Читать книгу Gefährliche Erben - Elfi Hartenstein - Страница 12
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ОглавлениеMahlmann lenkte den BMW durch wenig befahrene Straßen stadtauswärts. Hinten im Wagen saßen Sylvie Westphal und Fred Klotz. Westphals Augen waren mit einem Halstuch verbunden. Ihre Hände waren nach vorne mit einem Kabelbinder gefesselt. Ihr Arztkoffer stand neben ihr. Fred hatte auf seinem Schoß eine Pistole liegen und entfernte aus einem Smartphone die SIM-Karte.
„Klauen Sie mir ruhig mein Handy. Aber die Karte brauche ich wieder. Wegen der gespeicherten Kontaktdaten“, sagte Sylvie.
Sie spürte den Koffer neben sich, tastete mit ihren gefesselten Händen danach, fand einen ihr vertrauten Riss im Leder. „Mein Notfallkoffer. Warum haben Sie den aus meinem Wagen mitgenommen?“
„Ihre Dienste werden gebraucht“, sagte Fred.
Dr. Westphal hatte den Geruch dieses Mannes heute schon einmal in der Nase gehabt. Heute Morgen. Aber sie sagte nichts.
Mahlmann war im Stadtgebiet immer knapp über fünfzig gefahren, jetzt, auf der Landstraße, gab er Gas.
„Hundert“, mahnte Fred.
Mahlmann ging leicht vom Gaspedal.
Als sie den Hof erreichten, parkte er den BMW in der Scheune. Er und Fred nahmen die Ärztin in ihre Mitte und führten sie über den Hof ins Haus. Ihre Augen waren noch immer verbunden. Fred trug den Arztkoffer in der Hand. In der Küche stellte er ihn ab, zog seine Sturmhaube über, nahm den Koffer wieder hoch und führte Sylvie Westphal zur Kellertür. Als er sie öffnete, strömte ihnen die muffige Luft des Kellers entgegen. Sylvie blieb stehen.
Fred nahm die Pistole aus seinem Hosenbund, drückte ihr die Mündung an den Hals. „Wir müssen da runter. Es passiert Ihnen nichts. Versprochen.“
Er legte Westphals Hände auf das Geländer. „Zehn Stufen.“
Sie tastete sich nach unten.
„Jetzt geradeaus weiter.“
Sie ging weiter, vorsichtig, die gefesselten Hände an der Wand.
„Stopp“, sagte Fred. Er schloss eine Tür auf, in der von außen ein Schlüssel steckte.
„Das ist eine Ärztin“, sagte Fred, stellte den Koffer ab, nahm ein Messer aus seiner Tasche, klappte es auf. „Vorsicht“, sagte er zu Sylvie Westphal, „ich mach das jetzt ab. Sie bewegen sich erst, wenn ich draußen bin. Wenn Sie irgendetwas brauchen, schlagen Sie gegen die Tür.“
Sie nickte. Fred schnitt den Kabelbinder durch.
Sylvie blieb ruhig stehen, hörte, wie die Tür hinter ihr zufiel und abgeschlossen wurde, nahm die Binde von ihren Augen. Das Kellerverlies hatte ungefähr acht Quadratmeter. Ein höchstens zwölfjähriger Junge lag apathisch auf einem alten Diwan, sah hoch. Seine linke Hand steckte in einem blutdurchtränkten Verband.
„Frau Doktor“, sagte er und streckte ihr im Schein der matten Glühlampe die verbundene Hand hin, „die haben mir einen Finger abgeschnitten. Und ich bin Bluter.“
Sylvie trat mit dem Fuß mehrmals gegen die Tür. Dann setzte sie sich neben den Jungen.
„Ich heiße Sylvie. Und du?“
„Von Steinfurt.“ Der Junge war stolz auf seinen Namen.
Sylvies tief eingewurzelte Allergie gegen jede Art von Dünkel ließ ihre Stimme harsch klingen. „Ich will deinen Vornamen wissen und nicht deinen Lebenslauf.“
„Albert“, sagte er verunsichert.
„Hast du große Schmerzen?“, fragte sie nun sanfter.
Der Junge biss sich auf die Lippen, dann schüttelte er tapfer den Kopf.
„Hast du einen Notfallausweis?“
Er zog ihn mit der gesunden rechten Hand aus der hinteren Hosentasche.
Sie überflog den Ausweis sekundenschnell. „Warum hast du denen nichts gesagt?“
„Sie haben mir gesagt, sie stopfen mir das Maul, wenn ich den Mund aufmache.“
Die Tür wurde aufgeschlossen. Ein Mann mit Sturmhaube kam herein. Der Figur nach keiner von denen, die sie hergebracht hatten. Sie reichte ihm den Notfallausweis. Während er einen kurzen Blick darauf warf, sagte Sylvie: „Ich muss mein Handy haben. Oder irgendeins. Der Junge braucht Medikamente. Sofort.“
Der Mann sah noch mal auf den Ausweis, ging wieder, schloss hinter sich ab.
„Dr. Sylvie“, sagte der Junge und rückte näher.
„Spar dir den Doktor, Albert“, sagte sie und nahm ihn in den Arm. „Hab keine Angst. Du wirst nicht verbluten. Wir kriegen das hin.“
Der Mann mit der Sturmhaube kam zurück. Sylvie registrierte die kleine Narbe unter der linken Augenbraue. Er hielt ein Smartphone in der Hand – es war ihres -, schob die SIM-Karte hinein, klappte es zu. „Eine Minute.“
In der Rettungsstelle des Urban-Krankenhauses nahm ein völlig übermüdeter Arzt, der einen Bericht in den PC tippte und ziemlich alt dabei aussah, den Hörer vom nervig tönenden Telefon, bei dem irgendein Kollege mal wieder einen neuen Klingelton eingegeben hatte, und murmelte ein ungnädiges „Ja“.
Er hatte keine Lust, den Namen des Krankenhauses, seinen Namen und den sonstigen Formalkram herunterzubeten und sich dann anzuhören, was durchs Telefon kam. Sylvies Stimme sagte: „Sylvie hier.“ Er saß mit einer Hand auf der Tastatur seines PC, die andere Hand am Hörer und hätte sich lieber die Haare gerauft. „Ach Sylvie, du hast doch heute Abend frei. Genieße es … Wie bitte? Faktor IX? Hat der keinen Hausarzt? … Geht nicht? Kannst du dir das nicht selbst beschaffen? … Geht nicht? … Okay. Haben wir da. Schmerztabletten, Penicillin sowieso. Hol es ab … Wie bitte? Das geht auch nicht? Ach, Sylvie, bist du wieder in irgendeine Scheiße reingeraten? … Also gut. … Ja, kenne ich. Ich bring es vorbei.“ Er lauschte noch ins Telefon hinein. Aber die Leitung war tot.
Sylvie Westphal reichte dem Mann mit der Sturmhaube das Telefon. Der nahm es, sah noch zu dem Jungen, der einen ziemlich schwachen Eindruck machte, schloss die Tür hinter sich ab und ging hinauf in die Küche. Mahlmann und Fred Klotz saßen am Küchentisch und löffelten Gemüseeintopf.
„Morgen hätte ich gerne mal ein Steak“, sagte Fred zu Mahlmann. „Für den Fall, dass es noch länger dauert.“
„Du fährst jetzt mit der Kawasaki zum LOU’s“, befahl Schuster, während er sich die Haube abnahm. „Und halte dich nicht beim Essen auf. Du holst nur die Medikamente ab.“