Читать книгу Gefährliche Erben - Elfi Hartenstein - Страница 7
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ОглавлениеMurat warf Feldmann einen flehenden Blick zu. „Du musst verstehen, Lou. Ich bin vor vierzig Jahren hergekommen. Lange bevor die Mauer fiel. Hier war alles billig. Die Miete für meinen Laden auch. Aber jetzt – das Haus nebenan gehört inzwischen einem irischen Clan.“
„Einem englischen“, sagte Fred Klotz, „und das, in dem dein Waschsalon ist, vielleicht bald einem griechischen. Die müssen alle sehen, wie sie ihr unversteuertes Geld anlegen. Vielleicht kriegen die ja auch noch einen Bonus vom Senat.“
„Lou“, sagte Murat, „dieser Typ will mich fertigmachen. Der will direkt neben meinem Waschsalon einen Betrieb aufmachen mit neuen Maschinen, die ich mir nicht leisten kann. Eine Acht-Kilo-Trommel, wo die Leute Daunenbetten und Teppiche reinwerfen können. Da kann ich nicht mithalten.“
„Das ist Kapitalismus“, sagte Feldmann trocken, „das ist überall so. Leute erkunden, wo es einen florierenden Waschsalon mit Stammpublikum gibt, das sich der Besitzer über viele Jahre hin erworben hat, und dann machen sie daneben einen neuen auf, mit besseren Maschinen. Mit Dumpingpreisen. Hast du was auf der hohen Kante?“
„Du hast mich nicht verstanden“, klagte Murat. „Mein Laden ist meine Rente. Mein Leben, meine Heimat. Ich kenne die meisten, die zu mir kommen, wir reden, wir trinken einen Cai, vielleicht einen türkischen Kaffee vom Griechen gegenüber …“
„Hör auf zu weinen, Alter“, unterbrach Fred. „Geh auf Rente oder Hartz IV. Mir egal. Ich will hier meinen Laden aufmachen. Jetzt bin eben ich dran.“
„Du hast mir die Nazis geschickt“, sagte Murat.
„Welche Nazis?“, fragte Fred überrascht.
„Letzte Woche waren drei von denen da. Sie haben mir nahegelegt zu verkaufen, weil ich demnächst Konkurrenz bekäme.“
„Und? Haben sie dir was getan?“
„Noch nicht. Sie kommen wieder, haben sie gesagt. Und das war eine Drohung.“
Feldmann stand auf, ging zum Fenster, sah zwischen den aufgeklebten Plakaten hinaus auf die Straße. Diese Straße, in diesem Kiez, den er genau deshalb liebte, weil hier so viele Menschen aus so vielen Nationen nebeneinander und miteinander lebten.
„Wo hast du das Geld her?“, fragte er und drehte sich zu Fred um. „Du hast vor zwei Jahren mit deinem Malergeschäft Pleite gemacht. Von einer Bank kriegst du keinen Kredit für die Maschinen.“
„Immer noch Bulle?“, fragte Fred misstrauisch.
„Nein“, sagte Feldmann, „nur informiert. Wie man das von einem Schlichter erwartet.“
Fred sah ihn wütend an. „Ich sag’s noch mal: Hier gibt es nichts zu schlichten, Lou Feldmann. Ich hab Murat nur zugesagt, herzukommen und dich anzuhören.“ Er deutete auf seine Wunden. „Und, siehst du, das hab ich jetzt davon.“ Sein Gesicht glühte. Lange würde er nicht mehr auf seinem Stuhl sitzen bleiben.
Feldmann hob beschwichtigend die Hand. „Hör zu, Fred. Am Südstern gibt es einen Laden, größer als der hier, direkt neben der U-Bahn, drum herum Wohngegend. Der wäre auch geeignet für dein Projekt. Die jetzige Ladenpächterin würde gerne mit dem hier tauschen. Friseurgeschäft, also keine Konkurrenz für Murat.“
„Ich will aber exakt diesen Laden hier. Gib dir keine Mühe. Ich habe mich schon mit dem Vermieter geeinigt. Und überhaupt …“ Er brach ab, weil die Tür aufging und Sylvie Westphal hereinkam.
Sie sah sich um, sah auf Freds blutende Stichwunden, blickte zu Murat und dann zu Feldmann.
„Danke, dass du gekommen bist“, sagte der.
Falls sie gekränkt war, weil er ihr nicht zum Geburtstag gratuliert hatte, ließ sie es sich nicht anmerken, stellte ihren Arztkoffer neben Fred, riss dessen Hemd weiter auf, sah die Wunden an, eine nach der anderen. „Nicht so schlimm, wie es aussieht. Gegen Tetanus geimpft?“
„Vor einem Jahr, nach einem Motorradunfall“, sagte Fred.
Sie machte sich an die Arbeit, desinfizierte, klebte, klammerte, pflasterte. Routine. Jeder Griff saß.
Feldmann hob das Messer vom Boden auf, klappte es zusammen und hielt es Murat hin. „Hier. Ich möchte, dass du jetzt gehst. Wir sprechen uns später. Ich komme bei dir vorbei.“
Murat steckte das Messer in die Tasche, blickte unschlüssig noch mal zu Fred, drehte sich dann um, murmelte ein „Danke“ in Feldmanns Richtung und machte sich davon. Feldmann schloss hinter ihm die Tür, blieb, mit dem Rücken dagegen gelehnt, dort stehen und sah Sylvie zu. „Heute Abend“, sagte er, als sie fertig war, „mache ich Kalbfleischpflanzerl mit Kartoffel-Gurken-Salat. Kommst du?“
Auch wenn es sie offensichtlich kränkte, dass er nicht an ihren Geburtstag gedacht hatte, nickte sie. Lous Kalbfleischpflanzerl standen auf der Top Ten ihrer Lieblingsgerichte ganz oben, das wusste er. „Ja, aber nicht vor halb neun, eher schaffe ich’s nicht.“
Sie nahm aus ihrem Koffer eine Schachtel mit Tabletten, die sie Fred gab. „Penicillin. Für den Fall, dass es sich entzündet, aber nur dann, jeden Tag eine, eine Woche lang. Wenn Sie Schmerzmittel brauchen, besorgen Sie sich welche in der Apotheke.“ Sie schloss ihren Koffer, stand auf, ging zur Tür. Feldmann trat zur Seite.
„Wer bezahlt mich?“, fragte sie ihn.
„Murat“, sagte er, „ich gebe es dir heute Abend.“
Feldmann machte die Tür hinter ihr zu. Fred stand auf, nahm seine zusammengeknüllte Lederjacke vom Boden auf, hielt sie hoch, betrachtete die Schnitte. „Die kann ich in den Müll werfen“, sagte er verärgert. „Hat mich einen Tausender gekostet.“
„Überleg dir das mit dem Südstern“, sagte Feldmann. „Sieh dir den Laden wenigstens mal an“.
„Wozu? Ich will den hier.“
„Hier hast du fast nur türkische Nachbarn. Murat ist Türke, aber du kriegst hier Schwierigkeiten.“
„Vielleicht. Wird sich zeigen.“