich nach dem Unfall doch sehr viel stärker verändert als gedacht. Beide waren noch nicht so lange ein Paar und Eva musste sich entscheiden, wie weit er ihr Leben mitbestimmen sollte.

›Zu Beginn ist doch alles großartig gelaufen‹, dachte sie, ›Jeder hatte seinen Freiraum und akzeptierte den des Partners.‹ Niemals hatte sie den Eindruck, dass er ihr hinterherspionierte, oder sie gar kontrollierte. Ganz im Gegenteil, er war stolz darauf, eine unabhängige Freundin zu haben, die ihr Leben selbstbestimmt führte, so wie er es auch für sich in Anspruch nahm. Von diesem Moritz war momentan nichts, aber auch gar nichts mehr vorhanden. Immer öfter hatte sie das Gefühl, schon wieder beobachtet und dazu noch kontrolliert zu werden. Jemand las ihre Mails, durchstöberte ihre Unterlagen und öffnete die an sie adressierte Post. Ihre Beziehung entwickelte sich zum Alptraum. Sie musste zeitig die Reißleine ziehen, solange die Chance bestand, ohne Moritz zu sehr vor den Kopf zu stoßen. Die Anschuldigung, dass sie seine Notizen las und er ihr nicht glaubte, hatten den Ausschlag gegeben. Sie musste eine Grenze fordern, die er nicht überschreiten durfte. Ansonsten sah sie keine Möglichkeit auf ein weiteres Zusammenleben mit ihm.

Zu Hause rief sie nach ihm, brauchte sofort das Gespräch, um ihnen als Paar eine Chance zu geben. Moritz war allerdings nicht da, am Samstag, in der Reha hatte er keine Anwendung, vielleicht hatten Chris oder Tom ihn abgeholt. Es war vollkommen richtig, wenn Moritz wieder vor die Tür kam, viel zu lange hatte er zu Hause gesessen, was ihm ganz und gar nicht guttat.

Auf ihrem Schreibtisch lag ein großer brauner Umschlag, ›Anette hat ihn eingeworfen‹, war ihr erster Gedanke, ›Zum Glück hatte sie Andreas nichts davon verraten.‹ Bei näherem Hinsehen fiel ihr auf, das Kuvert war geöffnet und wieder verschlossen worden. ›Hatte Anette doch hineingesehen, obwohl sie mir erzählte, diesen in Anwesenheit ihres Vaters verklebt zu haben?‹ Kurz entschlossen griff sie zum Hörer. Bereits nach dem dritten Klingeln meldete sich Anette.

»Guten Morgen Frau Schröder, herzlichen Dank, dass Sie mir den Umschlag eingeworfen haben«, bedankte sich Eva. »Er ist so dick gefüllt und aufgeplatzt, gut, dass Sie ihn nochmals zugeklebt haben«, stocherte sie in Vermutungen.

»Guten Morgen Frau Völkel, gerne geschehen, es war besser, dass mein Bruder nichts davon erfuhr«, gestand sie erleichtert, »Aufgegangen? Nein der Umschlag ist nicht aufgegangen, ich hatte ihn extra mit starkem Klebeband verschlossen. Glauben Sie mir, der geht nicht von allein auf. Unmöglich. Auf dieses Band ist Verlass, das benutze ich auch, um Pakete zu verschicken«, fügte sie bestimmt hinzu. »Mein Bruder hatte sich an dem Morgen kurzfristig entschlossen und war zu Hause geblieben. Ich konnte Sie nicht mehr rechtzeitig erreichen um Ihnen abzusagen. Andreas war so sehr mit Ihrem Aufkreuzen beschäftigt als eine Verbindung zwischen uns herzustellen. Er kann sehr rabiat werden, aber ich habe ihn ganz gut im Griff. Was immer auch in diesem Umschlag ist, passen Sie auf, dass die Vergangenheit Sie nicht einfängt.«

»Danke, ich werde auf mich achten«, versprach sie.

»Alles Gute.«

›Ok, Anette war es nicht, wer blieb übrig? Moritz. Schon wieder hatte er sich nicht an ihre Abmachung gehalten.‹ Eva hörte die Haustür und lief die Treppe hinunter. Vor ihr stand Moritz,

»Du hättest mir ruhig absagen können. Ich kam mir total bescheuert vor, hab über eine Stunde auf Dich gewartet.« Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

»Wir waren verabredet?«, ungläubig sah Eva ihn an, »Wann? Wo?«

»Ach komm, spiel nicht die Unwissende, ich hab Dir gestern Nacht noch eine Nachricht geschickt. Eva, lass gut sein, ich bin müde und geh schlafen.« Er drückte sich an ihr vorbei und stieg humpelnd die Treppe hinauf. Perplex blieb Eva zurück. Erst als sich die Schlafzimmertür schloss, fiel die Regungslosigkeit von ihr ab.

›Was war das gerade eben? Er hat mir eine Nachricht geschickt?‹ Flink zog sie das Handy aus der Handtasche und prüfte die Eingänge. Nichts. Es war nicht eine einzige Information auf ihrem Telefon angekommen. Gar keine. Das war schon recht ungewöhnlich. Erneut prüfte sie ihren Zugang, Nichts. Sie schaltete das Gerät aus und wieder ein, Nichts. Sie drückte die Telefonnummer von ihrem eigenen Festnetzanschluss und wartete, Nichts. Es klingelte nicht. Sie versuchte, die unterschiedlichen Nachrichten Apps zu öffnen, Nichts. Das Display leuchtete, doch das Handy war tot.

›Verdammt noch mal, was war jetzt wieder mit diesem Telefon los? Moritz hatte sich mit mir treffen wollen, vielleicht sucht er ja auch einen Weg aus dieser vertrackten Situation? Jetzt kann ich es nicht mehr ändern, er ist verschnupft und enttäuscht. Ich lass ihn schlafen, eventuell geht’s ihm dann besser und wir können reden.‹

Gottes Feuer

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