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„Du kannst den Helm abnehmen und das Tuch auch“, sagte Fred Klotz, als er mit dem Motorrad in der Nähe der Auffahrt zu Steinfurts Villa hielt.

Feldmann stieg ab, nahm den Helm ab, das Tuch, stopfte es in den Helm, sah sich um. Wald. Ein ummauertes Grundstück. Ein schmiedeeisernes Tor, das offen stand. Eine Auffahrt, die irgendwohin führte. Von einem Haus war nichts zu sehen.

„Direkt am Tor gibt es Videoüberwachung. Eine Kamera. Vielleicht inzwischen auch mehr“, sagte Fred Klotz, der den Helm aufbehielt und den Motor im Leerlauf ließ.

„Den, der deinen Chef macht, kenne ich irgendwoher. Wer ist das?“, fragte Lou.

„Von mir erfährst du nichts. Ich kann dir nur so viel sagen: Wenn es dir nicht gelingt, das Lösegeld zu liefern, wird er mit der nächsten Zahlungsaufforderung dem Kleinen die Hand abhacken und deiner Ärztin auch. Das will ich nicht und ich hoffe, du auch nicht. Aber er hat jetzt zwei Geiseln. Eine für den Grafen und eine für dich.“

Feldmann gab sich gelassen. „Die Banken machen erst morgen früh wieder auf. Ich glaube nicht, dass der Graf zwei Millionen unter dem Kopfkissen hat. Aber er wird sich etwas einfallen lassen bis morgen Nachmittag. Ich habe nicht vor, bei ihm zu übernachten. Soll ich mir nachher ein Taxi rufen?“

„Kein Taxi“, sagte Klotz, „ich bleibe in der Nähe. Wenn du vor das Tor kommst, hole ich dich ab.“

Klotz nahm Feldmanns Helm, legte ihn vor sich auf den Tank, schaltete, fuhr langsam und leise weiter und verschwand in einem Waldweg.

Feldmann ging auf das Tor zu, dessen offen stehende schmiedeeiserne Flügel vermutlich von Hand geöffnet und geschlossen werden mussten. Er sah die Kamera auf einem der wuchtigen Torpfeiler, ging weiter. Erst als die Auffahrt eine Biegung machte, erblickte er in einiger Entfernung vor sich das Haus. Den beleuchteten Fenstern nach zu schließen eine Art Landschlösschen mit einer mächtigen Eingangstreppe. Jetzt hatten die Bewegungsmelder ihn erfasst, Lampen flammten auf, auch die Beleuchtung über und neben dem Eingang. Ein groß gewachsener älterer Mann erschien in der Tür, trat auf die breite Eingangsterrasse heraus, blieb, eine Jagdflinte mit Zielfernrohr in der Hand, oben auf dem Treppenabsatz stehen. Ihm folgte ein jüngerer untersetzter Mann.

Hinter Feldmann bog ein Wagen von der Straße her in die Auffahrt ein. Er kam schnell heran, hupte. Feldmann, in der Mitte des Wegs, dachte nicht daran auszuweichen, obwohl ihm der Wagen fast in die Hacken fuhr. Er drehte sich nicht um, ignorierte das Hupen und Aufblenden der Scheinwerfer.

Dann stand er vor der Treppe. Der ältere Mann hielt das Gewehr auf ihn gerichtet, mit einer Hand, auf Hüfthöhe. Mit abwehrend gegen ihn ausgestreckter linker Hand bedeutete er ihm stehen zu bleiben.

Knapp hinter Feldmann kam der Wagen zum Stehen. Eine wütende junge Frau in grauen Lederjeans, taillierter rotbrauner Camouflage-Couture-Jacke und mit schwarzer Schirmmütze auf dem halblangen Haar sprang heraus. Sie sah Feldmann an, nahm Maß, von unten nach oben und umgekehrt. „Was bilden Sie sich ein? Wer sind Sie?“ Ihre Stimme war scharf, ohne Hysterie. Sie überschlug sich nicht. Auf der Beifahrerseite stieg nun auch ihr Begleiter aus. Ein blonder schlaksiger Dreißigjähriger. Er hatte es weniger eilig.

Feldmann warf der Frau nur einen kurzen Blick zu, ignorierte ihre Fragen, konzentrierte sich auf den Mann mit der Flinte oben auf der Treppe. „Ich bin Lou Feldmann. Sind Sie Steinfurt?“

„Graf Elmar von Steinfurt. Was wollen Sie?“

„Sie von Ihrem Sohn Albert grüßen.“

Der Graf trat einen Schritt zurück und musterte Feldmann erstaunt. „Sind Sie etwa der Entführer?“

„Dann wäre ich wohl kaum hier. Ich vermittle.“

„Lou Feldmann“, sagte der Mann neben dem Grafen. In seiner Stimme schwangen Hass und Verachtung mit.

„Und wer sind Sie?“, fragte Feldmann ihn. „Polizist?“

„Polizeihauptkommissar Uwe Trantow.“

„Du kennst ihn?“, fragte Steinfurt.

Trantow nickte. „Ein Ex-Kollege. Als ich in Berlin gearbeitet habe, haben wir seinen Neffen wegen Mordes gesucht. Er hatte ihn versteckt.“ Er warf Feldmann einen feindseligen Blick zu.

„Ich habe ihn versteckt, weil er unschuldig war“, sagte dieser. „Wenn du dich erinnerst, war der Mörder einer deiner Chefs.“

Feldmann wandte den Kopf und sah zu, wie der Blonde zwei Flinten in grünen Segeltuchtaschen aus dem Kofferraum nahm.

„Ich muss mit Ihnen reden“, sagte er dann zu Steinfurt, und mit einer Kopfbewegung in Richtung Trantow: „Was soll dieser Polizist hier?“

„Ein Freund der Familie“, erklärte der Graf. „Er ist privat hier. Allein.“

„Schicken Sie ihn weg. Sie sollten sich an die Bedingungen halten, die man Ihnen gestellt hat.“

Steinfurt nickte. Da war keine Resignation, was Feldmann wunderte. Der Mann hatte offenbar Format.

„Geh inzwischen ins Gästezimmer“, sagte er zu Trantow. Er ließ seine Flinte sinken und sah Feldmann an. „Kommen Sie herein.“

Steinfurt ging voran. Trantow ließ alle an sich vorbeigehen, bevor er selbst sich gekränkt ins Haus und die Treppe nach oben begab. Die beiden Ankömmlinge nahmen im Flur die Flinten aus den Segeltuchbehältern und schlossen sie in den Waffenschrank ein. Feldmann folgte Steinfurt in den Salon, in dem sich Klaus-Rainer widerwillig aus einem tiefen Sessel quälte. Außer ihm war niemand mehr im Raum.

„Mein ältester Sohn Klaus-Rainer. Herr Feldmann“, stellte Steinfurt sie einander vor.

An der Art, wie der Hausherr das sagte, meinte Feldmann eine gewisse Abneigung gegen den Sohn herauszuhören.

„Das ist übrigens meine Tochter Gloria“, erklärte Steinfurt mit einer sanften Kopfbewegung in Richtung der soeben hinter ihnen in der Tür erschienenen zornigen jungen Frau. Verhaltener Stolz lag in seiner Stimme. „Und Frank Schmid, der Mann an ihrer Seite, vorläufig noch nicht mein Schwiegersohn.“ Hier war ein verächtlicher Unterton nicht zu überhören. Allerdings schien Schmid selbst ihn nicht wahrzunehmen. Er verneigte sich leicht vor Feldmann. Du hast keine Chance, mein Lieber, dachte der, wenn du Mumm hast‚ steh auf und geh. Aber vielleicht brauchst du das ja.

„Nehmen Sie bitte Platz“, forderte der Graf ihn auf.

Feldmann schüttelte den Kopf. „So lange bleibe ich nicht.“

„Möchten Sie etwas trinken?“

„Nein danke“, sagte Feldmann. „Lassen Sie uns lieber sofort zur Sache kommen. Die Entführer meinen es ernst. Sie wollen zwei Millionen bis morgen vierzehn Uhr.“

„Wie viel kriegst du davon?“, platzte Trantow, der es sich auf der Treppe nach oben anders überlegt hatte und gerade in den Salon hereingekommen war, dazwischen.

Feldmanns Rechte ballte sich, doch er hatte nicht vor, sich provozieren zu lassen. Anstatt auf Trantows Frechheit einzugehen, sagte er nur leise: „Verpiss dich, Trantow. Wenn in ein paar Stunden etwas hierüber durchgesickert sein sollte, wird man dich zur Rede stellen und du musst sagen, was du darüber weißt. Und weil du deinen Job nicht an den Nagel hängen willst, wirst du auspacken. Also ist es besser, du weißt nichts.“

Offenbar hatte er damit dem Grafen aus der Seele gesprochen, denn der bestärkte ihn sofort: „Ja, Uwe. Lass uns das allein klären.“

Trantow reagierte beleidigt. „Aber ihr könnt doch nicht so jemandem vertrauen. Ihr könnt doch nicht …“

„Wir können.“ Das war Ingeborg von Steinfurt. Sie war bleich und mit zerwühltem Haar wiederaufgetaucht, ohne dass jemand Notiz davon genommen hatte. Die letzten Sätze hatte sie mitgehört und sich mit kalter Stimme eingeschaltet.

Trantow sah sie an, bittend, aber Ingeborgs starres Gesicht bewog ihn zu gehen.

„Wie geht es meinem Kind?“, fragte sie Feldmann, plötzlich alles andere als kalt. „Sagen Sie es mir, bitte.“ Ihr Gesicht war nicht mehr starr, ihre Augen flehten.

„Er hält sich gut“, sagte Lou. „Eine Ärztin ist bei ihm. Eine Ärztin, der ich vertraue.“

„Kriegt er seine Medikamente?“

„Ja“, sagte Feldmann. Er sah, dass sie am Ende ihrer Kräfte war und sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Er war der Einzige, der es bemerkte. Er fing sie auf und führte sie zu einem Sessel.

„Was mich interessieren würde: Falls es Ihnen wirklich nicht ums Geld gehen sollte, was ist dann Ihr Interesse an diesem Fall?“, schaltete sich Klaus-Rainer ein.

Feldmann blickte ihn kurz an, wandte sich jedoch an dessen Vater. „Herr von Steinfurt, Sie haben noch ungefähr zwölf Stunden Zeit, dass Ihrem Jüngsten ein guter Handchirurg den Finger wieder annähen kann. Danach ist es zu spät, dann kann kein noch so guter Spezialist mehr helfen. Wenn Sie nicht zahlen, kommt der nächste Finger, vielleicht die ganze Hand. Überlebt er das?“ Er sah sich in der Runde um, sah auf die im Sessel zusammengesunkene Gräfin. Obwohl sie ihm leidtat, fragte er sich, warum sie nicht lautstark aufbegehrte, nicht heulte und schrie, weil ihre Familie zu geizig war, ihr Kind zu retten. War sie so vom Grafen abhängig, hatte sie vielleicht gar, um diese gute Partie zu machen, gelernt, ihre eigene Persönlichkeit zu verleugnen? Den eigenen Willen? Sein Blick schwenkte hinüber zum Noch-nicht-Schwiegersohn, dessen Augen sehnsüchtig auf den Schnapsflaschen der Hausbar ruhten und der sich schließlich ein Mineralwasser einschenkte.

„Feldmann“, unterbrach Gloria seine Betrachtungen scharf, „Sie beantworten wohl grundsätzlich keine Fragen. Nicht die von Hauptkommissar Trantow, nicht die von meinem Bruder. Was also springt für Sie bei diesem Handel raus?“

Feldmann fuhr herum. War er ein Bauer aus der Zeit ihrer Vorfahren? Er blickte in das hochmütige Gesicht der Tochter des Hauses. Ihre Gesichtszüge, die ganze Haltung und Gestik – sie war gut dressiert worden.

„Ich komme morgen um zwei“, sagte Feldmann zu Steinfurt, „ich hoffe, Sie haben das Geld dann zusammen und sich mit Ihrer Familie geeinigt.“

Grußlos ging er hinaus. Die Auseinandersetzung, die jetzt folgen würde, wollte er nicht mitbekommen. Sein Mitgefühl mit dem jüngsten Spross dieser Familie hielt sich in Grenzen. Aber er hatte Angst um Sylvie Westphal.

In der Empfangsdiele hockte Trantow auf der Treppe. Als Feldmann aus dem Salon kam, stand er auf. Er hatte auf ihn gewartet. Er machte einige Schritte auf ihn zu, ging an seiner Seite zur Haustür und stellte sich ihm davor in den Weg.

„Ich mach dich fertig, Feldmann“, sagte er. „Du warst mal ein Kollege. Einer, zu dem andere aufgeschaut haben. Jetzt arbeitest du mit Kriminellen zusammen.“

Feldmann war es müde, sich zu verteidigen. Er hatte es längst aufgegeben, sich vor ehemaligen Kollegen rechtfertigen zu wollen. Er überlegte kurz, ob er diesen linientreuen Polizisten gegen die Wand knallen sollte, ließ jedoch seine Hände, die sich schon bei diesem Gedanken gehoben hatten, wieder sinken.

„Trantow“, sagte er ruhig, „ich tu dir weh, wenn du mir den Weg versperrst.“

„Warum, verdammt, gibst du dich für so etwas her? Du hast ein Haus, du verdienst genug mit deiner Kneipe!“

„Ich schlichte manchmal.“ Feldmann war ruhig. Er sprach leise. „Nicht für Geld. Die Leute, für die ich schlichte, stehen auf der anderen Seite. Und da gibt es oft mehr Moral und mehr Charakter, als du bei vielen Politikern und Abgeordneten oder Leuten, die uns regieren, finden wirst. Auch nicht in dieser Familie, mit der du dich angefreundet hast. Und schon gar nicht bei deinen Kollegen. Wenn du die jetzt benachrichtigen willst, bitte. Aber wenn der Ärztin, die den Jungen behandelt, irgendetwas passiert, dann mache ich dich fertig.“

Trantow wich zögernd zur Seite. Feldmann öffnete die schwere Eichenholztür und ging hinaus.

Trantow stand in der offenen Tür und sah ihm hinterher, wie er die Auffahrt hinunterging und auf dem Weg zum Tor aus seinem Blickfeld verschwand. Kurz darauf hörte er ein Motorrad herankommen und anhalten. Dann heulte der Motor auf und das Motorengeräusch verlor sich in der Ferne.

Gefährliche Erben

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