Читать книгу Das Lebenselixier - Эдвард Джордж Бульвер-Литтон, Эдвард Бульвер-Литтон - Страница 5
Kapitel I
ОглавлениеIm Jahre 18.. ließ ich mich als Arzt in einer der reichsten unserer großen englischen Städte nieder, die ich nur mit ihrem Anfangsbuchstaben L.... bezeichnen will. Ich war noch jung, hatte mir aber durch meine professionelle Tätigkeit , die mir – wie ich hoffen darf – in der Fachwelt immer noch den Ruf einer Autorität auf meinem Gebiet sichert, einen gewissen Namen erworben. Ich hatte in Edinburgh und Paris studiert und konnte mir an beiden dieser hervorragenden medizinischen Fakultäten den Beifall meiner Professoren in einem Maße erwerben, der die Ambitionen eines Studenten wohl zu der Aussicht auf zukünftige Auszeichnung berechtigte. Nachdem ich ein Mitglied des Ärztekollegiums geworden war, bereiste ich, ausgestattet mit Empfehlungsschreiben hervorragender Mediziner, die Hauptstädte Europas und trachtete danach, meine medizinischen Kenntnisse durch die verschiedenen Theorien und Behandlungsmethoden erweitern zu können. Ich hatte beschlossen, meinen Wohnsitz in London zu nehmen. Ehe ich jedoch meine Vorbereitungstour abschließen konnte, wurde mein Entschluss durch eines jener unerwarteten Ereignisse verändert, welche die Absichten des Menschen so oft vereiteln. Als ich auf dem Weg nach Norditalien durch Tirol kam, fand ich in einem kleinen, weit von ärztlicher Hilfe entfernten Gasthaus einen englischen Reisenden vor, der lebensgefährlich an einer akuten Lungenentzündung erkrankt war. Ich widmete mich ihm Tag und Nacht und hatte, eher infolge meiner sorgsamen Pflege als durch den Einsatz von Medikamenten, das Glück, seine vollständige Wiederherstellung bewirken zu können.
Der Reisende erwies sich als Julius Faber, selbst ein namhafter Arzt, der sich damit begnügt hatte, sich in seiner Geburtsstadt L... niederzulassen, jedoch einen weitverbreiteten Ruf als gründlicher und origineller Pathologe besaß, und dessen Schriften einen nicht unwichtigen Teil meiner eigenen speziellen Studien ausgemacht hatten. Er war gerade im Begriff gewesen, mit erneuerter Kraft von einem kurzen Erholungsurlaub nach Hause zurückzukehren, als er durch die erwähnte Krankheit niedergestreckt wurde. Der zufällige Patient wurde der Begründer meines beruflichen Glücks. Er fasste eine freundschaftliche Zuneigung zu mir, vielleicht um so mehr, als er ein kinderloser Junggeselle war und sein Neffe, auf den sein Reichtum übergehen sollte, nicht erkennen ließ, auch die Mühen, durch die der Reichtum erworben worden war, auf sich nehmen zu wollen. So war wohl ein Erbe für das Eine vorhanden, lange hatte er jedoch nach einem Nachfolger für das Andere gesucht und sich nun in den Kopf gesetzt, denselben in mir gefunden zu haben. So musste ich ihm zum Abschied versprechen, eine regelmäßige Korrespondenz mit ihm zu unterhalten und es dauerte nicht lange, bis er mir in einem Brief mitteilte, welchen Plan er zu meinen Gunsten geschmiedet hatte. Er würde alt, so schrieb er, die Arbeit in seiner Praxis überstieg seine Kräfte und er benötige einen Partner. Er bringe es nicht über sich, die Gesundheit seiner Patienten, die ihm wie Kinder ans Herz gewachsen seien, feil zu bieten: um so mehr, als Geld für ihn keine Bedeutung habe - der Menschheit, der er gedient und dem Ruf, den er erworben habe aber kein Nachteil aus der Wahl seines Nachfolgers erwachsen solle. Kurz, er schlug vor, ich solle sofort nach L... kommen, sein Partner werden und nach Ablauf von zwei Jahren seine Praxis ganz übernehmen, da er vorhabe, sich im Anschluss an diese Frist in den Ruhestand zu begeben.
Eine derartige Chance bietet sich einem jungen Mann, der gerade im Begriff war, sich in einem derart überbesetzten Beruf zu etablieren, nur selten; und als jemand, den weniger die Verlockungen des Geldes, als vielmehr die Aussicht auf Ruhm und Auszeichnungen anzogen, galt mir der Ruf des Arztes, der mir so großzügig die unschätzbaren Vorteile seiner langen Erfahrung bot und mich mit solcher Herzlichkeit in seine Praxis einführen wollte, als Beweis dafür, dass eine Praxis in der Hauptstadt nicht unbedingt notwendig sei, um zu nationalem Ansehen zu gelangen.
Ich begab mich also nach L.... und noch vor Ablauf der zwei Jahre meiner Teilhaberschaft rechtfertigte mein Erfolg die Wahl meines wohlwollenden Freundes und überstieg meine eigenen Erwartungen bei weitem. Ich hatte das Glück, gleich zu Beginn meiner Tätigkeit einige bemerkenswerte Heilerfolge zu erzielen und es bedeutet viel für die Karriere eines Arztes, wenn er durch einen glücklichen Wink des Schicksals das Vertrauen erringen kann, welches Patienten meist erst der langjährigen Erfahrung entgegen bringen. Zu der Leichtigkeit, in der mein Weg geebnet wurde, trugen wahrscheinlich auch einige Umstände bei, die mit meinen medizinischen Fähigkeiten nichts zu tun hatten. Meine Herkunft und mein Vermögen schützten mich vor dem Verdacht, ein medizinischer Abenteurer zu sein. Ich gehörte einer alten Familie an (einem Zweig des ehemals mächtigen Grenzclans der Fenwicks), die seit vielen Generationen ein schönes Gut in der Nähe von Windermere besaß. Als einzigem Sohn war diese Besitzung mit Eintritt meiner Volljährigkeit auf mich übergegangen und war von mir verkauft worden, um die Schulden meines Vaters, der als Antiquar und Sammler einen kostspieligen Geschmack besessen hatte, tilgen zu können. Der verbleibende Erlös sicherte mir, abgesehen vom Ertrag meiner Praxis, eine bescheidene Unabhängigkeit; und da ich gesetzlich nicht verpflichtet gewesen wäre, für die Verbindlichkeiten meines Vaters einzustehen, gewann ich durch mein Verhalten den Ruf der Uneigennützigkeit und Rechtschaffenheit, der die öffentliche Meinung in England stets für durch Fleiß oder Talent erworbene Erfolge geneigt stimmt. Vielleicht wurden mir auch berufliche Fähigkeiten, die ich besitzen mag, bereitwillig zugestanden, da ich mit großem Erfolg Studien in den an die Medizin angrenzenden Wissenschaften durchgeführt hatte. Kurz gesagt, ich befand mich in der glücklichen Lage, in der Gesellschaft eine Stellung einnehmen zu können, die meinem Ruf als Arzt behilflich war und die Stimmen der Neider, die für gewöhnlich den Erfolg verbittern oder sogar zu verhindern wissen, zum Verstummen brachte.
Dr. Faber setzte sich nach Ablauf der vereinbarten zwei Jahre zur Ruhe. Er ging ins Ausland und da er noch immer über eine rüstige Gesundheit und einen wachen, wissbegierigen Geist verfügte, unternahm er viele Reisen, während derer wir anfangs einen regelmäßigen Briefwechsel unterhielten, der jedoch im Laufe der Zeit versiegte und schließlich ganz zum Erliegen kam.
Ich konnte den größten Teil der Praxis, die mein Vorgänger in dreißig Jahren harter Arbeit aufgebaut hatte, auf mich übertragen. Mein Hauptrivale war ein gewisser Dr. Lloyd, ein gütiger, heißblütiger Mann – nicht ohne ein gewisses Genie ausgestattet, so weit von Genie gesprochen werden kann, wenn es an Urteilsvermögen fehlt; nicht ohne wissenschaftliche Kenntnisse, denen es jedoch an der notwendigen Gründlichkeit mangelte – einer jener begabten, aber oberflächlichen Männer, welche nicht fähig sind, sich dem gewählten Beruf mit dem vollen Einsatz ihres Verstandes zu widmen. Männer dieser Art verfallen für gewöhnlich einer mechanischen Routine, da sich ihre Gedanken während der Ausübung ihrer angeblichen Berufung verlockenderen Beschäftigungen zuwenden. Aus diesem Grunde sind sie im Rahmen ihrer Tätigkeit selten kühn oder erfinderisch – obwohl sie diese Eigenschaften außerhalb ihres Beruf bisweilen sogar im Übermaß zeigen. Zeigt sich jedoch im Rahmen dessen eine grundlegende Neuerung, so pflegen sie dieselbe mit einer an Starrsinn grenzenden Zähigkeit und Leidenschaft, die den ruhigen Philosophen unbekannt ist, die sich jeden Tag mit Neuigkeiten beschäftigen, diese mit der Nüchternheit geübter Augen prüfen, bei Seite legen, teilweise verändern oder sich ganz aneignen, je nachdem ob das vergleichende Experiment die Mutmaßung bestätigt oder als nicht stichhaltig zurückweisen muss.
Dr. Lloyd hatte sich als ausgebildeter Naturwissenschaftler einen Ruf erworben, lange bevor ihm der eines akzeptablen Arztes zuteil geworden war. Trotz aller Entbehrungen seiner Jugend hatte er es Schritt um Schritt zustande gebracht, eine zoologische Sammlung, nicht lebender, sondern zum Glück des Betrachters ausgestopfter und einbalsamierter Lebewesen zusammen zu tragen. Aus dem, was ich berichtet habe, kann zu Recht geschlossen werden, dass Dr. Lloyd´s frühe Karriere als Mediziner nicht gerade brillant zu nennen war; in späteren Jahren hatte er sich jedoch in den Status einer Autorität, den die Zeit einem allgemein respektierten Menschen zugesteht, den man allgemein schätzt und den zu beneiden sich niemand veranlasst sieht, eher hinein gealtert als gearbeitet.
In L... gab es zwei deutlich getrennte gesellschaftliche Kreise – den der reichen Kaufleute und Händler und den einiger weniger privilegierter Familien, die einen fernab vom geschäftigen Treiben des Handels gelegenen Teil der Stadt bewohnten, den man Abbey Hill nannte. Diese stolzen Areopagiten übten über die Frauen und Töchter der niederen Klasse, der mit Ausnahme des Abbey Hills alle Bürger ihren Wohlstand verdankten, den selben geheimnisvollen Einfluss aus, den man unter ähnlichen Verhältnissen in allen großen und kleinen Städten Englands beobachten kann.
Abbey Hill war nicht übermäßig reich; aber durch eine Konzentration seiner Ressourcen mächtig genug, in allen Arten der Gönnerschaft maßgebend zu sein. Abbey Hill hatte seine eigene Modistin, seine eigene Textilhandlung, seinen eigenen Konditor, Metzger, Bäcker und Teehändler. Die Schirmherrschaft des Abbey Hill war der eines Königshauses vergleichbar – an sich wenig lukrativ, vielmehr ein feierliches Zeugnis des allgemeinen Verdienstes. Die Läden, die Abbey Hill zu ihrem Kundenkreis zählen durften, gehörten sicher nicht zu den günstigsten, wahrscheinlich nicht einmal zu den besten, waren jedoch unbestreitbar eindrucksvoll. Die Eigentümer waren auf anständige Weise prunkvoll, die Angestellten auf hochmütige Art höflich. Es schien ganz so, als ob es sich um Staatsbedienstete handelte, die verächtlich auf diejenigen herab blickten, denen sie dienen sollten. Die Damenwelt der Low Town, (die am Fuße des Hills liegende Stadt war nach dem Vorbild einer weit zurückliegenden Feudalzeit entworfen worden), betraten diese Läden mit einer ehrfurchtsvollen Scheu und verließen sie wieder mit einer gewissen Art Stolz. Sie hatten eine Erfahrung gemacht, die der Hill anerkannte; sie hatten gekauft, was sich der Hill leisten konnte. Es bedeutet viel im Leben sich bewusst zu sein, das Rechte getan zu haben, was immer diese Überzeugung uns auch kosten mag.
Abbey Hill pflegte unter anderem auch seinen eigenen Arzt zu konsultieren. Aber diese Gewohnheit war in den späteren Jahren der Praxis meines Vorgängers etwas außer Brauch geraten. Seine Überlegenheit über alle anderen Ärzte der Stadt stand derart unbestritten fest, dass der Berg, welcher gelegentlich auch den physischen Gebrechen der einfachen Sterblichen unterworfen war - obwohl Dr. Faber den städtischen Krankenhäusern und Kliniken vorstand und auch seiner Herkunft nach ausdrücklich zuständiger Arzt der Unterstadt war - die Frage der Ehre nicht so weit betrieb, in der Sache ein Opfer an Menschenleben zu riskieren. Da die untere Stadt einen der berühmtesten Ärzte Englands besaß, entschloss sich der Abbey Hill großmütig, ihn nicht durch einen Rivalen in Bedrängnis zu bringen. Abbey Hill ließ sich gnädig von ihm den Puls fühlen.
Als mein Vorgänger in den Ruhestand ging, hatte ich in überheblicher Weise vorausgesetzt, der Hill werde fortfahren, sich seines normalen Rechts an einem eigenen Arzt zu erinnern und mir dieselbe großmütige Gunst zu Teil werden lassen, die er ihm, der mich für würdig befunden hatte seinen Ehren nachzufolgen, erwiesen hatte. Ich hatte Anlass für diese Vermessenheit, da der Hill mir bereits zugestanden hatte, eine nennenswerte Anzahl seiner Patienten behandeln zu dürfen, mir einige gnädige Dinge über das große Ansehen der Familie Fenwick gesagt und mich hin und wieder zum Dinner und viel häufiger noch zum Tee eingeladen hatte.
Doch mein Dünkel erlitt einen bemerkenswerten Rückschlag. Abbey Hill erklärte, dass die Zeit gekommen sei, das im Dornröschenschlaf liegende Privileg wieder ins Leben zu rufen, einen Doktor seiner eigenen Wahl zu berufen, einen Doktor, dem man wohl gestatten konnte, aus Gründen der Menschlichkeit oder des Gewinns die Unterstadt zu besuchen, der aber seine besondere Lehenstreue gegen Abbey Hill nachdrücklich dadurch bekundete, seine Wohnung auf dieser ehrwürdigen Anhöhe zu nehmen. Miss Brabazon, eine unverheiratete Dame ungewissen Alters, aber unzweifelhafter Abstammung, mit einem kleinen Vermögen und einer großen Nase – die sie selbst scherzhaft als Beweis ihrer Abstammung von Humphrey, Duke of Gloucester (mit dem sie, ungeachtet der Zeitrechnung, tatsächlich oft diniert haben mag) erklärte – wurde beauftragt, mich, ohne den Hill durch die Anfrage in irgendeiner Weise bloßzustellen, diplomatisch zu befragen, ob ich geneigt sei, ein am Rande des Hills gelegenes, großes, altertümliches Herrenhaus zu beziehen, das vor vielen Jahrhunderten von Äbten bewohnt worden sein soll und von der Bevölkerung immer noch „Abbots´ House“ genannt wurde. Sollte ich mich hierzu entschließen können, werde der Berg an mich denken.
„Es handelt sich allerdings um ein großes Haus für einen alleinstehenden Mann,“ sagte Miss Brabazon offen und fügte mit einem Seitenblick von alarmierender Süße hinzu, „aber sobald Dr. Fenwick die seiner Abstammung entsprechende Stellung unter uns eingenommen hat, braucht er nicht lange alleine zu leben, es sei denn, er zieht diesen Zustand vor.“
Ich antwortete mit größerer Derbheit, als der Anlass gerechtfertigt hätte, dass ich zur Zeit nicht daran denke, meine Wohnung zu verlegen und dass der Hill eben nach mir schicken solle, wenn er mich brauche.
Zwei Tage danach mietete sich Dr. Lloyd in Abbots´ House ein und kaum eine Woche später war er der erklärte medizinische Ratgeber des Hills. Die Wahl wurde durch den Richtspruch einer großen Dame entschieden, die unter dem Namen einer Mrs. Colonel Poyntz auf der heiligen Anhöhe als Alleinherrscherin gebot.
„Dr. Fenwick,“ sagte diese Dame, „ist wohl ein kluger junger Mann und Gentleman, aber bildet sich doch ein wenig zu viel darauf ein – der Berg duldet keine Anmaßung außer der eigenen. Hinzu kommt, dass es sich um einen Neuankömmling handelt: der Widerstand gegen Neuankömmlinge, überhaupt gegen alles Neue, ausgenommen Hüte und Romane, stellt eines der wichtigsten Bande dar, welche alteingesessene Gesellschaften zusammenhalten. Aus diesem Grunde hat Dr. Lloyd auf meinen Rat hin Abbots´House bezogen; die Kosten hierfür würden jedoch seine Mittel übersteigen, wenn der Hill sich nicht verpflichtet fühlte, das in seine Protektion gelegte Vertrauen zu rechtfertigen. Ich versicherte ihm, dass alle meine Freunde nach ihm schicken würden, sobald ein Krankheitsfall auftritt, und wer sich zu meinen Freunden rechnet, wird mich nicht Lügen strafen. Was der Hill tut, wird viele Nachahmer bei denen dort unten finden – damit ist die Angelegenheit geregelt!“ Und sie war geregelt.
Dr. Lloyd, in solcher Weise an der Hand genommen, dehnte den Bereich seiner Besuche bald über die Grenzen des Hills aus, der für einen Arzt nicht unbedingt gleichbedeutend mit einem Berg aus Gold war und teilte sich mit mir, wenn auch zu einem geringen Anteil, die viel einträglichere Praxis in der Low Town.
Ich hatte keinen Grund, ihm seinen Erfolg zu missgönnen und tat es auch nicht. Aber nach meiner Ansicht über Heilkunst war seine Diagnose nur oberflächlich und seine Rezeptur veraltet. Wurden wir zusammen zu einem Ärztekonzil berufen, konnten wir uns nur selten auf eine Behandlungsweise verständigen. Ohne Zweifel war er der Ansicht, ich müsse in Anbetracht seiner Jahre Respekt zeigen; aber ich hielt es mit der Auffassung, welche die Jugend für die Wahrheit und die Alten für ein Paradox halten: nämlich, dass in Bezug auf wahre Wissenschaft in Wirklichkeit die Jüngeren die Erfahreneren - mit den neuesten Errungenschaften vertraut - seien, während die Senioren stur an den Lehrsätzen festhielten, die ihnen beigebracht worden waren als die Welt noch einige Jahrzehnte jünger war.
Inzwischen breitete sich mein Ruf rasch aus, auch über meinen derzeitigen Wirkungskreis hinaus; mein Rat wurde sogar von Patienten aus der Hauptstadt eingeholt. Das Streben, das mir schon in früher Jugend meine Karriere vorgezeichnet und all meine Mühen versüßt hatte – der Ehrgeiz meinen Platz unter den großen Ärzten einzunehmen, denen die Menschheit eine dankbare, wenn auch prunklose Anerkennung zollt – sah sich vor freiem Feld und einem sicheren Ziel.
Ich weiß nicht, ob ein weit vor der dafür vorgesehenen Zeit errungener Erfolg dazu berechtigt, aber er rechtfertigte meiner Ansicht nach den Hauptzug meiner moralischen Organisation – intellektuellen Stolz.
Trotz aller Milde und Sanftheit gegenüber den meiner Obhut anvertrauten Patienten, ein notwendiges Element meines Berufes, neigte ich zu Intoleranz gegenüber Kollegen, die meinen Ansichten widersprachen – ja selbst meine Lieblingstheorien anzweifelten.
Die Grundsätze meiner medizinischen Ausbildung richteten sich streng nach den Prinzipien der induktiven Logik aus. Mein Glaubensbekenntnis war ein strenger Materialismus. Ich zeigte tiefe Verachtung für all jene, die gläubig hinnahmen, was durch Vernunft nicht erklärt werden konnte. Meine Lieblingsphrase war „gesunder Menschenverstand“. Gleichzeitig hatte ich keinerlei Vorurteile gegenüber kühnen Entdeckungen, da Entdeckungen Forschung voraussetzen, verwarf aber alle Hypothesen, die nicht durch einen praktischen Test bestätigt werden konnten.
Als Mediziner war ich Schüler von Broussai´s, auf metaphysischem Gebiet Anhänger Condillac´s gewesen. Ich glaubte mit diesem Philosophen daran, dass „wir all unser Wissen der Natur schulden; dass wir uns zu Beginn nur durch ihre Lektionen unterrichten können; und dass alle Kunst der Spekulation nur in der Fortsetzung dessen bestehe, was sie uns zu beginnen gezwungen hat.“ Da ich die Naturphilosophie streng von den Lehren der Offenbarung zu trennen wusste, kam ich nie mit den letzteren in Konflikt; aber ich behauptete steif und fest, dass kein gründlicher Denker aus ersterer die Existenz der Seele als drittes Prinzip neben Geist und Körper ableiten könne. Dass wie durch ein Wunder der Mensch wieder lebendig werden könnte, sei eine Frage des Glaubens, nicht des Verstandes. Ich überließ den Glauben der Religion und verbannte ihn aus der Philosophie. Wie konnte mit der Sicherheit, die der Logik der Philosophie genügte, definieren, was wieder lebendig werden sollte? Der Körper? Wir wissen, dass der Körper im Grab ruht, bis der Zersetzungsprozess seine Elementarteile in eine andere materielle Form gebracht hat. Der Geist? Aber der Geist war ein klares Resultat der körperlichen Organisation, wie die Musik des Cembalos das Resultat des sie erzeugenden Mechanismus des Instrumentes ist. Der Geist teilt die Hinfälligkeit des Körpers in extremem Alter, und durch Beschädigung des Gehirns kann in Mitten der vollen Kraft der Jugend der Intellekt eines Plato oder Shakespeare zerstört werden. Aber das dritte Prinzip – die Seele – dieses Etwas, das im Körper wohnen soll, wie sollte sie weiterleben können? Wo verbarg sie sich vor den Blicken des Pathologen? Mussten die Philosophen, die versuchten sie zu definieren, sie nicht mit den Eigenschaften des Geistes vermischen? Konnten man sie auf das bloße moralische Empfinden reduzieren, veränderbar durch Erziehung, Ausbildung, Verhältnisse und physische Konstitution? Aber selbst das moralische Empfinden des tugendhaftesten Menschen kann durch ein Fieber weggewischt werden. Dies waren meine Ansichten zu der Zeit, von der ich jetzt spreche – Ansichten, die sicher nicht originell oder gefällig zu nennen sind; aber ich hielt an ihnen mit einer Hartnäckigkeit fest, als handele es sich um besonders trostbringende Wahrheiten und ich sei ihr Entdecker. Ich zeigte Intoleranz gegenüber denjenigen, die dem widersprechende Lehren unterstützten – verachtete sie als irrational oder verabscheute sie als unaufrichtig. Sicher hatte ich die Laufbahn, die mein Streben vorausgesagt hatte, vollendet – war Begründer einer neuen pathologischen Schule geworden und meine Theorien in akademischen Vorlesungen zusammengefasst – hätte sogar eine, wenn auch schwache Autorität für jene Sekten abgegeben, die das Interesse des Menschen auf das Leben beschränken, das seinen Abschluss im Grab findet.
Vielleicht fand auch das, was ich intellektuellen Stolz nenne, mehr als ich zuzugeben bereit war, Nahrung in dem Selbstvertrauen, das gewöhnlich aus einem ungewöhnlich hohen Grad physischer Kraft erwächst. Ich war von der Natur mit der Statur eines Athleten gesegnet worden. Unter der abgehärteten Jugend des nördlichen Athens hatte ich mich durch frühzeitige Proben meiner Behendigkeit und Kraft ausgezeichnet. Meine geistigen Arbeiten und das gewissenhafte Verantwortungsbewusstsein, welches mit dem medizinischen Beruf einher gehen sollte, ließ mich zwar des Lebens nicht so recht froh werden, konnte jedoch meine seltene körperliche Gesundheit in keiner Weise schwächen. Ich durchmaß die Menge mit festem Schritt und dem stolz erhobenen Haupt eines der geharnischten Ritter des Altertums, der sich in seinem Gehäuse aus Eisen einem ganzen Haufen gewachsen fühlte.
Aus diesem Grunde trug der Sinn einer robusten Individualität, ebenso stark in disziplinierter Vernunft wie in animalischer Kraft und daran gewöhnt, anderen zu helfen, dazu bei, meinen Willen gebieterisch und meine Meinung arrogant zu gestalten. Diese Mängel waren mir meinem Beruf keineswegs abträglich; im Gegenteil, da sie von einem ruhigen Wesen und der Art Würde, die eine Art Amtstracht der Selbstachtung ist, begleitet wurden, dienten sie dazu, mir Respekt zu verschaffen und Vertrauen herzustellen.