Читать книгу Das Lebenselixier - Эдвард Джордж Бульвер-Литтон, Эдвард Бульвер-Литтон - Страница 24
Kapitel XX
ОглавлениеWährend der vielbeschäftigten Jahre meiner Berufslaufbahn hatte ich immer noch Musse erübrigen können, um wissenschaftliche Abhandlungen zu schreiben, die mehr oder weniger Aufsehen erregten. Eine davon unter dem Titel „Das Lebensprinzip, seine Verschwendung und seine Versorgung“ fand auch unter dem nicht ärztlichen Publikum einen ausgedehnten Leserkreis. Die genannte Schrift enthielt die Ergebnisse gewisser, damals in der Chemie noch neuer Versuche, aus denen ich für die Ernährung des menschlichen Organismus Folgerungen nach denselben Grundsätzen zog, auf die Liebig die Kräftigung eines ausgelaugten Bodens baut; das heißt, ich schlug vor, dem Körper als wesentliche Elemente der Ernährung die Stoffe wieder zu geben, die er durch seine Tätigkeit verbraucht oder durch Zufall verloren hat – mit anderen Worten, ich forderte, diesem die Bestandteile der Ernährung zuzuführen, deren der individuelle Organismus konstitutionell bedarf und eine Neutralisierung und Ausgleich des im Übermaß Vorhandenen – eine Theorie, auf welche sich in neuester Zeit einige vielberufene Ärzte mit ausgezeichnetem Erfolg gestützt haben. Aber ich legte auf diese Arbeiten, die flüchtig waren und nur Andeutungen, keine durchgearbeiteten Sätze enthielten, keinen Wert. Während der letzten zwei Jahre beschäftigte mich ein Werk von viel größerer Tragweite, ein von größerem Ehrgeiz eingegebenes Unternehmen, von dem ich mir den nachhaltigen Ruf eines streng wissenschaftlichen, nicht auf Vorgänger bauenden Physiologen versprach. Es handelte sich um die Erforschung des organischen Lebens, basierend auf den Arbeiten des Berliners Johannes Müller, mit denen jener die Wissenschaften unseres Zeitalters bereichert hatte – leider nur ein schwaches Trachten, die Gedankentiefe und Gelehrsamkeit eines großes Geistes zu erreichen, welcher die Spekulation über den Gang der gewöhnlichen Reflexion erhaben macht. Damals wurde ich freilich getragen von der Wichtigkeit meines Themas und bewunderte meine Leistung, weil ich die Arbeit voller Hingabe erledigte. Während der Aufregung des letzten Monats war dieses Projekt völlig bei Seite gelegt worden; nun aber, da Lilian fort war, nahm ich es allen Ernstes als einzige Tätigkeit wieder auf, die Reiz und Macht genug besaß, mich den Verlust, die schmerzliche Leere, weniger empfinden zu lassen.
Am Abend nach ihrer Abreise nahm ich mir mein Manuskript wieder vor, das ich am Anfang eines Kapitels über „Wissen, von unseren Sinnen abgeleitet“ abgebrochen hatte. Da meine Überzeugungen über diesen Gegenstand sich auf die wohlbekannten Sätze Locke´s und Condillac´s gegen angeborene Vorstellungen und auf die Spekulationen gründete, durch welche Hume die Verbindung der Empfindung zu einer allgemeinen Vorstellung auf einen lediglich der Gewohnheit entspringenden Impuls zurückführt, widersprach ich dem gefährlichen Zugeständnis an die Sentimentalität oder den Mystizismus einer Pseudophilosophie, indem ich Widerspruch gegen die Lehre erhob, welche bei den meisten unserer neueren Physiologen Beifall findet und dem Wesen nach von den ausgezeichnetsten deutschen Metaphysikern, wenn auch ihrer positiven Form nach übernommen worden ist – ich meine die Lehre, welcher Müller selbst in folgenden Worten Ausdruck gab:
„Dass es angeborene Vorstellungen geben kann, lässt sich nicht im mindesten bezweifeln: es gibt hierfür Beweise. Alle Vorstellungen der Tiere, welche aus dem Instinkt hervorgehen, sind angeboren und unmittelbar: der Seele wird etwas dargeboten, der Wunsch etwas zu erreichen, was zu gleicher Zeit gegeben ist. Das neugeborene Lamm, das Fohlen hat solche angeborene Vorstellungen, durch die es bewogen wird, der Mutter zu folgen und an ihrer Zitze zu saugen. Trifft dies nicht in gewisser Weise auch auf die intellektuellen Vorstellungen des Menschen zu?“
Auf diese Frage antwortete ich mit einem entrüsteten „Nein“. Ein „Ja“ hätte meinen Glauben an den Materialismus in den Staub getreten. Ich schrieb rasch und mit Eifer fort, definierte die Eigentümlichkeiten und steckte die Grenzen der Naturgesetze ab, über die sich meiner Meinung nach selbst kein Gott hinwegsetzen konnte. So klempnerte und lötete ich an den Kettengliedern meiner Flicklogik Dogma an Dogma, bis aus meinen Blättern zu meinem großen Wohlgefallen der intellektuelle Mensch als reines Gebilde seiner materiellen Sinne erwachsen war; aus ihnen allein ging der Geist oder die sogenannte Seele hervor und zog Nahrung aus ihnen; durch sie wurde jede Aktion bedingt und mit der sich bewegenden Maschine ging auch der Geist unter. Seltsam, dass ich zu der selben Zeit, in der mich meine Liebe zu Lilian hätte lehren können, dass es in der Tiefe der Gefühle Geheimnisse gab, welche meine Analyse der Vorstellungen nicht zu entschlüsseln vermochte, allem Geistigen so engstirnig entgegenzutreten im Stande war. Seltsam, dass ich zu einer Zeit, nachdem kurz vorher mich der Gedanke an den vorübergehenden Verlust eines Wesens, das ich nur einen Monat kannte, so tief erschüttert hatte, mich so selbstgefällig hinsetzen konnte, um den Beweis zu führen, dass ich nach den Gesetzen der Natur, welchen meine Leidenschaft untertan war, für die Ewigkeit das Glück verlieren müsse, welches ich hoffte, für die Dauer meiner Lebensspanne erworben zu haben. Doch wie sehr unterscheidet sich nicht das Benehmen des Menschen von seinen Theorien. Betrachten wir den Dichter, der im Schatten des Waldes Oden an die Geliebte dichtet und folgen wir ihm hinaus in die wirkliche Welt, in der für ihn nie eine Geliebte gelebt hat! Oder der ernste Mann der Wissenschaft, welcher sich von der Welt abgeschlossen in seine leidenschaftslosen Probleme vertieft und folgen wir ihm dahin, wo sein Gehirn von der Arbeit ausruht und das Herz seinen Sabbat findet – welches Kind ist zärtlicher, schmiegsamer, weicher?
Aber ich hatte zu meiner Befriedigung bewiesen, dass der Dichter und der Gelehrte nichts weiter ist als Staub, sobald sein Puls zu schlagen aufgehört hat. Und nach diesem trostreichen Schluss hielt meine Feder inne.
Plötzlich hörte ich deutlich neben mir einen Seufzer – einen mitleidigen, wehmütigen Seufzer. Der Laut war unverkennbar. Ich fuhr von meinem Sitz auf, sah mich um und war erstaunt, dass ich nirgends ein Lebewesen entdecken konnte. Die Fenster waren geschlossen – draußen lautlose Nacht. Das Seufzen konnte also nicht vom Wind herrühren. Aber was war das dort – in der dunklen Ecke des Zimmers? Ein silbernes Weiß, unbestimmt die Umrisse einer menschlichen Gestalt annehmend, welche zurückwich, undeutlicher wurde und mit einem Mal verschwunden war! Ich weiß nicht warum – denn ich konnte kein Gesicht, keine bestimmte Form, sondern nur einen farblosen Umriss erkennen – ich weiß nicht, warum, aber ich rief laut hinaus: „Lilian! Lilian!“ Meine Stimme hallte seltsam in meinem Ohr wieder. Ich hielt inne, lächelte und errötete ob meiner Torheit. „So habe auch ich erfahren, was Aberglauben ist,“ murmelte ich vor mich hin. „Nun habe ich also eine selbst erlebte Anekdote zu erzählen (von welchen auch Müller spricht, wenn er von den Illusionen spricht, die ihn bei geschlossenen oder geöffnete Augen heimsuchten) – eine Anekdote, die ich anführen kann, wenn ich zum Kapitel: „Von der Sinnestäuschung und spektralen Phantasmen“ komme. Ich kehrte zu meinem Manuskript zurück und schrieb weiter, bis meine Schreibtischlampe im Grau der Morgendämmerung erblasste. Und damals sagte ich mir im Triumph meines Stolzes, als ich mich zur Ruhe niederlegte: „Meine Schrift weist mit der größten Genauigkeit dem Menschen seine Stelle in dem Bereich der Natur an; sie wird die Grundlage einer Schule abgeben und Schüler bilden. Geschlecht um Geschlecht derer, die durch den reinen Verstand die Wahrheit zu erforschen trachten, wird auf meinen Grundlagen mein Gebäude erweitern“. Und wieder hörte ich den Seufzer; aber diesmal überraschte er mich nicht. „Wirklich eine seltsame Geschichte dieses Nervensystem,“ murmelte ich vor mich hin, drehte mich um und schlief völlig erschöpft ein.