Читать книгу Alte Hexe - Elisa Scheer - Страница 16
15 DI 24.04.
Оглавление„Tolle Ausbeute“, murrte Joe, als sie endlich auch alle die Nachbarn befragt hatten, die am Montag nicht anwesend gewesen waren.
„Schmidt, Hommelsen, Düker, Martin, Posch, Kratzberger“, murmelte Anne und legte einen Packen Karten und Markierstifte neben die Akten. „Whiteboard-Software wäre langsam wirklich mal nett.“
„Dann müssten wir dieses wirre Zeug bloß auch noch tippen“, widersprach Joe, und Anne schenkte ihm den nachsichtigen Blick, den er so hasste. „Müssen wir für die Berichte doch sowieso. Na los, fangen wir an!“
Joe nahm sich den ersten Bericht. „Okay, Familie Schmidt. Vater Lars, Mutter Katrin, Schwester der Mutter Lisa, kleiner Sohn dieser Schwester Kevin. Haben die olle Carin kaum gekannt, Sie hat nur einmal mit der Polizei gedroht, weil Kevin an seinem Geburtstag im Garten gefeiert hat. Ach ja, und dabei angemerkt, dass Henting eine anständige Gegend sei. Ohne das näher zu erklären. Lisa Katz hat keine Ahnung, was damit gemeint war, und es war ihr, wie sie überzeugend klar gemacht hat, auch völlig egal. Ich sehe da kein überzeugendes Motiv.“
„Ich auch nicht. Obwohl das mit der anständigen Gegend natürlich klar ist – die ist doch allein erziehend, oder? Klein Kevin als uneheliches Kind, Schande vor den Nachbarn und all solcher Quatsch. Übrigens weißt du ja – Kevin ist kein Name -“
Joe schaute erwartungsvoll und Anne seufzte. „ – sondern eine Diagnose.“
„Was?“
„Mein Gott! Der Anteil auffälliger Jungs ist bei Leuten, die Kevin, Dennis oder Maik heißen, offenbar überdurchschnittlich hoch. Vielleicht Prekariat.“
„Oder Vorurteil“, entgegnete Joe. Anne hatte Lust, darüber zu diskutieren, aber eigentlich hatten sie noch mehr zu tun.
„Lass gut sein. Familie Hommelsen. Vater, Mutter, drei kleine Töchter. Drei, vier, fünf – die wollten es wohl hinter sich bringen? Muntere Kinder, spielen viel im Garten, kreischen naturgemäß herum. Ah ja, Eltern wollten ein Planschbecken aufstellen, olle Carin wollte das verhindern, Streit vor dem Bezirksausschuss, Carin wird abgeschmettert. Kunststück, die Olle war ja nicht einmal die Nachbarin, was ging es sie eigentlich an? Ach ja, Hommelsen hat gesagt, die alte Carin hat ihn hinterher bedroht, so was Asoziales wie ihn mit diesen grässlichen unerzogenen Bälgern würde sie schon noch hier wegkriegen…“ Anne schüttelte den Kopf. „Was für Allmachtsphantasien… die Alte hatte doch wirklich ein Rad ab!“
„Ich hätte dieses Höllenweib verklagt“, kommentierte Joe, der gerade das Wesentliche auf eine Karte kritzelte.
„Schreib deutlicher! Ich bestimmt auch. Verleumdung, Beleidigung, Bedrohung, Nötigung – alles, was mir eingefallen wäre. Hommelsen hat gesagt, er hat zu den genehmigten Zeiten so viel Krach gemacht wie erlaubt und einmal vor ihrem Haus sein Auto aufgeräumt und dabei laut Heavy Metal gehört, obwohl er das selbst nicht mag. Was steht hier?“ Sie kicherte und las vor: „Am liebsten hätte ich ja die Internationale auf Volllast gespielt, aber die alte Hexe kennt das wahrscheinlich nicht mal. – Der Mann ist gut.“
„So einer muss nicht morden, um sich abzureagieren, der wehrt sich“, meinte Joe und hängte die Karte auf.
„Sehe ich auch so. Düker… ein junges Paar, keine Kinder, beide schwer berufstätig, er in der Werbung, sie bei einer Unternehmensberatung, beide nie zu Hause. Frau wer? war ihre Frage. Das Haus noch nicht mal fertig eingerichtet, überall noch Kisten.“
„Ha!“, machte Joe. „Das hätte der Alten aber gar nicht gefallen.“
Anna sah ihn ratlos an. „Wieso, das konnte sie doch gar nicht mitkriegen?“
Joe erwiderte ihren Blick nachsichtig und leicht triumphierend, schien es ihr. Frechheit!
„Na, Mensch – die haben doch ihren Garten garantiert nicht ordentlich in Schuss! Da könnten doch böse Löwenzahnsamen und anderes Unkraut durch die gepflegte Gegend fliegen und den Carinschen Park verunzieren…“
„Respekt“, gab Anne zu, „das könnte ein Grund sein. Und deshalb geben die beiden gar nicht erst zu, die Alte zu kennen… Haben die ein Alibi?“ Sie begann in den Unterlagen herumzuwühlen und zog schließlich ein Blatt hinten aus der dünnen Mappe. „Ach ja, hier… beide waren auf einer Tagung in Frankfurt. Hinreichend belegt, Mist. Dann war´s wohl doch nichts mit dem Garten.“
Joe schnaufte und bekritzelte die nächste Karte, dann befestigte er sie an der Pinnwand – etwas weiter weg als Hommelsen und Schmidt.
Anne sah ihm zu und seufzte frustriert.
„Okay, die nächsten… Martin. Was haben wir gleich wieder zu denen? Waren das die, wo sie so ein Putzteufel ist?“
Joe brummte zustimmend. „Furchtbar, wie so ein Klischee! Und dieses Tuch um den Kopf.“
„Das Beste war ja, dass wir die Schuhe ausziehen mussten“, merkte Anne versonnen an. „Und du hattest ein Loch im Strumpf… aber die fand die alte Carin, glaube ich, ganz okay.“ Sie blätterte in ihren Notizen und las dann vor: „Schaut wenigstens darauf, dass hier alles seine Ordnung hat. Macht ja sonst keiner mehr heutzutage, alles verwahrlost! Und der Dreck auf den Straßen…!“
„Ja, wahnsinnig zielführend. Was geht es schließlich uns an, ob in Henting die Straßen gefegt sind?“
„Aber sie hat kein Motiv – wenn das Gebrabbel nicht bloß gelogen war… und er war ja kaum aus seinem Hobbykeller zu bringen.“
„Und kein ganzer Satz. Nur Mhm, hm, öh… Ob der mit seiner Frau auch so redet?“
„Nach so vielen Jahren Ehe? Warte mal, verheiratet seit 1985… zweiundzwanzig Jahre… da sind wohl die meisten Ehen nur noch stumm.“
„Verlockt einen auch nicht zum Heiraten“, stellte Joe fest, während er dieses Kärtchen noch etwas weiter weg anheftete.
„Bei Poschs war keiner da“, rekapitulierte er dann, „und diese Kratzbergers haben sich über die Carins in ihrer Gruselvilla doch bloß amüsiert.“
„Sie hatten ja auch nicht ganz Unrecht“, murmelte Anne, die die Aufzeichnungen überflog, „irgendwo sind die beiden doch tatsächlich lächerlich – dieser Realitätsverlust! Der trauernde Witwer hat wirklich nur Blödsinn von sich gegeben. Und nachdem, was diese Mathilde so erzählt hat – huh! Schon gruselig, was?“
„Mhm. Also bleiben eigentlich nur Hommelsens. Aber überzeugend ist das auch nicht.“
„Stimmt. Das mit den Nachbarn ist wohl eher eine Sackgasse. Ich denke, wir sollten lieber die Familie im Auge behalten. Was ist zum Beispiel mit dieser Gesine? Vom Vater verstoßen… von der Mutter auch? Hier geht es ja auch im beträchtliche Summen.“
„Gibt es eigentlich ein Testament?“
„Wir haben heute Nachmittag einen Termin bei Carins Anwalt. Der war am Telefon recht entgegenkommend. Soweit ein Anwalt das darf, heißt das. Offenbar hat er den Alten davon überzeugt, dass es besser aussieht, wenn er nicht so geheimniskrämerisch auftritt.“
„Sehr gut. Aber ist das wirklich die einzige Familie?“
„Ich schaue mal nach, ob sich noch was finden lässt“, seufzte Anne und begann herumzuklicken. Nach einigen Minuten frustrierten Gegrummels rief sie: „Ha! Wusste ich es doch! Dieser blöde alte Sack! Er hat nicht nur diese Tochter Gesine und die Enkelin Mathilde, er hat auch noch eine Halbschwester. Malwine… wo zum Henker nehmen die eigentlich die Namen für ihre Kinder her? Malwine ist echt gruselig.“
„Och“, machte Joe, „ich mag solche altmodischen Namen eigentlich ganz gerne.“
„Ja, du! Aber diese Mathilde passt eigentlich nicht so ganz in dein Beuteschema, oder? Fehlt es da nicht ein bisschen an der großäugigen Hilflosigkeit?“
Sie lachte, als ihr ein Päckchen Tempos an den Kopf flog.
„Wo hast du das jetzt eigentlich gefunden?“, fragte Joe dann wieder ganz sachlich.
„Bisschen unfein“, gab Anne zu. „Ich weiß, wo sie die alten, nachträglich digitalisierten Standesamtsunterlagen hingespeichert haben. Der Bereich ist immer noch nicht passwortgeschützt, und bevor man da anruft und ewig wartet… Ich mach das auch nicht oft. Aber wenn der alte Carin sich so gar nicht hilfsbereit zeigt… Das geht sowieso nur, wenn die Leute sich ordentlich an- oder umgemeldet haben - und wer macht das schon noch…“
„Ich finde es okay. Jetzt schauen wir einfach, was wir über diese Malwine rauskriegen können, vielleicht gibt´s da Fakten, die man legal nutzen kann?“
„Hoffentlich“, seufzte Anne. „Am liebsten würde ich die Hütte in Henting mal so richtig auf den Kopf stellen und dabei das Familienstammbuch finden. Das wäre dann mal wirklich legal!“
„Legal schon… aber der Alte hat wahrscheinlich den Kontakt abgebrochen und bestreitet, jemals von einer Schwester gehört zu haben. Der lügt doch schon aus Gewohnheit.“
„Stimmt auch wieder. Und hier steht bloß Malwine Helm, geboren 24. 09. 1940.“
„Böses Jahr.“
„Wenn schon. Eine Malwine Helm gibt es bundesweit nicht.“
„Vielleicht ist sie bei ihrer Nichte in Ravenna?“
Anne warf ihm einen verächtlichen Blick zu. „Europaweit auch nicht. Und weiter geht nicht.“